IPR: Unterhaltsstatut für nachehelichen
Unterhalt; Anknüpfung an den gew. Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten
(Art. 3 HUP); Voraussetzungen der Ausweichklausel gem. Art. 5 HUP (engere
Verbindung); internationale Zuständigkeit nach EuUntVO
BGH, Beschluss vom 11. Mai 2022 - XII ZB 543/20
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Ob für eine engere Verbindung der Ehe zum
Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP Anhaltspunkte von solcher Art
und solchem Gewicht bestehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des
Unterhaltsberechtigten als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt
zurücktritt, ist eine Frage der bei der vorzunehmenden wertenden
Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Einzelfallumstände. b) Zur
engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP
bei aufgrund beruflicher Verhältnisse eines Ehegatten („Expatriate“) jeweils
befristeten Aufenthalten in verschiedenen Ländern.
Zentrale Probleme:
Eine IPR-Standarproblematik mit vorhersehbarem Ausgang:
Art. 5 HUP ist eine Ausnahmevorschrift, allein der letzte gemeinsame gew.
Aufenzthalzt von Ehegatten genügt noch nicht, um die Regelanknüpfung von
Art. 3 HUP zu überwinden.
©sl 2022
Gründe:
I.
1 Die Antragstellerin (im Folgenden:
Ehefrau) begehrt vom Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) nachehelichen
Unterhalt.
2 Die Beteiligten, die beide deutsche Staatsangehörige
sind, lebten mit ihrer 1992 geborenen Tochter seit dem Jahr 1994
gemeinsam in Schottland, wo der Ehemann eine Doktorandenstelle innehatte.
Im Jahr 1999 ging der Ehemann ein Arbeitsverhältnis mit einem
weltweit tätigen Mineralölunternehmen ein, wonach er als so
genannter Expatriate für eine jeweils befristete Zeit von in der Regel
vier Jahren an einem internationalen Standort des Unternehmens tätig sein
sollte. Daraus ergab sich - unter zwischenzeitlicher Verlängerung -
zunächst ein Aufenthalt der Familie in den Niederlanden von 1999 bis
2008, wo die Beteiligten im Jahr 2006 einen Partnerschaftsvertrag nach
niederländischem Recht schlossen und im Juli 2008 heirateten.
Anschließend lebten sie im Zuge einer befristeten Tätigkeit des
Ehemanns im Sultanat Brunei. Seit Juni 2012 hielt sich die Familie im
US-Bundesstaat Texas auf, wo der Ehemann für das Unternehmen im
Rahmen eines zunächst auf längstens fünf Jahre befristeten Einsatzes zu den
Bedingungen eines „Local Non-National“ arbeitete.
3 Im Anschluss an
die Trennung der Beteiligten im Februar 2015 wurde ihre Ehe
auf ihren beiderseitigen Antrag durch Urteil des Bezirksgerichts des
505. Gerichtsbezirks, Fort Bend County, Texas, vom 8. Dezember 2017
rechtskräftig geschieden. Im Rahmen einer Mediation hatten sie am
6. Oktober 2017 eine - durch das Urteil bestätigte -
Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen, die im Wesentlichen Regelungen zur
Vermögensauseinandersetzung einschließlich der vom Ehemann erworbenen
Anrechte auf Altersvorsorge enthielt. Seit der Scheidung hält sich
die Ehefrau bei ihren Eltern in Deutschland auf, während der
Ehemann weiterhin in Texas lebt.
4 Das Amtsgericht hat den
Antrag der Ehefrau, den Ehemann zur Zahlung eines rückständigen
nachehelichen Ehegattenunterhalts für den Zeitraum von April 2018 bis Juni
2018 in Höhe von insgesamt 15.546,09 € und eines laufenden Unterhalts ab
Juli 2018 in Höhe von monatlich insgesamt 5.182,03 € zu verpflichten, auf
der Grundlage des nach seiner Auffassung anwendbaren
texanischen Unterhaltsrechts zurückgewiesen. Die Beschwerde der Ehefrau
hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Hiergegen wendet sie sich mit
der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie weiterhin ihren
Antrag auf nachehelichen Unterhalt nach deutschem Recht verfolgt.
II.
5 Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das
Oberlandesgericht.
6 1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung
seiner in FamRZ 2021, 1030 veröffentlichten Entscheidung Folgendes
ausgeführt:
7 Entgegen der Auffassung der Ehefrau beurteile
sich der von ihr geltend gemachte Anspruch in Anwendung des Haager
Unterhaltsprotokolls vom 23. November 2007 (HUP) nach texanischem
Unterhaltsrecht. Da die Beteiligten im Zuge des Scheidungsverfahrens keine
Rechtswahl im Sinne des Art. 8 HUP getroffen hätten, komme es nach Art. 3
Abs. 1 HUP zwar grundsätzlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt der
berechtigten Person an. Anstelle des danach einschlägigen
deutschen Rechts sei hier jedoch gemäß Art. 5 HUP texanisches
Recht maßgeblich, weil sich der Ehemann gegen die Anwendung deutschen
Rechts wende und vorliegend das Recht des Bundesstaats Texas eine engere
Verbindung zur Ehe der Beteiligten aufweise. Im Rahmen der hierbei
gebotenen Beurteilung komme es auf alle Verbindungen der Ehe zu den
verschiedenen betroffenen Ländern an. Außer Betracht blieben
hingegen Umstände, die vor der Eheschließung oder nach der Ehescheidung
eingetreten seien.
8 Im vorliegenden Fall spreche für eine
engere Verbindung zum texanischen Recht, dass die Beteiligten bezogen auf
die gesamte Ehezeit am längsten in Texas gelebt hätten. Dass es sich
hierbei auch um den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der
Beteiligten handele, indiziere eine enge Verbindung zu der dortigen
Rechtsordnung. Der Umstand, dass für die Beteiligten die
Dauerhaftigkeit ihres Aufenthalts in Texas nicht festgestanden habe, stehe
einer engeren Verbindung deshalb nicht entgegen, weil diese durch weitere
Umstände untermauert werde. Die Beteiligten hätten sich bewusst zur
Durchführung ihrer Scheidung in Texas entschlossen und sich damit für die
dortige Rechtsordnung entschieden, auch wenn diese Ortswahl letztlich aus
Gründen der Praktikabilität erfolgt sei.
9 Zudem sei zu
berücksichtigen, dass der Ehemann dort weiterhin seinen gewöhnlichen
Aufenthalt habe und dieser im Hinblick auf seinen Antrag zur Erteilung einer
„Green Card“ nun auf Dauer angelegt sei. Die Verbindung der Beteiligten
zu Deutschland bestehe demgegenüber im Wesentlichen in ihrer gemeinsamen
deutschen Staatsangehörigkeit. Dieses Kriterium sei jedoch im Rahmen des
Art. 5 HUP grundsätzlich zurückhaltend zu bewerten. Darüber hinaus seien die
Beteiligten nur durch gelegentliche Besuche mit Deutschland verbunden
gewesen; eine Rückkehr dorthin habe während der Ehezeit nicht in Frage
gestanden. Auch der Umstand, dass die Beteiligten in den Niederlanden einen
Partnerschaftsvertrag abgeschlossen und geheiratet hätten, verdeutliche,
dass sie Deutschland gerade nicht als gemeinsame Basis angesehen hätten. Es
bestehe allerdings auch keine engere Verbindung der Ehe zu den Niederlanden,
da der Ort der Eheschließung in der Regel keine engere Verbindung als der
Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts begründen könne und die Beteiligten
nach der Heirat nicht mehr in den Niederlanden gelebt hätten.
10 Ein
Anspruch auf nachehelichen Unterhalt bestehe nach dem hier maßgeblichen §
8.051 Abs. 2 des texanischen Family Code nur, wenn die Ehe mindestens zehn
Jahre gedauert habe und zudem weitere Voraussetzungen der Bedürftigkeit des
Berechtigten erfüllt seien. Im vorliegenden Fall scheitere ein Anspruch
bereits an der nicht gegebenen Mindestdauer. Deshalb könne auch dahinstehen,
ob die Geltendmachung von Unterhalt schon aufgrund eines auch insoweit
abschließenden Charakters des Scheidungsurteils ausgeschlossen sei.
11 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt
nicht stand.
12 a) Zutreffend hat das
Oberlandesgericht allerdings die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte bejaht, die unbeschadet des Wortlauts des § 72 Abs. 2 FamFG auch in
den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der
Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist
(Senatsbeschluss vom 31. März 2021 - XII ZB 516/20 - FamRZ 2021, 1050 Rn. 9
mwN). Sie ergibt sich im vorliegenden Fall aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3
lit. b der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember
2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen
(EuUntVO), weil die Ehefrau ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland hat.
13 b) Ohne Erfolg macht der
Ehemann geltend, dem Unterhaltsantrag der Ehefrau stehe entgegen, dass über
diesen Streitgegenstand eine rechtskräftige Entscheidung in dem in Texas
durchgeführten Scheidungsverfahren ergangen sei. Soweit er sich
insoweit auf ein Verfahrenshindernis beruft, ist dessen Vorliegen allerdings
in jedem Rechtszug von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsbeschluss
vom 10. Dezember 2014 - XII ZB 662/13 - FamRZ 2015, 479 Rn. 16 mwN)
und kann - anders als vom Oberlandesgericht angenommen - wegen
des grundsätzlichen Vorrangs der Zulässigkeitsprüfung (vgl. Senatsurteil vom
25. Januar 2012 - XII ZR 139/09 - FamRZ 2012, 525 Rn. 44 mwN) nicht
im Hinblick auf eine etwaige Unbegründetheit des Antrags dahinstehen.
Ausreichend tragfähige Anhaltspunkte, wonach in dem Scheidungsverfahren eine
Sachentscheidung über die Frage des nachehelichen Unterhalts getroffen
wurde, sind jedoch weder dem Scheidungsurteil vom 8. Dezember 2017 noch der
ihm zugrundeliegenden, auf solche Ansprüche ebenfalls nicht Bezug nehmenden
Mediationsvereinbarung vom 6. Oktober 2017 zu entnehmen; sie sind auch nicht
anderweitig vorgetragen oder ersichtlich.
14 c)
Indes ist es rechtsfehlerhaft, dass das Oberlandesgericht
texanisches Unterhaltsrecht angewendet und auf dieser Grundlage einen
Unterhaltsanspruch der Ehefrau verneint hat.
15 aa) Wie das
Oberlandesgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, bestimmt sich das auf
den hier geltend gemachten Unterhaltsanspruch anwendbare Recht gemäß Art. 15
EuUntVO nach dem Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf
Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (ABl. EG Nr. L 331 vom 16. Dezember
2009 S. 19; Haager Unterhaltsprotokoll - HUP). Wegen
der in Art. 2 HUP angeordneten Allseitigkeit kommt es aus deutscher Sicht
nicht darauf an, dass die Vereinigten Staaten von Amerika kein Vertragsstaat
sind (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 358/19 -
FamRZ 2020, 918 Rn. 12 mwN).
16 bb) Frei von Rechtsbedenken ist auch
die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Beteiligten im Zuge ihres
Scheidungsverfahrens keine Rechtswahl bezüglich des anwendbaren
Unterhaltsrechts getroffen haben. Nimmt man an, dass eine Rechtswahl
im Sinne des Art. 8 Abs. 1 HUP nicht nur ausdrücklich, sondern auch
konkludent getroffen werden kann (Grüneberg/Thorn BGB 81. Aufl.
Art. 8 HUntProt Rn. 31 mwN), bedarf es hierfür jedenfalls eines
anhand der Gesamtumstände festzustellenden Rechtswahlwillens der Beteiligten
(Rauscher/Andrae EuZPR/EulPR 4. Aufl. Art. 8 HUntStProt Rn. 6; vgl. auch
Senatsurteil BGHZ 119, 392 = FamRZ 1993, 289, 291 f.). Einen solchen, hier
auf die Frage des nachehelichen Unterhalts bezogenen Willen musste das
Oberlandesgericht nicht aus den gegebenen Umständen folgern, zumal sich aus
der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 6. Oktober 2017 kein erkennbarer Bezug
zu dieser Frage ergibt.
17 cc) Die Rechtsbeschwerde rügt
jedoch erfolgreich die Anwendung des Art. 5 HUP durch das Oberlandesgericht.
18 (1) Nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 1 HUP ist für
Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die
berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Allerdings
findet diese Anknüpfung in Fällen des Ehegattenunterhalts gemäß Art.
5 HUP keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das
Recht eines anderen Staates, insbesondere des Staates des letzten
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten, zu der betreffenden Ehe
eine engere Verbindung aufweist. Hintergrund der als Einrede zu
qualifizierenden Regelung ist das Vertrauen eines Ehegatten in
diejenige Rechtsordnung, der sich beide Eheleute während des Bestehens der
Ehe unterstellt haben (Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR
133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn. 44 mwN). Ein Ehegatte soll nicht die
Möglichkeit haben, das Bestehen und den Inhalt der Unterhaltspflicht durch
einen einseitigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsorts auf unfaire Weise
zu beeinflussen (Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 78,
veröffentlicht bei www.hcch.net).
19 Art. 5 HUP stellt die Ausnahme zu der in Art. 3 HUP
niedergelegten Grundanknüpfung dar. Lässt sich daher keine andere
Rechtsordnung feststellen, zu der die Ehe der Beteiligten eine engere
Verbindung aufweist, bleibt es nach - soweit ersichtlich - allgemeiner
Meinung aufgrund dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der allgemeinen
Regel des Art. 3 HUP für das anzuwendende Recht (vgl. BeckOK
BGB/Heiderhoff [Stand: 1. Februar 2022] HUP 2007 Art. 5 Rn. 5; Klinkhammer
in Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens Neue Impulse im
europäischen Familienkollisionsrecht S. 163, 181; Münch-KommBGB/Staudinger
8. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 21; Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5
HUntStProt Rn. 18; Staudinger/Mankowski BGB [2021] Art. 5 HUP Rn. 41; vgl.
auch OGH Wien ZfRV 2015, 226; zur Beweislast: BeckOGK/Yassari [Stand: 1.
Dezember 2020] Art. 5 HUP Rn. 25; Hausmann Internationales und Europäisches
Familienrecht 2. Aufl. C Rn. 616; Münch-KommBGB/Staudinger 8. Aufl. Art. 5
HUP Rn. 9; Uecker FF 2014, 185, 190; OGH Wien ZfRV 2015, 226; hierzu wohl aA
Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 13b).
20
(2) Art. 5 HUP verlangt eine wertende Gesamtbetrachtung.
Ob für eine engere Verbindung zum Recht eines anderen Staates
Anhaltspunkte von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass der
gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten als in der Regel
maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt, ist eine Frage der
Einzelfallumstände (vgl. Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn.
82, 85; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. C
Rn. 617; NK-BGB/Bach 3. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 15; jurisPK-BGB/Ludwig [Stand:
1. März 2020] Art. 5 HUP Rn. 15; vgl. auch OGH Wien ZfRV 2020, 289). Als
solche kommen neben dem vom Normgeber in Art. 5 HUP ausdrücklich genannten
und mit „insbesondere“ besonders hervorgehobenen letzten gemeinsamen
gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten weitere Gesichtspunkte in
Betracht, etwa ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der
Ehegatten während der Ehe, ihre Staatsangehörigkeit, der Ort der
Eheschließung sowie der Ort der Trennung oder Scheidung (vgl.
Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 85; OGH Wien ZfRV 2020, 289; vgl.
auch Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR 133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn.
45).
21 Die Abwägung der für die Beurteilung einer engeren
Verbindung im Sinne des Art. 5 HUP in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist
Aufgabe des Tatrichters. Sie ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur
daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze
verstößt oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht (vgl.
Senatsbeschluss vom 26. Juni 2019 - XII ZB 299/18 - FamRZ 2019, 1535 Rn. 30
mwN).
22 (3) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten
Prüfungsmaßstabs hält die Annahme einer engeren Verbindung der Ehe der
Beteiligten zum Recht des Bundesstaates Texas durch das Oberlandesgericht
den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Dessen Würdigung,
wonach der - im Wesentlichen durch den nicht auf Dauer angelegten
gemeinsamen Aufenthalt in Texas vermittelte - Bezug zum Recht des
Bundesstaates Texas ein höheres Gewicht als die zur Anwendung deutschen
Unterhaltsrechts führende Grundanknüpfung des gewöhnlichen Aufenthalts der
Ehefrau (Art. 3 Abs. 1 HUP) hat, ist von Rechtsfehler beeinflusst. Mit
Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht auf
der Grundlage seiner Feststellungen zu den Lebensumständen der Beteiligten,
insbesondere zu den Umständen ihres Aufenthalts in Texas, dem
Gesichtspunkt des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im hier zu
beurteilenden Einzelfall einen unvertretbar hohen Stellenwert eingeräumt
hat.
23 (a) Allerdings erwähnt Art. 5 HUP als einzigen Staat
ausdrücklich denjenigen des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der
Ehegatten als einen in Betracht kommenden anderen Staat, zu dem die Ehe eine
engere Verbindung als zum Aufenthaltsstaat des Unterhaltsberechtigten (Art.
3 Abs. 1 HUP) haben kann. Damit wird das Gewicht des letzten
gemeinsamen Aufenthalts insoweit fraglos betont. Gleichwohl wird
diesem Kriterium, wie bereits aus dem Normtext mit der durch die
„insbesondere“-Einleitung ersichtlich nur beispielhaft erfolgten Nennung
ohne weiteres folgt, kein absoluter Charakter beigegeben.
Vielmehr handelt es sich um einen bedeutsamen, jedoch nicht notwendig um den
ausschlaggebenden Umstand, weil es stets einer Gesamtabwägung bedarf
(vgl. Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 81, 86; OGH Wien FamRZ 2018,
342, 345; Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 17 f.
mwN).
24 (b) Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung ist die
Bedeutung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten
jedoch entwertet. Der gemeinsame Aufenthalt in Texas ab dem Jahr
2012 war nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht auf
Dauer angelegt, sondern reihte sich in eine - durch die beruflichen
Verhältnisse des Ehemanns bedingte - regelmäßige Abfolge jeweils befristeter
Aufenthalte in verschiedenen Ländern ein. Die entsprechenden
Ortswechsel waren demnach wesentlich durch die betrieblichen Erfordernisse
des Arbeitgebers, nicht aber durch eine Bindung der Beteiligten zum
jeweiligen Einsatzort begründet. Für die auf längstens fünf Jahre
begrenzte Tätigkeit des Ehemannes in Texas gilt nichts anderes,
auch wenn er in diesem Zusammenhang vom Arbeitgeber nicht als „Expatriate“,
sondern zu den Bedingungen eines „Local Non-National“ beschäftigt wurde.
25 Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend hervorhebt, kann bei solcherart
regelmäßig wechselnden gewöhnlichen Aufenthalten aus dem jeweiligen, von
vornherein lediglich vorübergehend angelegten Aufenthaltsort nicht ohne
weiteres auf einen Bezug der Ehe zu dessen Rechtsordnung geschlossen werden,
der eine Anwendung von Art. 5 HUP rechtfertigen könnte. Vielmehr
hätte es zufälligen Charakter, welches Recht in Anknüpfung an den jeweils
letzten gemeinsamen Aufenthalt anstelle des sonst berufenen Rechts zur
Anwendung gelangt.
26 (c) Anders kann es nur dann liegen,
wenn die im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallabwägung zu
berücksichtigenden weiteren Tatsachen für eine im Verhältnis zu Art. 3 Abs.
1 HUP engere Verbindung gerade zum Ort des letzten gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalts der Ehegatten sprechen. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
27 Das Oberlandesgericht sieht insoweit vor allem als wesentlich an,
dass die Beteiligten sich bewusst für die Durchführung der Ehescheidung in
Texas entschieden haben. Dies wird aber durch die ebenfalls getroffene
Feststellung relativiert, dass diese Entscheidung seitens der Ehefrau vor
allem auf Praktikabilitätserwägungen beruhte und damit nicht Ausdruck einer
Bindung der Ehe an die texanische Rechtsordnung ist. Der vom
Oberlandesgericht weiter angeführte Umstand, dass der Aufenthalt des
Ehemanns in Texas nunmehr - entgegen den Verhältnissen während bestehender
Ehe - auf Dauer angelegt ist, hat für die Frage einer engeren Verbindung der
Ehe im Sinne von Art. 5 Satz 1 HUP unabhängig von der umstrittenen
Rechtsfrage, ob insoweit generell nur Umstände während des Bestands der Ehe
Berücksichtigung finden können (so etwa OGH Wien FamRZ 2018, 342, 345 und
ZfRV 2020, 289; Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn.
15 mwN; MünchKommBGB/Stau-dinger 8. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 17 mwN; aA
jurisPK-BGB/Ludwig [Stand: 1. März 2020] Art. 5 UntProt Rn. 16; anders auch
Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 86), keine Aussagekraft.
Denn er besagt allein etwas über die Wahl des Aufenthaltsorts eines
Ehegatten, die dieser gerade in Anbetracht des Scheiterns der Ehe getroffen
hat, nicht aber über die Verbindung der Ehe selbst zu der betreffenden
Rechtsordnung.
28 (d) Mangels Einzelfallaspekten, die eine
engere Verbindung der von den Beteiligten geführten Ehe zur texanischen
Rechtsordnung begründen, bedarf es keines weiteren Eingehens darauf, welche
Rolle die Rückkehr der Ehefrau nach dem Scheitern der Ehe in ihr Heimatland
Deutschland und die mit diesem Aufenthaltsort übereinstimmende
Staatsangehörigkeit der Beteiligten im Rahmen der Gesamtabwägung spielen
können.
29 d) Es bedarf keiner Vorlage der Sache an den
Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV (vgl. dazu
Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR 133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn. 37).
Die Grundsätze für die sich im vorliegenden Fall stellenden Auslegungsfragen
im Zusammenhang mit dem Haager Unterhaltsprotokoll sind derart
offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt und mithin
für eine Verfahrensweise nach Art. 267 Abs. 3 AEUV kein Anlass besteht
("acte clair", vgl. Senatsbeschluss vom 27.
November 2019 - XII ZB 311/19 - FamRZ 2020, 272 Rn. 11 mwN; vgl. zu den
Voraussetzungen der Vorlagepflicht EuGH EuZW 2018, 1038 Rn. 110 -
Kommission/Frankreich mwN). Das gilt sowohl dafür, dass Art. 5 HUP
eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände erfordert, als auch für die
Möglichkeit, dass der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten
im Rahmen dieser Gesamtwürdigung abhängig von den jeweiligen Umständen des
Einzelfalls nicht notwendigerweise ausschlaggebende Bedeutung erlangt.
Die sich demnach allein stellende Frage, zu welchem
Ergebnis die Gesamtwürdigung im konkret zu entscheidenden Fall
führt, kann hingegen nicht zum Gegenstand eines
Vorlageverfahrens gemacht werden.
3. Die angefochtene
Entscheidung kann aus den genannten Gründen keinen Bestand haben und ist
daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Zwar sind zur Frage des nach dem
Haager Unterhaltsprotokoll anwendbaren Unterhaltsrechts keine weiteren
Feststellungen mehr zu treffen, weshalb der Senat selbst befinden kann,
dass vorliegend eine Anwendung von Art. 5 HUP ausscheidet und es
daher grundsätzlich bei der Grundregel des Art. 3 Abs. 1 HUP verbleibt.
Denn dem Kriterium des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der
Ehegatten kommt vorliegend wegen der von vorneherein auf einen beständigen
Wechsel des Aufenthaltsorts angelegten ehelichen Lebensverhältnisse keine
besondere Bedeutung zu, und es fehlt auch an anderweitigen Umständen, die
die Annahme einer engeren Verbindung der Ehe der Beteiligten zur texanischen
Rechtsordnung begründen können.
31 Die Sache ist gleichwohl nicht zur
Endentscheidung reif und daher an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§
74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Dieses wird sich nun mit der von ihm bislang
- aus seiner Sicht folgerichtig - offen gelassenen Frage zu befassen haben,
ob die Ehefrau mit der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 6. Oktober 2017 auf
nachehelichen Unterhalt verzichtet hat. Sollte dies nicht der Fall sein,
wird das Oberlandesgericht zudem über Dauer und Höhe des von der Ehefrau
geltend gemachten Unterhaltsanspruchs zu entscheiden haben.
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