Verzug bei
kalendermäßiger Bestimmung der Leistungszeit (§ 286 II Nr. 1 BGB) und
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB
BGH, Urt. v.
15. Februar 2005 - X ZR 87/04
Fundstelle:
NJW 2005, 1772
Amtl. Leitsätze:
1. Die kalendermäßige Bestimmung der
Leistungszeit nach § 284 Abs. 2 BGB (= § 286 II Nr. 1 BGB n.F.) kann auch
einseitig gemäß § 315 BGB erfolgen. Dazu bedarf es keiner Vereinbarung der
Vertragsparteien, wenn privatrechtliche Entgelte für im öffentlichen
Interesse erbrachte Entsorgungsleistungen aufgrund eines Anschluß- und
Benutzungszwangs geschuldet werden. (Fortführung von BGH, Urt. v. 03.11.1983
- III ZR 227/82, MDR 1984, 558)
2. Werden Entsorgungsentgelte aufgrund eines Anschluß- und Benutzungszwangs
einseitig bestimmt, so muß sich die Entgelterhebung an öffentlichrechtlichen
Maßstäben messen lassen. Dies kann dazu führen, daß auch bei kalendermäßig
festgelegten Leistungszeitpunkten die Übersendung einer Rechnung an den
Entgeltschuldner Voraussetzung der Fälligkeit ist.
Zentrale Probleme:
Der Schuldner kommt nach § 284 BGB a.F.
(ebenso nach § 286 II Nr. 1 BGB n.F.) auch ohne Mahnung in Verzug, wenn für
die Leistung "eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist". Hierfür genügt eine
einseitige Bestimmung durch den Gläubiger nicht (diese kann, wenn sie mit
bzw. nach Eintritt der Fälligkeit erfolgt, allenfalls eine "befristete
Mahnung" darstellen, s. dazu
Köhler/Lorenz, Prüfe Dein Wissen,
Bd. 2: Schuldrecht Allgemeiner Teil,
Fall 46), vielmehr muß die Leistungszeit vertraglich festgelegt sein.
Dies kann aber, so die Aussage der vorliegenden Entscheidung, auch in Form
des § 315 BGB geschehen, d.h. dadurch, daß der Gl. durch der Vertrag
ermächtigt ist, den Leistungszeitpunkt einseitig kalendermäßig zu bestimmen.
©sl 2005
Tatbestand:
Der Beklagte war vom 4. März 1998 bis zum 22. Juni 1999 Eigentümer eines
Grundstücks in Berlin, für das die Klägerin Straßenreinigungs-,
Abfallentsorgungs- und Biomüllentsorgungsleistungen erbracht hat. Die
Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch um restliche Zinsansprüche
wegen des von dem Beklagten der Klägerin für 1998 geschuldeten
Leistungsentgelts.
In den maßgeblichen Leistungsbedingungen der Klägerin vom 1. Januar 1994
heißt es u.a.:
"1.5 Zahlung der Entgelte
1.5.1 Die BSR (Klägerin) stellen über die zu zahlenden Entgelte Rechnungen
aus. Die Rechnungen gelten solange, bis sie durch eine neue Rechnung
berichtigt oder ersetzt werden.
1.5.2 Das Entgelt ist in vier gleichen Teilbeträgen am 15. Februar, 15. Mai,
15. August und 15. November eines jeden Jahres fällig.
1.5.3 Die BSR behalten sich vor, ... bei Überschreitung des Fälligkeitstages
den Verzugsschaden in Höhe von 3 % über dem jeweils geltenden Diskontsatz
der Deutschen Bundesbank ohne Nachweis geltend zu machen, es sei denn ..."
Die Klägerin stellte dem Beklagten die für das Jahr 1998 erbrachten
Leistungen erstmals am 17. Juni 1999 in Rechnung. In der Rechnung heißt es
u.a.:
"Der Betrag in EUR ist wie folgt fällig:
Fällig am 30.06.1999
Netto 13.157,82 ..."(EUR)
Das Landgericht hat den Beklagten nach teilweiser Klagerücknahme
antragsgemäß zur Zahlung von 11.415,10 € verurteilt, jedoch die Klage wegen
der ferner geltend gemachten Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis
zum 14. Dezember 2001 (Zustellung des Mahnbescheids) abgewiesen, weil ohne
Mahnung kein Verzug eingetreten sei.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin
hat ihren Zinsanspruch weiterverfolgt und die Klage diesbezüglich erweitert.
Sie hat Zinsen aus 11.415,10 € für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31.
Mai 2000 in Höhe von 3 und ab dem 1. Juni 2000 bis zum 14. Dezember 2001 in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz begehrt.
Das Berufungsgericht hat die Berufungen der Klägerin und des Beklagten
zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen, soweit es über die Berufung
der Klägerin entschieden hat.
Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihre Zinsansprüche aus der
Berufungsinstanz weiter. Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten, sich in der Revisionsinstanz aber nicht geäußert. Der
ordnungsgemäß geladene Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung
nicht vertreten.
Entscheidungsgründe:
Über die Revision der Klägerin ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden,
das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis beruht (BGHZ 37, 79, 81). Die
Revision hat nur teilweise Erfolg. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1999
stehen der Klägerin keine Zinsen zu. Vom 1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember
2001 können ihr Zinsen nur in geringerem Umfang als begehrt zugesprochen
werden.
I. Für die Zeit vor dem 30. Juni 1999 hat das Berufungsgericht zutreffend
einen Zinsanspruch der Klägerin verneint, weil es zu den in den
Leistungsbedingungen vereinbarten vierteljährlichen Zahlungsterminen an
einer von der Klägerin ausgestellten Rechnung fehlte.
1. Zwar ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, mit der
Festlegung der vierteljährlichen Zahlungstermine in Nr. 1.5.2 der
Leistungsbedingungen eine Leistungszeit wirksam im Sinne des § 284 Abs. 2
BGB a.F. kalendermäßig bestimmt. Die kalendermäßige Bestimmung der
Leistungszeit kann nicht nur, wie im Regelfall, durch Vereinbarung der
Vertragsparteien erfolgen. Vielmehr kommt grundsätzlich auch eine einseitige
Bestimmung durch eine der Vertragsparteien, also auch den Gläubiger, nach §
315 BGB in Betracht. Ebenso wie einer Vertragspartei gemäß § 315 BGB die
Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen übertragen werden kann, ist
dies bei einer Festsetzung der kalendermäßigen Leistungszeit möglich.
§ 315 BGB kommt zwar grundsätzlich nur aufgrund einer entsprechenden
Vereinbarung zur Anwendung. Einer solchen Vereinbarung bedarf es hier aber
wegen der für den Beklagten verbindlichen Anordnung des Anschluß- und
Benutzungszwangs für Straßenreinigungs- und Entsorgungsleistungen nicht. Der
Bundesgerichtshof hat bereits festgestellt, daß wegen des Anschluß- und
Benutzungszwangs die privatrechtlichen Leistungsentgelte der Klägerin nach §
315 BGB einseitig festgesetzt werden können (BGH, Urt. v. 03.11.1982 - III
ZR 227/82, MDR 1984, 558). Dementsprechend kann auch in den
Leistungsbedingungen der Klägerin die Leistungszeit wirksam kalendermäßig
bestimmt werden. Dafür kommt es nicht auf die vom Landgericht behandelte
Frage an, ob die Höhe der zu zahlenden Forderung ohne weiteres und für den
Schuldner erkennbar feststeht. § 284 Abs. 2 BGB a.F. betrifft nur die
Bestimmung der Leistungszeit, nicht etwaige weitere
Fälligkeitsvoraussetzungen, ohne die ein Verzug nicht eintreten kann.
2. Nach den Leistungsbedingungen waren die Leistungsentgelte aber nicht vor
Rechnungsstellung zu zahlen.
a) Das ergibt sich aus Nr. 1.5.1 der Leistungsbedingungen, wonach "über die
zu zahlenden Entgelte Rechnungen" ausgestellt werden. Daraus folgt, daß die
Rechnung vor Zahlung vorliegen muß und damit im hier vorliegenden Fall
Voraussetzung für die Fälligkeit der Entgelte ist. Nach den
Leistungsbedingungen kann der Grundstückseigentümer erwarten, daß ihm vor
den jeweiligen vierteljährlichen Zahlungsterminen eine Rechnung zugeht, aus
der er seine jeweiligen Zahlungspflichten ablesen kann. Das Berufungsgericht
weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß erst die von der
Klägerin auszustellende Rechnung dem Schuldner Klarheit über die Höhe der
nach den Tarifen nicht für jedermann ohne weiteres überschaubaren und zu
errechnenden Entgeltforderung verschaffen und zugleich die Klägerin vor dem
Verwaltungsaufwand bewahren soll, der damit verbunden wäre, wenn die
Schuldner aufgrund eigener ungenauer Berechnung, etwa auch nach nicht mehr
gültigen Tarifen, unzutreffende Beträge zahlten.
b) Auch Satz 2 der Nr. 1.5.1 der Leistungsbedingungen belegt, daß die
Rechnung grundsätzlich vor den Fälligkeitsterminen als Grundlage für
künftige Leistungen erwartet werden kann. Wären in den Rechnungen bereits zu
verstrichenen Fälligkeitsterminen für in der Vergangenheit erbrachte
Leistungen zu zahlende Entgelte dokumentiert, wäre die ausdrückliche
Regelung über zu berichtigende oder zu ersetzende neue Rechnungen
unverständlich.
c) In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß das geschuldete Entgelt mit
Veröffentlichung der Tarife im Amtsblatt feststeht und daß der Klägerin
insoweit ein einseitiges Bestimmungsrecht zusteht (s.o. I. 1.). Dies ist
zwar für die Bestimmbarkeit der geschuldeten Entgelte relevant, reicht aber
für ihre Fälligkeit nicht aus. Vielmehr bedarf es für die Fälligkeit der
Entgeltforderung ihrer Konkretisierung durch Rechnung. Das ergibt sich auch
aus der hier gegebenen öffentlich-rechtlichen Prägung des
Leistungsverhältnisses (BGH, aaO). Das Entsorgungsentgelt ist zwar
privatrechtlicher Natur. Die Klägerin erbringt ihre Leistungen aber aufgrund
öffentlichen Auftrags als leistende Verwaltung im Rahmen der
Daseinsvorsorge. Ihre Tarife werden im Amtsblatt von Berlin veröffentlicht.
Die Grundstückseigentümer müssen aufgrund öffentlich-rechtlichen Anschluß-
und Benutzungszwangs mit der Klägerin in Leistungsbeziehungen treten und ihr
gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Berliner Straßenreinigungsgesetz Entgelte auf der
Grundlage ihrer Tarife entrichten. Die der öffentlichen Hand freistehende
Wahl der privatrechtlichen Handlungsform darf ihren privaten Vertragspartner
nicht benachteiligen. Nimmt das Land Berlin öffentliche Gewalt in Anspruch,
um den Grundstückseigentümern einen Anschluß- und Benutzungszwang
aufzuerlegen, und bestimmt es die Entsorgungsentgelte einseitig, so muß sich
die Entgelterhebung auch an öffentlich-rechtlichen Maßstäben messen lassen.
Es liegt deshalb nahe, die in vergleichbaren Konstellationen im Abgabenrecht
geltenden Grundsätze für die Auslegung heranzuziehen. Nach § 38 AO entsteht
die Steuerpflicht, wenn der Tatbestand der Leistungspflicht verwirklicht
wird. Im Zweifel, also bei Fehlen einer abweichenden gesetzlichen Regelung,
tritt die Fälligkeit von Steueransprüchen aber erst mit der Bekanntgabe
ihrer Festsetzung ein, § 220 Abs. 2 Satz 2 AO. Aus diesen Regelungen folgt,
daß Voraussetzung für die Zahlungspflicht stets die individuelle Bekanntgabe
zumindest einer ersten Abrechnung ist, in der dann Vorauszahlungen für
künftige Fälligkeitstermine festgesetzt werden können. Für das auf der
Grundlage von Anschluß- und Benutzungszwang mit den Leistungsbedingungen der
Klägerin geschaffene Entgeltregime gilt im Ergebnis nichts anderes. Vor
Übermittlung der Rechnung konnte der Beklagte daher nicht in Verzug geraten.
d) Im übrigen folgt auch aus der Rechnung der Klägerin vom 17. Juni 1999,
daß die Leistungsentgelte nicht bereits zuvor fällig waren, sondern erst zum
30. Juni 1999 fällig gestellt werden sollten.
II. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Klägerin Zinsen aber auch für
den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember 2001 versagt. Die
Klägerin hat mit der Rechnung vom 17. Juni 1999 die für 1998 geschuldeten
Entgelte wirksam in kalendermäßig bestimmter Weise zum 30. Juni 1999
fälliggestellt.
Zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung waren die vierteljährlichen
Zahlungstermine für das Jahr 1998 zwar bereits verstrichen. Die Klägerin hat
jedoch in ihrer Rechnung den 30. Juni 1999 als neuen Zahlungstermin wirksam
einseitig bestimmt.
1. Anders als das Berufungsgericht meint, kann die Klägerin gemäß § 315 BGB
einseitig und individuell einen neuen Leistungstermin nach billigem Ermessen
festsetzen, wenn frühere Leistungstermine mangels einer von der Klägerin
rechtzeitig ausgestellten Rechnung verstrichen sind. Wenn die Klägerin die
ursprüngliche Leistungszeit einseitig bestimmen kann, so kann sie dies auch
für eine neue Zahlungsfrist tun, nachdem ein ursprünglicher Termin
gegenstandslos geworden ist. Die Klägerin muß dabei zwar nach einheitlichen
Grundsätzen verfahren und darf Grundstückseigentümer nicht ohne sachlichen
Grund unterschiedlich behandeln. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß die
Klägerin eine solche Festlegung nur allgemein und in Form eines Tarifs
vornehmen könnte. Das aus dem Anschluß- und Benutzungszwang folgende
Bestimmungsrecht gilt vielmehr nicht nur hinsichtlich der Festlegung der
Tarife (vgl. BGH, aaO), sondern auch für den dort nicht vorgesehenen
Einzelfall, in dem wegen verspäteter Rechnungsstellung eine Fälligkeit
individuell festzulegen ist. Eine bestimmte Form für die einseitige
Festlegung der Leistungszeit ist nicht vorgesehen und wurde deshalb vom
Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung auch nicht verlangt.
2. Gegen die Dauer der bei Bestimmung der neuen Leistungszeit gesetzten
Zahlungsfrist hat der Beklagte keine Einwendungen erhoben. Sie ist daher als
wirksam festgesetzt zugrundezulegen.
3. Der Klägerin stehen Zinsen für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 14.
Dezember 2001 allerdings lediglich in der in ihren Leistungsbedingungen, Nr.
1.5.3, vorgesehenen Höhe von 3 % über dem jeweils geltenden Diskontsatz der
Deutschen Bundesbank zu. Die Forderung der Klägerin war vor dem 1. Mai 2000
fällig. Nach Art. 229 § 1 EGBGB ist daher § 288 BGB in der ab 1. Mai 2000
geltenden Fassung, der Verzugszinsen von 5 % über dem Basiszinssatz
vorsieht, vorliegend nicht anwendbar. Gegen die Regelung der Verzugszinsen
in den Leistungsbedingungen der Klägerin bestehen auch nach dem AGB-Gesetz
keine Bedenken. Die Angemessenheit dieser Regelung folgt bereits daraus, daß
der Gesetzgeber nur kurz nach dem hier maßgeblichen Verzugseintritt, dem 1.
Juli 1999, den gesetzlichen Verzugszinssatz auf einen deutlich höheren Wert,
nämlich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 1 des
Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998 (BGBl. I S. 1242),
festgelegt hat.
III. Der Kostenausspruch folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO.
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