(Keine) Ersatzfähigkeit des Schadens einer Eiskunstläuferin bei Verletzung ihres Paarlaufpartners: Keine Ersatzfähigkeit primärer Vermögensschäden, kein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

BGH, Beschluß vom 10. Dezember 2002 - VI ZR 171/02 - OLG Dresden - LG Chemnitz


Fundstelle:

NJW 2003, 1040


Amtl. Leitsatz:

Wird der Partner eines erfolgreichen und bekannten Eiskunstlaufpaares bei einem Verkehrsunfall verletzt, so kann die Partnerin von dem Schädiger keinen Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch den zeitweiligen unfallbedingten Ausfall des Partners entstanden ist; für einen Anspruch unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehlt es jedenfalls an einem betriebsbezogenen Eingriff.


Zentrale Probleme:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage der Haftung nach § 823 I BGB bei Eingriff in den "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" (s. dazu bereits die Anm. zu BGH NJW 1999, 279 und BGH v. 15.3.2012 - VI ZR 117/11 sowie BGHZ 29, 65 ff). Die Klägerin, eine Eiskunstläuferin, macht gegen den Bekl. Schadensersatzansprüche geltend, weil dieser bei eine Verkehrsunfall ihren Eislaufpartner verletzt hatte, was bei der Kl. zu Einnahmeausfällen führte. Da die Kl. selbst in keinem der in § 823 I BGB ausdrücklich genannten Rechte (Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum) verletzt war, kam eine Haftung nur in Betracht, wenn ein "sonstiges" (absolutes) Recht der Klägerin verletzt worden wäre. Der BGH verneint hier eine Haftung wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Er läßt dabei offen, ob es sich bei einem Eislaufpaar überhaupt um einen "Gewerbebetrieb" handelt. Jedenfalls scheitere eine Haftung an der fehlenden Betriebsbezogenheit des Eingriffs.

S. dazu auch das folgende (grobe!) Aufbauschema:


Aufbauschema zu § 823 Abs. 1 BGB bei Verletzung des Rechts
am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

Die Haftung wegen Eingriffs in dieses Recht kommt nur in Betracht, wenn eine anderweitige Rechtsgrundlage nicht gegeben ist und eine Regelungslücke besteht. Ob ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegeben ist, kann folgendermaßen geprüft werden:

 A.         Voraussetzungen

 I.          § 823 Abs. 1 anwendbar?

 Da § 823 Abs. 1 im Hinblick auf den Gewerbebetrieb ein Auffangtatbestand ist, ist diese Vorschrift nicht anwendbar, wenn Spezialbestimmungen - UWG, GWB, § 824 -  eingreifen. Str. ist, ob dies auch für § 826 und § 823 Abs. 2 gilt.

 II.         Voraussetzungen des § 823 Abs. 1

 1.         Beeinträchtigung eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes

a)         Gewerbebetrieb:

Str. ist, ob der Begriff des Gewerbebetriebes nur im üblichen Sinne, d. h. im Sinne des Gewerbe- und Handelsrechts verstanden werden soll, oder ob auch eine freiberufliche, künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeit darunter fällt, wenn sie einen organisatorischen Zusammenhang aufweist.

b)         Schutzbereich des Rechtes am Gewerbebetrieb

Umfaßt den gesamten gewerblichen Tätigkeitskreis in seinen einzelnen Erscheinungsformen, also auch Ansehen und Ruf, Kundenkreis und Geschäftsverbindungen.

c)         Unmittelbarer (= betriebsbezogener) Eingriff, der gezielt  gegen den Betrieb selbst erfolgt und nicht nur gegen ein bestimmtes selbständiges Recht oder Rechtsgut (Stromkabel-Fälle)

2.         Rechtswidrigkeit

Ist nicht indiziert, sondern muss aufgrund einer umfassenden Güter- u. Interessenabwägung positiv festgestellt werden. Dabei sind zu berücksichtigen:

-           seitens des Verletzten: Schwere des Eingriffs, Verhalten des Verletzten vorher etc.
-           seitens des Schädigers: Motive und Zweck des Eingriffs, Grundrechte, insbesondere Art. 5 GG, Art und Weise des Eingriffs, Rechtfertigungsgründe z. B. § 193 StGB.

3.         Verschulden

B.         Rechtsfolge

Ersatz des durch die Rechtsgutverletzung entstandenen Schadens

 

©sl 2003


Gründe:

I.

Die Klägerin ist Eiskunstläuferin. Sie bildet mit ihrem Paarlaufpartner S. ein seit Jahren eingespieltes, international erfolgreiches und bekanntes Eiskunstlaufpaar. Im Dezember 1997 wurde der Partner der Klägerin bei einem Verkehrsunfall verletzt. In der Folge konnten beide den gemeinsamen Paarlauf wegen der Verletzung des Partners zeitweise nicht ausüben. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des Schädigers. Sie ist für den durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden in vollem Umfang einstandspflichtig. Dem Partner der Klägerin hat sie einen Betrag von 300.000 DM gezahlt, wobei auch Schadenspositionen berücksichtigt wurden, die sich aufgrund der zeitweiligen Beeinträchtigung der Sportausübung ergaben. Mit der vorliegenden Klage erstrebt die Klägerin Ersatz des ihr insoweit entstandenen Schadens (Ausfall von Wettkämpfen, schlechtere Platzierungen, Verlust von Sponsoren- und Preisgeldern). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, es fehle an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch; insbesondere ergebe sich ein Anspruch nicht unter dem Gesichtpunkt einer Verletzung des Rechts der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist statthaft und in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§ 544 Abs. 1, 2 ZPO). In der Sache hat sie keinen Erfolg, weil die Klägerin keinen Grund für die Zulassung der Revision dargelegt hat (§ 544 Abs. 2 Satz 3, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Klägerin meint, es liege der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) vor; es bedürfe grundsätzlicher Klärung, ob der Partner eines im Hochleistungssport tätigen Paars, bei dem jeder Partner für die Ausübung des Sports zwingend auf den anderen angewiesen ist, bei einer Verletzung des anderen Partners durch einen Dritten diesen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann.

Dem kann nicht gefolgt werden. Der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO liegt ebensowenig vor wie der des - in der Beschwerdebegründung inzident angesprochenen - § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die für die Lösung des Streitfalls maßgeblichen Fragen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden.

1. Für die Entscheidung über die Klage kann dahin stehen, ob eine Sportlergruppe, wie ein Eiskunstlaufpaar, bei der jeder Partner für eine optimale und finanzielle Vorteile sichernde Sportausübung unabdingbar auf die Mitwirkung der anderen Partner angewiesen ist, als "eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb" im Sinne der Rechtsprechung angesehen werden kann (zur Problematik vgl. Münch-Komm-Mertens, BGB, 3. Aufl., § 823 Rdn. 488; Soergel-Zeuner, 12. Aufl., § 823 Rdn. 150 ff.; Staudinger-Hager, 13. Bearb. 1999, § 823 Rdn. D 6; jew. m.w.N.).

2. Jedenfalls fehlt es - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - bei Fallgestaltungen wie der des Streitfalls nach gefestigter Rechtsprechung an einem unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff in den "Gewerbebetrieb".

Der Senat hat bereits mehrfach betont, daß der von der Rechtsprechung erarbeitete Deliktsschutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht in einen allgemeinen deliktischen Vermögensschutz für Gewerbetreibende ausufern darf, die dem deutschen Rechtssystem der in kasuistischer Art geregelten Deliktstatbestände zuwider laufen würde (Senatsurteile BGHZ 29, 65, 74; 66, 388, 393). Deshalb bedarf es für eine sachgerechte Eingrenzung des Haftungstatbestandes des Erfordernisses eines unmittelbaren Eingriffs in dem Sinne, daß der Eingriff sich irgendwie gegen den Betrieb als solchen richtet, also betriebsbezogen ist und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft (Senatsurteile BGHZ 29, 65, 74; 66, 388, 393; Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - NJW 1983, 812, 813; vgl. ferner etwa BGHZ 55, 153, 161; 69, 128, 139; 86, 152, 156; Münch-Komm-Mertens, aaO, Rdn. 489 ff.; Soergel-Zeuner, aaO, Rdn. 108 ff.; Staudinger-Hager, aaO, Rdn. D 11 ff.; jew. m.w.N.).

Von einem derart abgegrenzten Eingriff kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine Rede sein, wenn es zu Störungen im Betriebsablauf aufgrund eines schädigenden Ereignisses kommt, das in keinerlei Beziehung zu dem Betrieb steht, mag dadurch auch eine für das Funktionieren des Betriebs maßgebliche Person oder Sache betroffen sein. Insbesondere die Schädigung einer zum Betrieb gehörenden Person stellt danach keinen betriebsbezogenen Eingriff dar (Senatsurteile BGHZ 29, 65, 73, 74; vom 14. April 1954 - VI ZR 107/52 LM Nr. 4 zu § 823 (Da) BGB; vom 23. November 1976 - VI ZR 191/74 - LM Nr. 21 zu § 249 (Hd) BGB; vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - aaO; vom 21. November 2000 - VI ZR 231/99 - NJW 2001, 971, 972; ferner BGHZ 7, 30, 36; Münch-Komm-Mertens, aaO, Rdn. 490; Soergel-Zeuner, aaO, Rdn. 112; Staudinger-Hager, aaO, Rdn. D 18; jew. m.w.N.). Wer durch verkehrswidriges Verhalten einen Verkehrsunfall verursacht, kann dabei sowohl eine beliebige Privatperson als auch einen wichtigen Mitarbeiter eines Betriebes verletzen. Die Verletzungshandlung kann jedermann treffen. Der Schädiger verletzt daher keine Verhaltenspflichten, die ihm gerade im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs obliegen (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76 - NJW 1977, 2264, 2265).

Zu dieser Fallgruppe zählt ersichtlich auch der Streitfall. Der Eiskunstlaufpartner der Klägerin wurde im Dezember 1997 durch einen Verkehrsunfall verletzt. Absolute Rechte der Klägerin wurden dadurch nicht beeinträchtigt. Dem Unfallereignis, für das die Beklagte einzustehen hat, fehlt auch jeder Bezug zu der sportlichen Betätigung der Klägerin und ihres Partners, also dem maßgeblichen "Gewerbebetrieb", von dessen Bestehen hier ausgegangen werden soll (vgl. oben 1). Die Klägerin weist in der Beschwerdebegründung keine tragfähigen Gesichtspunkte auf, wie dieser Bezug hergestellt werden könnte. Der Verweis darauf, daß die Partner für eine erfolg- und gewinnbringende sportliche Betätigung unabdingbar aufeinander angewiesen seien, hilft nicht weiter. In den in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen hatten die jeweils mittelbar geschädigten, aber nicht in ihren absoluten Rechten beeinträchtigten Kläger regelmäßig erhebliche Verluste entschädigungslos hinzunehmen. Dies ist eine Folge der gesetzlichen Regelung, die keine generalklauselartige Haftung für erlittene Vermögensschäden kennt. Wie die Ausnahmeregelungen der §§ 844, 845 BGB deutlich zeigen, ordnet das Deliktsrecht keine darüber hinaus gehende Haftung für solche Schäden an, die Dritten, nicht in ihren Rechtsgütern verletzten, sondern durch das Schadensereignis nur mittelbar Geschädigten entstanden sind.

Die Haftung für Eingriffe in den Gewerbebetrieb dient als Auffangtatbestand (Senatsurteile vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76 - aaO; vom 23. Oktober 1979 - VI ZR 230/77 - NJW 1980, 881, 882; ferner BGHZ 69, 128, 138 f.; Münch-Komm-Mertens, aaO, Rdn. 484; Staudinger-Hager, aaO, Rdn. D 20 ff.; jew. m.w.N.), der lediglich den gesetzlichen Schutz ergänzen und bestehende Haftungslücken ausfüllen kann. Er bietet keine Handhabe, den Haftungsschutz dort auszudehnen, wo ihn das Gesetz gerade verwehrt (Senatsurteil vom 23. Oktober 1979 - VI ZR 230/77 - aaO; Münch-Komm-Mertens, aaO; Staudinger-Hager, aaO; jew. m.w.N.). Dies ist aber im Bereich der mittelbar durch ein Schadensereignis erlittenen Vermögensschäden der Fall. Es ist auch nicht gerechtfertigt, in diesem Bereich ein Sonderrecht für Gewerbetreibende zu schaffen, während andere mittelbar Geschädigte ohne Schadensausgleich bleiben (Senatsurteil vom 21. Juni 1977 - VI ZR 58/76 - aaO; Münch-Komm-Mertens, aaO, Rdn. 491; Soergel-Zeuner, aaO, Rdn. 109). Der Streitfall gibt danach keinen Anlaß, von der gefestigten Rechtsprechung abzuweichen und im Wege der Rechtsfortbildung einen vom Gesetz gerade nicht gewollten Haftungstatbestand zu kreieren.

Die Beschwerde ist demgemäß mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.