Wiederaufleben eines Einzeltestaments des verstorbenen Ehegatten wegen Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments analog §§ 2281, 2079 BGB durch den überlebenden Ehegatten


BayObLG, Beschluß vom 9. 6. 1999 - 1Z BR 53/99


Fundstelle:

BayObLG ZEV 1999, 397


Amtl. Leitsätze:

1. Wird ein späteres gemeinschaftliches Testament durch Anfechtung des überlebenden Ehegatten wegen Wiederheirat unwirksam, so wird ein früheres Einzeltestament des vorverstorbenen Ehegatten, das gem. § 2258 BGB als durch das gemeinschaftliche Testament widerrufen galt, wieder wirksam.

2. Zur Auslegung eines privatschriftlichen Einzeltestaments, in dem der Erblasser seinen Ehegatten zum Erben eingesetzt und bestimmt hat, daß "nach beider Tod" der gemeinsame Sohn "Gesamterbe" sein soll.


Tatbestand:
 

Die 1997 verstorbene Erblasserin war mit dem Bet. zu 1 verheiratet. Aus der Ehe stammen zwei Kinder, ein Sohn (Bet. zu 2) und eine Tochter (Bet. zu 3). Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus einem halben Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück, das mit Grundpfandrechten belastet ist. Die Erblasserin hat am 7. 12. 1993 ein privatschriftliches Testament errichtet, das folgenden Inhalt hat: "Ich setze als Erben nach meinem Tode meinen Ehemann (Bet. zu 1), nach beider Tod unseren Sohn als Gesamterben ein". Am 15. 7. 1994 haben die Eheleute zusammen privatschriftlich ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin haben sie sich gegenseitig zu Erben eingesetzt. Zum Erben des Überlebenden haben sie den Sohn bestimmt, ersatzweise die Kinder des Sohnes des Ehemanns aus dessen erster Ehe. Die Tochter haben sie von der Erbfolge ausgeschlossen. Nach dem Tod der Erblasserin ist dem Ehemann auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments ein Erbschein als Alleinerbe erteilt worden. Nachdem der Ehemann am 6. 5. 1998 erneut geheiratet hatte, hat er zu notarieller Urkunde vom 14. 9. 1998, dem NachlaßG zugegangen am 16. 9. 1998, das gemeinschaftliche Testament angefochten. Der Bet. zu 2 geht davon aus, daß er in dem nunmehr maßgebenden Testament vom 7. 12. 1993 zum Nacherben berufen sei, und hat deshalb die Einziehung des Erbscheins beantragt. Dagegen ist das NachlaßG der Auffassung, daß der Ehemann auch aufgrund dieses Testaments zum alleinigen Vollerben eingesetzt sei. Es hat deshalb den Einziehungsantrag mit Beschluß vom 24. 11. 1998 abgelehnt. Auf die Beschwerde des Bet. zu 2 hat das LG das NachlaßG angewiesen, den Erbschein als unrichtig einzuziehen. Den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens hat es "auf die Stufe bis 2000 DM" festgesetzt. Gegen diese Entscheidung hat der Bet. zu 1 in der Sache weitere Beschwerde eingelegt. Außerdem hat er gegen die Geschäftswertfestsetzung des LG Beschwerde eingelegt; das LG hat bisher noch nicht über die Abhilfe entschieden. Das NachlaßG hat inzwischen die Einziehung des Erbscheins angeordnet.

Die weitere Beschwerde blieb erfolglos.


Aus den Gründen:
 

II. 2. a) Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Erbschein als unrichtig einzuziehen ist (§ 2361 I 1 BGB), wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung nicht (mehr) gegeben sind, d.h. wenn das NachlaßG ihn, hätte es über seine Erteilung gem. § 2359 BGB zu befinden, nicht mehr erteilen dürfte (vgl. BayObLGZ 1997, 59 [63]).

b) Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, daß für die Erbfolge nunmehr das Testament vom 7. 12. 1993 maßgebend ist. Nach dem Tod der Erblasserin stand dem Bet. zu 1 als dem länger lebenden Ehegatten in entsprechender Anwendung der Bestimmungen über den Erbvertrag (§§ 2281 bis 2285 BGB) das Recht zu, seine ihn bindenden wechselbezüglichen letztwilligen Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament vom 15. 7. 1994 unter den Voraussetzungen der §§ 2078 , 2079 BGB anzufechten (BGHZ 37, 331 [333] = NJW 1962, 1913; Palandt/Edenhofer, BGB, 58. Aufl., § 2271 Rdnr. 27), da er erneut geheiratet hatte und damit durch die Verfügungen ein nachträglich entstandener Pflichtteilsberechtigter übergangen war (§ 2079 S. 1 BGB; BGH, NJW 1970, 279 = FamRZ 1970, 79 [80]). Von dieser Befugnis hat der Bet. zu 1 fristgerecht (§ 2283 BGB) und formwirksam (§ 2282 III BGB) gegenüber dem zuständigen NachlaßG (§ 2281 II BGB, vgl. Palandt/Edenhofer, § 2281 Rdnr. 6) Gebrauch gemacht. Dadurch ist seine Verfügung in dem gemeinschaftlichen Testament zugunsten des Bet. zu 2 rückwirkend unwirksam geworden (§ 142 I BGB). Dies führte zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung der Erblasserin zugunsten des Bet. zu 1 in dem gemeinschaftlichen Testament (§ 2270 I BGB), da diese zu der angefochtenen Verfügung im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stand (vgl. § 2270 II BGB; vgl. auch Palandt/Edenhofer, § 2271 Rdnr. 34). Dies hat zur Folge, daß die frühere letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 7. 12. 1993, soweit sie gem. § 2258 BGB durch das spätere gemeinschaftliche Testament aufgehoben worden war, wieder als von Anfang an wirksam anzusehen ist (Staudinger/Kanzleiter, BGB, 13. Bearb., § 2271 Rdnr. 76).

c) Das LG hat zutreffend erkannt, daß die letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 7. 12. 1993 mehrdeutig ist und daher der Auslegung bedarf. Es hat dieser Verfügung im Sinne der Anordnung einer befreiten Vorerbschaft zugunsten des Bet. zu 1 und einer Nacherbschaft zugunsten des Bet. zu 2 ausgelegt. Diese Auslegung hat der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Verfahrensfehler sowie dahin zu überprüfen, ob sie nach den Denkgesetzen und Erfahrungen möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht und alle wesentlichen Umstände, insbesondere den klaren Sinn und Wortlaut der Verfügung berücksichtigt (vgl. BayObLGZ 1991, 173 [176] = NJW-RR 1991, 1288; BayObLG, ZEV 1994, 377 = FamRZ 1994, 1554 [1555]). Nach diesen Grundsätzen ist die Auslegung des LG nicht zu beanstanden.

aa) Das LG hat die erforderlichen Ermittlungen durchgeführt. Insbesondere mußte es den Bet. zu 1 nicht persönlich anhören. Dieser hatte Gelegenheit, seine Auffassung vor dem Rechtspfleger persönlich darzulegen. Sowohl im Verfahren vor dem Nachlaßrichter wie auch im Beschwerdeverfahren bestand ausreichend Gelegenheit, die aus der Sicht des Bet. zu 1 wesentlichen Umstände und Gesichtspunkte vorzutragen. Das LG durfte daher im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu dem Schluß gelangen, daß von einer persönlichen Anhörung weitere sachdienliche, die Entscheidung beeinflussende Ergebnisse nicht zu erwarten waren, und deshalb von einer solchen Ermittlungsmaßnahme absehen (vgl. BGHZ 40, 54 [57] = NJW 1963, 1972; BayObLGZ 1983, 153 [161]; BayObLG, NJW-RR 1997, 7 [8]).

bb) Das LG ist von den allgemein anerkannten Grundsätzen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen ausgegangen. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß es das Ziel der Erblasserin gewesen sei, zwar zunächst dem Bet. zu 1 als ihrem Ehemann das Vermögen zu überlassen, nach dem Tod auch des Ehemanns aber das dann noch vorhandene Vermögen dem Bet. zu 2, ihrem leiblichen Sohn, zufließen zu lassen. Unter Beachtung dieses Willens hat es das Testament dahin ausgelegt, daß der Bet. zu 1 als befreiter Vorerbe bis zu seinem Tod, der Bet. zu 2 als Nacherbe eingesetzt ist.

Diese Auslegung ist naheliegend und wird durch den Wortlaut des Testaments gestützt. Denn danach soll der Bet. zu 2 "nach beider Tod", d.h. nach dem Tod beider Ehegatten, Erbe sein, und zwar "Gesamterbe". Die Formulierung "nach beider Tod" kann zwar nach ihrem Wortsinn alle Fallkonstellationen des Versterbens der Eheleute umfassen (vgl. BayObLG, NJWE-FER 1998, 157 = FamRZ 1998, 1332 [1333]). Hier kommt aber hinzu, daß der Bet. zu 2 nach dem Willen der Erblasserin "Gesamterbe" werden, also das Vermögen beider Ehegatten erhalten und damit auf jeden Fall erben sollte. Daraus hat das LG zu Recht den Schluß gezogen, daß es der Erblasserin (zumindest auch) darauf ankam, dem Sohn ihr Vermögen zu sichern.

Dieser Schluß liegt auch deshalb nahe, weil der Bet. zu 2 in dem späteren gemeinschaftlichen Testament zum Schlußerben eingesetzt worden ist und diese Erbeinsetzung durch die Bindung des überlebenden Ehegatten an seine entsprechende wechselbezügliche Verfügung (vgl. § 2270 II BGB) abgesichert war. In einem Einzeltestament konnte dem Bet. zu 2, wie das LG zu Recht bemerkt, eine derart gesicherte Rechtsposition hinsichtlich des Nachlasses der Erblasserin zwar über eine Vor- und Nacherbschaft verschafft werden, nicht aber durch die Einsetzung als Ersatzerbe. Dann aber würde es dem Willen der Erblasserin nicht gerecht, in der Erwähnung des Sohnes als Erbe lediglich eine Ersatzerbeneinsetzung zu sehen, und zwar für den Fall, daß der Bet. zu 1 vor der Ehefrau verstirbt. Denn dann wäre der Ehemann, anders als bei Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments, in seiner Verfügung über den Nachlaß vollständig frei. Er könnte familienfremde Dritte bedenken. Daß dies dem Willen der Erblasserin entspräche, liegt sowohl nach dem Testamentswortlaut wie auch nach den Umständen und der Lebenserfahrung (vgl. dazu BayObLG, NJWE-FER 1998, 157 = FamRZ 1998, 1332 [1333]) fern. Darüber hinaus war ein Vorversterben des Ehemanns auch keineswegs wahrscheinlich. Denn die Erblasserin hat, wie der Bet. zu 1 selbst vorträgt, die Testamente während einer schweren Krankheit abgefaßt.

Da das LG den Erblasserwillen festgestellt hat, mußte es sich mit der Auslegungsregel des § 2102 II BGB nicht auseinandersetzen (BayObLG, NJWE-FER 1998, 157 = FamRZ 1998, 1332 [1333]).

d) Da der Bet. zu 2 zum Nacherben eingesetzt ist, ist der dem Bet. zu 1 erteilte Erbschein unrichtig. Denn es fehlt der gem. § 2363 I 1 BGB gebotene Nacherbenvermerk (Palandt/Edenhofer, § 2363 Rdnr. 8).