Erlöschen der Bürgschaft durch Verzicht auf
Sicherheiten (§ 776 BGB); keine Wiederbegründung durch Neuerwerb der
Sicherheit: Verzicht als Neubegründung, Reichweite des
Schriftformerfordernisses (§ 766 BGB)
BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - XI ZR
505/11
Fundstelle:
noch nicht bekannt
BGHZ 197, 335
Amtl. Leitsatz:
a) Eine Bürgschaft erlischt nach § 776 BGB durch
Aufgabe einer weiteren für dieselbe Hauptforderung bestehenden Sicherheit.
Anders als ein Leistungsverweigerungsrecht entfällt diese Rechtsfolge des §
776 BGB nicht dadurch, dass der Gläubiger die zunächst aufgegebene
Sicherheit später zurückerwirbt oder neu begründet.
b) Ein Verzicht des Bürgen, mit dem das Erlöschen der Bürgschaft rückgängig
gemacht werden soll, unterliegt als Neubegründung dieses Schuldverhältnisses
der Form des § 766 BGB.
Zentrale Probleme:
Nach § 776 BGB wird der Bürge frei,
wenn und soweit der Gläubiger ein mit der Forderung verbundenes anderes
Sicherungsrecht (hier eine Grundschuld) aufgibt, aus dem der Bürge nach §
744 BGB hätte Ersatz verlangen können. Hier ging es nun um die Frage, ob
dies anders zu beurteilen ist, wenn der Gläubiger das aufgegebene Recht
später zurückerwirbt. Der BGH verneint dies mit überzeugender Begründung: §
776 BGB führt zum Erlöschen der Bürgschaftsforderung und ist nicht lediglich
eine Einrede. Auch ein einseitiger Verzicht des Bürgen auf den Erlöschens
Tatbestand des §§ 776 BGB wird verneint, weil dieser als Vertragsänderung
der Formvorschrift des §§ 766 BGB unterliegen wäre, oder als
Wiederbegründung der Bürgschaft ebenfalls schriftlich hätte erfolgen müssen.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt von dem
Beklagten Zahlung aus einem Bürgschaftsvertrag. Dem hält der Beklagte
entgegen, er sei nach § 776 BGB frei geworden, soweit die Klägerin eine
dieselbe Hauptschuld sichernde Grundschuld - vorübergehend - abgetreten
habe.
2 Die Klägerin gewährte der L. KG (nachfolgend: Hauptschuldnerin) am 11.
Juli 2008 ein Darlehen über 2 Mio. €. Der Beklagte übernahm neben drei
weiteren Personen am selben Tag eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 2
Mio. € für alle Verpflichtungen der Hauptschuldnerin aus diesem Darlehen.
Bereits am 7. Juli 2008 hatte die Hauptschuldnerin der Klägerin zur
Sicherung der Ansprüche aus diesem Darlehensvertrag eine erstrangige
werthaltige Buchgrundschuld in Höhe von 2 Mio. € an ihrem Teileigentum am
Handballleistungszentrum bestellt. Hiervon trat die Klägerin am 9. März 2009
einen erstrangigen Teilbetrag in Höhe von 1,1 Mio. € mit Nebenleistungen und
Zinsen in Höhe von 18% p.a. seit dem 11. Juli 2008 an die Bank eG A.
(nachfolgend: Bank) zur Sicherung von zwei der S. GmbH & Co. KG, der
Holdinggesellschaft der Klägerin, gewährten Darlehen ab. Am 30.
September 2010 kündigte die Klägerin das der Hauptschuldnerin gewährte
Darlehen wegen drohender Vermögensverschlechterung und forderte den
Beklagten zur Zahlung der Bürgschaftssumme auf. Die
Hauptschuldnerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde,
befand sich mit mehreren Zinszahlungen und einer Tilgungsrate in Rückstand.
Der Verkehrswert der belasteten Immobilie betrug 2 Mio. €. Während des
Berufungsverfahrens wurde am 1. August 2011 die Grundschuld an die Klägerin
zurückabgetreten.
3 Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 2 Mio. € nebst Zinsen Zug um
Zug gegen Abtretung der Grundschuld sowie auf Ersatz vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das
Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Beklagten zur
Zahlung von 306.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung eines der
Urteilssumme entsprechenden, erstrangigen Teils der Grundschuld verurteilt
und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin, die nach Erlass des
Berufungsurteils am 1. Dezember 2011 aus einer Verwertung der Grundschuld
1.269.000 € erhalten hat, begehrt mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision nunmehr Zahlung von 731.000 € nebst Zinsen, hilfsweise
Zug um Zug gegen Abtretung eines der Klagesumme entsprechenden
"erstrangigen" Teils der Grundschuld. In Höhe von 1.269.000 € hat sie den
Rechtsstreit im Revisionsverfahren für erledigt erklärt. Der Beklagte hat
sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Entscheidungsgründe:
4 Die Revision der Klägerin hat sowohl zum Zahlungsantrag als auch zu dem
für erledigt erklärten Teil keinen Erfolg.
I.
5 Die Klagepartei kann in der Revisionsinstanz den Rechtsstreit in der
Hauptsache einseitig für erledigt erklären, wenn das erledigende Ereignis -
hier die Zahlung von 1.269.000 € am 1. Dezember 2011 - außer Streit steht (st.
Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 2008 - II ZR 132/07, WM 2008, 1806,
1807 und vom 25. Januar 1996 - VII ZR 26/95, NJW 1996, 1280, 1281 jeweils
mwN). Die Feststellung einer - hier teilweisen - Erledigung der Hauptsache
eines Rechtsstreits setzt neben dem Eintritt eines erledigenden Ereignisses
voraus, dass die Klage in diesem Zeitpunkt insoweit zulässig und begründet
war (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - I ZR 72/99, juris Rn. 41 mwN).
Andernfalls ist sie abzuweisen bzw., soweit - wie im vorliegenden Verfahren
- die Klage bereits in der Vorinstanz abgewiesen worden ist, die Revision
zurückzuweisen (BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - I ZR 160/06, NJW-RR 2009,
990 Rn. 7 mwN).
II.
6 Die Klage war hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils im Zeitpunkt
des erledigenden Ereignisses unbegründet. Sie hat auch in dem von der
Klägerin mit dem Zahlungsantrag weiterverfolgten Teil keinen Erfolg.
7 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in WM 2012, 691
veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
8 Die Klägerin habe gegen den Beklagten gemäß § 765 Abs. 1 BGB eine
Bürgschaftsforderung von 306.000 €, in Höhe der darüber hinausgehend
verbürgten 1.694.000 € sei der Beklagte entsprechend § 776 Satz 1 BGB von
seiner Einstandspflicht frei geworden. Die streitige Rechtsnatur dieser
Vorschrift könne dahinstehen, da jedenfalls deren Zweck in der Sicherung des
Rückgriffs des vom Gläubiger in Anspruch genommenen Bürgen nach § 774 Abs. 1
Satz 1, §§ 412, 401 BGB bestehe. Diesen verwirkliche § 776 BGB, indem der
Bürge im Umfang einer Aufgabe der weiteren Sicherheit von der
Bürgschaftsforderung frei werde, soweit er aus dem aufgegebenen Recht gemäß
§ 774 BGB hätte Ersatz erlangen können. Nach seinem Wortlaut knüpfe § 776
BGB an die Aufgabe der Sicherheit einen unmittelbar eintretenden
Rechtsverlust des Gläubigers und nicht etwa lediglich ein
Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen. Die Formulierung "wird...frei"
entspreche derjenigen in § 777 Abs. 1 BGB, wo fraglos Erlöschenstatbestände
normiert seien. Eine für die Hauptforderung begebene Sicherungsgrundschuld
gehöre zu den von § 776 BGB erfassten Sicherungsrechten. Deren Aufgabe sei
durch rechtsgeschäftliche Übertragung bewirkt, wenn die
Verwertungsmöglichkeit der werthaltigen Sicherheit dadurch rechtlich oder
tatsächlich beseitigt sei.
9 Danach habe die Klägerin am 9. März 2009 ihr Sicherungsrecht im Umfang der
Teilabtretung aufgegeben im Sinne von § 776 BGB. Denn insoweit habe sie
rechtsgeschäftlich über die Grundschuld verfügt und Rechte aus dem
Sicherungsrecht verloren. Es sei nicht maßgeblich, ob die
Sicherungsgrundschuld als solche noch existiere und für die Klägerin wieder
erlangbar sei. Deswegen sei ohne Bedeutung, dass die Klägerin während des
Berufungsverfahrens deren Rückabtretung erreicht habe. Weder lebe die
Bürgschaftsforderung dadurch wieder auf, noch sei der Bürge nach Treu und
Glauben gehindert, sich auf § 776 BGB zu berufen. Zwar spreche für die
gegenteilige, rein wirtschaftliche Betrachtungsweise, dass der Bürge im
Zeitpunkt seiner Zahlung nicht (mehr) schlechter gestellt sei als vor
Aufgabe der Sicherheit. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sei es aber
geboten, dass ein einmal eingetretenes Freiwerden nicht wieder durch
Handlungen des Gläubigers beseitigt werden könne. Andernfalls müsse man dem
Gläubiger auch zugestehen, durch Beschaffung einer anderen gleichwertigen
Sicherheit ein Freiwerden des Bürgen zu verhindern. Dies werde von niemandem
vertreten, zumal nach § 776 Satz 2 BGB auch später hinzugekommene
Sicherungsmittel dem Bürgen zugute kämen und bei ihrer Aufgabe einen eigenen
Erlöschenstatbestand begründeten. Ohne Erfolg mache die Klägerin geltend,
der Beklagte sei mit der Teilabtretung einverstanden gewesen. Hierbei
handele es sich um erstmals in der Berufungsinstanz gehaltenes und durch den
Beklagten bestrittenes Vorbringen, das nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO
zuzulassen sei.
10 Da der Verkehrswert der Immobilie unstreitig 2 Mio. € betragen habe, sei
die Grundschuld in dieser Höhe werthaltig gewesen. Durch deren Teilabtretung
sei unter Berücksichtigung von Grundschuldzinsen eine Sicherheit im Wert von
insgesamt 1.694.000 € aufgegeben worden, sodass ein Haftungsbetrag von
306.000 € verbleibe.
11 2. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung stand.
12 Der Beklagte ist in Höhe von 1.694.000 € gemäß § 776 Satz 1 BGB
von seiner Einstandspflicht frei geworden, da die Klägerin durch die
Teilabtretung der Grundschuld vom 9. März 2009 eine mit der Hauptforderung
verbundene Sicherheit aufgegeben hat, aus der der Beklagte als Bürge nach §
774 BGB insoweit hätte Ersatz erlangen können.
13 a) Die von der Klägerin am 9. März 2009 in Höhe von 1.100.000 €
abgetretene Sicherungsgrundschuld ist ein selbstständiges Sicherungsrecht im
Sinne von § 776 BGB (BGH, Urteil vom 6. April 2000 - IX ZR 2/98, WM 2000,
1141, 1144 mwN). Dieses hat die Klägerin gemäß § 776 Satz 1 BGB aufgegeben;
dafür muss entgegen der Ansicht der Revision kein Verzicht zugunsten
desjenigen vorliegen, der diese Sicherheit bestellt hat.
14 aa) Der Wortlaut von § 776 Satz 1 BGB enthält keine derartige
Beschränkung. "Aufgeben" ist vielmehr jede gewollte Handlung (BGH,
Urteil vom 17. September 1959 - VII ZR 115/58, WM 1960, 51), durch
die der Gläubiger auf eine Verwertungsmöglichkeit der Sicherheit verzichtet
oder ansonsten bewusst deren wirtschaftlichen Wert beseitigt (BGH,
Urteil vom 15. Juli 1999 - IX ZR 243/98, WM 1999, 1761, 1763, insoweit nicht
in BGHZ 142, 213 abgedruckt). Danach erfasst § 776 BGB auch den Fall, dass
der Gläubiger das Sicherungsrecht einem Dritten überlässt (BGH, Urteil vom
3. November 2005 - IX ZR 181/04, BGHZ 165, 28, 35).
15 bb) Dass die rechtsgeschäftliche Übertragung eines Sicherungsrechtes auf
einen Dritten als Aufgabe dieser Sicherheit im Sinne von § 776 Satz 1 BGB
anzusehen ist, entspricht zudem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Bürge,
der mit seinem gesamten Vermögen für die Erfüllung der Verpflichtungen aus
der Bürgschaft einzustehen hat, soll vor einer Vereitelung seiner
Rückgriffsrechte aus § 774 BGB geschützt werden, die eintreten würde, wenn
der Gläubiger zu Lasten des Bürgen weitere für dieselbe Hauptschuld
bestellte Sicherungsrechte einseitig aufgeben könnte (BGH, Urteil vom 2.
März 2000 - IX ZR 328/98, BGHZ 144, 52, 57). Dieses Schutzes durch § 776
Satz 1 BGB bedarf der Bürge unabhängig davon, ob ein seinen künftigen
Regress gemäß § 774 Abs. 1 Satz 1, §§ 412, 401 BGB sicherndes Recht dem
ursprünglichen Sicherungsgeber oder einem Dritten übertragen wird, da sein
Rückgriffsanspruch in beiden Fällen in gleicher Weise beeinträchtigt ist.
16 b) Das Berufungsgericht geht weiter zutreffend davon aus, dass
nach § 776 BGB eine Bürgschaft durch Aufgabe einer weiteren für dieselbe
Hauptforderung bestehenden Sicherheit erlischt. § 776 BGB begründet in einem
solchen Fall - entgegen der Auffassung der Revision - nicht nur ein
Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen. Ebenso entfällt das Merkmal einer
Aufgabe der Sicherheit in § 776 BGB nicht nachträglich dadurch, dass der
Gläubiger die zunächst aufgegebene Sicherheit später zurückerwirbt oder neu
begründet.
17 aa) Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Bürge mit Aufgabe
der weiteren Sicherheit durch den Gläubiger insoweit von seiner
Verpflichtung befreit wird (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 2000 - IX
ZR 328/98, BGHZ 144, 52, 57 und vom 3. November 2005 - IX ZR 181/04, BGHZ
165, 28, 35). Diese Auffassung entspricht dem Willen des Gesetzgebers (vgl.
Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das
Deutsche Reich, 1899, Band II, S. 379) und findet auch in der Literatur ganz
überwiegend Zustimmung (Beckmann in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 2. Aufl., § 776
Rn. 5; PWW/ Brödermann, BGB, 8. Aufl., § 776 Rn. 10; Bülow, Recht der
Kreditsicherheiten, 8. Aufl., Rn. 1008 f.; Buck, GWR 2012, 93; Federlin in
Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rn. 12.291; E.
Herrmann in Erman, BGB, 13. Aufl., § 776 Rn. 5; Nobbe, Kommentar zum
Kreditrecht, 2. Aufl., § 776 BGB Rn. 17; ders., WuB I F 1 a. - 1.12;
Prütting in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 776 Rn. 8; Rohe in BeckOK BGB, Stand 1.
Mai 2013, § 776 Rn. 7; Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 776 Rn. 4; Stadler
in Jauernig, BGB, 14. Aufl., § 776 Rn. 4; Staudinger in Schulze, BGB, 7.
Aufl., § 776 Rn. 5; so auch schon Planck, BGB, 4. Aufl., § 776 S. 1466; aA
Grziwotz, EWiR 2012, 281, 282 und Soergel/Pecher, BGB, 12. Aufl., § 776 Rn.
24; wohl auch OLG Stuttgart, WM 1990, 1191, 1193 f.).
18 bb) Bereits der Wortlaut des § 776 BGB beschränkt den Bürgen nicht auf
eine bis zur Wiedererlangung der aufgegebenen Sicherheit bestehende Einrede,
sondern spricht vom Freiwerden des Bürgen, d.h. von einer Beendigung seiner
Haftung. Dem entspricht - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt -die
Formulierung in § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB, der sowohl der Bundesgerichtshof
(Urteile vom 6. Mai 1997 - IX ZR 136/96, NJW 1997, 2233, 2234 und vom 13.
Juni 2002 - IX ZR 398/00, WM 2002, 1645, 1646 f.) als auch die Literatur
(Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl., Rn. 1037; Federlin in
Küm-pel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rn. 12.303;
MünchKommBGB/Habersack, 5. Aufl., § 777 Rn. 14; E. Herrmann in Erman, BGB,
13. Aufl., § 777 Rn. 3; Staudinger/Horn, BGB, Neubearbeitung 2013, § 777 Rn.
3; Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 777 BGB Rn. 5; Prütting in
jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 777 Rn. 8; Rohe in BeckOK BGB, Stand 1. Mai 2013, §
777 Rn. 7; Stadler in Jauernig, BGB, 14. Aufl., § 777 Rn. 7; Staudinger in
Schulze, BGB, 7. Aufl., § 777 Rn. 6) ein Erlöschen der Verpflichtung des
Bürgen entnehmen.
19 cc) Zudem widerspräche es dem Gebot der Rechtssicherheit, die Haftung des
Bürgen nach Aufgabe einer weiteren Sicherheit durch den Gläubiger in der
Schwebe zu halten. Der Bürge soll zur Wahrung seiner wirtschaftlichen
Bewegungsfreiheit alsbald wissen, ob und in welchem Umfang er von der
Haftung aus der Bürgschaft aufgrund der ihn privilegierenden Vorschrift des
§ 776 BGB frei geworden ist (vgl. zu diesem Auslegungskriterium BGH, Urteil
vom 8. Dezember 2010 - VIII ZR 27/10, NJW 2011, 1867 Rn. 16, 18). Dem wäre
nicht Genüge getan, ließe man diese Frage bis zu einem endgültigen Untergang
der Sicherheit unbeantwortet bzw. gestattete man - die Auffassung der
Revision konsequent fortgedacht - dem Gläubiger die spätere Stellung einer
gleichwertigen Sicherheit. Aus diesem Grund sieht das Gesetz nach
Sicherheitenaufgabe durch den Gläubiger keine Möglichkeit zur
Rückgängigmachung der eingetretenen Enthaftung des Bürgen vor. Dem
entspricht, dass - worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist - nach
Übernahme der Bürgschaft hinzutretende Sicherungsmittel gemäß § 776 Satz 2
BGB ebenfalls dem Bürgen zugute kommen und bei ihrer Aufgabe einen eigenen
Erlöschenstatbestand nach § 776 Satz 1 BGB begründen. Die Rückübertragung
einer einmal aufgegebenen Sicherheit kompensiert damit nicht deren zunächst
eingetretenen Verlust, sondern begünstigt den Bürgen zusätzlich.
20 dd) Der Bürge wäre auf Grundlage der Rechtsauffassung der Revision
darüber hinaus bis zur Fälligkeit der Bürgschaft an einer frühzeitigen
Sicherung seiner Regressansprüche gehindert. Da den Gläubiger bei
Geltendmachung der Hauptforderung im Grundsatz keine Schutzpflichten
gegenüber dem Bürgen treffen, ist es Sache des Bürgen, etwa bei Zögern des
Gläubigers trotz Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners, den
Gläubiger sofort zu befriedigen und nach seinen Vorstellungen bei dem
Schuldner Rückgriff zu nehmen bzw. auf für den Regress haftende Sicherheiten
zuzugreifen (vgl. MünchKommBGB/Habersack, 5. Aufl., § 765 Rn. 94; Palandt/Sprau,
BGB, 72. Aufl., § 765 Rn. 34; siehe auch Mugdan, Die gesamten Materialien
zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 379).
Dazu ist im Zweifel weder die Fälligkeit der Bürgschaft (§ 271 Abs. 2 BGB)
noch eine vorherige Inanspruchnahme des Bürgen durch den Gläubiger
erforderlich (BGH, Urteil vom 14. Januar 1998 - XII ZR 103/96, WM 1998, 443,
446; MünchKommBGB/ Habersack, 5. Aufl., § 774 Rn. 4). Die von der Revision
vertretene Auffassung würde dem Bürgen diese Reaktionsmöglichkeit nehmen, da
ihm danach nicht nur der Zugriff auf die vom Gläubiger - zunächst -
freigegebene Sicherheit verschlossen bliebe, sondern er zudem mit dem Risiko
belastet würde, bei einem endgültigem Verlust der Sicherheit auf eine nicht
bestehende Bürgschaftsverpflichtung gezahlt zu haben. Eine solche
Schlechterstellung des Bürgen rechtfertigt die seinem Schutz dienende
Regelung in § 776 BGB nicht.
21 ee) Für das Entstehen eines Leistungsverweigerungsrechts spricht entgegen
der Auffassung der Revision nicht, dass § 776 BGB die Werthaltigkeit der
aufgegebenen Sicherheit erfordert. Zwar setzt § 776 BGB voraus, dass
der Bürge aus dem aufgegebenen Recht tatsächlich hätte Ersatz erlangen
können (vgl. auch PWW/Brödermann, BGB, 8. Aufl., § 776 Rn. 10;
MünchKommBGB/ Habersack, 5. Aufl., § 776 Rn. 11; E. Herrmann in Erman, BGB,
13. Aufl., § 776 Rn. 5; Staudinger/Horn, BGB, Neubearbeitung 2013, § 776 Rn.
16). Damit wird aber lediglich die Enthaftung des Bürgen auf den
Wert eines ihm tatsächlich entgangenen Rückgriffs gegen weitere
Sicherungsgeber begrenzt. Dies rechtfertigt es nicht, die Beurteilung der
Werthaltigkeit einer aufgegebenen Sicherheit auf den Zeitpunkt der
(fiktiven) Erfüllung der Bürgschaftsschuld hinauszuschieben und bis dahin
dem Bürgen lediglich eine Einrede zuzubilligen. Dem Bürgen wird
nämlich, wie oben dargestellt, bereits ab der Aufgabe einer Sicherheit die
Möglichkeit genommen, durch sofortige Zahlung diese Sicherheit zu erwerben.
Zudem verlangt das Gebot der Rechtssicherheit auch hier, dem Bürgen sogleich
Gewissheit über das Fortbestehen seiner Haftung zu verschaffen. Es ist daher
auf den Zeitpunkt der Aufgabe der Sicherheit durch den Gläubiger
abzustellen. War die Sicherheit bei ihrer Aufgabe werthaltig, sind später
eintretende Wertänderungen für die einmal eingetretene Enthaftung
grundsätzlich ohne Bedeutung.
22 c) Dem Beklagten ist es entgegen der Ansicht der Revision weiter
nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die von § 776 BGB angeordnete
Befreiung von der Bürgenhaftung zu berufen (aA Grziwotz, EWiR 2012,
281, 282). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn beachtliche Interessen eines
anderen verletzt werden, ohne dass ein schutzwürdiges Eigeninteresse des
Rechtsinhabers besteht (BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93, NJW
1994, 1351, 1352 mwN). Danach kommt eine Abweichung vom Gesetzeswortlaut nur
in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25.
Februar 1966 - V ZR 126/64, BGHZ 45, 179, 182 zu gesetzlichen
Formvorschriften; siehe auch BGH, Urteil vom 22. Februar 1984 - VIII ZR
316/82, BGHZ 90, 198, 205). Solche liegen hier nicht vor. Ein Gläubiger, der
eine werthaltige Sicherheit unter Missachtung der Interessen des Bürgen
aufgibt, ist nicht schutzwürdig (so auch Nobbe, WuB I F 1 a. - 1.12). Erhält
er die ursprünglich aufgegebene Sicherheit zurück, kann er diese verwerten.
Es besteht kein Anlass, zu seinen Gunsten darüber hinaus in Abweichung von §
776 BGB die erloschene Haftung des Bürgen über § 242 BGB wirtschaftlich
wiederaufleben zu lassen und damit den Bürgen nicht nur mit der Unsicherheit
zu belasten, ob es dem Gläubiger gelingt, bis zur Realisierung der
Bürgenhaftung die zunächst aufgegebene Sicherheit wiederzuerlangen, sondern
auch mit dem Risiko einer Nichtverwertbarkeit der zunächst aufgegebenen
Sicherheit.
23 d) Der Einwand der Revision, der Beklagte habe sich mündlich mit einer
Teilabtretung der Grundschuld einverstanden erklärt, hat aus Rechtsgründen
keinen Erfolg. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob - wie die Revision
meint - das Berufungsgericht mit Zurückweisung dieses Vortrags der Klägerin
§ 531 Abs. 2 ZPO verletzt hat.
24 aa) Die von der Revision in einem solchen Einverständnis des
Bürgen gesehene Änderung des Bürgschaftsvertrags würde gegen die gesetzliche
Form des § 766 BGB verstoßen. Wie die Revisionserwiderung
zutreffend ausführt, unterwirft § 766 BGB nach seinem Schutzzweck
alle den Bürgen belastenden Abreden der Schriftform (BGH, Urteil
vom 30. Januar 1997 - IX ZR 133/96, ZIP 1997, 536, 538; zur Einrede der
Vorausklage Urteil vom 25. September 1968 - VIII ZR 164/66, WM 1968, 1200;
so auch MünchKommBGB/Habersack, 5. Aufl., § 766 Rn. 13; Nobbe in
Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 91 Rn. 49;
Soergel/Pecher, BGB, 12. Aufl., § 776 Rn. 16; Rohe in BeckOK BGB, Stand 1.
Mai 2013, § 766 Rn. 5). Formbedürftig sind auch die Haftung des
Bürgen erweiternde Nebenabreden, die nach Übernahme der Bürgschaft getroffen
werden (BGH, Urteile vom 25. September 1968 - VIII ZR
164/66, WM 1968, 1200 und vom 30. Januar 1997 - IX ZR 133/96, WM 1997, 625,
626 f.). Eine - hier von der Revision behauptete - Vereinbarung zur
Sicherheitenfreigabe, die zu einem Verlust der Rechte aus § 776 BGB führt,
ist für den Bürgen ungünstig. Da sich die Klägerin lediglich auf eine
mündliche Absprache beruft, die mangels Eingreifen der Vorschrift des § 350
HGB nicht ausreicht, wäre eine darin liegende Änderung des
Bürgschaftsvertrags nach § 125 Satz 1, § 766 BGB unwirksam.
25 bb) Die Frage, ob die Haftung des Bürgen entgegen § 776 BGB bestehen
bleibt, wenn er formlos in die Aufgabe der Sicherheit einwilligt (vgl. dazu
etwa BGH, Urteil vom 20. Oktober 2001 - IX ZR 185/00, WM 2001, 2378, 2379;
MünchKommBGB/Habersack, 5. Aufl., § 776 Rn. 4; PWW/Brödermann, BGB, 8.
Aufl., § 776 Rn. 14), bedarf keiner Klärung, da nach dem - von der Revision
wiederholten - Vortrag der Klägerin der Beklagte sein Einverständnis erst
nach Abtretung der Grundschuld erklärt haben soll.
26 cc) Das - hier auf § 776 Satz 1 BGB beruhende - Erlöschen einer
Verpflichtung kann grundsätzlich nicht durch einen nachträglichen Verzicht
des ursprünglich Verpflichteten rückgängig gemacht werden. Vielmehr bedarf
es nach einem solchen Rechtsverlust einer - im vorliegenden Fall nach § 766
BGB -formbedürftigen Neubegründung des Schuldverhältnisses (vgl.
Palandt/ Grüneberg, BGB, 72. Aufl., vor § 362 Rn. 1; Staudinger/Horn, BGB,
Neubearbeitung 2013, § 766 Rn. 11).
27 e) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den Wert der aufgegebenen
Sicherheit mit 1.694.000 € beziffert und dabei den Verkehrswert der
belasteten Immobilie von 2 Mio. € zu Grunde gelegt. Die Revision hält dem
ohne Erfolg entgegen, dass statt dessen der vom Insolvenzverwalter bei
Verkauf der belasteten Immobilie erzielte Erlös von 1.269.000 € maßgebend
sei. Nach den rechtsfehlerfreien und auch von der Revision zugrunde gelegten
Feststellungen des Berufungsgerichts ist nämlich zwischen den Parteien
unstreitig, dass der Verkehrswert der Immobilie 2 Mio. € betrug. Ob sich
dieser Wert in der Insolvenz der Hauptschuldnerin voll realisieren ließ,
beeinflusst - wie oben dargestellt - die im Zeitpunkt der Aufgabe der
Sicherheit eingetretene Haftungsbefreiung des Beklagten nicht, da diese
Sicherheit in voller Höhe durch den Wert der Immobilie gedeckt, also - wie §
776 BGB es verlangt - werthaltig war.
28 3. Soweit die Revision die vom Berufungsgericht ausgesprochene
Zug-um-Zug-Verurteilung angreift, weil das Zurückbehaltungsrecht inzwischen
durch Löschung der Grundschuld untergegangen sei, handelt es sich um neuen
Sachvortrag, der nach § 559 ZPO in der Revisionsinstanz nicht zu
berücksichtigen ist. Zudem ist die Umstellung eines Zug-um-Zug-Antrags auf
unbedingte Zahlung als Klageerweiterung anzusehen (Senatsurteil vom 27.
Februar 2007 - XI ZR 55/06, juris Rn. 30), die in der Revisionsinstanz
grundsätzlich unzulässig ist (BGH, Urteile vom 23. Juni 2005 - I ZR 227/02,
GRUR 2005, 854, 856 und vom 2. Juli 1971 - V ZR 50/69, WM 1971, 1251, 1252).
Die Revision, die die Reduzierung des Klageantrags mit dem Wegfall der
Zug-um-Zug-Verurteilung wirtschaftlich verrechnen will, übersieht, dass sie
bereits in erster Instanz die Verurteilung des Beklagten Zug um Zug gegen
Übertragung der Grundschuld beantragt und im Berufungsverfahren das
entsprechende erstinstanzliche Urteil verteidigt hat. Damit ist ein
uneingeschränktes Zahlungsbegehren bislang nicht Streitgegenstand des
Verfahrens gewesen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Dezember 1991 - IX ZR
96/91, BGHZ 117, 1, 3).
29 4. Nach all dem hat die Klägerin mit Abtretung des erstrangigen
Teilbetrags der Sicherungsgrundschuld am 9. März 2009 gemäß § 776 BGB in
dieser Höhe ihren Anspruch aus der Bürgschaft verloren, sodass die dem
Beklagten am 7. Dezember 2010 zugestellte Klage insoweit von Anfang an
unbegründet war. Die Abweisung der Klage hat somit sowohl hinsichtlich des
noch aufrechterhaltenen Leistungs- als auch des neu gestellten
Feststellungsantrags Bestand mit der Folge, dass die Revision insgesamt
zurückzuweisen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - I ZR 72/99, juris
Rn. 71).
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