Prozeßaufrechnung und Rechtshängigkeit

BGH, Urt. v. 17.12.1998 - VII ZR 272/97 (OLG Düsseldorf)


Fundstellen:

NJW 1999, 1179 f
ZIP 1999,
Anm. Lorenz EWiR


Zentralproblem:

Der BGH bestätigt durch die vorliegende Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zur Konkurrenz von Aufrechnung und klageweiser Geltendmachung einer Forderung. Ebenso wie es zulässig ist, im Prozeß hilfsweise die Aufrechnung zu erklären und gleichzeitig die Gegenforderung zum Gegenstand einer Widerklage zu machen (BGH, NJW 1961, 1862 = LM § 33 ZPO Nr. 5), ist es umgekehrt auch zulässig, eine bereits rechtshängige Forderung zur Aufrechnung zu stellen (BGHZ 57, 242, 244 = NJW 1972, 450; BGH NJW-RR 1994, 379, 380). Dogmatisch liegt dem die von der h.M. zu Recht geteilte Ansicht zugrunde, daß trotz der Tatsache, daß im Falle der Prozeßaufrechnung die Entscheidung über die Aktivforderung gem. § 322 Abs. 2 ZPO sowohl positiv wie negativ in Rechtskraft erwächst, diese nicht rechtshängig i.S.v. § 261 Abs. 1 ZPO wird (so ausdrücklich BGHZ 57, 242 ff, aus der Literatur vgl. nur Musielak-Foerste, ZPO § 261 Rn. 7 m.w.N.). Daraus folgt zweierlei: Eine Aufrechnung hindert nicht die klageweise Geltendmachung einer Forderung, weil der Klage nicht der Rechtshängigkeitseinwand aus § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegensteht und umgekehrt hindert die Rechtshängigkeit der Forderung nicht ihre Geltendmachung im Wege der Aufrechnung, weil letzteres keine weitere Rechtshängigkeit begründet. Dies muß a fortiori dann gelten, wenn die Rechtshängigkeit der Forderung nicht durch den Aufrechnenden selbst, sondern durch den Zessionar begründet wurde. § 325 ZPO liefert kein Gegenargument, weil auch diese Vorschrift Rechtshängigkeit voraussetzt. Das führt zwar wegen der Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO in der Tat zur Gefahr sich widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen über die zur Aufrechnung gestellte Forderung (dies konzediert auch BGHZ 57, 242, 244), jedoch lassen sich diese Schwierigkeiten in der Tat meistern. Der vorliegende Fall liefert hierfür ein gutes Beispiel: Erfolgte die Abtretung vor der gerichtlichen Geltendmachung durch den Zedenten, so ist dessen Klage mangels Aktivlegitimation schlicht unbegründet. Wird die Abtretung nicht aufgedeckt und zahlt der gutgläubige Schuldner an den Zedenten, so ist er nach  § 407 Abs. 1 BGB befreit. Die materielle Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils kann er dem Zedenten nach § 407 Abs. 2 BGB entgegenhalten, wenn ihm bei Eintritt der Rechtshängigkeit die Abtretung unbekannt war (zur Frage der befreienden Leistung bei Kenntniserlangung nach Rechtshängigkeit vgl. BGHZ 86, 337, 340: Hinterlegung). Erfolgte die Abtretung nach Rechtshängigkeit der Forderung, so muß der Zedent seine Klage auf Leistung an den Zessionar umstellen, eine Entscheidung wirkt nach § 325 ZPO für und gegen den Zessionar. Erfolgte die Abtretung schließlich nach rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners, so kann dieser im Falle der Gutgläubigkeit wiederum befreiend an den Zessionar leisten oder aber diesem im Wege der Vollstreckungsgegenklage die nachträglich weggefallene Aktivlegitimation entgegenhalten (§ 767 Abs. 1, 2 ZPO). Praktisch wichtig ist also folgendes: Der Schuldner der zur Aufrechnung gestellten Aktivforderung geht ein nennenswertes Risiko nur ein, wenn er eine ihm bekannt gewordene Abtretung im Prozeß nicht vorträgt.
Zur internationalen Zuständigkeit bei einer Prozeßaufrechnung s. jetzt BGH NJW 2002, 2182; zur Frage der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO s. EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01, NJW 2003, 2596. Zur "doppelten Prozeßaufrechnung" s. BGH v. 8.1.2004 - III ZR 401/02.



Amtl. Leitsatz:

1. § 319 Abs. 2 BGB schließt eine Aufrechnung nicht aus, wenn Leistungszeit und Leistungsort sich lediglich aus dispositivem Recht ergeben
2. Die anderweitige Rechtshängigkeit einer Forderung, die an einen Dritten abgetreten worden ist, hindert den Dritten nicht, mit dieser Forderung hilfsweise im Prozeß aufzurechnen.



Tatbestand:

Die Parteien streiten, soweit in der Revision noch von Interesse, über die Zulässigkeit der Hilfsaufrechnung der Klägerin gegen die mit der Widerklage geltend gemachte Restwerklohnforderung der Beklagten. Die Klägerin hat zunächst Feststellung begehrt, daß der Beklagten keine Werklohnansprüche mehr zustehen; ferner hat sie Herausgabe einer Bankbürgschaft gefordert. Die Beklagte hat widerklagend Restwerklohn in Hohe von 101.734,05 DM geltend gemacht. Gegen diese Forderung hat die Klägerin hilfsweise mit einer ihr von ihrem Ehemann unter dem 26. Juli 1996 abgetretenen Forderung über 148.290,30 DM aus einem Mietverhältnis zwischen ihrem Ehemann und der Beklagten aufgerechnet. Diese Forderung hatte ihr Ehemann bei dem Landgericht 0. eingeklagt; 1997 hat er ein vorläufig vollstreckbares Urteil hierüber erwirkt. Das Landgericht hat der Widerklage in Höhe von 88.078,97 DM Zug um Zug gegen Herausgabe der Bankbürgschaft stattgegeben und im übrigen Klage und Widerklage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist im wesentlichen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision erstrebt sie die vollständige Abweisung der Widerklage und verfolgt ihr Klagebegehren mit Ausnahme des Feststellungsantrages weiter. Der Senat hat die Revision angenommen, soweit über die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung von 148.290,30 DM nicht erkannt worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat im Umfang der Annahme Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin könne mit der von ihrem Ehemann (künftig: E.) abgetretenen Mietzinsforderung über 148.290,30 DM nicht hilfsweise aufrechnen. Es sei schon zweifelhaft, ob die Forderung hinreichend bestimmt sei. Die Aufrechnung scheitere auch an § 242 BGB, weil E. die Forderung gerichtlich geltend gemacht habe, ohne die Abtretung offenzulegen oder die Klage später zurückzunehmen. Zudem habe E. ein obsiegendes Urteil erwirkt, so daß die Forderung unter Umständen zweimal zuerkannt werden könnte oder sich widersprechende Urteile ergehen könnten. Die Aufrechnung sei ferner nach § 391 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Werklohn der Beklagten sei bei Abnahme zu entrichten und grundsätzlich an dem Ort zu zahlen, an dem sie ihre Bauleistung erbracht habe; dort sei die abgetretene Mietzinsforderung nicht zu zahlen. Ungewiß sei des weiteren der Eintritt der Aufrechnungslage. Schließlich sei die Aufrechnung mit einer anderweit rechtshängigen Forderung jedenfalls unzulässig. Die Beklagte könne, sofern gegen das Urteil des Landgerichts 0. Berufung eingelegt worden sei, vortragen, E. sei aufgrund der Abtretung nicht mehr befugt, den Anspruch geltend zu machen. Sollte das Urteil allerdings rechtskräftig geworden sein, so stehe der Aufrechnung die Rechtskraft entgegen.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin kann mit der ihr abgetretenen Forderung hilfsweise gegen den Restwerklohnanspruch der Beklagten aufrechnen.
1. Die Bedenken des Berufungsgerichts zur Bestimmtheit der abgetretenen Forderung sind unbegründet. Die Klägerin hat die ihr abgetretene Forderung, mit der sie bereits erstinstanzlich die Hilfsaufrechnung erklärt hatte, im zweiten Rechtszug als Mietzinsanspruch im einzelnen spezifiziert.
2. Die Klägerin verstößt mit ihrer Hilfsaufrechnung nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft auf das Prozeßverhalten des E. in dessen Rechtsstreit bei dem Landgericht 0. abgestellt. Maßgebend ist allein das Verhalten der Klägerin in diesem Prozeß.
3. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, die Hilfsaufrechnung sei gemäß § 391 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, treffen nicht zu. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung im Zweifel ausgeschlossen, wenn die Parteien die Leistung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort vereinbart haben und für die Gegenforderung ein anderer Leistungsort besteht. Zu einer solchen Vereinbarung hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Soweit Leistungszeit und Leistungsort sich lediglich aus dispositivem Recht ergeben, schließt § 391 Abs. 2 BGB eine Aufrechnung nicht aus.
4. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirkung der Aufrechnung gemäß § 389 BGB tragen schon deshalb nicht, weil das Berufungsgericht zur Aufrechnungsforderung keine Feststellungen getroffen hat.
5. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, die Hilfsaufrechnung der Klägerin mit der anderweitig rechtshängigen Forderung sei unzulässig, sind unzutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hindert die Rechtshängigkeit einer Forderung ihren Inhaber nicht, mit dieser Forderung die Aufrechnung gegen eine Gegenforderung zu erklären, die gegen ihn eingeklagt wird. Ebenso ist es zulässig, im Prozeß hilfsweise die Aufrechnung zu erklären und gleichzeitig die Gegenforderung zum Gegenstand einer Widerklage zu machen (Senatsurteil vom 11. November 1971 - VII ZR 57/70, BGHZ 57, 242; Urteil vom 12. Januar 1994 - XII ZR 167/92, NJW-RR 1994, 379, 380 m.w.N.). Dem steht der Fall gleich, in dem die eingeklagte Forderung nicht von ihrem ursprünglichen Inhaber, sondern aufgrund einer Abtretung von dem Zessionar hilfsweise zur Aufrechnung gestellt wird. Der Zessionar tritt in vollem Umfang in die rechtliche Stellung des Zedenten ein. Daraus erwächst dem Schuldner auch kein prozessualer Nachteil. Die vom Zedenten auf Zahlung in Anspruch genommene Partei kann die Abtretung im Prozeß vortragen und dadurch erreichen, daß der Zedent seinen Klageantrag auf Zahlung an den Zessionar umstellen muß.

III.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil im Umfang der Annahme aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da Feststellungen zu Grund und Höhe der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Forderung der Klägerin fehlen.



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