Beweislastumkehr nach § 476 BGB
bei Gebrauchtwagen
OLG Köln, Urt. v. 11.11.2003, 22 U 88/03
Fundstelle:
ZGS 2004, 40
(Eigener) Leitsatz:
Die Beweislastumkehr nach § 476
BGB findet grundsätzlich auch bei gebrauchten Sachen Anwendung.
Zentrales Problem:
Es geht um die Beweislastumkehr im
Verbrauchsgüterkaufrecht nach § 476 BGB. Diese Regelung beinhaltet
(in Umsetzung von
Art. 5 Abs. 3 VerbrGK-Rl.)
eine Vermutung für den Zeitpunkt des Vorliegens eines Sachmangels.
Es handelt sich daher um eine (qualifizierte) Beweislastregelung.
Inhaltlich steht die Vermutung im Zusammenhang mit dem
Sachmangelbegriff (§ 434) und den daraus resultierenden Rechten
des Käufers (§ 437). Ein Sachmangel liegt danach in Abwesenheit
einer abweichenden Absprache i.S. einer Haltbarkeitsgarantie (s. die
Legaldefinition in § 443 Abs. 1) nur vor, wenn die Sache „bei
Gefahrübergang“ die nach § 434 geschuldete Qualität aufweist.
Die gesetzliche Gewährleistungsfrist des § 438 BGB (idR 2 Jahre) als
solche begründet aber gerade keine solche „Haltbarkeitsgarantie“.
Während vor Ablieferung der Kaufsache der die Erfüllungstauglichkeit
der Sache behauptende Verkäufer die Beweislast für die
Mängelfreiheit der Sache trägt, geht diese Beweislast mit der
Ablieferung nach § 363 auf den Käufer über. Der Käufer muß daher,
wenn er einen Mangel nach Gefahrübergang entdeckt, nachweisen, daß
dieser bereits z.Zt. des Gefahrübergangs bestand. Zwar kann auch ein
erst nach Gefahrübergang auftretender Mangel Folge, d.h. Symptom
eines bereits bei Gefahrübergang vorliegenden „Grundmangels“ sein,
insbesondere auf mangelbegründende mangelnde Haltbarkeit der
Kaufsache zurückgehen. Freilich hat auch hier der Käufer zu
beweisen, daß z.Zt. des Gefahrübergangs ein solcher Grundmangel
bestand.
Vor der hieraus resultierenden Beweisnot schützt die – nach § 475
Abs. 1 zwingende – Vermutungsregelung des § 476. Sie begründet eine
widerlegliche Vermutung, daß die Sache bereits bei Gefahrübergang (sach)mangelhaft
war, sofern nicht „mit der Art der Sache oder des Mangels
unvereinbar“ ist. Darum geht es hier. Gemeint sind damit Fälle, in
welchen das Auftreten eines Sachmangels innerhalb der ersten 6
Monate nach Gefahrübergang keinen hinreichend wahrscheinlichen
Rückschluß auf das Vorliegen dieses Mangels oder des ihn
verursachenden „Grundmangel“ zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
erlaubt. Nicht erforderlich ist hingegen der volle
Gegenbeweis, daß der Mangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
noch nicht vorgelegen haben kann. Diesen Beweis muß der
Verkäufer erst bei Eingreifen der Vermutung zu deren Widerlegung
führen.
Eine solche Unvereinbarkeit liegt etwa bei leicht verderblichen
Waren vor, nach Auffassung des Gesetzgebers etwa auch bei
Tierkrankheiten. Das OLG ist aber zu recht der Ansicht, daß bei
gebrauchten Sachen die Vermutung nicht generell mitd er Art der
Sache unzumutbar ist.
Ein solcher genereller Ausschluß gebrauchter Sachen wäre auch mit
den Vorgaben der VerbrGK-Rl. nicht zu vereinbaren. Es sind hier
vielmehr die Grad der Abnutzung wie auch die Art des Mangels zu
berücksichtigen, d.h. eine Gesamtschau beider
Vermutungsausschlußgründe vorzunehmen. Maßgeblich ist, ob der
konkrete Mangel bei dem konkreten Kaufgegenstand mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit einen Rückschluß auf sein Vorliegen bzw. das
Vorliegen eines „Grundmangels“ zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
zuläßt. So auch hier: Der
Bruch der Feder nach wenigen gefahrenen Kilometern läßt einen
hinreichenden Schluß auf deren Mangelhaftigkeit schon z.Zt. des
Gefahrübergangs zu. Damit hatte das OLG nur noch zu klären, ob die
mangelnde Stabilität der Feder auch bei einem Gebrauchtwagen einen
Sachmangel i.S.v. § 434 Abs. 1 Atl. 2 BGB (objektiver Fehlerbegriff)
darstellt. Dies bejaht es mit überzeugender Begründung.
Der Kl. hatte vom Bekl. ein Porsche
Cabrio erworben. Kurze Zeit nach Übergabe des Fahrzeugs kam es zu
einem Bruch in der Ventilfeder des Motors. Der bekl. Verkäufer
verweigerte die Mängelbeseitigung. Der Klage des Kl. auf Rückzahlung
des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs war in
erster Instanz erfolgreich. Die Berufung des Bekl. blieb erfolglos
Gründe:
I. Die form- und fristgerecht
eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten hat
in der Sache keinen Erfolg.
1. Zu Recht hat das Landgericht der Zahlungsklage Zug um Zug gegen
Rückgabe des Pkws Porsche, Fahrgestell-Nr. XXX, stattgegeben.
Der Kläger war gemäß § 437 Nr. 2 BGB berechtigt, vom Vertrag
zurücktreten, weil das an ihn verkaufte Gebrauchtfahrzeug mangelhaft
war und der Beklagte eine Nacherfüllung verweigert hat.
a) Nach den - mit der Berufung nicht in Zweifel gezogenen -
Feststellungen des Sachverständigen I war für den während der
Besitzzeit des Klägers eingetretenen Motorschaden ursächlich ein
sogenannter Dauerbruch der Ventilfeder eines Zylinder, d.h. es ist
irgendwann zu einem Anriss der Ventilfeder gekommen, der sich beim
weiteren Betrieb des Fahrzeugs ausgedehnt und schließlich zum
vollständigen Bruch der Feder geführt hat.
Der Dauerbruch der Ventilfeder ist kein verschleißbedingter - und
bei einem Fahrzeug des betreffenden Typs unter Berücksichtigung des
Alters von 10 1/2 Jahren und der Laufleistung von rund 122.000 km zu
erwartender - Defekt und damit als Sachmangel im Sinne des § 434 BGB
zu werten. Der Sachverständigen I hat insoweit ausgeführt, dass ein
Federbruch insbesondere auch bei Porsche-Fahrzeugen ganz untypisch
sei und normalerweise nie eintrete. Auch soweit der Sachverständige
erläutert hat, ein solcher sehr seltener Schaden komme je eher vor,
je mehr ein Fahrzeug mit hoher Drehzahl gefahren werde, kann ein
Sachmangel im Rechtsinne angenommen werden, da der Kläger - mangels
entgegenstehenden Hinweises des Beklagten auf die Fahrweise(n) der
Vorbesitzer - von normaler Fahrweise ausgehen durfte und daher nur
mit normalem Verschleiß, nicht aber mit dem Vorliegen eines
Federanbruchs rechnen musste.
b) Gemäß § 476 BGB n.F. wird vermutet, dass der Anriss der
Ventilfeder, der für den nur einen Tag nach Übergabe - und nach nur
rund 700 gefahrenen Kilometern - eingetretenen Motorschaden
ursächlich war, bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Diese
Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt. Nach den Ausführungen
des Sachverständigen könnten zwischen dem Anreißen und dem
kompletten Abbruch Stunden, Tage aber auch Wochen gelegen haben. Es
ist daher nicht auszuschließen, dass der Anriss bereits vor Übergabe
vorhanden war.
Die gesetzliche Vermutung des § 476 BGB n.F. gilt grundsätzlich auch
für gebrauchte Sachen (Palandt-Putzo, BGB, 62. Aufl., § 476, Rdnr.
4), insbesondere auch für gebrauchte Kraftfahrzeuge (Reinking, DAR,
2002, 15, 23). Eine Beschränkung auf neu hergestellte Sachen würde
der umzusetzenden EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf eindeutig
widersprechen (Reinking, a.a.O.).
Die Vermutung ist vorliegend auch nicht mit der Art der Sache
unvereinbar. Eine solche Unvereinbarkeit kann vor allem gebrauchte
Sachen betreffen, bei denen die von vorneherein anzunehmende
unterschiedliche Abnutzung zu berücksichtigen ist (vgl.
Palandt-Putzo, a.a.O., Rdnr. 10; generell viel enger Reinking, a.a.O.,
S. 23, der beim Gebrauchtwagen einen Ausschluss der Vermutung erst
dann annimmt, wenn sich aufgrund technischer Gründe eindeutig sagen
lässt, dass der Mangel bei Gefahrübergang nicht vorhanden gewesen
sein kann).
Im vorliegenden Fall ist der - bereits einen Tag nach Übergabe
eingetretene - Motorschaden indes nicht auf einen - bei einem
Gebrauchtwagen grundsätzlich in Betracht zu ziehenden -
verschleißbedingten Defekt zurückzuführen, sondern beruht auf einem
normalerweise auch bei einem Gebrauchtwagen mit dieser Laufleistung
untypischen Bruch der Ventilfeder. Ein derart seltener Schaden steht
der Anwendung der gesetzlichen Vermutung des § 476 BGB n.F. nicht
entgegen.
Der Beklagte trägt daher die Beweislast dafür, dass die Ventilfeder
bei Übergabe des Fahrzeugs noch nicht angerissen war. Diesen Beweis
hat er nicht geführt, so dass der Gewährleistungsanspruch des
Klägers durchgreift.
2. Neben dem entrichteten Kaufpreis kann der Kläger vom Beklagten -
was mit der Berufung nicht angegriffen wird - auch die Kosten von
50,00 EUR für die Anmietung eines Anhängers zur Überführung des
liegen gebliebenen Pkws in eine Fachwerkstatt und die Kosten eines
vergeblichen Abholversuchs von 35,36 EUR erstattet verlangen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.
10, 713 ZPO.
III. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Der
Senat weicht weder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab
noch hat die Rechtssache über die Rechtsanwendung auf den konkreten
Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung.