Haftung aus §§ 823 II,
909 BGB wegen Grundstückvertiefung: Adressat des Verbots aus § 909 BGB
(Haftung des Architekten); weiter Begriff der "Vertiefung"; Kausalität;
Unabhängigkeit des deliktischen Pflichtenmaßstabs von den vertraglichen
Pflichten gegenüber Dritten
BGH, Urt. v. 22. Oktober
2004 - V ZR 310/03
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Bei der Frage, ob ein Architekt wegen Mitwirkens an
einer Vertiefung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB haftet, kommt es nicht darauf
an, ob er vertragliche Pflichten gegenüber seinem Vertragspartner, z.B.
gegenüber dem Bauherrn, verletzt hat, sondern darauf, ob er gegen die durch
§ 909 BGB konkretisierten allgemeinen Verhaltenspflichten verstoßen hat, die
im Interesse des Eigentümers des von der Vertiefung betroffenen Grundstücks
zu beachten sind.
Tatbestand:
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in B. , das mit einem
unterkellerten Wohnhaus bebaut ist. Auf dem Nachbargrundstück ließen die
früheren Beklagten zu 5 und 6 im Jahre 1998 ein nicht unterkellertes
Reihenendhaus errichten, das unmittelbar an die Außenwand des Hauses der
Kläger anschließt. Mit der Genehmigungsplanung war die Beklagte zu 1
betraut. Die Bauausführung übernahm eine inzwischen insolvent gewordene
GmbH, deren Geschäftsführer die früheren Beklagten zu 3 und 4 waren. Die
Erdarbeiten führte die Beklagte zu 2 durch.
Im zeitlichen Zusammenhang mit den Baumaßnahmen litt das Haus der Kläger
Schaden, den diese auf eine unzureichende Gründung des Hauses der früheren
Beklagten zu 5 und 6 zurückführen. Um den seitlichen Druck auf ihr
unterkellertes Haus zu vermeiden - so die Behauptung der Kläger -, hätte das
Bauvorhaben der früheren Beklagten zu 5 und 6 bis zur Kellersohle des
Nachbarhauses gegründet werden müssen. Die Planung der Beklagten zu 1 sah
demgegenüber Streifenfundamente von 50 x 100 cm vor, und das Gebäude wurde
auf einer 25 cm dicken Stahlbetonsohle mit seitlichen Streifenfundamenten
von 35 x 100 cm gegründet.
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 als Gesamtschuldnerin mit den früheren
Beklagten zu 2 bis 6 im wesentlichen antragsgemäß zur Zahlung von 45.259,89
DM nebst Zinsen verurteilt und die Verpflichtung zum Ersatz weiteren
Schadens festgestellt. Das Oberlandesgericht hat die Klage gegen die
Beklagten zu 1, 3 und 4 durch Teilurteil abgewiesen. Mit der von dem Senat
insoweit zugelassenen Revision erstreben die Kläger hinsichtlich der
Beklagten zu 1 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die
Beklagte zu 1 beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht verneint eine Haftung der Beklagten zu 1 nach §§
823 Abs. 2, 909 BGB. Es äußert "durchgreifende Zweifel" an der Kausalität
der Planzeichnungen der Beklagten zu 1 für die unzureichende Gründung des
Hauses der früheren Beklagten zu 5 und 6. Die Pläne hätten aus Sicht der
Beklagten zu 1 nicht der Bauausführung, sondern nur der Genehmigungsplanung
gedient. Zudem habe die Beklagte zu 1 lediglich an der dem Haus der Kläger
abgewandten Seite Streifenfundamente eingezeichnet; an der an das Haus der
Kläger angrenzenden Seite seien überhaupt keine Fundamente abgebildet. Daher
fehle es an der Ursächlichkeit der Zeichnungen für die Gründung des Hauses
der früheren Beklagten zu 5 und 6. Darüber hinaus sei der Beklagten zu 1
kein Schuldvorwurf zu machen. Sie habe nämlich nur die Genehmigungsplanung
gefertigt und habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß ihre Pläne ohne
weitere Prüfung eines Statikers und ohne Berücksichtigung der örtlichen
Verhältnisse Grundlage der tatsächlichen Bauausführung werden.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie
berücksichtigen nicht hinreichend den Haftungsgrund, der in einer
unerlaubten Handlung besteht, nicht in der Verletzung von Pflichten im
Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen der Beklagten zu 1 und den früheren
Beklagten zu 5 und 6.
1. Das Verbot des § 909 BGB, dem Nachbargrundstück die Stütze zu
entziehen, richtet sich nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstücks, von
dem die Störung ausgeht, sondern gegen jeden, der an der Vertiefung
mitwirkt, wie z.B. gegen den Architekten, den Bauunternehmer, den
bauleitenden Ingenieur oder auch den Statiker, dessen Berechnungen die
Grundlage für den Bodenaushub und die dabei zu beachtenden
Sicherungsmaßnahmen bilden. Jeden der Beteiligten trifft eine
eigenverantwortliche Prüfungspflicht. Wenn sein Beitrag an der Vertiefung
pflichtwidrig und schuldhaft ist, haftet er nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB auf
Ersatz des dadurch entstandenen Schadens (Senat, Urt. v. 12. Juli 1996,
V ZR 280/94, NJW 1996, 3204, 3205 mit zahlreichen Nachweisen). Ausgehend
hiervon kann eine Haftung der Beklagten zu 1 nicht mit der Begründung
verneint werden, auf die das Berufungsgericht seine klageabweisende
Entscheidung stützt.
2. Die Beklagte zu 1 hat an einer Vertiefung im Sinne von § 909 BGB
mitgewirkt, die - so ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen - dem
Boden des Grundstücks der Kläger die erforderliche Stütze entzogen hat.
Allerdings ist keine eigentliche Vertiefung vorgenommen worden, die Ursache
für die Schäden am Haus der Kläger hätte werden können. Als Ursache kommt
nach den Feststellungen des Landgerichts vielmehr ein fehlgeleiteter Druck
in Betracht, der vom Haus der früheren Beklagten zu 5 und 6 ausgeht und
mangels Gründung bis zur Kellersohle des Hauses der Kläger in deren
Grundstück hinüberwirkt und ihm dadurch die Stütze entzieht. Ein solcher
Vorgang ist, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht, einer Vertiefung
im Sinne des § 909 BGB gleichzusetzen (Senat, Urt. v. 5. März 1971, V ZR
168/68, NJW 1971, 935 = LM BGB § 909 Nr. 12).
An der Kausalität des Tatbeitrags der Beklagten zu 1 an diesem Vorgang
besteht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Zweifel. Sie hat
eine Entwurfsplanung gefertigt, die Grundlage für die Bauanzeige war. Nach
ihr wurde gebaut. Der Entwurf sah nicht die erforderliche tiefe Gründung,
sondern Streifenfundamente oberhalb der Kellersohle vor. Daß diese
Streifenfundamente nur an der dem Haus der Kläger abgewandten Seite
eingezeichnet waren, läßt die Kausalität entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts nicht entfallen. Dies ändert nämlich nichts daran, daß die
Planung die Frage der Gründung nicht aussparte, sie aber unzureichend
beantwortete, indem sie nicht zum Ausdruck brachte, daß der Verzicht auf das
Kellergeschoß nicht die Gründung bis zur Ebene der Kellersohle des
Nachbarhauses entbehrlich machte.
Daß die Pläne aus Sicht der Beklagten zu 1, wie das Berufungsgericht meint,
nicht der Ausführung des Bauvorhabens dienten, läßt die Kausalität ebenfalls
nicht entfallen. Es kommt nicht auf die Sicht der Beklagten zu 1 an, sondern
auf die tatsächlichen Umstände. Danach waren die Pläne Grundlage nicht nur
für das Genehmigungsverfahren bzw. die Bauanzeige, sondern auch für die
Bauausführung. Dieser Sachzusammenhang liegt im Rahmen dessen, womit nach
der Lebenserfahrung zu rechnen ist. Es fehlt daher nicht an der für die
objektive Zurechnung notwendigen Adäquanz.
3. Das Verhalten der Beklagten zu 1 war objektiv pflichtwidrig und
schuldhaft.
Jeden der an einer Vertiefung Beteiligten trifft eine eigenverantwortliche
Prüfungspflicht (Senat, Urt. v. 12. Juli 1996, V ZR 280/94, NJW 1996, 3204,
3205 m.w.N.). Diese Pflicht hat die Beklagte zu 1 verletzt. Soweit das
Berufungsgericht darauf abstellt, daß die Beklagte zu 1 nur die
Genehmigungsplanung erstellt habe, scheint dem die Auffassung zugrunde zu
liegen, daß die Behandlung der Gründungsproblematik nicht zu dem von der
Beklagten zu 1 vertraglich geschuldeten Leistungsumfang gehört habe, so daß
ihr ein pflichtwidriges Verhalten nicht angelastet werden könne. Diese Sicht
ist verfehlt. Es geht bei der Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 909 BGB nicht
um die Verletzung von Pflichten eines Vertrages, sondern um den Verstoß
gegen das Gebot des neminem laedere. Es geht, mit anderen Worten, um
allgemeine, gegenüber jedermann bestehende Verhaltenspflichten, die im
vorliegenden Fall durch § 909 BGB oder sonst vielfach durch allgemeine
Verkehrssicherungspflichten bestimmt und konkretisiert werden. Solche
Pflichten können gegenüber dem Grundstücksnachbarn auch dann verletzt sein,
wenn vertragliche Pflichten gegenüber dem Bauherrn nicht verletzt sind. Die
Pflicht, den Eigentümer eines Grundstücks nicht dadurch zu schädigen, daß
diesem durch Vertiefung des Nachbargrundstücks die Stütze entzogen wird,
besteht unabhängig davon, wie die Vertragspflichten des an der Vertiefung
Beteiligten zu dem Eigentümer des vertieften Grundstücks ausgestaltet sind.
Es ist also nicht entscheidend, ob die Beklagte zu 1 aufgrund ihres ihr von
den früheren Beklagten zu 5 und 6 erteilten Auftrags auf die Gründung achten
mußte, sondern es kommt - für die Frage der objektiven Pflichtwidrigkeit
- darauf an, ob ein Architekt, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die
Gefahren für das Nachbargrundstück mit sich bringt, diese Gefahren beachten
und ihre Realisierung vermeiden muß.
Gemessen daran war das Verhalten der Beklagten zu 1 objektiv pflichtwidrig.
Einen Architekten, der an einer Baumaßnahme mitwirkt, die einen Verstoß
gegen das Gebot des § 909 BGB befürchten läßt, trifft eine Prüfungspflicht,
die - bei fehlender eigener ausreichender Sachkunde - zumindest dahin
geht, auf die Problematik hinzuweisen und Fachleute zuzuziehen bzw. deren
Zuziehung sicherzustellen (vgl. auch Senat, Urt. v. 26. Januar 1996, V
ZR 264/94, WM 1996, 1093, 1095). Geschieht dies nicht und beläßt es der
Architekt gleichwohl an seiner Mitwirkung an der Vertiefung, handelt er
pflichtwidrig. So liegt es hier. Daß der Bau eines nicht unterkellerten
Hauses unmittelbar neben einem unterkellerten statische Probleme auslösen
kann, liegt schon für den Laien nahe und mußte daher die Beklagte zu 1 als
Architektin veranlassen, dem näher nachzugehen. Sie durfte sich nicht darauf
beschränken, Entwurfspläne zu zeichnen, die diese Problematik ausklammerten
bzw., durch das Vorsehen objektiv unzureichender Gründungsmaßnahmen,
verharmlosten.
Der ihr auch subjektiv zu machende Schuldvorwurf entfällt nicht deswegen,
weil sie darauf vertraute, daß ein Statiker die notwendigen Berechnungen
anstellen würde, um eine ausreichende Gründung zu gewährleisten. Der Vorwurf
liegt gerade in der Sorglosigkeit, auf das Verhalten Dritter zu vertrauen,
ohne sicherzustellen und den eigenen Tatbeitrag davon abhängig zu machen,
daß die zur Vermeidung von Schäden für das Nachbargrundstück notwendigen
Maßnahmen ergriffen werden. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß
die Beklagte zu 1 irgendwelche Anstrengungen unternommen hat, um zu
verhindern, daß ihre den Anforderungen an eine fachgerechte Gründung nicht
genügenden Planzeichnungen der weiteren Bauausführung ohne die Prüfung eines
Statikers zugrundegelegt wurden. Es ist nicht einmal festgestellt bzw.
vorgetragen, daß sie deutlich gemacht hätte, daß die von ihr vorgesehene
Gründung durch Streifenfundamente weit oberhalb der Kellersohle des Hauses
der Kläger problematisch sein könnte und weitere Untersuchungen erforderlich
machte.
III. Das Berufungsgericht hat keine eigenen Feststellungen zu der Frage
getroffen, ob die geltend gemachten Schäden auf eine auf der
Genehmigungsplanung beruhenden mangelhaften Gründung zurückzuführen sind. Es
ist dem Urteil auch nicht zu entnehmen, daß es sich insoweit die im Wege der
Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen des Landgerichts zu eigen gemacht
hat. Aus seiner Sicht bestand hierfür auch kein Anlaß. Das angefochtene
Urteil ist daher zum Zwecke der Nachholung entsprechender Feststellungen und
ohnehin zur Klärung der Schadenshöhe an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
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