NJW 1992, 1503
LM § 705 BGB Nr. 59
MDR 1992, 857
BB 1992, 664
DB 1992, 988
WM 1992, 693
ZIP 1992, 541
FamRZ 1992, 783
Zentrales Problem:
Im Zentrum der Entscheidung steht das Problem der
"fehlerhaften" oder "faktischen" Gesellschaft (vgl. dazu die Anm. zu BGH
NJW 1992, 1501). Das Problem stellt sich hier im Zusammenhang mit einem
fehlerhaften Austritt. Der Austritt des Gesellschafters war hier gem. §
105 II BGB nichtig. An sich wäre er nach den Grundsätzen der
fehlerhaften Gesellschaft als wirksam ausgetreten zu behandeln und ihm
ein Wiedereintrittsrecht zu gewähren gewesen. Da aber die Grundsätze
der fehlerhaften Gesellschaft nicht "zu Lasten" Geschäftsunfähiger
gehen soll, bleibt es in diesem Fall bei der Nichtigkeit desd Austritts,
d.h. der Kl. ist weiterhin Gesellschafter geblieben. Die Besonderheit des
Falles besteht darin, daß dies für ihn im konkreten Fall
nachteilig war, weil es um die Haftung für Schulden ging, die nach
seinem (nichtigen) Austritt enstanden sind. Der BGH legt aber zu Recht
dar, daß es bei der Frage der Nachteiligkeit nur auf die unmittelbaren
Folgen des Rechtsgeschäfts (hier: Austritt) ankommt. Der BGH führt
dazu aus, daß der "nicht voll Geschäftsfähige ... vor den
Folgen seiner Willenserklärung, nicht dagegen vor solchen Nachteilen
geschützt (wird), die ihn aufgrund des ohne die Erklärung bestehenden
Rechtszustandes treffen." Es darf m.a.W. nicht in einer Art "Rosinentheorie"
je nachdem entschieden werden, ob die Gesellschaft Gewinne oder Verluste
gemacht hat. Der BGH drückt dies deutlich aus, indem er darlegt, daß
"die Anwendung von Schutzvorschriften ... sich ... nicht danach richten
(kann), was für den einzelnen Betroffenen günstiger ist; denn
das würde zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen".
Amtl. Leitsatz:
Der Grundsatz, wonach ein nicht voll Geschäftsfähiger nicht nach den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft an seiner unwirksamen Willenserklärung festgehalten werden kann, gilt auch im Fall des § 105 II BGB und auch beim Ausscheiden aus der Gesellschaft
Der Kl. trat im Dezember 1969 den Bekl. zu 1 und
3, zwei Kommanditgesellschaften, als Kommanditist bei. Am 21. 7. 1977 schlossen
die - personengleichen - Gesellschafter für jede der beiden Gesellschaften
einen Vertrag, in dem das Ausscheiden des Kl. (und seiner Stiefmutter)
und der Eintritt von vier neuen Kommanditisten, unter ihnen die Bekl. zu
2 a und b, vereinbart wurden. Für den Kl. wurden die Verträge
von dessen Vater mit dem Zusatz "i. V." unterzeichnet. Am 8. 5. 1978 unterschrieb
der Kl. gleichlautende, notariell beglaubigte Erklärungen, mit denen
er den von seinem Vater zum Handelsregister erklärten Anmeldungen
seines Ausscheidens aus den Gesellschaften beitrat. Am 12. 5. 1978 unterzeichnete
er auf Veranlassung seines Vaters ein weiteres Schriftstück, in dem
erklärt wurde, daß der Kl. seinen Vater bevollmächtigt
habe, die beiden Verträge über den Gesellschafterwechsel in seinem,
des Kl., Namen zu unterzeichnen, und daß er vorsorglich die von seinem
Vater in den Verträgen vom 21. 7. 1977 für ihn abgegebenen Erklärungen
genehmige. Das Ausscheiden des Kl. und seiner Schwiegermutter und der Eintritt
der beiden Bekl. zu 2 wurde am 2. bzw. 3. 7. 1979 in das für die jeweilige
Gesellschaft zuständige Handelsregister eingetragen. Der Kl. hat Klage
auf Feststellung erhoben, daß die Vereinbarungen vom 21. 7. 1977
unwirksam seien und daß er noch als Kommanditist der Bekl. zu 1 und
3 gelte. Er hat vorgetragen, er habe seinem Vater zum Abschluß jener
Verträge keine Vollmacht erteilt, und geltend gemacht, seine im Mai
1978 abgegebenen Erklärungen seien unwirksam, weil er wegen einer
manisch-depressiven Geisteskrankheit geschäftsunfähig gewesen
sei.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das BerGer. hat
ihr stattgegeben. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Das BerGer. hat festgestellt, der Kl. habe sich,
als er am 8. 5. 1978 die Anmeldungen zum Handelsregister unterzeichnete
und am 12. 5. 1978 die Genehmigungserklärung abgab, in einem Zustand
vorübergehender Störung der Geistestätigkeit i. S. des §
105 II BGB befunden.
Die Revision rügt, das BerGer. sei verfahrensfehlerhaft
zu diesem Ergebnis gelangt. Sie meint, das BerGer. habe sich über
die Stellungnahmen der von ihm und zuvor vom LG hinzugezogenen Gutachter
hinweggesetzt; beide Sachverständige hätten nicht feststellen
können, daß sich der Kl. in jenem Zeitraum in einer "manischen
Phase" befunden habe. Dies trifft indessen so nicht zu. Der Sachverständige
Dr. T hat in seinem schriftlichen Gutachten einen solchen Zustand der punktuellen
Geschäftsunfähigkeit als "zwar möglich, ... jedoch nicht
als feststehend bzw. erwiesen" angesehen. Bei seiner persönlichen
Anhörung im Anschluß an die in seiner Gegenwart vernommenen
Zeugen hat er gesagt: "Wenn ich die... Zeugenaussagen höre, hat sich
der Kl. gerade in jener Zeit in einem desolaten Zustand befunden. Es muß
dem Gericht überlassen bleiben, wie diese Zeugenaussagen zu würdigen
sind." Das vom BerGer. zusätzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen
Dr. S von der Landesnervenklinik A. endet mit der folgenden Zusammenfassung:
"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann nur noch festgestellt werden, daß
die manische Phase... sehr wahrscheinlich so ausgeprägt war, daß
sich Herr X zum fraglichen Zeitpunkt in einem die freie Willensentscheidung
ausschließenden Zustande befand, ein sicherer Beweis kann jedoch
nicht erbracht werden. Letztlich handelt es sich dabei um eine juristische
Entscheidung." Das BerGer. hat sich mit diesen Stellungnahmen auseinandergesetzt
und sinngemäß ausgeführt, es sei in einer solchen Lage
letztlich Sache des Gerichts, ob es von der zu beweisenden Tatsache überzeugt
sei. Dieser Standpunkt entspricht der Rechtsprechung des BGH (vgl.
BGHZ 53, 245 (256) = NJW 1970, 946). Das BerGer. hat auf dieser Grundlage
die Zeugenaussagen sehr ausführlich gewürdigt und ist so zu der
Überzeugung gelangt, daß der Kl. sich damals in einer seine
Zurechnungsunfähigkeit bewirkenden manischen Phase befunden habe.
Diese Ausführungen des BerGer. liegen im wesentlichen auf tatsächlichem
Gebiet und lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
Dies gilt auch, soweit das BerGer. zu der Ansicht
gelangt ist, der Kl. habe sich bei seiner damaligen Entscheidung allein
vom Einfluß seines Vaters, von unkontrollierten Trieben und von zufälligen
kurzfristigen Vorteilen leiten lassen - der Kl. hat nach seiner Darstellung
die 1000 DM, die ihm sein Vater anläßlich der Unterschrift am
12. 5. 1978 gegeben hat, unmittelbar danach in einem Bordell "verjubelt"
-, was zu dem von den Sachverständigen beschriebenen Krankheitsbild
passe. Die Revision wirft dem BerGer. vor, es habe dabei Ursache und Wirkung
verwechselt. Es habe den Schluß auf die Zurechnungsunfähigkeit
des Kl. daraus abgeleitet, daß dieser die wirtschaftliche Tragweite
seiner Erklärung nicht erkannt habe. Es komme aber gerade umgekehrt
darauf an, ob letzteres seinen Grund in der Störung der Geistestätigkeit
gehabt habe; auch ein voll Geschäftsfähiger erfasse nicht immer
die gesamten Folgen seiner Willenserklärungen. Das BerGer. hat indessen
nur folgendes sagen wollen: Der Kl. habe vor der Fahrt zu seinem Vater
nach V. - dort hat er die Unterschriften geleistet - mehrfach geäußert,
daß er "nicht unterschreiben" werde. Wenn er dann unter dem Einfluß
seines Vaters und der ihm angebotenen, für ein kurzfristiges Vergnügen
verwendbaren 1000 DM seinen vorher gefaßten Entschluß so schnell
umgeworfen habe, so lasse sich das zwanglos damit erklären, daß
dafür das von den Sachverständigen beschriebene Krankheitsbild
verantwortlich gewesen sei. Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit
kommt es darauf an, ob dem Betroffenen eine freie Entscheidung aufgrund
einer sachlichen Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte
möglich ist; das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn er fremden
Willenseinflüssen unterliegt oder die Willensbildung durch unkontrollierte
Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung
von Ursache und Wirkung ausgelöst wird (BGH, NJW 1970, 1680 (1681)
= LM § 104 BGB Nr. 7 m. w. Nachw.). Diese Grundsätze hat das
BerGer. seiner tatsächlichen Würdigung zugrunde gelegt.
2. Das BerGer. hat sich nicht mit der Frage befaßt,
ob der Kl. trotz Nichtigkeit der sein Ausscheiden betreffenden Erklärungen
nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft wirksam
aus den beiden Kommanditgesellschaften ausgeschieden ist. Diese Grundsätze
sind nach der Rechtsprechung des Senats nicht nur auf die Gesellschaftsgründung
und den Beitritt zu einer schon bestehenden Gesellschaft, sondern auch
auf das Ausscheiden aus der Gesellschaft anzuwenden (Senat, NJW 1969, 1483
= LM § 138 HGB Nr. 11 = WM 1969, 791; LM § 15 GmbHG Nr. 12 =
WM 1975, 512 (513 f.)). Andererseits endet der Geltungsbereich der Regeln
über die fehlerhafte Gesellschaft dort, wo gewichtige Interessen der
Allgemeinheit oder einzelner schutzwürdiger Personen entgegenstehen;
unter diesem Gesichtspunkt können insbesondere nicht voll geschäftsfähige
Personen nicht an einem von ihnen geschlossenen Gesellschaftsvertrag festgehalten
werden (BGHZ 17, 160 (167 f.) = NJW 1955, 1067 = LM § 1822 Nr. 3 BGB
Nr. 3, § 105 HGB Nr. 10; BGH, NJW 1983, 748 = LM § 705 BGB Nr.
40).
a) Die Revision meint, eine nach § 105 II
BGB nichtige Willenserklärung könne derjenigen eines Geschäftsunfähigen
oder eines beschränkt Geschäftsunfähigen nicht gleichgestellt
werden. Im Gegensatz zu diesen soeben genannten Personen könne im
Fall des § 105 II BGB der Betroffene aufgrund seiner im übrigen
gegebenen Geschäftsfähigkeit gegen die Rechtsfolgen seiner Erklärung
vorgehen; der Kl. hätte die aufgrund der Vereinbarung über sein
Ausscheiden vorgenommene Handelsregistereintragung verhindern oder alsbald
beseitigen können.
Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.
§ 105 II BGB stellt eine im Zustand vorübergehender Störung
der Geistestätigkeit abgegebene Willenserklärung derjenigen eines
Geschäftsunfähigen gleich. Ein solcher - und ein beschränkt
Geschäftsfähiger - soll vor den Rechtsfolgen einer von ihm ohne
seinen gesetzlichen Vertreter abgegebenen Willenserklärung weitestgehend
geschützt werden; dieser Schutz geht dem allgemeinen Vertrauens- und
Verkehrsschutz vor (BGHZ 17, 160 (168) = NJW 1955, 1067 = LM § 1822
Nr. 3 BGB Nr. 3, § 105 HGB Nr. 10). Er kann nicht im Hinblick auf
die etwaige Möglichkeit des Betroffenen selbst oder seines gesetzlichen
Vertreters, jene Rechtsfolgen zu beseitigen, eingeschränkt werden.
Würde man den von der Revision vertretenen Standpunkt gelten lassen,
dann verdienten auch Entmündigte und Minderjährige gegenüber
den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft keinen Schutz, weil ihre gesetzlichen
Vertreter für eine Beseitigung der durch die nichtige Willenserklärung
bewirkten Folgen sorgen können. Das wäre mit dem Schutzzweck
des Gesetzes nicht vereinbar.
b) In einem Teil des Schrifttums wird die Auffassung
vertreten, in den Fällen des Ausscheidens aus einer Gesellschaft bedürfe
der nicht voll Geschäftsfähige keines Schutzes. Ein von ihm geschlossener
Vertrag über sein Ausscheiden sei bis zu einer Entscheidung des gesetzlichen
Vertreters über den Wiedereintritt als wirksam zu behandeln; dadurch
werde er davor bewahrt, für die während seiner Abwesenheit begründeten
Gesellschaftsschulden haften zu müssen (Däubler, BB 1966, 1292
(1294); Hartmann, in: Festschr. f. Schiedermair, 1976, S. 257 (264 f.);
Ulmer, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 705 Rdnr. 286; Staub-Ulmer,
HGB, 4. Aufl., § 105 Rdnr. 373; Baumbach-Duden-Hopt, HGB, 28. Aufl.,
§ 105 Anm. 8 I).
Auch dieser Rechtsstandpunkt ist nicht zu billigen.
Der nicht voll Geschäftsfähige wird vor den Folgen seiner Willenserklärung,
nicht dagegen vor solchen Nachteilen geschützt, die ihn aufgrund des
ohne die Erklärung bestehenden Rechtszustands treffen. Die Haftungsgefahr
kann für sich allein genommen auch nicht als ein solcher Nachteil
anerkannt werden. Sie kann sich für den Gesellschafter zumindest im
Ergebnis nicht verwirklichen, solange die Gesellschaft wirtschaftlich gesund
ist; wird er von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch genommen,
dann hat er einen in diesem Fall realisierbaren Regreßanspruch gegen
die Gesellschaft. Ist aber deren wirtschaftliche Lage gut, dann erzielt
sie in der Regel auch Gewinne, die dem ausgeschiedenen Gesellschafter entgehen.
Es geht nicht an, dem infolge Geschäftsunfähigkeit oder beschränkter
Geschäftsfähigkeit nach allgemeinen Regeln unwirksam ausgeschiedenen
Gesellschafter die Teilnahme an unter Umständen erheblichen Gewinnen
mit der Begründung vorzuenthalten, in anderen Fallgestaltungen könnten
sich Haftungsgefahren für ihn ergeben. Geht es, wie im vorliegenden
Fall, um einen Kommanditisten, dann spielt die Haftungsfrage ohnehin keine
entscheidende Rolle. Die nach dem Ausscheiden des Gesellschafters erzielten
Gewinne können um ein Vielfaches höher sein, als eine etwa noch
zu leistende Einlage. Anders als in den Fällen der arglistigen Täuschung
und der sittenwidrigen Übervorteilung (vgl. dazu Staub-Ulmer, §
105 Rdnr. 353) lassen sich solche Einbußen bei Fehlerhaftigkeit wegen
nicht voller Geschäftsfähigkeit in der Regel auch nicht durch
Schadensersatzansprüche ausgleichen. Ob die fortbestehende Haftung
wirklich einen Nachteil bedeutet, an dem die Schutzbedürftigkeit des
fehlerhaft ausgeschiedenen Gesellschafters gemessen werden könnte,
hängt damit von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Die Anwendung
der Schutzvorschriften kann sich indessen nicht danach richten, was für
den einzelnen Betroffenen günstiger ist; denn das würde zu unterträglicher
Rechtsunsicherheit führen. Die Ansicht, der Schutz der nicht voll
Geschäftsfähigen stehe im Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft
der Anwendung der Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft nicht im
Wege, ist deshalb abzulehnen (so auch Biddermann, Der minderjährige
Gesellschafter, 1965, S. 112; Gursky, Das fehlerhafte Ausscheiden eines
Gesellschafters aus einer Personengesellschaft, 1969, S. 148 ff.).
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