Rechtsfolgen der
Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit - kein Verzugs(folgen)eintritt
BGH, Urt. v. 28. September
2007 - V ZR 139/06
Fundstelle:
NJW-RR 2008, 210
ZGS 2007, 470
Amtl. Leitsatz:
Voraussetzung des
Verzugs ist auch im Fall der grundlosen Erfüllungsverweigerung die
Fälligkeit der Forderung gegen den Schuldner.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung ergeht noch zum alten Schuldrecht, ist
aber - wie auch die Verweise des Senats auf das reformierte Schuldrecht
belegen - weiterhin von gleichbleibender Relevanz: Selbst wenn der Gl.
bereits bei vorfälliger ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung
zurücktreten kann (s. § 323 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 323 Abs. 4 BGB) oder
Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann (zwar kommt für den SE
statt der Leistung eine analoge Anwendung von § 323 IV nicht in Betracht,
jedoch kann - in Übereinstimmung mit dem früheren Recht - die grundlose,
ernsthafte und endgültige Weigerung, einen Vertrag zu erfüllen, stellt
jedoch als sog. „Vertragsaufsage“ die Verletzung einer Treuepflicht aus §
241 II darstellen, die unter der Voraussetzung des § 282 zum Schadensersatz
statt der Leistung verpflichtet, s. dazu etwa Köhler/Lorenz, Prüfe dein
Wissen SchuldR I Fall 55 mwN). Der Gläubiger kann also vor dem Zeitpunkt der
Fälligkeit bzw. für diesen Zeitraum keinesfalls Schadensersatz wegen
Verspätung der Leistung verlangen. Das ist auch wertungsmäßig richtig, denn
vor Fälligkeit gebührt ihm die Leistung noch nicht, so daß deren Ausbleiben
insoweit keinen Schaden darstellen kann.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Treuhandanstalt war Bergwerkseigentümerin eines Hartsteinvorkommens.
Mit Notarvertrag vom 12. März 1996 verkaufte die Klägerin als
Namensnachfolgerin der Treuhandanstalt das Bergwerkseigentum für 38.500.000
DM an die Beklagte zu 1, eine Tochtergesellschaft der D. A. GmbH.
2 Im Kaufvertrag verpflichtete sich die Beklagte zu 1, "innerhalb von fünf
Jahren nach Beginn der vollen Förderung" 30.000.000 DM zum Abbau des
Vorkommens zu investieren und 115 Arbeitsplätze im Zusammenhang mit dem
Abbau zu schaffen. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung dieser
Verpflichtungen sollte die Beklagte zu 1 eine Vertragsstrafe von 20 % der
nicht getätigten Investitionen und 30.000 DM für jeden nicht geschaffenen
Arbeitsplatz schulden. § 9 Abs. 1 des Kaufvertrags berechtigte die Käuferin
zum Rücktritt vom Vertrag, sofern "die bestandskräftige Zulassung des
Hauptbetriebsplanes … aus Gründen, die die Käuferin nicht zu vertreten" hat,
bis zum 31. Dezember 2000 nicht erfolgt sein würde. Das Rücktrittsrecht
wurde bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 befristet. Gemäß § 10 des
Vertrages trat die D. A. GmbH neben der Beklagten zu 1 in alle Rechte und
Pflichten aus dem Vertrag ein.
3 Die Beklagte zu 1 leitete in der Folgezeit das für den Abbau nach dem
Bundesberggesetz notwendige Zulassungsverfahren ein. Die Zulassung erfolgte
nicht bis zum 31. Dezember 2000. Mit Schreiben vom 18. Juni 2001 erklärte
die Beklagte zu 1 deshalb den Rücktritt vom Vertrag. Die Klägerin stellte
die Wirksamkeit des Rücktritts in Abrede. Daraufhin nahm die Beklagte zu 1
die Klägerin vor dem Landgericht Berlin auf Rückzahlung des Kaufpreises in
Anspruch (Vorprozess). Die Klage blieb ohne Erfolg. 2002 wurde die D. A.
GmbH auf die Beklagte zu 2 verschmolzen.
4 Die Zulassung des Hauptbetriebsplans steht weiterhin aus. Die Förderung
ist bisher nicht aufgenommen worden. Investitionen in den Abbau des
Vorkommens sind unterblieben; Arbeitsplätze sind nicht geschaffen.
5 Mit der Klage verlangt die Klägerin einen Teilbetrag von 750.000 € der für
die Nichterfüllung der Investitionsverpflichtung vereinbarten Vertragsstrafe
zuzüglich Zinsen und einen solchen von 450.000 € zuzüglich Zinsen wegen des
Unterbleibens der Schaffung von Arbeitsplätzen.
6 Das Landgericht hat die Klage als zurzeit unbegründet abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat ihr bis auf einen Teil der verlangten Zinsen
stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt die
Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
7 Das Berufungsgericht sieht die vereinbarten Vertragsstrafen als verwirkt
an. Es meint, die Rücktrittserklärung der Beklagten zu 1 vom 18. Juni 2001
habe mangels einer entsprechenden Erklärung der D. A. GmbH die
Erfüllungspflichten aus dem Kaufvertrag unberührt gelassen, wie zur
Begründung des im Vorprozess ergangenen Urteils ausgeführt sei. Die
Notwendigkeit einer Rücktrittserklärung auch der D. A. GmbH habe die
Beklagte zu 1 bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt erkennen können. Die
unwirksame Erklärung habe dazu geführt, dass die Beklagte zu 1 mit der
Erfüllung der vereinbarten Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag in Verzug
geraten sei. Damit seien die vereinbarten Vertragsstrafen ausgelöst worden.
Für diese hafte die Beklagte zu 2 als Gesamtrechtsnachfolgerin der D. A.
GmbH neben der Beklagten zu 1.
II.
8 Die Revision ist begründet.
9 1. Verspricht der Schuldner dem Gläubiger eine Vertragsstrafe für den
Fall, dass er eine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise
erfüllt, ist die Strafe verwirkt, wenn der Schuldner in Verzug kommt, § 339
Satz 1 BGB.
Dass es sich so verhält, ist nicht festgestellt. Die rechtlichen Erwägungen
des Berufungsgerichts sind nicht geeignet, die fehlenden Feststellungen zu
ersetzen.
10 a) Auf das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten
findet gemäß Art. 229 § 5 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung. Hiernach gerät der Schuldner
in Verzug, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers, die nach Eintritt der
Fälligkeit erfolgt, nicht leistet, § 284 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Ist für die
Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, kommt der Schuldner mit
Ablauf der bestimmten Zeit in Verzug, ohne dass es einer Mahnung bedarf, §
284 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. Darüber hinaus bedarf es nach ständiger
Rechtsprechung für den Eintritt des Verzugs keiner Mahnung, wenn der
Schuldner die Erfüllung grundlos endgültig verweigert (BGHZ 65, 372, 377;
BGH, Urt. v. 10. April 1991, VIII ZR 131/90, NJW 1991, 1882, 1883; v. 9.
Juli 1992, XII ZR 268/90, NJW-RR 1992, 1226, 1227; Erman/Battes, BGB, 10.
Aufl., § 284 Rdn. 11; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 284 Rdn. 35, s.
nunmehr § 286 Abs. 2 Ziff. 3 BGB).
11 Voraussetzung des Verzugs ist jedoch auch in diesem Falle, dass die
Leistung des Schuldners fällig ist (vgl. MünchKomm-BGB/Ernst, 5. Aufl.,
§ 323 Rdn. 96; Soergel/Gsell, BGB, 13. Aufl., § 323 Rdn. 97). Eine
grundlose endgültige Weigerung des Schuldners, eine noch nicht fällige
Verpflichtung aus einem Vertragsverhältnis zu erfüllen, ist zwar eine
Vertragsverletzung, die in einem gegenseitigen Vertragsverhältnis den
Gläubiger berechtigen kann, schon vor Fälligkeit der Leistung des Schuldners
vom Vertrag zurückzutreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu
verlangen (BGHZ 2, 310, 312; 65, 372, 377; 90, 302, 308; RGZ 57, 105,
113 f; MünchKomm-BGB/Ernst, aaO, § 323 Rdn. 96; Soergel/Gsell, aaO, § 323
Rdn. 97). Die Weigerung führt jedoch nicht dazu, dass die Leistung des
Schuldners unabhängig von der hierfür vereinbarten Zeit oder unabhängig von
den hierfür vereinbarten Umständen fällig wird (BGH, Urt. v. 18.
Dezember 1963, VIII ZR 100/63, MDR 1964, 319; RG WarnRspr. 1919 Nr. 87;
Huber, Leistungsstörungen, Bd. II, S. 577 f.) und der Gläubiger von dem
Schuldner neben der Leistung den Ersatz eines Verzugsschadens oder eine für
den Fall des Verzugs vereinbarte Vertragsstrafe verlangen könnte.
12 b) Daran scheitern die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche. Der
Beklagten zu 1 stand nach dem Vertrag vom 12. März 1996 für die vereinbarten
Investitionen und die Schaffung der versprochenen Arbeitsplätze eine Frist
von fünf Jahren "nach Beginn der vollen Förderung" zu. Die damit
vorausgesetzte Verpflichtung, die volle Förderung aufzunehmen, besteht
indessen nicht, soweit die Förderung nicht ohne die Zulassung des
Hauptbetriebsplans aufgenommen werden kann.
13 2. Dies ist gemäß § 162 Abs. 1 BGB nur dann ohne Bedeutung, wenn die
Beklagte zu 1 verpflichtet war, das Zulassungsverfahren mit dem Ziel zu
betreiben, die Zulassung baldmöglichst zu erreichen, und die Zulassung bei
geschuldeter Anstrengung der Beklagten zu 1 vor mehr als fünf Jahren erfolgt
wäre. Dies behauptet die Klägerin. Feststellungen hierzu sind - aus der
Sicht des Berufungsgerichts folgerichtig - bisher nicht getroffen. Sie sind
nachzuholen. Dass die Beklagte nicht behauptet, die Förderung in nächster
Zeit aufnehmen zu können, ändert hieran nichts. Es obliegt der Klägerin,
darzulegen, dass die für die Investition in die Förderung und die Schaffung
von Arbeitsplätzen vereinbarte Frist verstrichen ist, obwohl die Zulassung
des Hauptbetriebsplans aussteht, und nicht der Beklagten, die Möglichkeit
einer Aufnahme der Förderung in nächster Zeit aufzuzeigen.
III.
14 Für das weitere Verfahren besteht Anlass zu dem Hinweis, dass der
Beklagten zu 1 vermeidbare Verzögerungen des Zulassungsverfahrens nicht im
Sinne von § 162 Abs. 1 BGB vorgehalten werden können, zu denen es gekommen
ist, solange sie davon ausgehen durfte, aufgrund ihrer Erklärung vom 18.
Juni 2001 nicht mehr dazu verpflichtet zu sein, das Zulassungsverfahren zu
betreiben. Die aus formellen Gründen unwirksame Ausübung eines
Rücktrittsrechts bedeutet nicht ohne weiteres eine Verletzung der Pflichten
der Beklagten zu 1 aus dem Kaufvertrag und steht einer grundlosen
Erfüllungsverweigerung daher nicht notwendig gleich (vgl. Huber, aaO, S.
570). Darüber hinaus begegnen der Auslegung des Kaufvertrags dahin, dass das
für "die Käuferin" vereinbarte Rücktrittsrecht nur von der Beklagten zu 1
und der D. A. GmbH gemeinsam habe ausgeübt werden können, erhebliche
Bedenken. Ein Irrtum hierüber kann der Beklagten zu 1 nicht ohne nähere
Feststellungen vorgeworfen werden.
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