Ausübung eines Vorkaufsrecht bei mittelbarer
Übertragung des Gegenstandes (Einbringung in eine Gesellschaft und
anschließende Übertragung der Gesellschaftsanteile)
BGH, Urteil vom 27. Januar 2012 - V
ZR 272/10
Fundstelle:
NJW 2012, 1354
Amtl. Leitsatz:
1. Bringt der Verpflichtete die mit einem
Vorkaufsrecht belastete Sache in eine von ihm beherrschte Gesellschaft ein
und überträgt er anschließend die Gesellschaftsanteile entgeltlich an einen
Dritten, kann eine den Vorkaufsfall auslösende kaufähnliche
Vertragsgestaltung vorliegen.
2. Der Verpflichtete kann die Erstreckung des Vorkaufs auf andere
Gegenstände als diejenigen, auf die sich das Vorkaufsrecht bezieht, nicht
schon deshalb verlangen, weil ein Verkauf im "Paket" für ihn vorteilhaft
ist, sondern nur dann, wenn sich infolge der Trennung der vorkaufsbelasteten
Sache kein adäquater Preis für die verbleibenden Gegenstände erzielen lässt.
Zentrale Probleme:
Ein lehrreicher Fall zum
Vorkaufsrecht (§ 463 BGB): Der Verpflichtete hatte den belasteten Gegenstand
nicht verkauft, sondern in eine von ihm gegründete Gesellschaft eingebracht
und anschließend die Gesellschaft veräußert. Formal war also nicht der
belastete Gegenstand verkauft worden. Auch dies kann aber als "kaufähnliche
Gestaltung" den Vorkaufsfall auslösen.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Den Klägern gehört seit 1986 eine
Eigentumswohnung nebst Stellplatz in Form eines Wohnungs- und
Teilerbbaurechts. Zu ihren Gunsten besteht ein dingliches Vorkaufsrecht für
alle Fälle des Verkaufs des Erbbaugrundstücks.
2 Über das Vermögen der ursprünglichen Eigentümerin des Erbbaugrundstücks
(nachfolgend: Schuldnerin) wurde 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und
der Beklagte zu 3 als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser bot den Klägern
einen ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigentumsanteil
an dem Grundstück zum Kauf an. Das lehnten die Kläger ab, weil ihnen der
Preis zu hoch erschien, während andere Wohnungserbbauberechtigte
entsprechende Angebote akzeptierten.
3 Mit notariellem Vertrag vom 24. März 2005 übertrug der Beklagte zu
3 das Eigentum an dem Erbbaugrundstück und an weiteren 86, ebenfalls mit
Erbbaurechten belasteten Grundstücken unentgeltlich an die Beklagte zu 1,
einer unmittelbar zuvor gegründeten GmbH & Co. KG. Mit
weiterem notariellen Vertrag vom selben Tag übertrug der Beklagte zu 3 die
Gesellschaftsanteile an der Beklagten zu 1 und an deren Komplementärin zum
Preis von 25.000 € für die GmbH-Anteile und von 7,44 Mio € für die
Kommanditanteile auf die V. AG. Die Beklagte zu 1 verwaltet seither
die Erbbaurechte für die V. AG.
4 Die Kläger, die aufgrund der am 24. März 2005 geschlossenen
Verträge den Vorkaufsfall für eingetreten halten, haben das Vorkaufsrecht
ausgeübt. Ihre Klage, mit der sie von den Beklagten zu 1 und zu 3 unter
anderem die Übertragung des ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht
entsprechenden Miteigentumsanteils an dem Erbbaugrundstück Zug um Zug gegen
Zahlung von 14.860,79 € verlangen, ist in den Tatsacheninstanzen
ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren
Zurückweisung der Beklagte zu 3 beantragt, verfolgen die Kläger ihre Anträge
weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht meint, durch die Einbringung des Erbbaugrundstücks in
die Beklagte zu 1 und die anschließende Übertragung von deren
Gesellschaftsanteilen auf die V. AG sei der Vorkaufsfall nicht
eingetreten. Ein Kaufvertrag über das Grundstück sei nicht
geschlossen worden. Es liege auch kein Umgehungsgeschäft vor. Die
Übertragung der Gesellschaftsanteile auf die V. AG habe nicht nur dazu
gedient, die Rechtsträgerschaft an einem einzelnen Grundstück gegen Entgelt
zu verändern; vielmehr sei ein Unternehmen mit dem Zweck der Gewinnerzielung
durch das Generieren von Erbbauzinsen verkauft worden. Das zeige sich auch
daran, dass die Beklagte zu 1 die Erbbaurechte dauerhaft verwalte.
II.
6 Die Revision ist begründet. Hinsichtlich der im
Verhandlungstermin nicht vertretenen Beklagten zu 1 ist dies durch
Versäumnisurteil auszusprechen, welches jedoch inhaltlich auf einer
Sachprüfung beruht (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ
37, 79, 81).
7 1. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht den Eintritt des
Vorkaufsfalls und hält deshalb alle mit der Klage verfolgten
Ansprüche für unbegründet.
8 a) Nach der Rechtsprechung des Senats eröffnet § 463 BGB (§ 504
BGB aF) nicht nur dann die Ausübung des Vorkaufsrechts, wenn der
Verpflichtete mit einem Dritten formell einen Kaufvertrag über den mit dem
Vorkaufsrecht belasteten Gegenstand geschlossen hat. Vielmehr gebietet eine
interessengerechte Auslegung der Norm, sie auch auf solche
Vertragsgestaltungen zwischen dem Verpflichteten und dem Dritten anzuwenden,
die bei materieller Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so
nahe kommen, dass sie ihm gleichgestellt werden können, und in die der
Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses
"eintreten" kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu
beeinträchtigen (Senat, Urteil vom 11. Oktober 1991 - V ZR 127/90,
BGHZ 115, 335, 339 f.; Urteil vom 20. März 1998 - V ZR 25/97, NJW 1998,
2136, 2137; Urteil vom 26. September 2003 - V ZR 70/03, NJW 2003, 3769).
9 Eine kaufähnliche Vertragsgestaltung in diesem Sinne kann gegeben
sein, wenn der Verpflichtete die mit einem Vorkaufsrecht belastete Sache in
eine von ihm beherrschte Gesellschaft einbringt und anschließend die
Gesellschaftsanteile entgeltlich an einen Dritten überträgt (vgl.
OLG Nürnberg, NJW-RR 1992, 461, 462; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., §
463 Rn. 19a; Soergel/Wertenbruch, BGB 13. Aufl., § 463 Rn. 47).
Maßgeblich ist auch hier, ob ein interessengerechtes Verständnis der
gewählten Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis führt, dass allen formellen
Vereinbarungen zum Trotz der Wille der Vertragsschließenden auf eine
Eigentumsübertragung (auch) der vorkaufsbelasteten Sache gegen Zahlung eines
bestimmten Preises gerichtet war (vgl. Senat, Urteil vom 26.
September 2003 - V ZR 70/03, aaO. S. 3770); mehrere Verträge sind
dabei in ihrem Zusammenhang zu betrachten (Senat, Urteil vom 15.
Juni 1957 - V ZR 198/55, WM 1957, 1162, 1165).
10 b) Zu Unrecht hält das Berufungsgericht diese Voraussetzungen hier nicht
für gegeben. Mit der Einbringung der Grundstücke in die Beklagte zu
1 und dem Verkauf der Anteile an dieser Gesellschaft beabsichtigte der
Beklagte zu 3, einen Teil der Insolvenzmasse zu verwerten, indem er diese
gegen Übertragung des Eigentums zu Geld machte. Auch aus Sicht der V. AG
handelte es sich um ein kaufähnliches Rechtsgeschäft. Das zeigt sich daran,
dass das wirtschaftliche Ergebnis der Transaktion kein anderes gewesen wäre,
wenn der Insolvenzverwalter die 87 Grundstücke an die V. AG verkauft und
diese anschließend eine Verwaltungsgesellschaft gegründet und die
Grundstücke darin eingebracht hätte.
11 Anders als das Berufungsgericht meint, lässt sich diese Bewertung nicht
unter Hinweis darauf in Frage stellen, nicht der Verkauf der Grundstücke
habe im Vordergrund gestanden, sondern die Übertragung eines - durch die
Ausgliederung eines Betriebsteils der Schuldnerin in die Beklagte zu 1
entstandenen - Unternehmens mit dem Zweck der Gewinnerzielung durch die
Einnahme von Erbbauzinsen. Hierbei wird bereits verkannt, dass die
Veräußerung eines Unternehmens, welches keinen anderen Zweck hat, als die in
seinem Eigentum stehenden Grundstücke zu verwalten, wirtschaftlich dem
Verkauf dieser Grundstücke gleichsteht. Im hier zu beurteilenden
Fall kommt hinzu, dass ein solches selbständiges Unternehmen zu keiner Zeit
existierte; denn die Beklagte zu 1 ist erst am Tag des Verkaufs der
Gesellschaftsanteile und damit erkennbar zwecks Verwertung der Grundstücke
gegründet worden. Dass mit den Anteilen an der Beklagten zu 1 eine
Sachgesamtheit auf die V. AG übertragen wurde, ist für den Eintritt des
Vorkaufsfalls ohne Bedeutung (vgl. § 467 BGB). Entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts ist es schließlich ohne Belang, dass die Beklagte zu 1
noch existiert. Denn die Feststellung, was durch den Verkauf von
Gesellschaftsanteilen bewirkt werden soll, hängt nicht davon ab, wie der
Käufer dieser Anteile nach dem Erwerb mit der Gesellschaft und deren
Vermögen verfährt.
12 2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig dar (§ 561 ZPO).
13 a) Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 3 scheitert der gegen ihn
gerichtete Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an dem der Wohnung der
Kläger zugeordneten oder zuzuordnenden Miteigentumsanteil nicht daran, dass
die Beklagte zu 1 zwischenzeitlich als Eigentümerin in das Grundbuch
eingetragen worden ist. Ausgeschlossen wäre der Anspruch nur dann,
wenn dem Beklagten zu 3 die Leistung deshalb unmöglich geworden wäre (§ 275
Abs. 1 BGB). Dies setzte voraus, dass sich das durch die Veräußerung
eingetretene Leistungshindernis nicht durch einen Rückerwerb des Grundstücks
bzw. des Miteigentumsanteils, auf das sich das Vorkaufsrecht der Kläger
bezieht, beheben lässt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V
ZR 42/09, NJW 2010, 1074, 1075 Rn. 11). Hierzu ist nichts festgestellt.
14 b) Dem Anspruch steht nicht die Vorschrift des § 471 BGB entgegen, wonach
das Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Verkauf aus der
Insolvenzmasse erfolgt. Ein dingliches Vorkaufsrecht, wie es nach
den getroffenen Feststellungen hier besteht, kann auch dann ausgeübt werden,
wenn das Grundstück von dem Insolvenzverwalter aus freier Hand verkauft wird
(§ 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB); dem steht die Eigentumsübertragung
aufgrund kaufähnlichen Rechtsgeschäfts gleich.
III.
15 Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
16 1. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil bislang keine
Feststellungen dazu getroffen worden sind, ob das zugunsten der Kläger
bestehende dingliche Vorkaufsrecht auf einem ihrem Wohnungs- und
Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigentumsanteil des Grundstücks lastet
oder ob es aus anderen Gründen zu dem Erwerb eines solchen Anteils
berechtigt; ferner stehen Feststellungen zu der Ausübung des Vorkaufsrechts
(§§ 464, 469 BGB) und zu dem Inhalt des mit den Klägern gegebenenfalls
zustande gekommenen Kaufvertrages (§ 464 Abs. 2, § 467 Satz 1 BGB) aus.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
18 a) Ein Nachteil im Sinne von § 467 Satz 2 BGB (§ 508 Satz 2 BGB aF), der
den Beklagten zu 3 zu dem Einwand berechtigte, der Vorkauf müsse auf alle 87
Grundstücke oder auf alle Miteigentumsanteile des vorkaufsbelasteten
Grundstücks erstreckt werden, ist nicht schon im Wegfall der Vorteile zu
sehen, die sich aus der Veräußerung der Grundstücke im "Paket" ergeben.
Grundsätzlich bestimmt das Vorkaufsrecht, und nicht der den
Vorkaufsfall auslösende Vertrag, welche Gegenstände der Berechtigte erwerben
kann; er ist deshalb in der Ausübung seines Rechts nicht gehindert, wenn der
vorkaufsbelastete Gegenstand als Teil einer Sachgesamtheit veräußert wird
(vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2006 - V ZR 17/06, BGHZ 168, 152,
157 f. Rn. 23 f.). Die Bestimmung des § 467 Satz 2 BGB, die aus Gründen der
Billigkeit den Nachteil berücksichtigt, welcher mit der Trennung des
vorkaufsbelasteten Gegenstands von der Sachgesamtheit verbunden sein kann,
ist als Ausnahme von diesem Grundsatz restriktiv zu handhaben. Kein Nachteil
im Sinne dieser Vorschrift ist es, wenn der Mengenverkauf für den
Vorkaufsverpflichteten vorteilhafter war als ein Einzelverkauf; denn mit der
Auflösung des "Pakets" musste der Verpflichtete angesichts des
Vorkaufsrechts von vornherein rechnen. Die Erstreckung des Vorkaufs auf
sämtliche Gegenstände kann der Verpflichtete nur dann verlangen, wenn sich
infolge der Trennung des vorkaufsbelasteten Gegenstands kein adäquater Preis
für die verbleibenden Sachen erzielen lässt (vgl. Soergel/Wertenbruch, BGB,
13. Aufl., § 467 Rn. 9). So kann es beispielsweise liegen, wenn zusammen mit
dem vorkaufsbelasteten Grundstück eine isoliert nicht sinnvoll nutzbare
Fläche oder ein speziell für ein Haus angefertigter Einrichtungsgegenstand
verkauft worden ist.
19 b) Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, auf
sachdienliche Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei ist zu
beachten, dass ein gemäß § 464 Abs. 2 BGB zustande gekommener Kaufvertrag
zwischen den Klägern und dem Beklagten zu 3 als dem Verfügungsberechtigten
über das Vermögen der aus dem Vorkaufsrecht verpflichteten Schuldnerin
bestünde, so dass sich ein Auflassungsanspruch nur gegen den Beklagten zu 3
richten kann.
20 Hilfsansprüche, die dazu dienen, die Eigentumsumschreibung auf die Kläger
zu ermöglichen (§ 1098 Abs. 2 i.V.m. § 888 Abs. 1 BGB; vgl. Senat, Urteil
vom 11. Oktober 1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 sowie Krüger/Hertel, Der
Grundstückskauf, 9. Aufl., Rn. 988 ff.), kommen gegen die Beklagte zu 1 in
Betracht, da sie - und nicht die wirtschaftlich als Käuferin der Grundstücke
anzusehende V. AG - als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist.
Entsprechendes gilt für zwischenzeitlich erfolgte Belastungen der Sache
(vgl. Senat, Urteil vom 20. März 1998 - V ZR 25/97, NJW 1998, 2136, 2138).
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