Voraussetzungen der Schuldbefreiung durch
Hinterlegung (§ 372 S. 2 BGB) - Verhältnis zur befreienden Zahlung an den
Scheinzessionar nach § 409 I BGB
BGH, Urt. v. 3. Dezember 2003 - XII ZR 238/01
Fundstelle:
NJW-RR 2004, 656
Amtl. Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Hinterlegung.
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt des etwas verschachtelten
Sachverhalts steht die Frage, wann die von § 372 S. BGB für eine
Hinterlegung vorausgesetzte "Ungewißheit über die Person des Gläubiger"
besteht. Der BGH legt hier zu recht dar, daß von einem Schuldner, dem die
Erkenntnismöglichkeit eines Gerichts nicht zur Verfügung steht,
billigerweise nur begrenzte Anstrengungen zur Ermittlung des
Sachverhalts und zu seiner Subsumtion unter das auf vielen Gebieten immer
unübersichtlicher werdende geschriebene und ungeschriebene Recht verlangt
werden kann. Das gelte insbesondere dann, wenn die Ungewißheit über die
Person des Gläubigers überwiegend auf unklare Abtretungsvorgänge
zurückzuführen ist, die außerhalb des Einflußbereichs des Schuldners liegen
und allein von den davon Beteiligten zu verantworten sind. Auch die
Möglichkeit, nach § 409 I 2 an den Inhaber einer Abtretungsurkunde befreiend
zu leisten, hindere nicht die Hinterlegung. Dies sei eine
Schuldnerschutzvorschrift, die für den Schuldner nur ein Recht, nicht aber
eine keine Pflicht zur Leistung an den Scheinberechtigten statuieren könne.
©sl 2004
Tatbestand:
Die Klägerin macht Miete für ein gewerbliches Mietobjekt geltend.
Die frühere Grundstückseigentümerin O-GmbH vermietete mit schriftlichem
Vertrag vom 21. Mai 1991 an die Beklagte ein Gewerbeobjekt zu einem
monatlichen Mietzins von zuletzt 19.270,08 DM. Mit notariellem Vertrag vom
11. November 1996 kaufte die Klägerin das Objekt. § 2 des Kaufvertrages
lautet:
"Die Übergabe des Grundstücks erfolgt mit Wirkung zum 1.12.1996.
Hat der Verkäufer das Grundstück bis zum 1.12.1996 trotz Kaufpreiszahlung
nicht übergeben, steht dem Käufer ein Rücktrittsrecht zu.
Bis zur Übergabe des Grundstücks trägt der Verkäufer alle Lasten und erhält
alle Einnahmen. Ab Übergabe gehen alle Einnahmen und wiederkehrenden Lasten
sowie grundsätzlich Nutzungen, Lasten, Abgaben und Gefahr auf den Käufer
über."
Mit Schreiben vom 22. November 1996 forderte die Klägerin die Beklagte auf,
die fällige Miete auf ihr Konto zu zahlen, da mit dem Kauf auch die
Nutzungsrechte übergegangen seien. In weiteren Schreiben vom 19. und 30.
Dezember 1996 übermittelte sie der Beklagten den notariellen Kaufvertrag.
Mit Beschluß vom 31. Dezember 1996 eröffnete das Amtsgericht Neuruppin das
Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der O-GmbH.
Die Gesamtvollstreckungsverwalterin verlangte mit Schreiben vom 3. und 30.
Januar 1997 von der Beklagten Zahlung der fälligen Miete an sich. Sie machte
geltend, daß eine Abtretung nicht erfolgt sei, der Kaufvertrag wegen
Verstoßes gegen § 283 c StGB (Gläubigerbegünstigung) nichtig und anfechtbar
sei, und drohte der Beklagten für den Fall, daß sie die Miete an die
Klägerin zahle, mit Geltendmachung im Wege der Klage. Auf Anraten ihres
Rechtsanwaltes hinterlegte die Beklagte die Miete für die Monate April 1997
bis Februar 1999, insgesamt 348.346,52 DM, unter Verzicht auf das Recht zur
Rücknahme.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin rückständige Mieten in Höhe von 354.827,92
DM geltend gemacht. Das Landgericht hat ihr nur 18,05 DM zugesprochen. Auf
die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die landgerichtliche
Entscheidung abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 348.346,52 DM
zuzüglich Zinsen verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom
Senat angenommenen Revision. Nach Einlegung und Begründung der Revision ist
die hinterlegte Summe an die Klägerin ausbezahlt worden. Die Klägerin
erklärt deshalb den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die
Beklagte stimmt der Erledigungserklärung nicht zu.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung und zur Abweisung der Klage, soweit das
Landgericht ihr nicht stattgegeben hat.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Aktivlegitimation der Klägerin
ergebe sich zwar nicht aus § 571 BGB, da sie bislang noch nicht als
Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen sei. Ihr seien die geltend
gemachten Forderungen aber abgetreten worden. § 2 des
Grundstückskaufvertrages enthalte eine dingliche Abtretungserklärung. Mit
der Übergabe des Grundstücks zum 1. November (richtig: Dezember) 1996 hätten
"alle Einnahmen und wiederkehrenden Lasten sowie grundsätzlich Nutzungen,
Lasten, Abgaben und Gefahr auf den Käufer" übergehen sollen. Damit komme zum
Ausdruck, daß die Parteien sich über den Übergang aller aus dem Grundstück
folgenden Rechte einig gewesen seien. Das Nutzungsentgelt für die
Überlassung des Grundstücks stelle sich als Einnahme bzw. Nutzung dar, die
nach § 2 des Kaufvertrages uneingeschränkt der Klägerin habe zustehen
sollen. Der Kaufvertrag sei wirksam. Ein Verstoß gegen § 283 StGB (Bankrott)
sei nicht hinreichend dargetan. Vor allem bleibe offen, ob der gesetzliche
Vertreter der Veräußerin vorsätzlich gehandelt habe. § 138 Abs. 1 BGB finde
nur Anwendung, wenn außerhalb des Anfechtungstatbestandes liegende
sittenwidrige Umstände hinzuträten. Das sei hier nicht der Fall. Die bloße
Anfechtbarkeit nach § 10 GesO führe nicht zur Nichtigkeit des Vertrages,
sondern begründe nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr des
weggegebenen Vermögensgegenstandes.
Die Beklagte sei nicht nach § 378 BGB von ihrer Leistungspflicht frei
geworden. § 372 Satz 2 BGB setze voraus, daß der Schuldner infolge einer
nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewißheit über die Person des
Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen
könne. Von Ungewißheit sei auszugehen, wenn objektiv verständliche Zweifel
über die Person des Gläubigers vorlägen und dem Schuldner deshalb nach
verständigem Ermessen nicht zugemutet werden könne, die Zweifel auf eigene
Gefahr zu lösen. Der Schuldner müsse die Sach- und Rechtslage mit der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt prüfen. Die Sorgfaltsanforderungen richteten
sich nach den Umständen des Einzelfalls. Eine Pflicht, Rechtsrat einzuholen,
bestehe auch bei schwierigen Rechtsfragen grundsätzlich nicht. Objektive
Zweifel an der Person des Gläubigers habe die Beklagte nicht zu hegen
brauchen, weil sie bei Zahlung der Miete an die Klägerin wegen § 409 Abs. 1
Satz 2 BGB von ihrer Zahlungspflicht in jedem Fall frei geworden wäre.
Selbst wenn der Grundstückskaufvertrag und die darin enthaltene
Abtretungserklärung nicht wirksam abgeschlossen oder nichtig gewesen wären,
hätte die Beklagte auf den Schein einer Berechtigung der Klägerin vertrauen
dürfen, weil ihr die Klägerin den notariellen Kaufvertrag zur Kenntnis
gebracht und sie unter Hinweis auf die Abtretungsregelung aufgefordert habe,
den Mietzins künftig an sie zu zahlen.
Aus dem Kaufvertrag habe die Beklagte die Abtretung objektiv entnehmen und
daher trotz angenommener oder tatsächlicher Unwirksamkeit des Kaufvertrages
schuldbefreiend leisten können.
2. Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 27. Februar
1992 - I ZR 35/90 - NJW 1992, 2235, 2236) hat die Feststellung der
Erledigung der Hauptsache eines Rechtsstreits nicht nur den Eintritt eines
erledigenden Ereignisses zur Voraussetzung, sondern auch, daß die Klage im
Zeitpunkt dieses Eintritts zulässig und begründet war. Eine von Anfang an
unbegründete Klage ist trotz Erledigungserklärung abzuweisen (Thomas/Putzo,
ZPO 25. Aufl. § 91 a Rdn. 33 m.w.N.). Die Klage war hier von Anfang an
unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin die Mietzinsansprüche
gegen die Beklagte erworben hat, da die Beklagte jedenfalls durch die
Hinterlegung gemäß § 378 BGB von einer etwa vorhandenen Verbindlichkeit
gegenüber der Klägerin frei geworden ist. Entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts waren bei der Hinterlegung die Voraussetzungen des § 372
Satz 2 BGB erfüllt.
a) Nach § 372 Satz 2 BGB ist der Schuldner unter anderem dann zur
Hinterlegung berechtigt, wenn er infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit
beruhenden Ungewißheit über die Person des Gläubigers seine
Verbindlichkeiten nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Das ist
dann der Fall, wenn eine mit verkehrsüblicher Sorgfalt vorgenommene Prüfung
zu begründeten Zweifeln über die Person des Gläubigers führt, deren Behebung
auf eigene Gefahr dem Schuldner nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß von einem Schuldner, dem die Erkenntnismöglichkeit
eines Gerichts nicht zur Verfügung steht, billigerweise nur begrenzte
Anstrengungen zur Ermittlung des Sachverhalts und zu seiner Subsumtion unter
das auf vielen Gebieten immer unübersichtlicher werdende geschriebene und
ungeschriebene Recht verlangt werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn
die Ungewißheit über die Person des Gläubigers überwiegend auf unklare
Abtretungsvorgänge zurückzuführen ist, die außerhalb des Einflußbereichs des
Schuldners liegen und allein von den davon Beteiligten zu verantworten sind
(BGH, Urteil vom 28. Januar 1997 - XI ZR 211/95 - WM 1997, 515, 517).
b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Die
Beklagte befand sich in einer schwierigen Lage, weil sowohl die Klägerin als
Zessionarin als auch die Gesamtvollstreckungsverwalterin der Zedentin als
Inhaber der Mietzinsforderungen auftraten und der Zahlung an die jeweils
andere Seite entschieden widersprachen. Zwar erfüllt dieser Umstand für sich
allein nicht die Voraussetzungen des § 372 Satz 2 BGB, weil das Auftreten
mehrerer Forderungsprätendenten den Schuldner grundsätzlich nicht von seiner
Prüfungspflicht befreit (BGH aaO). Im vorliegenden Fall kamen aber noch
weitere Umstände hinzu, aufgrund deren die Beklagte keine Gewißheit über die
Person ihres Gläubigers zu gewinnen vermochte.
aa) Dazu gehört in erster Linie die Unklarheit und Auslegungsbedürftigkeit
von § 2 Abs. 3 Satz 2 des Kaufvertrages, wonach "Einnahmen" auf den "Käufer"
übergehen. Zu Recht wendet die Revision ein, die Klausel lasse sich zwanglos
- entsprechend § 446 BGB - auch dahin auslegen, daß im Innenverhältnis der
Kaufvertragsparteien die Einnahmen der Käuferin zustehen sollten, es dagegen
im Außenverhältnis bei der gesetzlichen Regelung des § 571 BGB a.F.
verbleiben sollte, wonach der Erwerber erst mit Eigentumsübergang am
Mietobjekt Inhaber der Mietzinsansprüche wird. Für die entsprechende
Regelung in § 446 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht Einigkeit, daß sie nur im
Innenverhältnis der Parteien regelt, wem nunmehr die Mietzinsen gebühren (Palandt/Putzo,
BGB 62. Aufl. § 446 Rdn. 16; OLG Düsseldorf MDR 1994, 1009; Wolf/Eckert/
Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 8. Aufl. Rdn.
1398; Heile in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3.
Aufl. Kap. II Rdn. 865; Staudinger/Emmerich, BGB 13. Bearb. § 571 Rdn. 57).
Darüber hinaus bleibt im vorliegenden Fall offen, wann die "Miete" auf den
Erwerber übergehen sollte. Nach § 2 Abs. 1 des Kaufvertrages sollte dies
zwar einerseits zum 1. Dezember 1996 der Fall sein, weil die Übergabe zu
diesem Datum vereinbart war. Andererseits sollte aber wohl eine tatsächliche
Übergabe erfolgen, was sich aus Abs. 2 ergibt.
bb) Zu dieser - wenig präzisen - Regelung kommt hinzu, daß vor dem
dinglichen Vollzug des Kaufvertrages über das Vermögen der Verkäuferin am
31. Dezember 1996 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde. Die
Gesamtvollstreckungsverwalterin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 30.
Januar und 12. Mai 1997 zur Zahlung der fälligen Miete auf. Sie erklärte,
daß die Vermieterin die Mietzinsforderung an die Käuferin nicht abgetreten
habe, der Kaufvertrag im übrigen wegen Verstoßes gegen § 283 c StGB nichtig
sei und eine schuldbefreiende Leistung nur an sie als
Vollstreckungsverwalterin möglich sei. In dem genannten Schreiben vom 30.
Januar 1997 teilte die Gesamtvollstreckungsverwalterin der Beklagten
überdies mit, sie werde mit allen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln zu
verhindern suchen, daß Mieteinnahmen an die Käuferin flössen.
Unter diesen Umständen lagen objektiv verständliche Zweifel über die Person
des Gläubigers vor, aufgrund deren auch der Rechtsanwalt des Beklagten von
einer Hinterlegungslage ausging. Zu weiteren eigenen Ermittlungen über die
außerhalb seines eigenen Einfluß- und Kenntnisbereichs liegenden
Abtretungsvorgänge war die Beklagte nicht verpflichtet. Danach kommt es auf
die Frage, ob der Beklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, nicht
mehr an.
cc) Mit seiner Annahme, die in § 372 Satz 2 BGB geforderte Ungewißheit
bestehe nicht, weil die Beklagte nach § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB mit
befreiender Wirkung habe leisten können, weicht das Oberlandesgericht,
worauf die Revision zu Recht hinweist, von der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (Urteile vom 28. Januar 1997 - XI ZR 211/95 - WM 1997,
515, 517 und vom 19. Oktober 2000 - IX ZR 255/99 - NJW 2001, 231, 232) ab,
ohne sich mit der Problematik näher auseinanderzusetzen. Ob überhaupt ein
Fall des § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB vorliegt und die Beklagte im Falle der
Leistung an die Klägerin danach von ihrer Verbindlichkeit frei geworden
wäre, kann offenbleiben. Jedenfalls brauchte sie ihre Zweifel an der
Berechtigung der Klägerin wegen der etwaigen Abtretungsanzeige nicht
zurückzustellen. § 409 BGB begründet ebenso wie andere
Schuldnerschutzvorschriften (z.B. §§ 407, 808, 893 BGB) für den Schuldner
nur ein Recht, aber keine Pflicht zur Leistung an den Scheinberechtigten und
schließt daher eine Befugnis zur Hinterlegung nicht aus (BGH, Urteile vom
28. Januar 1997 und 19. Oktober 2000, aaO). Würde dem Schuldner in diesen
Fällen ein Hinterlegungsrecht versagt, entstünde für ihn ein mittelbarer
Zwang zur Leistung an den Scheinberechtigten (Münch-Komm/Wenzel aaO Rdn.
12). Das ist aber nicht der Zweck der Schuldnerschutzvorschriften.
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