Erfüllungsort für
Zahlungsverpflichtung beim Beherbergungsvertrag (§ 269 BGB); örtliche
Zuständigkeit für die Zahlungsklage (§ 29 ZPO)
BGH, Urteil vom 24. Januar
2007 - XII ZR 168/04
Fundstelle:
NJW-RR 2007, 777
Amtl. Leitsatz:
a) Bei einem
Beherbergungsvertrag kommt ein einheitlicher Erfüllungsort für die
beiderseitigen Leistungen regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn ein
Reisebüro für seinen Kunden ein Zimmer im eigenen Namen bestellt.
b) Erfüllungsort für den Zahlungsanspruch (und damit Gerichtsstand für die
Zahlungsklage) ist dann regelmäßig der Sitz des Reisebüros.
Zentrale Probleme:
In der sehr lehrreichen Entscheidung geht es um
Grundfragen des Leistungsorts bei Zahlungsverpflichtungen (§ 269 BGB), s.
dazu insbesondere die fett markierten Passagen.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger, Inhaber eines Hotels in D. , macht gegen die beklagte GmbH,
die ein Reisebüro in E. betreibt, vor dem Amtsgericht Düsseldorf
Zahlungsansprüche aus einem Beherbergungsvertrag geltend.
2 Die Beklagte buchte für die Zeit vom 18. bis 21. Juni 2003 bei dem Kläger
für ihre Kunden zwei Zimmer. Die Rechnung sollte an die Beklagte übersandt
und von dieser bezahlt werden.
3 Das Amtsgericht hat nach vorherigem Hinweis auf die fehlende örtliche
Zuständigkeit die Klage durch unechtes Versäumnisurteil als unzulässig
abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom
Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche
weiter.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
6 Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich eine örtliche
Zuständigkeit des Amtsgerichts Düsseldorf nicht aus § 29 ZPO, der für
Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis den besonderen Gerichtsstand des
Erfüllungsorts vorsehe. Der Erfüllungsort bestimme sich nach § 269 BGB.
Danach sei der Wohnsitz des Schuldners bzw. der Ort seiner gewerblichen
Niederlassung der Leistungsort, wenn nicht die Parteien etwas anderes
vereinbart hätten oder sich aus den Umständen ein anderer Leistungsort
ergebe.
7 Die Parteien hätten keinen Leistungsort bestimmt. Auch aus den Umständen,
insbesondere der Natur des Vertragsverhältnisses, sei kein vom Sitz der
Beklagten abweichender Leistungsort zu entnehmen.
8 Anders als bei einem herkömmlichen Beherbergungsvertrag, bei dem der Gast
als Vertragspartner die Beherbergungsleistung selbst in Anspruch nehme und
gemäß der Verkehrssitte vor Ort bar bezahle, habe die Beklagte im
vorliegenden Fall den Beherbergungsvertrag im eigenen Namen für ihre Kunden
abgeschlossen und - für den Kläger erkennbar - den Beherbergungsort nie
aufsuchen wollen. Der Leistungsort für die Zahlung, die, wie in der Buchung
ausdrücklich vermerkt sei, über die Beklagte habe erfolgen sollen, sei der
Sitz der Beklagten und nicht, wie beim herkömmlichen Beherbergungsvertrag,
der Beherbergungsort.
II.
9 Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
10 1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine örtliche
Zuständigkeit des Amtsgerichts Düsseldorf als Gericht des Erfüllungsortes
gemäß § 29 ZPO nicht begründet ist.
11 a) Der Erfüllungsort im Sinne von § 29 ZPO bestimmt sich nach
materiellem Recht. Für vertragliche Verpflichtungen regelt § 269 BGB den
Leistungsort, der dem Erfüllungsort entspricht. Danach hat die Leistung
vorbehaltlich gesetzlicher Sondervorschriften in der Regel an dem Ort zu
erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des
Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz, bei juristischen Personen den Sitz
hatte. Etwas anderes gilt erst dann, wenn festgestellt wird, dass die
Vertragsparteien einen anderen Leistungsort bestimmt haben oder die Umstände
des Falls einen solchen ergeben (vgl. BGHZ 157, 20, 23 m.w.N., BGH Urteil
vom 4. März 2004 - IX ZR 101/03 - NJW-RR 2004, 932).
12 Dabei ist der Leistungsort für jede einzelne Verpflichtung gesondert
zu bestimmen. Auch bei gegenseitigen Verträgen richtet er sich für die
wechselseitigen Leistungen jeweils nach den unterschiedlichen Wohnsitzen der
Vertragsparteien; er ist daher nicht notwendig einheitlich (BGH Urteil
vom 9. März 1995 - IX ZR 134/94 - NJW 1995, 1546; Beschluss vom 5. Dezember
1985 - I ARZ 737/85 - NJW 1986, 935; RGZ 140, 67, 69).
13 b) Für die hier geltend gemachten Zahlungsansprüche ist danach gemäß §§
270 Abs. 4 i.V.m. 269 Abs. 1, 2 BGB, § 17 ZPO der Sitz der beklagten GmbH
Erfüllungsort, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben oder sich
aus den Umständen nichts anderes ergibt.
14 Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des
Berufungsgerichts haben die Parteien für die Zahlungsverpflichtung der
Beklagten keinen von deren Sitz abweichenden Erfüllungsort am Sitz des
Klägers vereinbart.
15 Ein solcher lässt sich auch nicht aus den Umständen entnehmen.
16 aa) Aus welchen Umständen auf einen vom Sitz der Beklagten
abweichenden Erfüllungsort geschlossen werden kann, beurteilt sich nach dem
Sinn und Zweck der Regelung. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass
zu diesen Umständen neben der Natur des Schuldverhältnisses die
Beschaffenheit der Leistung und der mutmaßliche Wille der Beteiligten
gehören sollten. Diese Begriffe waren im ersten Entwurf zum BGB
ausdrücklich aufgeführt, wurden dann aber gestrichen, weil man es für
richtiger und einfacher hielt, auf die Umstände des Falles zu verweisen und
als einen dieser Umstände die Natur des Schuldverhältnisses hervorzuheben.
In dem Protokoll heißt es dazu: "Daß zu den zu berücksichtigenden
Umständen vor Allem auch die Beschaffenheit der Leistung gehöre, erschien
selbstverständlich. Der muthmaßliche Wille der Betheiligten aber sei nichts
Anderes, als was sich aus den Umständen des Falles ergebe, und könne deshalb
nicht neben diesen genannt werden." (Mugdan, Die gesammten Materialien
zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. 1899, S. 524; BGHZ
157, aaO; Siemon MDR 2002, 366, 369).
17 Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung bei bestimmten gegenseitigen
Verträgen aus den Umständen einen einheitlichen Erfüllungsort für Leistung
und Gegenleistung hergeleitet (für den Bauvertrag: BGH Beschluss vom 5.
Dezember 1985 - I ARZ 737/85 - aaO; für den Energielieferungsvertrag: BGH
Urteil vom 17. September 2003 - VIII ZR 321/02 - NJW 2003, 3418; für den
Architektenvertrag, der neben der Planung auch die Bauaufsicht umfasst: BGH
Urteil vom 7. Dezember 2000 - VII ZR 404/99 - NJW 2001, 1936; für den
Beherbergungsvertrag: LG Kempten BB 1987, 929 m.w.N.; Palandt/Heinrichs BGB
66. Aufl. § 269 BGB Rdn. 13 ff.; Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 29 Rdn.
24, 25).
18 bb) Bei Beherbergungsverträgen hat die Rechtsprechung die Annahme
eines einheitlichen Erfüllungsorts am Ort des Hotels darauf gestützt, dass
der Gast, der die Bestellung selbst aufgegeben und keine besondere
Zahlungsweise vereinbart hat, nach der allgemeinen Verkehrssitte im
Beherbergungsgewerbe die Bezahlung stets am Ort der Beherbergung zu
erbringen habe (LG Kempten aaO).
19 Im vorliegenden Fall greift diese allgemeine Verkehrssitte nicht. Denn
die Beklagte sollte den Ort der Beherbergung nicht selbst aufsuchen und
Zahlung nicht vor Ort, sondern nach Rechnungserteilung von ihrem Sitz aus
erbringen. Die Parteien sind folglich davon ausgegangen, dass die Zahlung
nicht am Ort des Hotels, sondern am Sitz der Beklagten zu erbringen ist.
20 cc) Entgegen der Ansicht der Revision genügt - unabhängig von der
vereinbarten Zahlungsweise - nicht allein die besondere Ortsbezogenheit der
vertragstypischen Leistung bei dem Beherbergungsvertrag, um aus dessen Natur
einen einheitlichen Erfüllungsort am Beherbergungsort zu begründen.
21 Allein deshalb, weil am Ort der Beherbergung der Schwerpunkt des
Vertrages liegt, kann ein einheitlicher Erfüllungsort für Leistung und
Gegenleistung nicht bejaht werden (BGHZ 157, 20, 25). Dies hätte nämlich zur
Folge, dass, da die vertragstypische Leistung regelmäßig nicht durch die
Zahlungsverpflichtung bestimmt wird, nahezu bei jedem Vertragstyp ein
einheitlicher Erfüllungsort für Leistung und Gegenleistung vorläge. Das ist
mit der Regelung des § 269 Abs. 1 BGB unvereinbar (BGHZ aaO). Ein
einheitlicher Erfüllungsort kann deshalb nur dann angenommen werden, wenn
dafür weitere Umstände festgestellt werden können, wie etwa die o.g.
Verkehrssitte oder bei einem Bauvertrag der Umstand, dass auch der Besteller
am Ort des Bauwerks mit der Abnahme gemäß § 640 BGB eine seiner
Hauptpflichten erfüllen muss. In diesen Fällen, in denen beide
Vertragsparteien wesentliche vertragliche Pflichten an einem Ort erbringen
müssen, entspricht es der Natur des Schuldverhältnisses, dass die
Vertragsparteien ihre gesamten daraus herrührenden Rechtsbeziehungen an
diesem Ort erledigen (BGH Beschluss vom 5. Dezember 1985 - I ARZ 737/85
-aaO).
22 Der von der Revision vorgetragene Gesichtspunkt, es sei sachgerecht, die
Gerichte am Ort des Hotels über etwaige Einwendungen gegen den
Zahlungsanspruch entscheiden zu lassen, da ihnen die Verhältnisse am besten
vertraut seien und eine Beweisaufnahme über behauptete Mängel dort einfach
und ohne großen Aufwand durchgeführt werden könne, stellt keinen Umstand
dar, der die Annahme eines einheitlichen Erfüllungsortes am Ort der
Beherbergung rechtfertigt. Prozessuale Zweckmäßigkeitserwägungen allein
können einen von der Regel des § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB abweichenden
Leistungsort nicht begründen.
23 dd) Danach lassen sich im vorliegenden Fall keine Umstände feststellen,
die einen vom Sitz der Beklagten abweichenden Erfüllungsort für ihre
Zahlungsverpflichtung begründen.
24 Anders als beim Bauvertrag, bei dem der Besteller eine seiner
Hauptpflichten, nämlich die Abnahme des Werkes, am Ort des Bauwerkes
erfüllen muss, musste die Beklagte am Ort der Beherbergung keine
wesentlichen Pflichten erfüllen. Insbesondere sollte eine Zahlung vor Ort
nicht erfolgen.
25 2. Da eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Düsseldorf für die
Zahlungsklage weder aus § 29 a ZPO (vgl. § 29 a Abs. 2 ZPO i.V.m. § 549 Abs.
2 Nr. 1 BGB) noch aus einem anderen Gerichtsstand begründet ist, hat das
Landgericht die Berufung zu Recht zurückgewiesen.
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