Vorkaufsrecht (§ 463
BGB): Kein Einfluss einer Vertragsaufhebung auf den Vorkaufsfall
BGH, Urteil vom 1. Oktober
2010 - V ZR 173/09
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Das Recht zur Ausübung des
Vorkaufsrechts setzt das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags
voraus; dessen Aufhebung beseitigt nicht den Vorkaufsfall.
Zentrale Probleme:
Die Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt nach § 463 BGB das
wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen dem Verpflichteten und
einem Dritten voraus. Solange dieser Vertrag - weil zB ein
Genehmigungserfordernis besteht - nicht wirksam ist, können die Parteien
durch die Aufhebung dieses Vertrages das Entstehen des Vorkaufsrechts
verhindern. War der Vertrag aber wirksam, ändert die Vertragsaufhebung
nichts am Bestehen des Vorkaufsrechts. Der BGH verweist hier zurück, weil zu
klären war, ob der Vertrag vor seiner Aufhebung voll wirksam war, oder ob
noch ein Genehmigungserfordernis bestand.
©sl 2010
Tatbestand:
1 Mit von dem Streithelfer des Beklagten beurkundetem Vertrag
vom 13. Juli 2007 verkaufte der Beklagte seiner Freundin Wohnungseigentum
(Reihenhaus) für 110.000 €. Die Kläger sind ebenfalls Wohnungseigentümer in
der Reihenhausanlage. Zu ihren Gunsten ist in dem Grundbuch betreffend das
Wohnungseigentum des Beklagten ein Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle
eingetragen. In § 15 des Vertrags heißt es u.a.:
"Der Verkäufer behält sich das Recht vor, von diesem Vertrag zurückzutreten,
wenn die Erklärung der Berechtigten ... über die Nichtausübung ihres
Vorkaufsrechtes dem Notar nicht bis zum 01.08.2007 vorliegt."
2 Die Kläger übten mit Schreiben vom 13. August 2007 ihr Vorkaufsrecht aus
und verlangen die Übertragung des Wohnungseigentums, hilfsweise Zug um Zug
gegen Kaufpreiszahlung, sowie die Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat der Klage - bis auf einen Teil der
Rechtsanwaltskosten - stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie - auf die
Berufung des Streithelfers des Beklagten - abgewiesen.
Aus den Gründen:
I.
3 Nach Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger nicht vor dem
Abschluss des Kaufvertrags auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet. Ihre
Vorkaufsrechtsausübung sei jedoch ins Leere gegangen, weil der Kaufvertrag
am 13. August 2007 nicht mehr bestanden habe. Er sei zwar nicht durch die
von dem Beklagten behauptete Rücktrittserklärung rückabgewickelt worden,
denn der vereinbarte Rücktrittsvorbehalt sei den Klägern gegenüber nach §
465 BGB analog unwirksam. Aber der Kaufvertrag sei am 2. August 2007 von dem
Beklagten und seiner Freundin einvernehmlich aufgehoben worden.
II.
4 Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5 1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings einen Verstoß gegen die
Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO. Es ist rechtlich nicht zu
beanstanden, dass das Berufungsgericht die in dem Verhandlungstermin
abgegebenen Erklärungen des Beklagten und die Bekundungen der Zeugin Kl. in
einem Berichterstattervermerk und nicht in dem Terminsprotokoll festgehalten
hat ... (wird ausgeführt)
17 3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass die
Aufhebung des Kaufvertrags den Wegfall des Rechts der Kläger zur Ausübung
des Vorkaufsrechts zur Folge hat. Die bisherigen Feststellungen tragen
dieses Ergebnis nicht.
18 a) Die Revision irrt allerdings, wenn sie meint, für die nachträgliche
Vertragsaufhebung müsse die Vorschrift des § 465 BGB entsprechend gelten. Es
ist gerade nicht so, dass sich der Beklagte und die Zeugin K. von dem
Kaufvertrag lösen wollten, obwohl die Kläger das Vorkaufsrecht ausgeübt
hatten. Denn die Vertragsaufhebung erfolgte knapp zwei Wochen vor der
Erklärung der Vorkaufsrechtsausübung.
19 b) Das Berufungsgericht und die Parteien haben jedoch verkannt, dass
eine Vertragsaufhebung nicht mehr das Recht zur Ausübung des Vorkaufsrechts
berührt, wenn sie nach dem Zustandekommen des rechtswirksamen Kaufvertrags
erfolgt.
20 aa) Das Gesetz knüpft das Entstehen des Rechts zur Ausübung des
Vorkaufsrechts an das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags
(§ 463 BGB). Letzteres ist erst dann der Fall, wenn auch die für die
Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Bis zu
diesem Zeitpunkt können Verkäufer und Käufer den Kaufvertrag willkürlich
aufheben und damit das Vorkaufsrecht gegenstandslos machen; denn der
Vorkaufsberechtigte hat kein Recht auf den Eintritt des Vorkaufsfalls
(Senat, Urteil vom 4. Juni 1954 - V ZR 18/53, BGHZ 14, 1, 3; Urteil vom 11.
Februar 1977 - V ZR 40/75, NJW 1977, 762, 763; Urteil vom 15. Mai 1998 - V
ZR 89/97, NJW 1998, 2352, 2353). Liegen die Voraussetzungen für die
Ausübung des Vorkaufsrechts aber erst einmal vor, ist das daraus erwachsene
Gestaltungsrecht des Vorkaufsberechtigen in seinem rechtlichen Fortbestand
grundsätzlich unabhängig von dem rechtlichen Schicksal des Kaufverhältnisses
zwischen dem Vorkaufsverpflichteten und dem Dritten (Senat, Urteil vom
11. Februar 1977 - V ZR 40/75, aaO).
21 bb) Danach kann die Vertragsaufhebung am 2. August 2007 das Recht der
Kläger zur Ausübung des Vorkaufsrechts nur beseitigt haben, wenn bis zu
diesem Zeitpunkt noch nicht sämtliche für die Wirksamkeit des Kaufvertrags
erforderliche Genehmigungen erteilt waren. Dazu hat das Berufungsgericht
keine Feststellungen getroffen; vielmehr ist es ohne weiteres von dem
Wegfall des Vorkaufsrechts aufgrund der Aufhebung des Kaufvertrags
ausgegangen. Aus dem in dem Urteil des Landgerichts, auf dessen Inhalt in
dem Berufungsurteil verwiesen wird, in Bezug genommenen Kaufvertrag vom 13.
Juli 2007 ergibt sich jedoch, dass für die Wirksamkeit des Vertrags die
Zustimmung des Verwalters der Wohnungseigentümer erforderlich war (§ 11). Ob
diese Zustimmung am 2. August 2007 erteilt war, muss das Berufungsgericht
aufklären.
III.
22 Das Berufungsurteil unterliegt somit der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen
Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
- an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Durch
die Zurückverweisung erhält der Streithelfer des Beklagten Gelegenheit,
gegebenenfalls auf die auch in der Revisionsinstanz erhobenen Einwendungen
gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts zurückzukommen. |