Prof. Dr. Stephan Lorenz
 

 Übersicht Prozeßaufrechnung


1. Begriff

Aufrechnung des Beklagten gegen die streitbefangene Forderung während eines rechtshängigen Prozesses.

2. Rechtsnatur

Doppeltatbestand: Zum einen liegt eine materiellrechtliche (Eventual-)Aufrechnungserklärung vor, zum anderen wird diese Aufrechnung durch Prozeßhandlung als Verteidigungsmittel in den Prozeß eingeführt.

Probleme:

Eventualaufrechnung: Bedingungsfeindlichkeit der Aufrechnung sowohl aus materiellem Recht (§ 388 S. 2 BGB) als auch als Prozeßhandlung: Unbedenklich, da rein innerprozessuale Bedingung, Rechtsunsicherheit kann nicht eintreten.

Prozeßrechtliche Unzulässigkeit: Ist die Einführung der Aufrechnung aus prozessualen Gründen unzulässig (z.B. bei Zurückweisung wegen verspäteten Vorbringens) oder unwirksam, so ist die materiellrechtliche Aufrechnungserklärung nicht eo ipso unwirksam. Dann würde der Beklagte, obwohl ihm die aufrechnung im Prozeß nichts nützt, die Gegenforderung (Aktivforderung) dennoch verlieren. Hier wird entweder über § 139 (so die wohl h.L.) oder über die Annahme einer (stillschweigenden) doppelten Bedingung der materiellrechtlichen Erklärung (die Aufrechnung wird nur erklärt, wenn das Gericht die Klageforderung für bestehend hält und zugleich die Geltendmachung der Aufrechnung prozessual berücksichtigt) erreicht, daß eine prozessual erfolglose Aufrechnung auch materiellrechtlich keine Auswirkungen hat, so daß die Forderung nicht "verbraucht" wird, vgl. BGHZ 125, 351= NJW 1994, 2769.

3. Prozessuale Voraussetzungen

    Die Sachurteilsvoraussetzungen müssen grundsätzlich nicht auch für die Gegenforderung vorliegen, da die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozeß keine Klage darstellt (auf die sich die Sachurteilsvoraussetzungen beziehen). Die Gegenforderung (Aktivforderung) wird nicht rechtshängig, so daß auch mit einer anderweitig rechtshängigen Forderung aufgerechnet werden kann (vgl. BGH NJW 1999, 1179). Anders nur hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit (s.u.).

4. Wirkungen

Die materielle Rechtskraft der ergehenden Entscheidung umfaßt nach § 322 II ZPO neben dem ursprünglich geltend gemachten Streitgegenstand auch die aufgerechnete Gegenforderung, soweit über sie entschieden wurde (d.h. bei Zurückweisung der Aufrechnung wegen Nichtbestehens der Gegenforderung oder bei erfolgreicher Aufrechnung bis zur Höhe des aufgerechneten Betrages): Hat die Aufrechnung Erfolg, so steht rechtskräftig fest, daß insoweit die Gegenforderung (Aktivforderung) bestanden hat. Hat die Aufrechnung (aus materiellrechtlichen Gründen, d.h. nicht bei Nichtzulassung aus prozessualen Gründen, vgl. BGH NJW 2001, 3616) keinen Erfolg, so steht nur in Höhe des Aufrechnungsbetrags das Nichtbestehen der Forderung fest. Ein darüber hinausgehender Betrag kann noch gerichtlich geltend gemacht werden.

 

Wegen der Rechtskraftwirkung ist die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung ausgeschlossen, soweit sie nicht bereits rechtskräftig festgestellt oder anerkannt ist: Das Zivilgericht darf nicht rechtskräftig über rechtswegfremde Vorfragen entscheiden. Es muß daher nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Gegenforderung aussetzen. Dies gilt allerdings nach der Rspr. nur bezüglich "artfremder" Rechtswege, d.h. insbesondere nicht zwischen ordentlichen und Arbeitsgerichten (BGHZ 26, 305).

 

Ist die Klage über die Hauptforderung entscheidungsreif, kann der Kläger vorab bereits ein Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) erwirken, also ein auflösend bedingtes Urteil bis zur positiven Entscheidung über den Erfolg der Aufrechnung, aus dem der Kläger bereits nach § 302 III ZPO vollstrecken kann (allerdings auf eigenes Risiko, vgl. § 302 IV 3, 4 ZPO!).

 

Keine Rechtshängigkeit der Gegenforderung (Aktivforderung) (s.o.)

 


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