IZPR: Anerkennung einer italienischen
Privatscheidung nach der Brüssel IIa-VO sowie der Brüssel IIb-VO; Begriff
der "Entscheidung"
BGH, Beschluss vom 26. April 2023 - XII ZB 187/20 -
Kammergericht
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem
italienischen Zivilstandsbeamten bedürfen auch unter Geltung der Brüssel
IIa-Verordnung zu ihrer Eintragung im Eheregister keiner Anerkennung nach §
107 Abs. 1 Satz 1 FamFG (Anschluss an EuGH Urteil
vom 15. November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21).
Zentrale Probleme:
Es handelt sich um die Folgeentscheidung zu
EuGH Urteil vom 15. November 2022 - C-646/20),
s. dazu die dortige Anmerkung.
©sl 2023
Gründe:
I. 1 Gegenstand des Verfahrens ist die Frage,
ob die in Italien durch übereinstimmende Erklärungen der Ehegatten
vor dem Zivilstandsbeamten erfolgte Beendigung der Ehe der Beteiligten zu 3
und 4 ohne weiteres Anerkennungsverfahren im deutschen Eheregister zu
beurkunden ist.
2 1. Die Beteiligte zu 3 hat die deutsche
und die italienische Staatsbürgerschaft, der Beteiligte zu 4 ist
italienischer Staatsbürger. Die beiden schlossen am 20. September 2013 vor
dem Standesamt Mitte von Berlin die Ehe, was im Eheregister beurkundet
wurde.
3 Am 30. März 2017 erschienen die Ehegatten vor dem
Standesamt (Ufficio di Stato Civile) in Parma und erklärten, keine
minderjährigen, pflegebedürftigen volljährigen, schwerbehinderten
volljährigen oder wirtschaftlich unselbständigen volljährigen Kinder zu
haben, untereinander keine Vereinbarungen zur Übertragung von Vermögen zu
treffen und die einvernehmliche Trennung zu wollen. Diese Erklärung
bestätigten sie am 11. Mai 2017 persönlich vor dem Standesamt. Am 15.
Februar 2018 erschienen sie dort erneut, nahmen auf ihre Erklärungen vom 30.
März 2017 Bezug und erklärten, sie wünschten die Auflösung ihrer Ehe.
Ein Verfahren sei diesbezüglich nicht anhängig. Nachdem sie diese
Erklärungen gegenüber dem Standesamt Parma am 26. April 2018 bestätigt
hatten, stellte dieses der Beteiligten zu 3 am 2. Juli 2018 eine
Bescheinigung gemäß Art. 39 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 aus, in der die
Scheidung der Ehe mit Wirkung vom 15. Februar 2018 bestätigt wird.
4 Die Beteiligte zu 3 hat das Standesamt Mitte von Berlin
(Beteiligter zu 1) ersucht, diese Scheidung im deutschen Eheregister
einzutragen. Das Standesamt hat die Sache wegen Zweifeln, ob die Beurkundung
zunächst eine Anerkennung nach § 107 FamFG voraussetzt, über die
Standesamtsaufsicht (Beteiligte zu 2) dem Amtsgericht zur Entscheidung
vorgelegt. Das Amtsgericht hat das Standesamt mit Beschluss vom 1. Juli 2019
angewiesen, „die am 15.02.2018 erfolgte außergerichtliche Privatscheidung
(...) erst nach erfolgter Anerkennung durch die Senatsverwaltung für
Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1
FamFG dem Eheregistereintrag (.) beizuschreiben.“ Den daraufhin
gestellten Anerkennungsantrag der Beteiligten zu 3 wies die Senatsverwaltung
für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung mit der
Begründung zurück, es handele sich nicht um eine anerkennungsbedürftige
Entscheidung. Über die hiergegen von der Beteiligten zu 3
eingelegte Beschwerde wurde vom Kammergericht - soweit ersichtlich - noch
nicht entschieden.
5 Auf die von der Beteiligten zu 3 gegen den
Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Juli 2019 eingelegte Beschwerde hat das
Kammergericht den amtsgerichtlichen Beschluss abgeändert und das Standesamt
angewiesen, „die Fortführung des Eheregistereintrags (...) nicht von der
vorherigen Anerkennung der in Italien erfolgten Scheidung der Ehe der
Beteiligten zu 3 und 4 durch die Senatsverwaltung für Justiz,
Verbraucherschutz und Antidiskriminierung abhängig zu machen.“
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu
2, mit der diese die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses
erstrebt.
6 2. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluss
vom 28. Oktober 2020 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union
zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 lit. a, Art. 2 Nr. 4, Art. 21 Abs. 1, Art.
46 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über
die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und
zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO)
die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es sich bei einer
Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets
(Decreto Legge) Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr. 132/2014)
um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne der
Brüssel IIa-Verordnung handelt. Der Europäische Gerichtshof
hat diese Frage mit Urteil vom 15. November 2022 -
C-646/20 (FamRZ 2023, 21 ff.) bejaht.
II. 7 Die
Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 hat keinen Erfolg.
8 1. Das
Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2020, 1215 ff.
veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
bei der Vereinbarung der Eheleute über die Auflösung ihrer Ehe vor dem
italienischen Zivilstandsbeamten nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 1 des
italienischen Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014 (DL Nr.
132/2014) handele es sich um eine Entscheidung im Sinne des Art. 21 Abs. 1
Brüssel IIa-VO, weil diese nach Art. 12 Abs. 3 Satz 4 des Dekrets an
die Stelle einer gerichtlichen Entscheidung trete und konstitutive Wirkung
habe. Einer Anerkennung nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG bedürfe es daher
gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm Art. 21 Abs. 2 Brüssel IIa-VO für die
Eintragung in das Eheregister nicht. Dem stehe die Entscheidung des
Gerichtshofs der Europäischen Union
Urteil vom 20. Dezember 2017 (C-372/16 - NJW 2018, 447) nicht
entgegen, wonach es sich bei Privatscheidungen nicht um Entscheidungen im
Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1259/2010 (Rom III) und der Brüssel
IIa-Verordnung handele, weil hierunter nur Scheidungen zu verstehen seien,
die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen
Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen würden. Letzteres
sei indes bei einer Ehescheidung nach Art. 12 des italienischen
Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014 der Fall, weil die Mitwirkung
eines Zivilstandsbeamten in einem solchen Verfahren zwingend sei. Dessen
Aufgabe gehe über eine bloße Warn-, Klarstellungs-, Beweis- oder
Beratungsfunktion hinaus, weil er Kontrollpflichten hinsichtlich des
Vorliegens der Voraussetzungen der Scheidung habe. 9 2. Diese
Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
10 Die Eintragung
der Ehescheidung der Beteiligten zu 3 und 4 in das Eheregister ist nicht von
einer Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1
FamFG abhängig.
11 a) Gemäß § 5 Abs. 1 PStG sind Registereinträge
fortzuführen, indem sie nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes
durch Folgebeurkundungen und Hinweise ergänzt und berichtigt werden. Dies
gilt auch für das Eheregister als einem der vom Standesamt geführten
Personenstandsregister (§§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 16 PStG). In dieses ist
nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PStG als Folgebeurkundung zum Eheeintrag auch
eine spätere Aufhebung oder Scheidung der Ehe aufzunehmen. Lehnt das
Standesamt die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann es gemäß § 49 Abs. 1
PStG auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde durch das Gericht
dazu angewiesen werden. Als Ablehnung gilt dabei auch, wenn das Standesamt
in Zweifelsfällen von sich aus die Entscheidung des Gerichts darüber
herbeiführt, ob eine Amtshandlung vorzunehmen ist (§ 49 Abs. 2 PStG).
12 Grundlage für eine Folgebeurkundung im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 PStG kann auch eine im Ausland ergangene rechtskräftige
Entscheidung sein. Eine Entscheidung, durch die eine Ehe im Ausland
für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebande nach oder unter
Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder
Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt wird, wird
nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Deutschland grundsätzlich allerdings nur
anerkannt, wenn die zuständige Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass
die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen (zu den
Anerkennungshindernissen vgl. § 109 FamFG).
Dieses Anerkennungsverfahren ist jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend -
eine ausländische Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in
irgendeiner Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat, auch
für sogenannte Privatscheidungen eröffnet (vgl. Senatsbeschluss
BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 Rn. 17 mwN). Im Heimatstaat beider
Ehegatten durchgeführte Auslandsscheidungen - auch Privatscheidungen - sind
dabei zwar gemäß § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG vom obligatorischen
Anerkennungsverfahren ausgenommen. Die Anwendung dieser
Norm ist aber von vornherein ausgeschlossen, wenn - wie hier - wenigstens
einer der beiden Ehegatten neben der gemeinsamen Staatsangehörigkeit des
ausländischen Entscheidungsstaats auch die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 Rn.
19 mwN).
13 Eines Anerkennungsverfahrens bedarf es hingegen
nicht, wenn die betreffende Auslandsentscheidung in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union (außer Dänemark, vgl. Art. 2 Nr. 3 Brüssel
IIa-VO) ergangen ist. Denn gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG bleiben
Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union von den Vorschriften des
Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) unberührt. Liegt daher eine
Entscheidung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO vor, wird sie in
Deutschland anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens
bedarf. Zur Fortführung des Eheregisters genügt dann die Vorlage
einer Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO. Die Brüssel
IIa-Verordnung ist vorliegend nach den Übergangsbestimmungen in Art. 100
Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über
die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über
internationale Kindesentführungen (ABl. EU Nr. L 178 S. 1 - Brüssel
IIb-Verordnung) anwendbar, weil die Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel
IIa-VO über die Vereinbarung der Ehescheidung der Beteiligten zu 3 und 4 vor
dem 1. August 2022 ausgestellt wurde.
14 b) Um eine Entscheidung im
Sinne der Brüssel IIa-Verordnung handelt es sich bei der hier
verfahrensgegenständlichen einvernehmlichen Ehescheidung vor dem
italienischen Zivilstandsbeamten nach Maßgabe des Art. 12 des italienischen
Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014.
15 aa) Der
Gerichtshof der Europäischen Union hat hierzu auf den Vorlagebeschluss des
Senats in seinem Urteil vom 15. November 2022 ausgeführt, Art. 2 Nr. 4 der
Brüssel IIa-Verordnung sei - namentlich für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1
dieser Verordnung - dahin auszulegen, dass die von einem Standesbeamten
eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung
errichtete Scheidungsurkunde über die Vereinbarung der Ehegatten über die
Ehescheidung, die sie vor dem Standesbeamten gemäß der in diesem
Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften bestätigt haben, eine
„Entscheidung“ im Sinne der Verordnung darstelle, wenn dem Standesbeamten
nicht nur die Aufgabe der Dokumentation der Erklärung zukomme, sondern er
eine Prüfungspflicht hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen der
Ehescheidung habe (EuGH Urteil vom 15.
November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 53 ff.).
16 (1) Aus
Art. 1 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1, 3 und 4 Brüssel IIa-VO
ergebe sich, dass auch die Entscheidung einer Behörde eines
Mitgliedstaats im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung über eine
Ehescheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung eine Entscheidung in
Ehescheidungssachen sein könne, sofern das Recht des Mitgliedstaats auch
nicht gerichtlichen Behörden Zuständigkeiten in Ehescheidungssachen zuweise
(EuGH Urteil vom 15. November 2022 -
C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 47 ff.).
17 Allerdings gelte die
Brüssel IIa-Verordnung nur für Ehescheidungen, die entweder von einem
staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde oder unter deren
Kontrolle ausgesprochen würden. Reine Privatscheidungen wie
etwa solche, die durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem
geistlichen Gericht erfolgten, seien hingegen nicht erfasst. Voraussetzung
sei auch bei einvernehmlichen Ehescheidungen, dass die zuständige Behörde
oder das Gericht nach dem nationalen Verfahrensrecht eine Prüfung der
Scheidungsvoraussetzungen anhand des nationalen Rechts vornehme und
feststelle, ob ein von freiem Willen der Ehegatten getragenes, wirksames
Einvernehmen über die Scheidung gegeben sei (EuGH
Urteil vom 15. November 2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 53 ff).
18 (2) Diesen Anforderungen genüge das Verfahren der Eheauflösung nach
Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12.
September 2014 (DL Nr. 132/2014). Denn der auf dieser Grundlage tätige
Standesbeamte habe sich zu vergewissern, dass das von den Eheleuten erklärte
Einvernehmen zur Scheidung gültig, von freiem Willen getragen und in
Kenntnis der Sachlage erteilt worden sei. Er prüfe den Inhalt der
Scheidungsvereinbarung anhand der geltenden Rechtsvorschriften auf das
Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Privatscheidung. Aus Art. 12
des Gesetzesdekrets Nr. 132/2014 gehe auch hervor, dass der Standesbeamte
die Ehescheidung nur aussprechen dürfe, wenn die Voraussetzungen hierfür
zweifelsfrei vorlägen (EuGH Urteil vom 15. November
2022 - C-646/20 - FamRZ 2023, 21 Rn. 63 ff.).
19 bb) Dem schließt
sich der Senat an. Die Fortschreibung des Eheregisters durch Eintragung der
Ehescheidung der Beteiligten zu 3 und 4 ist damit, wie das Kammergericht
zutreffend entschieden hat, ohne vorherige Anerkennung nach § 107 Abs. 1
Satz 1 FamFG vorzunehmen.
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