Akzessorietät der Bürgschaft; Einrede der
Verjährung der Hauptschuld (§ 768 I 1 BGB) nach rechtskräftiger Verurteilung
des Hauptschuldners; analoge Anwendung von § 769 II BGB bei
verzichtsähnlicher Prozessführung durch den Hauptschuldner
BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 - XI ZR
242/15 - OLG Frankfurt/Main
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Der Bürge verliert das Recht,
sich gegenüber dem Gläubiger auf den Ablauf der ursprünglichen
Regelverjährung der Hauptforderung zu berufen, wenn aufgrund eines gegen den
Hauptschuldner ergangenen rechtskräftigen Urteils gegen diesen eine neue
30-jährige Verjährungsfrist in Lauf gesetzt wird, und sich der
Hauptschuldner erfolglos auf die Einrede der Verjährung berufen hatte
(Klarstellung BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222).
Zentrale Probleme:
Ein Bürge kann nach § 768 I 1 BGB auf die Einreden des
Hauptschuldners erheben (sog. Durchsetzbarkeitsakzessorietät). Nach § 768 II
BGB gilt das auch dann, wenn der Hauptschuldner auf die Einrede gegenüber
dem Gläubiger verzichtet. Dazu gehört u.a. die Verjährung, aber auch der
Einwand rechtskräftiger Abweisung der Hauptforderung in einem Verfahren
zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner. Hier war durch eine
rechtskräftige Verurteilung des Schuldners eine längere Verjährungsfrist
(30-jährige) in Gang gesetzt worden (§ 197 I Nr. 3 BGB). Da damit der
Hauptschuldner nicht mehr die Einrede der Verjährung erheben kann, kann das
auch der Bürge nicht mehr. Das ist eine materiellrechtliche Folge des
Urteils im verfahren Gläubiger/Hauptschuldner und keine (unzulässige)
Rechtskrafterstreckung gegen den Bürgen. Dem Bürgen kann dann nur noch eine
analoge Anwendung von § 768 II BGB helfen, wenn das Prozessverhalten des
Hauptschuldners in dem Verfahren, in welchem er verurteilt wurde,
wertungsmäßig einem Verzicht gleichkommt (zB bei Nichterheben einer
Verjährungseinrede, Säumnis oder im Falle eines Anerkenntnisses).
Die Entscheidung ist für BGHZ vorgesehen, weil vorgängige Urteile des BGH
möglicherweise anders verstanden werden können. Gerade wegen der generellen
Ausführungen über die Akzessorietät der Bürgschaft ist sie ungemein lehrreich.
Lesen!
©sl 2016
Tatbestand:
1 Die Klägerin nimmt den Beklagten aus
zwei selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaften in Anspruch.
2 Mit Verträgen vom 30. September 1992 und 23. März 1993 gewährte eine
Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden: Klägerin) der früheren Ehefrau
des Beklagten S. und Frau H. (im Folgenden: Hauptschuldnerin) zwei
grundschuldgesicherte Darlehen in Höhe von 650.000 DM und 850.000 DM für den
Ankauf und die Sanierung einer Wohnanlage. In gleicher Höhe übernahm der
Beklagte der Klägerin gegenüber am 26. Oktober 1992 und am 20. Juli 1993
zwei unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaften zur Sicherung aller
Ansprüche aus der Geschäftsverbindung der Klägerin zu den
Darlehensnehmerinnen. Am 9. Mai 1995 wurde die frühere Ehefrau des Beklagten
aus der Haftung für beide Darlehen entlassen. Mit Einwilligung des Beklagten
vom 13. Januar 1997 wurde die Tilgung der Darlehen in der Zeit vom 10.
Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1998 und ohne seine Zustimmung auch darüber
hinaus ausgesetzt. Die Hauptschuldnerin unterzeichnete am 16. Januar 1997
zwei Fortsetzungsvereinbarungen unter den Geschäftsnummern der
ursprünglichen Darlehensverträge. Nach Zahlungseinstellung durch die
Hauptschuldnerin und Anordnung der Zwangsverwaltung über die Immobilie
kündigte die Klägerin am 29. Juni 2001 die Geschäftsverbindung zur
Hauptschuldnerin und stellte die Hauptforderung in Höhe von 1.431.759,61 DM
zzgl. Zinsen und Kosten fällig. Ab Februar 2002 verhandelte sie mit der
Hauptschuldnerin über eine vergleichsweise Lösung. Am 4. Juni 2004 nahm sie
den Beklagten aus den Bürgschaften in Anspruch. Am 13. Oktober 2004 erhob
sie Bürgschaftsklage, die dem Beklagten am 5. November 2004 zugestellt
wurde. Am 19. Juni 2007 teilte die Klägerin dem Landgericht mit, dass die
"langwierigen außergerichtlichen Verhandlungen" zwischen den Beteiligten
gescheitert seien. Am 2. März 2007 erwirkte sie die Anordnung der
Zwangsversteigerung der Immobilie und am 27. Dezember 2007 den Erlass eines
Mahnbescheids gegen die Hauptschuldnerin. Nach Überleitung in das streitige
Verfahren ist die Hauptschuldnerin mit Urteil vom 13. März 2009 vom
Landgericht Frankfurt am Main in dem Verfahren 2-20 O 152/08 rechtskräftig
zur Zahlung von 714.010,84 € aus den streitgegenständlichen
Darlehensverträgen an die Klägerin verurteilt worden. Die Hauptschuldnerin
hatte sich in diesem Verfahren auf die Verjährung des Zahlungsanspruches
berufen. Das Landgericht Frankfurt am Main hat ihren diesbezüglichen Vortrag
jedoch für nicht hinreichend substantiiert erachtet. Von einer Berufung
gegen das landgerichtliche Urteil hat die Hauptschuldnerin abgesehen.
3 Der Beklagte hat verschiedene Einwendungen gegen die Bürgschaften und die
Hauptforderung erhoben und sich unter anderem auf die Verjährung der
Hauptforderung berufen. Die gegen ihn zuletzt auf Zahlung von 697.481,42 €
nebst Zinsen gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen zunächst erfolglos
geblieben. Mit Urteil vom 26. Januar 2010 (XI ZR 12/09, juris) hat der
erkennende Senat das Urteil des Berufungsgerichts vom 11. Dezember 2008
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückverwiesen, um unter anderem Feststellungen zur Dauer
der Verhandlungen zwischen der Hauptschuldnerin und der Beklagten zu
treffen. Dabei war dem Senat nicht mitgeteilt worden, dass die Klägerin am
13. März 2009 vor dem Landgericht Frankfurt am Main in dem Verfahren 2-20 O
152/08 ein Urteil über die Hauptforderung in Höhe von 714.010,84 € gegen die
Hauptschuldnerin erstritten hatte, das nach dem Vermerk des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle vom 20. Juli 2009 rechtskräftig ist.
4 Mit Grundurteil vom 13. Mai 2015 hat das Berufungsgericht die Ansprüche
der Klägerin aus den Bürgschaften dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt. Der Beklagte verfolgt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision seinen Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für
das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
7 Die Berufung der Klägerin sei zulässig und zumindest insoweit begründet,
als das Landgericht eine Bürgenhaftung des Beklagten bereits dem Grunde nach
verneint habe. Die vom Beklagten gegen seine Bürgschaftsverpflichtung als
solche vorgebrachten Einwände griffen nicht durch. Vielmehr sei nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass sich der Beklagte auch
für die Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin verbürgt habe. Eine
Beschränkung seiner Bürgenstellung auf die Verbindlichkeiten seiner früheren
Ehefrau habe er nicht nachweisen können. Eine Schuldumschaffung habe
ebenfalls nicht stattgefunden.
8 Der Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf die Verjährung der
Hauptforderung berufen. Zwar sei ihm dies nicht nach Treu und Glauben
verwehrt, und es bleibe auch zweifelhaft, ob die Verjährung zwischen dem 1.
Januar 2002 und dem Tag des Eingangs des gegen die Hauptschuldnerin
gerichteten Mahnbescheidsantrages der Klägerin bei Gericht am 10. Dezember
2007 ausreichend lange durch ernsthafte Verhandlungen zwischen der Klägerin
und der Hauptschuldnerin gehemmt gewesen sei. Zum einen sei schon fraglich,
ob diese Verhandlungen tatsächlich bereits am 19. Februar 2002 begonnen
hätten. Zum anderen erscheine zweifelhaft, ob die von der Klägerin
behaupteten einvernehmlichen Verhandlungspausen zum Nachteil des Beklagten
als Bürgen wirken könnten. Hinzu komme, dass auch die Übertragbarkeit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Wirkung einer Verjährungshemmung
durch Verhandlungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner zugunsten des
Bürgen (Senatsurteil vom 14. Juli 2009 - XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 19
ff.) auf derartige Verhandlungspausen fraglich sei. Jedoch komme es hierauf
nicht an, da die Hauptschuldnerin trotz der von ihr im Parallelprozess
erhobenen Verjährungseinrede rechtskräftig verurteilt und ihr damit diese
Einrede aberkannt worden sei.
9 Entscheidend sei deshalb die Frage, ob und inwieweit sich ein
Bürge, der nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB die dem Hauptschuldner zustehenden
Einreden geltend machen könne, noch mit Erfolg auf eine Einrede berufen
könne, die dem Hauptschuldner selbst nach einem rechtskräftigen Urteil nicht
mehr zustehe. Dass ein zwischen Gläubiger und Hauptschuldner ergangenes
Urteil nach § 325 Abs. 1 ZPO nur zwischen diesen Parteien Rechtskraftwirkung
entfalte, ändere materiell-rechtlich nichts daran, dass die dem Bürgen im
Hinblick auf die verbürgte Schuld zustehenden Einreden nach § 768 Abs. 1
Satz 1 BGB grundsätzlich identisch mit den Einreden seien, die der
Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger erheben könne. Dies entspreche dem
Grundkonzept der Bürgschaft, wonach der Gläubiger vom Bürgen nur dasjenige
erhalten solle, was er vom Hauptschuldner nach dem jeweiligen Stand der
besicherten Hauptforderung noch beanspruchen könne.
10 Deshalb sei es konsequent, dem Bürgen gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB die
Einrede zuzugestehen, dem Gläubiger sei die Forderung im Prozess gegen den
Hauptschuldner aberkannt worden, obwohl es insoweit an einer
Rechtskrafterstreckung des zwischen Gläubiger und Hauptschuldner ergangenen
Urteils im Sinne von § 325 Abs. 1 ZPO fehle. Ebenso konsequent sei es aber,
auch bei der Beantwortung der Frage, ob der Bürge eine Einrede noch erheben
könne, die dem Hauptschuldner selbst im Verhältnis zum Gläubiger nicht mehr
zustehe, auf den Sinn und Zweck des § 768 Abs. 2 BGB abzustellen.
11 Die rechtskräftige Verurteilung der Hauptschuldnerin stünde daher
nur dann der Erhebung der Einrede der Verjährung der Hauptschuld durch den
Beklagten nicht entgegen, wenn es zu dieser Verurteilung aufgrund eines
Verhaltens der Hauptschuldnerin gekommen wäre, das bei wertender Betrachtung
wie ein Einredeverzicht im Sinne von § 768 Abs. 2 BGB zu behandeln sei.
Ein solches Verhalten der Hauptschuldnerin sei aber nicht feststellbar.
Weder sei die Hauptschuldnerin im Prozess mit der Klägerin säumig geblieben
noch habe sie es unterlassen, die Verjährungseinrede zu erheben. Auch sei
den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt am Main im Verfahren 2-20 O
152/08 kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sich die Hauptschuldnerin,
die verschiedene Einwände gegen die Darlehensrückzahlungsansprüche der
Klägerin erhoben habe, nur zum Schein gegen die Klage verteidigt hätte.
12 Ein wie ein Einredeverzicht nach § 768 Abs. 2 BGB zu wertendes Verhalten
könne auch nicht dem Einwand des Beklagten entnommen werden, die
Hauptschuldnerin habe sich im Prozess mit der Klägerin "schlecht"
verteidigt. Allein die Wertung des Landgerichts Frankfurt am Main, es habe
"an substantiiertem Vortrag" der Hauptschuldnerin zur Beendigung der
Verjährungshemmung gefehlt, genüge dafür ohne näheren Tatsachenvortrag des
Beklagten zu etwaigen Versäumnissen der Hauptschuldnerin bei ihrer
Prozessführung gegen die Klägerin nicht.
II.
13 Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand,
so dass die Revision zurückzuweisen ist.
14 Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der
Beklagte als Bürge auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung der
Hauptschuldnerin zur Rückzahlung der verbürgten Verbindlichkeit nicht mehr
gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Ablauf der ursprünglichen
Regelverjährung der Hauptverbindlichkeit - der mangels Feststellungen des
Berufungsgerichts revisionsrechtlich zugunsten des Beklagten zu unterstellen
ist - berufen kann. Auch § 768 Abs. 2 BGB greift nicht zu seinen Gunsten
ein, da ein einem Einredeverzicht nach § 768 Abs. 2 BGB vergleichbares
Prozessverhalten der Hauptschuldnerin, das zu deren Verurteilung geführt
hat, vom Beklagten nicht substantiiert dargelegt worden ist. Die
Durchsetzung der Forderung der Klägerin gegen den Beklagten stellt sich auch
nicht als unzulässige Rechtsausübung dar.
15 1. Der Beklagte kann sich auf Grund der rechtskräftigen
Verurteilung der Hauptschuldnerin zur Rückzahlung der verbürgten
Verbindlichkeit nicht mehr gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den zu seinen
Gunsten zu unterstellenden Ablauf der ursprünglichen Regelverjährung der
Hauptverbindlichkeit berufen.
16 a) Gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Bürge gegenüber dem
Gläubiger neben seinen eigenen Einreden aus dem Bürgschaftsverhältnis auch
die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Er kann dies
aber nur insoweit tun, wie diese Einreden dem Hauptschuldner selbst noch
zustehen. Verliert der Hauptschuldner eine Einrede (etwa die Einrede der
Stundung oder die der fehlenden Fälligkeit durch Zeitablauf), verliert sie
auch der Bürge - mit Ausnahme der Fälle des § 768 Abs. 2 BGB (BGH,
Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 229; Palandt/Sprau,
BGB, 75. Aufl., § 768 Rn. 6; MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., § 768 Rn. 4;
BeckOK-BGB/Rohe, Stand: 1. Mai 2016, § 768 Rn. 6).
17 b) Für die Frage, ob dem Hauptschuldner eine Einrede im Sinne des § 768
Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht, kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen
Tatsachenverhandlung an. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des §
768 Abs. 1 Satz 1 BGB („zustehenden Einreden"), zum anderen aus § 768 Abs. 2
BGB. Diese Vorschrift würde eines eigenständigen Regelungsgehalts entbehren,
wenn es für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB
nur darauf ankäme, ob dem Hauptschuldner die Einrede ursprünglich
zugestanden hat.
18 c) Im vorliegenden Verfahren stand der Hauptschuldnerin zum
Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im vorliegenden
Prozess die Einrede der Verjährung nicht mehr zu. Dies folgt aus
ihrer rechtskräftigen Verurteilung zur Rückzahlung von 714.010,84 € aus den
mit der Klägerin geschlossenen Darlehensverträgen.
19 aa) Zwar erwächst eine Entscheidung über die Einreden einer
Partei nicht in Rechtskraft (vgl. BGH, Urteile vom 19. Dezember
1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 3, vom 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92, BGHZ
123, 137, 140, vom 11. November 1994 - V ZR 46/93, WM 1995, 266 und vom 13.
November 1998 - V ZR 29/98, WM 1999, 549, 550; MünchKommZPO/Gottwald, 4.
Aufl., § 322 Rn. 108; PG/Völzmann-Stickelbrock, ZPO, 8. Aufl., § 322 Rn. 33;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 322 Rn. 19;
Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 37. Aufl., § 322 Rn. 30). Dennoch geht
von einer solchen Entscheidung eine präjudizielle Wirkung insoweit aus, als
für den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung in dem
zugrunde liegenden Verfahren bindend festgestellt ist, dass der betreffenden
Partei die Einrede nicht zusteht (vgl. PG/Völzmann-Stickelbrock,
ZPO, 8. Aufl., § 322 Rn. 33; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 37. Aufl., § 322
Rn. 30). Ließe man ein anderes Ergebnis zu, könnte die Entscheidung
in einem Folgeprozess der Sache nach auf das kontradiktorische Gegenteil des
im Vorprozess zuerkannten Anspruchs gestützt werden. Dies wäre jedoch mit
der Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils unvereinbar
(BGH, Urteil vom 26. Juli 2005 - X ZR 109/03, WM 2006, 1124, 1125 f.; vgl.
auch BGH, Urteile vom 19. Dezember 1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 4 f. und
vom 13. November 1998 - V ZR 29/98, WM 1999, 549, 550).
20 bb) Dementsprechend hat vorliegend die rechtskräftige
Verurteilung der Hauptschuldnerin zur Folge, dass dieser die Einrede der
Verjährung nicht mehr im Sinne des § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB „zusteht" und sie
daher auch der Beklagte als Bürge nicht mehr geltend machen kann
(vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 206, 207 zu § 770 Abs. 2 BGB;
Staudinger/Horn, BGB, Neubearb. 2013, § 768 Rn. 26). Dafür, dass die
Hauptschuldnerin bis zum Schluss der mündlichen Tatsachenverhandlung im
vorliegenden Verfahren die Einrede der Verjährung erneut (etwa durch eine
entsprechende Parteivereinbarung) erlangt hätte (vgl. BGH, Urteile 13.
November 1998 - V ZR 29/98, WM 1999, 549, 550 und vom 26. Juli 2005 - X ZR
109/03, WM 2006, 1124, 1126), bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte;
solche werden vom Beklagten auch nicht behauptet. Nach der
rechtskräftigen Verurteilung der Hauptschuldnerin zur Zahlung der verbürgten
Schuld ist lediglich eine neue, hier noch nicht abgelaufene 30-jährige
Verjährungsfrist von Gesetzes wegen gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB angelaufen.
21 cc) Entgegen der Auffassung der Revision ist dieses Ergebnis
nicht Folge einer Rechtskrafterstreckung nach § 325 ZPO einer den
Hauptschuldner verurteilenden Entscheidung zu Lasten des Bürgen.
Dass eine rechtskräftige Entscheidung gegen den Hauptschuldner dem Bürgen
die Möglichkeit nimmt, sich gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Einreden zu
berufen, die dem Hauptschuldner bis zu dessen Verurteilung zugestanden
haben, ergibt sich vielmehr aus der materiell-rechtlichen Vorschrift
des § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach deren nicht auf einen früheren,
sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung
bezogenen Wortlaut kann der Bürge nur die dem Hauptschuldner noch
"zustehenden Einreden" erheben.
22 dd) Auch die akzessorische Natur der Bürgschaftsschuld steht
dieser Auslegung nicht entgegen. Der Akzessorietätsgrundsatz
gebietet es nicht, dass eine im Prozess des Gläubigers gegen den
Hauptschuldner ergangene rechtskräftige Entscheidung bei der Anwendung des §
768 Abs. 1 Satz 1 BGB dieselben Wirkungen entfaltet, wie bei der Anwendung
des § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB.
23 (1) Akzessorietät bedeutet die Abhängigkeit eines
Sicherungsrechts vom Bestand des gesicherten Rechts
(Erman/Herrmann, BGB, 14. Aufl., vor § 765 Rn. 3; Soergel/Gröschler, BGB,
13. Aufl., vor § 765 Rn. 12; Beckmann in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 3. Aufl.,
vor §§ 765 ff Rn. 6). Dementsprechend setzt die Bürgschaft eine
bestehende Verbindlichkeit voraus (Mugdan, Materialien, II 659;
MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., § 765 Rn. 61; Soergel/Gröschler,BGB, 13.
Aufl., vor § 765 Rn. 12; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 765 Rn. 28; PWW/Brödermann,
BGB, 11. Aufl., vor §§ 765 ff. Rn. 10).
24 (2) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB
(„der jeweilige Bestand"), der auf den materiell-rechtlichen Bestand der
Hauptschuld Bezug nimmt, welcher durch die rechtskräftige Verurteilung des
Hauptschuldners nicht beeinflusst wird (Soergel/Gröschler, BGB, 13. Aufl., §
765 Rn. 67). Sinn und Zweck der Übernahme der Bürgschaft ist, wie sich aus §
765 Abs. 1 BGB ergibt, die Sicherung der Forderung des Gläubigers gegen den
Hauptschuldner, wenn deren anderweitige Erfüllung unterbleibt (Mugdan,
Materialien, II S. 659; MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., § 765 Rn. 1;
Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., vor § 765 Rn. 2). Damit wäre es unvereinbar,
wenn der Bürge für die Erfüllung der Forderung auch dann einzustehen hätte,
wenn diese entweder nicht entstanden oder bereits erloschen wäre, denn dies
liefe auf die Begründung einer neuen, nicht akzessorischen Forderung
gegenüber dem Bürgen hinaus.
25 (3) Erlischt die Hauptverbindlichkeit zum Beispiel durch
Aufrechnung oder Erfüllung, erlischt daher auch die Verpflichtung des Bürgen
(RGZ 122, 146, 148; Soergel/Gröschler, BGB, 13. Aufl., § 767 Rn. 5;
Erman/Herrmann, BGB, 14. Aufl. § 767 Rn. 3; Bamberger/Roth/Rohe, BGB, 3.
Aufl., § 765 Rn. 132; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 765 Rn. 29).
Spiegelbildlich dazu lebt im Fall des Wiederauflebens der
Hauptverbindlichkeit auch die Verpflichtung des Bürgen wieder auf, so zum
Beispiel, wenn der Gläubiger gemäß § 144 InsO eine empfangene anfechtbare
Leistung dem Hauptschuldner zurückgewährt (BGH, Urteil vom 24.
Oktober 1973 - VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354 zu § 39 KO; OLG Brandenburg,
ZInsO 2004, 504, 506; OLG München, ZIP 2009, 1310, 1311; Staudinger/Horn,
BGB, Neubearb. 2013, § 767 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl., § 144
Rn. 10c; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 765 Rn. 29).
26 (4) Einreden wie die der Verjährung berühren dagegen nicht den
Bestand der Hauptschuld. § 768 Abs. 1 BGB enthält daher im engeren Sinne
keine Regelung der Akzessorietät der Bürgschaft selbst, sondern eine
Regelung zur Erweiterung dieser Akzessorietät (Soergel/Gröschler,
BGB, 13. Aufl., § 768 Rn. 1; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 768 Rn. 1).
Dementsprechend wird die Regelung in § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auch
als „Ausdehnung" (Erman/Herrmann, BGB, 14. Aufl., § 768 Rn. 1),
„weitere Ausprägung" (MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., §
768 Rn. 1), „Folge" (Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 768 Rn. 1), oder
„Ausfluss" (Soergel/Gröschler, BGB, 13. Aufl., § 768 Rn. 1) des
Akzessorietätsgrundsatzes verstanden.
27 (5) Welchen Inhalt § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB hat, kann danach dem
Akzessorietätsgrundsatz selbst nicht entnommen werden, obwohl dieser für den
Gesetzgeber bei der Normierung des Bürgschaftsrechts maßgebend war (vgl.
Mugdan, Materialien, II 661). Der Akzessorietätsgrundsatz lässt keinen
sicheren Schluss darauf zu, ob es im Rahmen des § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB
darauf ankommt, ob der Hauptschuldner nur nach dem materiellen Recht eine
Einrede hat (Gleichklang bei der materiellen Rechtslage), oder darauf, ob er
diese Einrede auch durchsetzen kann (Gleichklang bei der Durchsetzbarkeit).
Die Literatur spricht insoweit davon, dass die Schuld des Bürgen
eine von der Durchsetzbarkeit der Hauptschuld abhängige Schuld ist
(Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., vor § 765 Rn. 1; MünchKommBGB/Habersack, 6.
Aufl., § 765 Rn. 61; Erman/Müller/Herrmann, BGB, 14. Aufl., vor § 765 Rn. 3;
PWW/Brödermann, BGB, 11. Aufl., vor §§ 765 ff. Rn. 10).
28 (6) Die Revision kann sich infolge dessen nicht mit Erfolg auf das Urteil
des Reichsgerichts vom 8. Oktober 1928 (RGZ 122, 146 ff.) berufen. Dort hat
das Reichsgericht entschieden, dass dem Bürgen die durch die Aufrechnung des
Hauptschuldners erlangte Einwendung gemäß § 767 Abs. 1 BGB auch dann
erhalten bleibt, wenn dem Hauptschuldner seine auf die Aufrechnung
gegründete Einwendung rechtskräftig aberkannt worden ist (aaO 148). Wie
dargestellt, ergibt sich dieses Ergebnis jedoch unmittelbar aus § 767 Abs. 1
Satz 1 BGB, ohne dass es des vom Reichsgericht in einem früheren Urteil (RGZ
56, 109 ff.) vorgenommenen Rückgriffs auf § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB bedarf.
29 (7) Nicht im Widerspruch dazu steht, dass sich der Bürge auf die
rechtskräftige Aberkennung der Forderung des Gläubigers gegen den
Hauptschuldner berufen kann. Denn gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann er die
dem Hauptschuldner zustehenden Einreden, mithin auch geltend machen, dass
dem Gläubiger seine Forderung gegen den Hauptschuldner rechtskräftig
aberkannt worden ist (BGH, Urteile vom 17. Februar 1965 - VIII ZR
158/63, WM 1965, 579, 580 und vom 24. November 1969 - VIII ZR 78/68, WM
1970, 12; Soergel/Gröschler, BGB, 13. Aufl., § 765 Rn. 67).
30 ee) Unabhängig davon geht von einem im Verfahren des Gläubigers gegen den
Hauptschuldner ergangenen Urteil nicht nur eine präjudizielle Wirkung
insoweit aus, als für den Zeitpunkt der letzten mündlichen
Tatsachenverhandlung in dem zugrunde liegenden Verfahren bindend
festgestellt ist, dass dem Hauptschuldner die ursprünglich bestehende
Einrede der Verjährung nicht mehr zusteht. Vielmehr hat die
rechtskräftige Verurteilung des Hauptschuldners auch zur Folge, dass zu
dessen Lasten kraft Gesetzes gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB eine neue,
30-jährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt wird. Eine Einrede im
Sinne von § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB steht dem Hauptschuldner aus diesem Grund
nicht mehr zu. Auch dieses Ergebnis ist nicht Folge einer
Rechtskrafterstreckung nach § 325 ZPO. Es ergibt sich vielmehr aus
dem Zusammenspiel der beiden materiell-rechtlichen Bestimmungen des § 768
Abs. 1 Satz 1 BGB und des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
31 ff) Dass der Hauptschuldner nach seiner rechtskräftigen Verurteilung -
außer im Fall des § 768 Abs. 2 BGB - dem Gläubiger nicht gemäß § 768 Abs. 1
Satz 1 BGB die Einrede der Verjährung entgegenhalten kann, hat der
Bundesgerichtshof bereits entschieden (BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII
ZR 115/79, BGHZ 76, 222 ff.).
32 (1) In diesem Urteil hat der VIII. Zivilsenat, der damals für das
Bürgschaftsrecht zuständig war, ausgeführt, dass eine rechtskräftige
Verurteilung eine neue 30-jährige Verjährungszeit in Lauf setzt (§ 218 BGB
aF), so dass der Hauptschuldnerin nunmehr keine Verjährungseinrede mehr
zusteht, auf die sich der Bürge nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen könnte
(BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 229
vorletzter Satz). Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre
die sich daran anschließende Prüfung einer analogen Anwendung des § 768 Abs.
2 BGB entbehrlich gewesen, wenn der VIII. Zivilsenat hätte zum Ausdruck
bringen wollen, dass bereits die fehlende Rechtskraftwirkung nach § 325 Abs.
1 ZPO dazu führen würde, dass die Verurteilung des Hauptschuldners im
Verhältnis zwischen Gläubiger und Bürge auch materiell-rechtlich gänzlich
unbeachtlich sei.
33 (2) Der VIII. Zivilsenat hat in jener Entscheidung aber auch dem
entgegengesetzte Formulierungen verwendet (BGH, Urteil vom 12. März 1980
- VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 230 f. und zweiter Leitsatz), die Eingang in
die Kommentarliteratur gefunden haben (MünchKommBGB/Habersack, 6. Aufl., §
768 Rn. 11, Soergel/Gröschler, BGB, 13. Aufl., § 767 Rn. 22 und § 768 Rn. 9;
jurisPK-BGB/Prütting, 7. Aufl., § 768 Rn. 10 und Jauernig/Stadler, BGB, 16.
Aufl., § 768 Rn. 7). Diese Ausführungen standen aber im Zusammenhang mit der
vom VIII. Zivilsenat vorgenommenen Prüfung, ob ein Handeln des dortigen
Hauptschuldners vorlag, das einem Verzicht auf die Einrede der Verjährung (§
768 Abs. 2 BGB) gleichstand. Sie können deshalb ungeachtet ihrer abstrakten
Fassung nicht über die Fälle des § 768 Abs. 2 BGB hinaus verallgemeinert
werden. Der erkennende Senat kann dies klarstellen, ohne gemäß § 132 GVG den
Großen Senat für Zivilsachen anrufen zu müssen, denn er ist nach der
Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofs seit dem 1. Januar 2001 allein
für das Bürgschaftsrecht zuständig (vgl. Senatsurteile vom 14. Mai 2002 - XI
ZR 50/01, BGHZ 151, 34, 39 und XI ZR 81/01, WM 2002, 1350, 1352).
34 2. Entgegen der Auffassung der Revision greift vorliegend auch nicht §
768 Abs. 2 BGB analog mit der Folge ein, dass sich der Beklagte auf die
Verjährung der Hauptverbindlichkeit berufen könnte. Weder die behauptete
"schlechte Prozessführung" der Hauptschuldnerin noch deren Nichteinlegung
von Rechtsmitteln gegen die ihr ungünstige Entscheidung des Landgerichts
Frankfurt am Main in dem Verfahren 2-20 O 152/08 stellen nach den Umständen
des Falles ein einem Einredeverzicht nach § 768 Abs. 2 BGB vergleichbares
Prozessverhalten dar.
35 a) Zwar verliert der Bürge eine Einrede nicht dadurch, dass der
Hauptschuldner auf sie verzichtet (§ 768 Abs. 2 BGB), was auch für
die Verjährungseinrede unabhängig davon gilt, ob die Verjährung im Zeitpunkt
des Verzichts bereits eingetreten war oder nicht (Senatsurteile vom 18.
September 2007 - XI ZR 447/06, WM 2007, 2230 Rn. 18 und vom 14. Juli 2009 -
XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 20). Ebenso trifft es zu, dass § 768
Abs. 2 BGB auf jedes Prozessverhalten des Hauptschuldners entsprechend
anzuwenden ist, das einem rechtsgeschäftlichen Verzicht gleichkommt, wie
etwa auf das Nichterheben der Verjährungseinrede (BGH, Urteil vom
12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 230; Soergel/Gröschler, BGB,
13. Aufl., § 768 Rn. 14), die Säumnis (BGH, Urteil vom 12. März 1980, aaO)
oder ein Anerkenntnis (Senatsurteil vom 18. September 2007 - XI ZR 447/06,
WM 2007, 2230 Rn. 18).
36 b) Damit ist es in der Regel nicht vergleichbar, wenn sich der
Hauptschuldner im Prozess gegen den Gläubiger auf die Einrede der Verjährung
beruft und er aufgrund einer streitigen Entscheidung aus tatsächlichen oder
rechtlichen Gründen unterliegt. Ein solches Prozessverhalten des
Hauptschuldners steht einem Einredeverzicht im Sinne von § 768 Abs. 2 BGB
grundsätzlich nicht gleich (Schneider, MDR 1980, 799, 800; Geldmacher, NZM
2003, 502, 505; Herrmann, Verjährung, Verjährungsbeginn und Regress bei
Bürgschaft und Gesamtschuld, 2012, S. 141).
37 Zum einen fehlt es in solchen Fällen bereits an einer Verfügung
oder einem verfügungsgleichen Verhalten des Hauptschuldners über die Einrede
(vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2009 - XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76
Rn. 22), denn der Hauptschuldner verliert die Möglichkeit, die Einrede
geltend zu machen, aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung. Zum
anderen entfällt in diesem Falle die Durchsetzbarkeit der Verjährungseinrede
gegen den erklärten Willen des Hauptschuldners, woran es im Falle
eines Verzichts, einer Säumnis, des Nichterhebens der Verjährungseinrede
oder eines Anerkenntnisses ersichtlich fehlt. Damit fehlt es für eine
analoge Anwendung des § 768 Abs. 2 BGB im Falle einer "schlechten
Prozessführung" durch den Hauptschuldner im Prozess mit dem Gläubiger auch
an einer diesen Tatbeständen immanenten vergleichbaren Interessenlage. Nur
dann, wenn die Verjährungseinrede erhoben wird und bewusst Vortrag
unterdrückt wird, der zu ihrer Begründung erforderlich ist, könnte von einem
verzichtsähnlichen Verhalten ausgegangen werden (vgl. Senatsurteil aaO Rn.
24 aE zu Scheinverhandlungen). Die von dem Beklagten pauschal behauptete
„schlechte" Prozessführung ist hingegen nicht geeignet, eine analoge
Anwendung von § 768 Abs. 2 ZPO zu rechtfertigen.
38 c) Auch der Umstand, dass die Hauptschuldnerin kein Rechtsmittel
eingelegt hat, kann nur dann ein mit einem Einredeverzicht vergleichbares
Prozessverhalten darstellen, wenn es wie ein Anerkenntnis oder ein Säumnis
zu werten ist. Dazu hätte nach den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs-
und Beweislast, wonach jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen
und ggf. zu beweisen hat (BGH, Urteile vom 17. Februar 2004 - X ZR 108/02,
WM 2005, 571, 573 und vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 217/06, juris Rn. 30), dem
Beklagten die Darlegung oblegen, dass die Nichteinlegung eines Rechtsmittels
vorliegend auf eine verzichtsgleiche Motivation der Hauptschuldnerin
zurückzuführen war. An einer solchen Darlegung fehlt es.
39 3. Der Klägerin ist die Durchsetzung ihrer Forderung gegenüber dem
Beklagten auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt. Der Beklagte hat es
versäumt, substantiiert zu der von ihm behaupteten "schlechten
Prozessführung" der Hauptschuldnerin und einem vorwerfbaren Verhalten der
Klägerin in diesem Prozess vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten.
40 a) Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben
bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen
sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine
erworbene Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur
durch eine umfassende Bewertung der gesamten Fallumstände, die dem
Tatrichter obliegt, entschieden werden (BGH, Urteil vom 16. Februar
2005 - IV ZR 18/04, NJW-RR 2005, 619, 620). Dabei ist zu beachten,
dass nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur
regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung einer hierdurch erlangten
Rechtsstellung führt. Treuwidriges Verhalten eines Vertragspartners kann
zwar dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu
versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige
Verhalten verschafft hat. Lässt sich ein solches zielgerichtet treuwidriges
Verhalten nicht feststellen, so muss durch eine Abwägung der maßgeblichen
Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und wieweit einem
Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt
sein soll (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - IV ZR 140/08, NJW
2010, 289 Rn. 21 mwN).
41 b) Soweit es vorliegend um die Frage geht, ob sich der Bürge deshalb noch
auf die Einrede der Verjährung berufen kann, weil die Hauptschuldnerin diese
Einrede nur infolge ihrer "schlechten Prozessführung" verloren hat, folgt
daraus, dass der Gläubiger nur dann an der Durchsetzung seiner
Forderung gegen den Bürgen gehindert werden kann, wenn auch ihm ein
Fehlverhalten im Prozess gegen den Hauptschuldner zum Nachteil des Bürgen,
etwa ein mit dem Hauptschuldner abgestimmtes Vorgehen, nachgewiesen werden
kann. Allein eine "schlechte Prozessführung" des Hauptschuldners
ohne Zutun des Gläubigers vermag diesem gegenüber das Verdikt einer
unzulässigen Rechtsausübung nicht zu begründen, da dieser in der Regel
keinen Einfluss auf das Prozessverhalten des Hauptschuldners nehmen kann.
42 c) Umstände, die den Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung des
Gläubigers rechtfertigen würden, sind hier nicht vorgetragen. Wie das
Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, hätte es dem Beklagten
oblegen, Einsicht in die Akten des Prozesses zwischen der Klägerin und der
Hauptschuldnerin zu nehmen sowie substantiiert und unter Beweisantritt zu
etwaigen Versäumnissen der Hauptschuldnerin bei ihrer Prozessführung und
einem vorwerfbaren Verhalten der Klägerin vorzutragen. Dies hat der Beklagte
trotz eines Hinweises des Berufungsgerichts versäumt.
43 4. Der Senat teilt die von der Revision unter Verweis auf Habersack (MünchKommBGB/Habersack,
6. Aufl., § 768 Rn. 11) geäußerte Befürchtung, dass dem Bürgen in
eindeutigen Fällen eine einmal begründete Verjährungseinrede durch die
Verurteilung des Hauptschuldners genommen werden könnte, nicht. Ein solches
Ergebnis des Bürgschaftsprozesses ist lediglich die Folge der geltenden
Rechtslage. Es stellt nur die andere Seite der umfassenden Berechtigung des
Bürgen aus § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, neben den eigenen auch fremde
Einreden erheben zu dürfen. Dass der Bürge das Risiko zu tragen hat, eine
ursprünglich berechtigte Verjährungseinrede wieder zu verlieren, verletzt
auch nicht den Grundsatz des Verbots der Fremddisposition. Dieser schützt
den Bürgen nur davor, dass seine Haftung über den bei Bürgschaftsübernahme
überschaubaren Umfang hinaus zu seinen Lasten erweitert wird (Senatsurteil
vom 18. September 2007 - XI ZR 447/06, WM 2007, 2230 Rn. 18). Der Verlust
einer ursprünglich gerechtfertigten Einrede durch die Gerichtsentscheidung
im Prozess des Gläubigers gegen den Hauptschuldner erweitert die Haftung des
Bürgen jedoch nicht über den bei Bürgschaftsübernahme für ihn
überschaubaren, weil gesetzlich geregelten Umfang hinaus.
44 5. Aufgrund der sonstigen, von der Revision nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts haftet der Beklagte dem Grunde nach
gemäß § 765 Abs. 1 BGB aus den beiden selbstschuldnerischen
Höchstbetragsbürgschaften in einer nunmehr vom Berufungsgericht zu
ermittelnden Höhe.
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