Unmöglichkeit und Risikoverteilung beim Dienstvertrag: "Tic Tac Toe" und der Beleuchter oder: Kollateralschäden einer dramatischen Bandauflösung

BGH, Urteil vom 18. Oktober 2001 - III ZR 265/00 - OLG München - LG München I


Fundstelle:

NJW 2002, 595
s. insbes. die Anm. von Mankowski LM H. 2/2002 § 324 BGB Nr. 11


Amtl. Leitsatz:

Zur konkludenten Übernahme des Risikos eines Leistungshindernisses durch den Gläubiger bei einem Dienstvertrag (hier: Ausfall einer Konzerttournee, für die ein Beleuchtungstechniker engagiert worden war).


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt des sehr lehrreichen Falles steht die Frage der Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht im Falle der Unmöglichkeit.  Der Kl. war vom Bekl. für mehrere Konzerte der Girlie-Gruppe "Tic-Tac-Toe" (bekannt durch die poetische Grundsatzaussage: "Ich find' Dich Sch...") als Beleuchter engagiert worden. Nachdem sich die Gruppe zerkracht hatte, waren die Konzerte ausgefallen. Der Kläger verlangt das vereinbarte Honorar.
Der BGH qualifiziert den Vertrag wegen der Weisungsgebundenheit der geschuldeten Tätigkeit sowie wegen der geschuldeten laufenden Tätigkeit nicht als Werkvertrag, sondern als Dienstvertrag. Damit wäre im Falle des Annahmeverzugs des Bekl. der Entgeltanspruch des Kl. nach § 615 BGB erhalten geblieben. Hierfür wäre ein Vertretenmüssen seitens des Bekl. nicht erforderlich, da Annahmeverzug kein Vertretenmüssen voraussetzt (s. § 293 ff BGB). Würde man wegen des Zeitablaufs eine Fall von Unmöglichkeit annehmen, so wäre der Kl. nach § 324 I BGB a.F. (jetzt: § 326 II 1 BGB) zur Gegenleistung verpflichtet geblieben, wenn er die Unmöglichkeit zu vertreten hätte bzw. (nach neuem Recht) für den Umstand, der die Unmöglichkeit herbeigeführt hat, "allein oder überwiegend verantwortlich" ist. Eine Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht nach § 324 II BGB a.F. bzw. § 326 II1 Alt. 2 BGB n.F. käme nicht in Betracht, da die Unmöglichkeit nicht während des Annahmeverzugs eingetreten ist. Der BGH kann die Abgrenzung zwischen Annahmeverzug und Unmöglichkeit hier offen lassen, weil er auch für den Fall der Unmöglichkeit ein "Vertretenmüssen" i.S.v. § 324 I BGB a.F. bejaht. Dieser Begriff umfasse nicht nur die in § 276 BGB a.F. umschriebenen Elemente "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit", sondern sei auch im Falle einer vertraglichen Risikoübernahme gegeben. Eine solche ergebe sich hier im Wege einer interessengerechten Auslegung des Vertrages.
Nach neuem Recht der wäre der Fall nicht anders zu entscheiden. Der Begriff der "Verantwortlichkeit" i.S.v. § 326 II 1 BGB n.F. ist im Sinne von "Vertretenmüssen" zu verstehen. Der Begriff des Vertretenmüssens ist nunmehr ausdrücklich um die Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos erweitert worden (s. § 276 BGB n.F.), so daß nunmehr eindeutig auch im Rahmen des § 326 II 1 BGB n.F. Raum für eine vertragliche Risikoübernahme bleibt; s. dazu jetzt
BGH v. 11.11.2010 - III ZR 57/10. S. dazu auch BGH v. 25.6.2024 - X ZR 97/23.


Tatbestand:

Der Kläger ist Inhaber eines Betriebes für Beleuchtungstechnik und Lichtdesign. Die Beklagte ist Konzertveranstalterin im Bereich der Rock- und Pop-Musik. Sie bereitete für September bis November 1997 eine Tournee der Musikgruppe "Tic Tac Toe" vor. Für diese Tournee engagierte sie den Kläger als Beleuchtungstechniker. Für jeden Konzert-, Aufbau- und Probeabend sollte er eine Vergütung von 450 DM und für jeden vorbereitungs-, reise- und veranstaltungsfreien Tourneetag 225 DM zuzüglich Mehrwertsteuer erhalten. Die Kosten für Verpflegung, Hotelunterbringung und Anreise sollten von der Beklagten übernommen werden.

Der Beginn der Tournee wurde zunächst auf den 2. Oktober 1997 und sodann auf das Jahr 1998 verschoben. Die Durchführung der Tournee scheiterte endgültig am 21. November 1997, weil sich die Mitglieder der Gruppe, drei Sängerinnen, zerstritten hatten.

Der Kläger nimmt nunmehr die Beklagte auf Ersatz des ihm entgangenen Verdienstausfalls in Anspruch, abzüglich einer von der Beklagten geleisteten Zahlung. Beide Vorinstanzen haben der Klage in Höhe des vom Kläger beanspruchten Restbetrages von 13.820 DM nebst Zinsen stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht gemäß § 615 oder § 324 Abs. 1 BGB der geltend gemachte Anspruch auf die restliche Vergütung zu.

1. Die Annahme beider Vorinstanzen, der Vertrag, den die Parteien geschlossen hatten, sei ein Dienstvertrag und kein Werkvertrag gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger verpflichtet, während der geplanten Tournee als Chef der Lichtabteilung für die Beleuchtung und die Lichteffekte entsprechend dem Gestaltungsplan des Lichtdesigners zu sorgen. Bei dieser Tätigkeit war er nicht nur dessen Weisungen, sondern auch denjenigen des Produktionsleiters - bei Änderungen im Konzertablauf sowie hinsichtlich der zeitlichen Abfolge beim Ab- und Aufbau der Beleuchtungsanlage - unterworfen. Dieses Leistungsbild ist eher einer für den Dienstvertrag charakteristischen allgemeinen, laufenden Tätigkeit zuzuordnen als dem fest umrissenen Leistungsgegenstand eines Werkvertrages (vgl. zur Abgrenzung: BGH, Urteil vom 1. Februar 2000 - X ZR 198/97 = NJW 2000, 1107 m.w.N.). Indiziell wird dies dadurch bestätigt, daß die vereinbarte Vergütung sich ausschließlich nach der Zahl der jeweiligen Konzert-, Aufbau- und Probeabende (voller Vergütungssatz) einerseits und der vorbereitungs-, reise- und veranstaltungsfreien Tourneetage (geminderter Vergütungssatz) andererseits richtete, also von der Erzielung eines bestimmten Leistungserfolges unabhängig war. Auch der Umstand, daß die Dienstleistungen des Klägers eine ordnungsgemäße Beleuchtung während der Konzertveranstaltungen bewirken sollten, ändert nichts daran, daß Inhalt der Vertragspflichten des Klägers die Erbringung der Dienste selbst gewesen war. Daß der Dienstberechtigte Interesse auch am Erfolg der Tätigkeit des Dienstverpflichteten hat, macht den Vertrag noch nicht zum Werkvertrag (MünchKomm/Soergel BGB 3. Aufl. 1997 § 631 Rn. 13).

2. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß durch das endgültige Zerwürfnis der Gruppe Tic Tac Toe die Tournee nicht mehr stattfinden konnte, weil niemand die Mitglieder der Gruppe zu einem Konzert zwingen konnte. Es stellt weiter fest, daß es aufgrund der großen Bekanntheit von Tic Tac Toe in Deutschland nicht möglich war, diese individuelle Gruppe durch den Auftritt einer anderen zu ersetzen, so daß die Beklagte die angemieteten Konzertbühnen zwar durch den Kläger hätte beleuchten lassen können, an dieser Leistung jedoch kein Interesse der Beklagten mehr bestand, weil der mit der Beleuchtung verfolgte Leistungszweck - die Lichtshow für die Gruppe Tic Tac Toe - nicht mehr erreicht werden konnte.

3. Diesen Fall der Störung des Verwendungszwecks unterstellt das Berufungsgericht den Regelungen des Annahmeverzuges und spricht dem Kläger nach § 615 BGB die vertraglich vereinbarte Vergütung zu. Wegen der von ihm als rechtsgrundsätzlich angesehenen Frage, wie Annahmeverzug und Unmöglichkeit in den Fällen, in denen im Rahmen eines Dienstvertrages der Leistungszweck nicht mehr erreicht werden kann, voneinander abzugrenzen sind, hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen. Diese Frage bedarf hier indessen keiner Entscheidung.

a) Denn selbst wenn man insoweit der Rechtsauffassung der Beklagten folgen und annehmen würde, daß die dem Kläger obliegende Leistung wegen endgültiger Zweckverfehlung unmöglich geworden ist, würde sich an dem Ergebnis nichts ändern. Es läge dann nämlich ein Fall von der Beklagten als der Gläubigerin der geschuldeten Leistung zu vertretender Unmöglichkeit vor, der zu ihren Lasten die Rechtsfolgen des § 324 Abs. 1 BGB auslösen würde, die mit denen des § 615 BGB identisch sind.

b) Es ist anerkannt, daß zur Klärung der Frage, ob der Gläubiger die Unmöglichkeit der dem Schuldner obliegenden Leistung zu vertreten hat, neben § 276 BGB vorrangig an den Inhalt des jeweiligen Vertrages anzuknüpfen ist. § 324 Abs. 1 BGB ist folglich auch dann anwendbar, wenn der Gläubiger in dem Vertrag ausdrücklich oder konkludent das Risiko des betreffenden Leistungshindernisses übernommen hat (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1979 - V ZR 58/76 = NJW 1980, 700; MünchKomm/Emmerich BGB 4. Aufl. 2001 § 324 Rn. 14; Staudinger/Otto, Neubearb. 2001, § 324 Rn. 17; Palandt/Heinrichs, BGB 60. Aufl. 2001, § 324 Rn. 6). Das Berufungsgericht zeigt auch ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine stillschweigende Übernahme des Veranstaltungsrisikos durch die Beklagte auf: Nur ihr war es möglich, dieses Risiko vor Beginn der Tournee abzuschätzen, da sie im ständigen Kontakt mit den Managern der verschiedenen Künstlerinnen stand. Hingegen standen dem Kläger insoweit keine Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung. Die Störung wurde nicht von einer der Parteien, sondern durch einen Dritten verursacht, mit welchem nur die Beklagte, nicht dagegen der Kläger, in einem Vertragsverhältnis stand. Das Risiko, daß ihr Vertragspartner sich nicht vertragsgerecht verhält, kann sie nicht auf den Kläger überwälzen. Ihr bleibt es vielmehr unbenommen, sich an ihrem Vertragspartner schadlos zu halten und den Vergütungsanspruch des Klägers in ihre eigene Schadensberechnung einzustellen. Als der Beginn der Tournee zum ersten Mal - sei es damals auch nur vorläufig - verschoben wurde, äußerte der Kläger gegenüber dem Verhandlungsführer der Beklagten, wenn die Tournee nicht stattfinde, habe er sofort eine neue Produktion, bei der er arbeiten könne. Der Vertreter der Beklagten wies den Kläger darauf hin, daß er mit ihr einen Vertrag habe und daß er verpflichtet sei, für die geplante Tournee der Tic Tac Toe zur Verfügung zu stehen. Daraufhin hatte der Kläger die andere Tournee nicht angenommen. Die Beklagte hat dies zwar in ihrer Berufungsbegründung näher dahin erläutert, daß es sich nur um ein vorübergehendes Hindernis - eine Verletzung einer der Künstlerinnen - gehandelt habe. Gleichwohl ist der Umstand, daß die Beklagte den Kläger auf diese Weise an dem Vertrag festgehalten und ein anderweitiges Engagement des Klägers verhindert hat, vom Berufungsgericht mit Recht als ein gewichtiges Indiz dafür gewertet worden, daß vom Empfängerhorizont des Klägers mangels eines anderweitigen abweichenden Vorbehaltes auch das Risiko des endgültigen Scheiterns der Tournee von der Beklagten übernommen werden sollte.

4. Auch die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Fälligkeit und Höhe des Vergütungsanspruchs lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 565 a ZPO).