´Verschuldensunabhängige
Haftung des Vermieters für anfängliche Mängel der Mietsache (§ 536a I Alt. 1
BGB), (objektiver) Fehlerbegriff bei Vermietung eines unsanierten Altbaus
BGH, Urteil vom 10. Mai 2006 - XII ZR
23/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zur Verantwortlichkeit des Vermieters
für Schäden an Sachen des Mieters, wenn die Schadensursache von einer
Gefahrenquelle ausgeht, die sich zwar im Mietgebäude befindet, aber nicht
mitvermietet ist und nicht dem Verantwortungsbereich des Vermieters
unterliegt (hier: verplombte Zähleranlage des E-Werks).
Zentrale Probleme:
Hat eine Mietsache bereits bei Vertragsschluß einen
Mangel, haftet der Vermieter nach § 536a I Alt. 1 BGB verschuldensunabhängig
auf Schadensersatz. Der Anspruch erstreckt sich nach hM auch auf den Ersatz
von Mangelfolgeschäden. Der BGH präzisiert hier, daß dies auch dann gilt,
wenn die Schadensursache von einer nicht mitvermieteten Sache ausgeht,
verneint aber in casu das Vorliegen eines Mangels.
©sl 2006
Tatbestand:
Die Klägerin macht Schadensersatz aus einem Mietvertrag geltend.
Sie mietete von der Beklagten mit Vertrag vom 31. Mai 1991 Räume zum Betrieb
einer Arztpraxis. Am 28. Dezember 2001 kam es in der Praxis der Klägerin zur
Beschädigung von Elektrogeräten. Ursache hierfür war, dass sich im
Stromzähler eine Aluminium-Klemmschraube gelöst hatte. Der Zähler steht im
Eigentum des Elektrizitätsversorgungsunternehmens, der Streithelferin der
Klägerin, die die Klägerin mit Strom beliefert hat. Er befindet sich im
Gebäude der Beklagten, aber außerhalb der Mieträume. Er ist verplombt und
darf nur von der Streithelferin geöffnet werden.
Das Landgericht hat der Klageforderung von 7.652,50 € in Höhe eines Betrages
von 4.675,93 € nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen
abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das
Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die
Anschlussberufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die
Klägerin mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Ein anfänglicher Mangel der
Mietsache sei nicht dargelegt. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte für das
Vorliegen einer bestimmten Sollbeschaffenheit der Elektroinstallation
vorgetragen. Demgemäß habe sie bei Abschluss des Mietvertrages nur eine
Installation erwarten können, wie sie für vergleichbare Objekte üblich
gewesen sei. Bei dem Mietobjekt handele es sich um einen DDR-Plattenbau, der
1971 errichtet und 1991, bei Abschluss des Mietvertrages, nicht saniert
gewesen sei. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, dass die
Elektroinstallation von dem danach zu erwartenden Standard abgewichen sei.
Sie behaupte nicht, dass die den Schaden auslösende Klemme bereits 1991
defekt gewesen sei. Vielmehr gehe sie von einer mangelhaften Wartung aus.
Die Lösung der Aluminiumklemme habe zu einer Spannung von 400 V am Nulleiter
geführt. Darin sei zwar ein nachträglicher Mangel der Mietsache zu sehen,
obwohl die Zähleranlage sich außerhalb der Mieträume befunden habe. Diesen
Mangel habe die Beklagte aber nicht zu vertreten. Zwar sei der Vermieter
verpflichtet, die Elektroinstallation der Mietsache zu warten und zu
überprüfen. Eine solche Verpflichtung bestehe aber nicht für die im Eigentum
des Elektrizitätsversorgungsunternehmens stehende Zähleranlage, in der der
schadenbegründende Fehler aufgetreten sei. Die Mieterin könne keine
Überwachungsleistung erwarten, durch deren Erfüllung der Vermieter gezwungen
wäre, unbefugt in fremde Rechte einzugreifen. Die Zähleranlage stehe im
Eigentum des Elektrizitätsversorgungsunternehmens. Die Überwachung und
Unterhaltung dieser Einrichtung sei deren Aufgabe. Durch die Verplombung der
Zählereinrichtung versage das Elektrizitätsversorgungsunternehmen Dritten
den Zugriff mit absoluter Wirkung. Für die Vermieterin sei der Bereich des
Zählers, in dem der Defekt aufgetreten sei, zu Wartungszwecken nicht
zugänglich. Schließlich habe das Elektrizitätsunternehmen - wenn auch
gegenüber dem Stromkunden - gemäß § 18 der
ElektrizitätsVersorgungsbedingungenVerordnung (AVBEltV) die Verpflichtung
zur Wartung. Es würde die Anforderungen an die Verantwortlichkeit des
Vermieters für Schäden an Einrichtungsgegenständen des Mieters überspannen,
wenn der Vermieter uneingeschränkt für Schäden einzustehen hätte, die im
Verantwortungsbereich des Elektrizitätsversorgungsunternehmens entstanden
seien, dem die Haftungserleichterung nach § 6 AVBEltV zugute komme.
2. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
a) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Klägerin habe unwidersprochen
vorgetragen, das verwendete Leitermaterial (Aluminium) führe zu einer sehr
viel schnelleren Lockerung der Kontakte. Wenn sich deshalb jederzeit
Spannungsspitzen bilden könnten, so weiche bereits diese risikoträchtige Art
der Installation von der Sollbeschaffenheit der Mietsache negativ ab; ein
Mangel im Sinne des § 536 a BGB liege nicht erst dann vor, wenn sich die
unzulängliche Elektroinstallation in einer Spannungsspitze realisiere.
aa) Ein Mangel der Mietsache liegt dann vor, wenn der nach dem Vertrag
vorausgesetzte Gebrauch beeinträchtigt ist. Es sind allein die
Vertragsparteien, die durch die Festlegung des dem Mieter jeweils
geschuldeten vertragsgemäßen Gebrauchs bestimmen, welchen Zustand die
vermietete Sache spätestens bei Überlassung an den Mieter und von da ab
während der gesamten Vertragsdauer aufweisen muss (Emmerich Mietrecht 8.
Aufl. § 536 Rdn. 2). Ein Mangel ist nur dann anzunehmen, wenn die
"Ist-Beschaffenheit" des Mietobjekts von der "Soll-Beschaffenheit" der
Mietsache abweicht. Haben die Parteien einen konkret gegebenen schlechten
Bauzustand als vertragsgemäß vereinbart, so sind insoweit Erfüllungs- und
Gewährleistungsansprüche des Mieters ausgeschlossen.
Ist keine ausdrückliche Regelung zum "Soll-Zustand" getroffen, muss anhand
von Auslegungsregeln (§§ 133, 157, 242 BGB) geprüft werden, was der
Vermieter schuldet bzw. welchen Standard der Mieter aufgrund seines
Vertrages vom Vermieter verlangen kann. Dabei ist die Verkehrsanschauung als
Auslegungshilfe heranzuziehen (Schmidt-Futterer/Eisenschmid Mietrecht 8.
Aufl. § 536 BGB Rdn. 7; Herrlein/Kandelhard Mietrecht 2. Aufl. § 536 Rdn.
7). In der Regel ist auf den Standard zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses
abzustellen, wobei Veränderungen der Anschauungen über den vertragsgemäßen
Standard oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Einzelfall zu einer
Vertragsanpassung führen können (Eisenschmid aaO Rdn. 19; Kandelhard aaO Rdn.
23).
bb) Diese Maßstäbe hat das Berufungsgericht beachtet und einen
anfänglichen Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 1. Alt. BGB zu Recht verneint.
Es ist durch Auslegung des Vertrages zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Klägerin bei Abschluss des Vertrages nur eine Elektroinstallation erwarten
konnte, wie sie für vergleichbare Objekte üblich war. Nach der nicht
angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts handelt es sich bei dem
Gebäude, in dem sich die Mieträume befinden, um einen DDR-Plattenbau, der
1971 neu errichtet und bei Abschluss des Mietvertrages im Jahre 1991 nicht
saniert war. Mangels gegenteiligen Vortrages der Klägerin durfte das
Berufungsgericht davon ausgehen, dass die Elektroinstallation danach nicht
von dem zu erwartenden Standard abwich und die schadenauslösende
Aluminiumklemme nicht bereits 1991 defekt war.
Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten.
Dessen Auslegung ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie
rechtsfehlerfrei vorgenommen worden ist und zu einem vertretbaren
Auslegungsergebnis führt, auch wenn ein anderes Auslegungsergebnis möglich
erscheint oder sogar näher liegt. Die tatrichterliche Auslegung kann deshalb
vom Revisionsgericht grundsätzlich nur daraufhin überprüft werden, ob der
Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder
allgemein anerkannte Auslegungsregeln, wie Denkgesetze oder allgemeine
Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf einem im
Revisionsverfahren gerügten Verfahrensfehler beruht (BGH, Senatsurteil vom
21. September 2005 - XII ZR 66/03 - NZM 2006, 54 f.). Solche
revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler werden von der Revision nicht
aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich.
b) Ebenfalls ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht
habe zu Unrecht einen Verstoß der Beklagten gegen ihre Überwachungspflicht
verneint. Zwar ist der Schaden unstreitig durch einen Defekt der
Zählereinrichtung entstanden, der bei regelmäßiger Überwachung hätte
vermieden werden können. Das Berufungsgericht ist aber ohne Rechtsverstoß
davon ausgegangen, dass die Beklagte zur Überwachung des Zählerkastens nicht
verpflichtet war.
aa) Allerdings scheidet, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt
hat, ein Schadensersatzanspruch nicht schon deshalb aus, weil die
Zähleranlage sich außerhalb der Mieträume befindet. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 27. März 1972 - VIII ZR
177/70 - WM 1972, 658) können nämlich auch solche Gefahrenquellen, die sich
zwar außerhalb der Mietsache, aber im selben Gebäude befinden und sich
während der Mietzeit auf die Mieträume auswirken, einen Mangel der Mietsache
darstellen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Vermieter für
Gefahrenquellen, die zu seinem Herrschafts- und Einflussbereich gehören,
einstehen muss. Der Mieter darf darauf vertrauen, dass der Vermieter die
Mietsache jedenfalls vor solchen Gefahrenquellen schützt, für die er
verantwortlich ist.
bb) So liegen die Dinge im vorliegenden Fall aber nicht. Zu Recht weist das
Berufungsgericht nämlich darauf hin, dass sich der Zählerkasten zwar im
Gebäude der Vermieterin befindet, die Kontrolle des Kastens aber dem
Einfluss der Vermieterin entzogen ist. Der Zähler steht im Eigentum der
Streithelferin, war verplombt und durfte von der Beklagten nicht geöffnet
werden. Diese war damit zu einer effektiven Überwachung von vornherein nicht
in der Lage, ohne ihrerseits die Rechte des
Elektrizitätsversorgungsunternehmens zu verletzen. Die Anbringung,
Überwachung und Unterhaltung der Mess- und Steuereinrichtung war, worauf das
Berufungsgericht zu Recht hinweist, nach § 18 Abs. 3 Satz 3 AVBEltV Aufgabe
des Elektrizitätsversorgungsunternehmens.
Es kommt hinzu, dass die Klägerin mit der Streithelferin einen eigenen
Stromlieferungsvertrag geschlossen hat. Der Zähler des
Elektrizitätsversorgungsunternehmens, an dem der Mangel aufgetreten ist, kam
zwar mittelbar auch der Vermieterin zugute, diente aber in erster Linie der
Durchführung des Liefervertrages mit der Klägerin. Diese konnte danach
redlicherweise nicht davon ausgehen, dass die Beklagte den Zähler, nur weil
er in ihrem Gebäude angebracht war, überwachen würde. Sie durfte und musste
vielmehr damit rechnen, dass diese Aufgabe von ihrer Lieferantin, der
Streithelferin erfüllt würde. |