Unwirksamkeit von AGB bei Einschränkung von Kardinalpflichten (§
307 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB n.F.); Begriff der unangemessenen
Benachteiligung: Beförderungsverträge und Verlust des Fahrscheins; Bedeutung
des Fahrscheins
BGH, Urt. v.
1. Februar 2005 - X ZR 10/04
Fundstelle:
NJW 2005, 1774
Leitsatz:
In den Beförderungsbedingungen eines
Busreiseunternehmens, das den Namen des berechtigten Fahrgastes in den
Fahrschein einträgt und dem Busfahrer eine Liste der Fahrgäste aushändigt,
sind folgende Klauseln wegen unangemessener Benachteiligung des
Vertragspartners unwirksam:
1. Für verlorene oder gestohlene Fahrausweise kann kein Ersatz gewährt
werden.
2. Eine Erstattung für verlorengegangene oder gestohlene Fahrausweise
erfolgt nicht.
Zentrale Probleme:
Der Fall ist ein schönes Beispiel für die
Inhaltskontrolle von AGB anhand der Generalklausel des § 307 BGB n.F. Der
BGH prüft legt dabei die näheren Maßstäbe für eine solche Kontrolle bei der
Abbedingung von Kardinalpflichten schulmäßig dar (s. dazu insbesondere die
fett markierten Passagen).
©sl 2005
Tatbestand:
Der Kläger, ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung
Verbraucherinteressen wahrnimmt und in die vom Bundesverwaltungsamt geführte
Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 Abs. 1, 2 UKlaG eingetragen ist,
nimmt das beklagte Unternehmen auf Unterlassung der Verwendung bestimmter
Klauseln in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Anspruch.
Die Beklagte betreibt einen internationalen Buslinien- und Busreiseverkehr.
Wenn ihre Kunden eine Reise buchen, wird ihnen ein Fahrscheinheft
ausgestellt, das numeriert ist und in dem der Reiseweg, die Reisetage und
der Name des Fahrgasts angegeben sind. Nachträgliche Umbuchungen der
Fahrstrecke und der Reisetage läßt die Beklagte zu. Eine Übertragung des
Beförderungsvertrages bedarf nach den Vertragsbedingungen der Zustimmung der
Beklagten und wird dann u.a. durch Änderung des Namens des Berechtigten im
Fahrschein vermerkt (Nr. 3.1. der Bedingungen). Bei Antritt der Reise
kontrolliert der Busfahrer das Fahrscheinheft und vergleicht es mit einer
ihm ausgehändigten Namensliste der Fahrgäste. Eine Identitätsprüfung der
Fahrgäste nimmt der Fahrer nicht vor. Falls dem Kunden der Fahrschein vor
Reiseantritt abhanden gekommen ist, stellt die Beklagte ihm keinen
Ersatzfahrschein aus und läßt ihn die Reise auch dann nicht antreten, wenn
er sich namentlich ausweist und kein anderer seinen durch die Namensliste
reservierten Platz in Anspruch nimmt. Ebensowenig erstattet die Beklagte ihm
den Fahrpreis. Sie beruft sich insoweit auf folgende in ihren Besonderen
Beförderungsbedingungen enthaltene Klauseln:
"2.4. ...
Für verlorene oder gestohlene Fahrausweise kann kein Ersatz gewährt
werden.
8.3. Eine Erstattung für verlorengegangene oder gestohlene Fahrausweise
erfolgt nicht."
Diese Klauseln
hält der Kläger für unwirksam und verlangt deshalb die Unterlassung ihrer
Verwendung.
Hinsichtlich weiterer, vom Kläger ebenfalls beanstandeter Klauseln hat das
Landgericht der Klage rechtskräftig stattgegeben. Bezüglich der beiden jetzt
noch streitigen Bestimmungen hat das Landgericht die Klage indessen
abgewiesen - wie zwar nicht aus seinem Urteilsausspruch, wohl aber aus den
Entscheidungsgründen hervorgeht - und hat das Berufungsgericht die Berufung
des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt der Kläger diesen abgewiesenen Teil seines
Unterlassungsanspruchs weiter. Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Die Unterlassungsklage des nach § 3 Abs. 1 Nr. 1
UKlaG anspruchsberechtigten Klägers ist auch hinsichtlich der jetzt noch
streitigen Klauseln begründet, weil diese wegen unangemessener
Benachteiligung der Kunden nach § 307 BGB unwirksam sind (§ 1 UKlaG).
I. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die streitigen
Klauseln der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegen. Kontrollfähig sind
nur Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB).
Zu Recht hat das Berufungsgericht, anders als das Landgericht, aus § 8 der
Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen vom 27. Februar 1970
(VOABB) nicht den Schluß gezogen, daß die streitbefangenen Klauseln mit
dieser normativen Regelung übereinstimmen und somit lediglich
deklaratorischer Natur sind (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). § 8 Abs. 1 Nr. 3
VOABB besagt, daß Fahrausweise, die zerrissen, zerschnitten oder sonst stark
beschädigt, stark beschmutzt oder unleserlich sind, so daß sie nicht mehr
geprüft werden können, ungültig sind, daß sie eingezogen werden und daß das
Fahrgeld nicht erstattet wird. Diese Regelung ist nicht analog auf abhanden
gekommene Fahrscheine anwendbar (a.A. ohne Begründung Bidinger,
Personenbeförderungsgesetz, § 8 VOABB Anm. 3). Sie betrifft nach ihrem
eindeutigen Wortlaut nur Fahrscheine, die der Kunde noch besitzt, die aber
nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht mehr prüftauglich sind. Da dies in
der Regel auf eine unsorgfältige Behandlung durch den Kunden zurückgehen
wird, hat die Verweigerung der Fahrpreiserstattung - wie auch bei den
übrigen Tatbeständen der Vorschrift, die sämtlich einen Verstoß gegen die
Beförderungsbedingungen betreffen - Sanktionscharakter. Damit sind die
Fälle, in denen der Fahrschein dem Kunden gänzlich abhanden gekommen ist,
nicht vergleichbar. Deshalb ist eine Analogie nicht zulässig.
Ebensowenig stimmen die angegriffenen Klauseln mit dem von der Beklagten im
Revisionsverfahren herangezogenen § 10 Abs. 1 VOABB überein. Nach dieser
Vorschrift wird, wenn ein Fahrausweis nicht zur Fahrt benutzt wird, das
Beförderungsentgelt (nur) gegen Vorlage des Fahrausweises erstattet. Aus der
Verpflichtung zur Vorlage des Fahrausweises ergibt sich, daß diese
Bestimmung den Fall des Verlustes gerade nicht regeln will.
Die streitigen Klauseln stellen daher eine Ergänzung der gesetzlichen
Regelung dar.
Auch der Umstand, daß die Besonderen Beförderungsbedingungen der Beklagten,
soweit sie von der VOABB abweichen, zu ihrer Einführung der Zustimmung der
Genehmigungsbehörde bedürfen (§ 39 Abs. 6 PBefG), schließt die
Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht aus (Bidinger, aaO, § 39 PBefG Rdn.
160).
II. Die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Klauseln folgt aus § 307
Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB, wonach eine unangemessene Benachteiligung im
Zweifel anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte und
Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß
die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird.
1. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Klauseln betreffen ein wesentliches Vertragsrecht des Fahrgastes bzw.
eine wesentliche Vertragspflicht der Beklagten. Da § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB
ein Verbot der Aushöhlung zentraler Vertragspflichten (sog.
Kardinalpflichten) enthält, sind als wesentliche Vertragspflichten
jedenfalls die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptpflichten eines
Vertrags anzusehen (BGHZ 149, 89, 96 f. zur gleichlautenden früheren
Vorschrift des § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Dies sind hier die Pflicht der
Beklagten zur Beförderung des Fahrgastes und die Pflicht des Fahrgastes zur
Bezahlung des Fahrpreises.
Durch die streitigen Klauseln wird der nach dem Verlust des Fahrscheins
fortbestehende Beförderungsanspruch des Fahrgastes nicht nur eingeschränkt,
sondern es wird dem Fahrgast praktisch unmöglich gemacht, seinen Anspruch
geltend zu machen, falls ihm der Fahrschein abhanden kommt.
Zwar steht ihm, falls der Fahrschein ein Namenspapier mit Inhaberklausel
ist, das Aufgebotsverfahren nach §§ 1003 ff. ZPO zur Verfügung. Dieses
bietet dem Verlierer eines Fahrscheins jedoch in der Regel keine wirksame
Hilfe. § 808 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt, daß eine abhanden gekommene oder
vernichtete Urkunde im Aufgebotsverfahren für kraftlos erklärt werden kann.
Die Kraftloserklärung geschieht durch Ausschlußurteil (§ 1017 Abs. 1 ZPO).
Derjenige, der ein Ausschlußurteil erwirkt hat, ist dem durch Urkunde
Verpflichteten gegenüber berechtigt, die Rechte aus der Urkunde geltend zu
machen (§ 1018 Abs. 1 ZPO). Damit ersetzt zwar das Ausschlußurteil die
Vorlage der Urkunde (Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 808 Rdn. 5). Der Zeit-
und Kostenaufwand des Aufgebotsverfahrens wird aber oft außer Verhältnis zum
Wert eines abhanden gekommenen Busfahrscheins stehen, und vor allem wird in
Anbetracht der Aufgebotsdauer von mindestens sechs Monaten (§ 1015 ZPO) das
Ausschlußurteil für den Reisekunden meist zu spät kommen.
2. Die streitigen Klauseln benachteiligen die Kunden der Beklagten
unangemessen. Dies ergibt sich nicht nur aus der gesetzlichen Vermutung des
§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, sondern steht aufgrund einer Abwägung der
wechselseitigen Interessen fest.
a) Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der
Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung mißbräuchlich eigene
Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne
von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm
einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, BGHZ 143, 104, 113
und ständig zu § 9 Abs. 1 AGBG). Die Anwendung dieses Maßstabs setzt eine
Ermittlung und Abwägung der wechselseitigen Interessen voraus (BGHZ 78, 305,
309; 103, 316, 327; MünchKomm/Basedow, BGB, 4. Aufl., § 307 Rdn. 31; Ulmer/Brandner/Hensen,
AGBG, 9. Aufl., § 9 Rdn. 71). Die Unangemessenheit ist zu verneinen, wenn
die Benachteiligung des Vertragspartners durch höherrangige (so BGHZ 114,
238, 242 zu § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) oder zumindest gleichwertige (so
Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl., § 9 Rdn. 80, 90) Interessen des
AGB-Verwenders gerechtfertigt ist.
b) Das Berufungsgericht hat sich durch seine Einordnung des Fahrscheins als
kleines Inhaberpapier den Blick auf die Interessenabwägung verstellt
und hierzu keine Feststellungen getroffen. Dem Ansatz des Berufungsgerichts
folgend, sind auch die Parteien im Revisionsverfahren darauf nicht mehr
eingegangen. Sie haben jedoch in den Vorinstanzen ausführlich zur
wechselseitigen Interessenlage vorgetragen. Weil weiterer Tatsachenvortrag
nicht zu erwarten ist, kann der Senat die unstreitigen Anknüpfungstatsachen
selbst würdigen (BGHZ 122, 309, 316).
c) Die demnach vom Senat vorzunehmende Interessenabwägung führt zu dem
Ergebnis, daß der ausnahmslose Ausschluß von Ersatz und Erstattung für
abhanden gekommene Fahrscheine weiter geht, als zur Wahrung der berechtigten
Interessen der Beklagten nötig ist, und aus diesem Grund eine unangemessene
Benachteiligung der Kunden darstellt.
aa) Auf der Seite der Kunden geht es um deren Interesse, bei einem -
möglicherweise unverschuldeten - Verlust des Fahrscheins nicht die schon
bezahlte Gegenleistung einzubüßen. Dieses Interesse wiegt umso schwerer, als
das Verlustrisiko der Kunden nur dadurch entsteht, daß die Beklagte von
ihnen Vorleistung verlangt, was eine Abweichung von der gesetzlichen
Regelung bedeutet, wonach der Werkunternehmer vorleistungspflichtig ist (§
641 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Auf der anderen Seite fällt das Interesse der Beklagten ins Gewicht, die
Gegenleistung nicht doppelt erbringen zu müssen. Der mit der Ausstellung
eines Ersatzfahrscheins verbundene Verwaltungsaufwand der Beklagten ist
hingegen nicht zu berücksichtigen, weil sie sich insoweit durch Erhebung
einer kostendeckenden Gebühr beim Kunden schadlos halten kann. Zu einer
Doppelleistung der Beklagten könnte es zum einen dann kommen, wenn der
Berechtigte den Verlust des Fahrscheins nur vorspiegelt, sowohl den
Original- als auch den Ersatzfahrschein nutzt und auf diese Weise die
Beförderungsleistung zweimal erlangt, und zum anderen dann, wenn bei einem
echten Verlust der unredliche neue Inhaber, insbesondere ein Finder oder
Dieb, den Originalfahrschein nutzt und daneben der Verlierer mit Hilfe des
Ersatzfahrscheins reist. Soweit die reale Gefahr einer solchen
Doppelleistung besteht, diese Gefahr nicht verschwindend gering ist und sie
auch nicht durch zumutbare Maßnahmen abgewendet werden kann, ist der
Beklagten der Sache nach Ersatz oder Erstattung nicht zuzumuten. Denn
insoweit wäre eine Schadensverlagerung vom Kunden auf die Beklagte nicht
gerechtfertigt. Vielmehr müßte der Kunde dann - in entsprechender Anwendung
des Grundsatzes der Haftung nach Beherrschbarkeit des Risikos bzw. nach
Gefahrenbereichen (BGHZ 114, 238, 243) - das in seiner Verantwortungssphäre
gelegene Verlustrisiko selbst tragen.
bb) Mit den streitigen Ausschlußklauseln hat sich die Beklagte jedoch nicht
auf die Abwendung einer nicht mit zumutbaren Mitteln auszuräumenden
Doppelleistungsgefahr beschränkt. Die Klauseln erfassen vielmehr auch solche
Fälle, in denen die Beklagte dieser Gefahr leicht begegnen kann. So liegt es
nämlich immer, wenn der Originalfahrschein vor Stellung des Antrags auf
Ersatz nicht umgebucht worden ist.
(1) Wird eine Umbuchung des Originalfahrscheins überhaupt nicht beantragt,
kann die Beklagte die Gefahr einer Doppelleistung leicht abwenden.
Insoweit ergibt sich aus der Namenseintragung in den Fahrscheinen der
Beklagten in Verbindung mit ihrer Praxis, für jede Reise Namenslisten zu
führen, ein wesentlicher Unterschied zu normalen Eisenbahn-, Straßenbahn-
oder örtlichen Busfahrkarten, die keinen Namen angeben. Der Aussteller
solcher Papiere kann nicht kontrollieren, ob er die als abhanden gekommen
gemeldete Fahrkarte überhaupt verkauft hat. Deshalb sieht § 18 Abs. 5 der
Eisenbahn-Verkehrsordnung vom 18. Dezember 1938 auch zu Recht vor, daß der
Fahrpreis für verlorene (Eisenbahn-)Fahrausweise nicht erstattet wird. Der
Beklagten hingegen ist die Kontrolle möglich, ob sie den Fahrschein, für den
Ersatz beantragt wird, ausgegeben hat. Wenn der Antragsteller das Datum der
Reise, die Fahrstrecke und den Namen des Fahrgasts angibt, kann die Beklagte
anhand der Namensliste kontrollieren, ob ihm der sich aus dem Fahrschein
ergebende Anspruch auf die Beförderungsleistung überhaupt zusteht.
Stellt sie dem Antragsteller sodann einen Ersatzfahrschein aus, der
denselben Inhalt hat, so daß Original- und Ersatzfahrschein auf denselben
Namen, dieselbe Fahrstrecke und denselben Hinreisetag lauten, besteht die
Gefahr für die Beklagte nur in der Konkurrenz zweier Prätendenten um
denselben Reiseplatz. Ob nun ein unredlicher Berechtigter, der den Verlust
nur vorgetäuscht hat, den Ersatz- oder den Originalfahrschein an einen
zweiten Reisenden weitergibt oder ob neben dem redlichen Berechtigten, der
seinen Ersatzfahrschein vorlegt, auch ein unredlicher Dritter, der den
Originalfahrschein gefunden oder gestohlen hat, mit dessen Hilfe die
Beförderungsleistung in Anspruch nehmen will: In jedem Fall präsentieren
sich dem Busfahrer zwei Bewerber für denselben auf seiner Liste namentlich
gekennzeichneten Platz. Dann kann aber der für die Beklagte handelnde Fahrer
den unberechtigten Bewerber problemlos abweisen.
Das Recht der Beklagten, dem Nichtberechtigten die Beförderungsleistung zu
verweigern, ergibt sich aus ihren Besonderen Beförderungsbedingungen, die
Vertragsbestandteil sind. Nach Nr. 3.1. will sie bei der
Beförderungsanmeldung mit dem buchenden Erwerber einen Beförderungsvertrag
schließen und diesem verpflichtet bleiben, es sei denn, daß "der
Beförderungsvertrag", d.h. der Anspruch aus demselben, auf einen anderen
Fahrgast übertragen wird, was aber nur mit Zustimmung der Beklagten
geschehen kann, die dann auch den Namen des eintretenden Fahrgastes in das
Fahrscheinheft einträgt. Dieser Zustimmungsvorbehalt, also das
Mitspracherecht der Beklagten bei der Übertragung des Beförderungsanspruchs
auf eine andere Person, spricht klar gegen einen Willen der Beklagten, sich
jedem Inhaber des Fahrscheins zu verpflichten, und für ihren Willen, nur
eine bestimmte, ihr vor Beginn der Reise bekanntgegebene und von ihr
gebilligte Person befördern zu müssen. Die Beklagte darf also jede andere
als die im Fahrschein benannte Person zurückweisen.
Die hierfür erforderliche Kontrolle ist der Beklagten ohne Schwierigkeiten
möglich. Ihr Busfahrer braucht dazu nicht einmal von den beiden
Fahrscheininhabern, die denselben Platz beanspruchen, einen
Identitätsnachweis verlangen, den dann nur der Berechtigte erbringen könnte.
Eine solche Identitätskontrolle wäre der Beklagten in derartigen
Ausnahmefällen übrigens ohne weiteres zumutbar. Sie ist aber gar nicht
erforderlich, wenn die Beklagte einfach auf der für den Fahrer angefertigten
Namensliste vermerkt, daß sie für einen bestimmten Fahrgast einen
Ersatzfahrschein ausgestellt hat. Damit ist der Originalfahrschein für den
Fahrer erkennbar entwertet. Die Legitimationswirkung des Originalfahrscheins
ist zerstört. Der Fahrer kann dessen Inhaber zurückweisen.
(2) Aber auch wenn nach der Ausstellung des Ersatzfahrscheins eine Umbuchung
des Originalfahrscheins beantragt wird, kann die Beklagte der Gefahr einer
Doppelleistung leicht begegnen. Dazu ist ebenfalls nicht erforderlich, daß
die Beklagte bei der Umbuchung eine Identitätskontrolle vornimmt. Auch hier
genügt es, wenn die Beklagte bei der Ausstellung des Ersatzfahrscheins auf
der Namensliste für die Reise hinter dem betreffenden Namen vermerkt, daß
ein Ersatzfahrschein ausgestellt worden ist, und auf diese Weise den
Originalfahrschein entwertet. Dann kann, da bei einer Umbuchung die
Namensliste eingesehen werden muß, um den betreffenden Namen daraus zu
streichen, der Originalfahrschein von niemandem mehr umgebucht werden. Dies
gilt auch, falls die die Umbuchung vollziehenden Mitarbeiter der Beklagten
die Namensliste nicht persönlich einsehen, sondern die Änderung der Liste
mittels elektronischer Datenverarbeitung erfolgt. Die Beklagte hat nicht
dargetan, daß eine Gestaltung ihrer Software dahin, daß die Umbuchung
scheitert, wenn bei dem Namen auf der alten Liste die Ausstellung eines
Ersatzfahrscheins vermerkt ist, für sie nicht zumutbar wäre.
(3) Eine mit zumutbaren Mitteln nicht abwendbare Doppelleistungsgefahr
besteht nur im Falle einer schon vor Ausstellung des Ersatzfahrscheins
erfolgten Umbuchung.
Falls der unredliche Fahrscheinerwerber, der den Verlust nur vorgespiegelt
hat, oder der unredliche Dritte mit Hilfe des Originalfahrscheins die Reise
bereits auf einen anderen Termin, eine andere Fahrstrecke oder einen anderen
Fahrgast umgebucht hat und die umgebuchte Reise schon durchgeführt hat und
falls danach noch ein Ersatzfahrschein ausgestellt und eingelöst wird,
erbringt die Beklagte die Beförderungsleistung doppelt. Dies sieht auch der
Kläger ein, der im Revisionsverfahren anerkannt hat, daß dann, wenn schon
vor der Reklamation des Kunden der Fahrschein genutzt worden ist, der Kunde
"die Folgen seiner eigenen Untätigkeit hinzunehmen" hat, d.h. keinen Ersatz
mehr verlangen kann.
Ob auch dann, wenn der Originalfahrschein vor der Verlustmeldung
umgeschrieben, die neue Reise aber noch nicht durchgeführt worden ist, für
die Beklagte eine nicht oder nur schwer abwendbare Doppelleistungsgefahr
besteht, kann offenbleiben. Denn dies würde nichts daran ändern, daß die
Beklagte in den bereits dargestellten anderen Fällen, in denen keine
Umbuchung erfolgt ist, die Gefahr leicht abwenden kann und die streitigen
Klauseln mit ihrer pauschal gehaltenen Fassung deshalb über das Ziel
hinausschießen.
cc) Pflichten und Sanktionen, die aufgrund eines berechtigten
Verwenderinteresses dem Vertragspartner auferlegt werden, unterliegen einem
Übermaßverbot und bedürfen einer konkreten und angemessenen Eingrenzung
(Ulmer/Brandner/Hensen § 9 Rdn. 74). Dies hat die Beklagte nicht beachtet.
Obwohl eine nicht in zumutbarer Weise abzuwehrende Gefahr einer
Doppelleistung für die Beklagte nur dann besteht, wenn der
Originalfahrschein vor der Ausstellung eines Ersatzfahrscheins umgebucht
worden ist, hat die Beklagte ihren Ausschluß von Ersatz und Erstattung für
abhanden gekommene Fahrscheine nicht auf diese Fallkonstellation beschränkt.
Indem sie die Ausschlußklauseln so allgemein formuliert hat, daß davon auch
die Fälle erfaßt werden, in denen sie die Doppelleistungsgefahr leicht
abwenden kann - wenn nämlich überhaupt keine Umbuchung des
Originalfahrscheins beantragt wird oder dies erst nach Ausstellung des
Ersatzfahrscheins geschieht -, hat sie die Belange ihrer Kunden nicht
hinreichend berücksichtigt. Sie hat vielmehr ihre eigenen Interessen
übermäßig gesichert. Ihre Ablehnung von Ersatz und Erstattung für
abhanden gekommene Fahrscheine ist also nicht grundsätzlich, wohl aber in
der gewählten weiten Fassung unangemessen. Da indessen eine Rückführung der
Klauseln auf einen zulässigen Inhalt wegen des Verbots geltungserhaltender
Reduktion von AGB-Klauseln nicht zulässig ist (BGHZ 124, 254, 262), sind die
Klauseln insgesamt unwirksam. Infolgedessen ist der Unterlassungsanspruch
des Klägers begründet.
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