Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung ("Recht auf Lüge"?)

BAG, Urt. v. 20. 5. 1999 - 2 AZR 32 0/98 (Brandenburg)
Fundstelle:

NJW 1999, 3653


Zentrales Problem:

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht das Problem der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 I BGB. Anders als für den Fall der Drohung enthält der Täuschungstatbestand kein ausdrückliches Erfordernis der Rechtswidrigkeit. Dies fehlt aber nur deshalb im Gesetzestext, weil der Gesetzgeber ganz selbstverständlich von der Rechtswidrigkeit der Täuschung ausging. Unabhängig von der Frage einer Aufklärungspflicht ist eine Täuschung durch positives Tun grundsätzlich immer rechtswidrig: Wenn man eine Aussage macht, darf man nicht lügen. Man kann also nichts oder die Wahrheit sagen. In ganz engen Bereichen ist aber ein "Recht auf Lüge" anerkannt. Auf unzulässig gestellte Fragen darf man eine falsche Antwort geben, die Täuschung ist dann nicht rechtswidrig (Vorsicht: Das setzt aber eine Frage voraus, die ungefragte Falschangabe bleibt rechtswidrig). In der Praxis ist dabei insbesondere die Frage nach Schwangerschaft, Kinderwunsch, sexueller Orientierung etc. unzulässig, sofern nicht eine spezifische Bedeutung für das Arbeitsverhältnis besteht (zB Gefährdung der Leibesfrucht). Im vorliegenden Fall geht es um die Zulässigkeit der Frage nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren. Nach Vorstrafen darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, welche Vorstrafen er als einschlägig ansieht; entscheidend ist vielmehr ein objektiver Maßstab. Die Entscheidung enthält eine lehrbuchartige Subsumtion von § 123 I BGB. Für den Grundkurs sind insbesondere die fett gedruckten Passagen von Bedeutung.
Nur kurz erwähnt wird die - ständiger Rspr. entsprechende - bloße ex-nunc-Wirkung der Anfechtung (Abweichung von § 142 I BGB) beim fehlerhaften, aber vollzogenen Arbeitsverhältnis (gleiches gilt für das Gesellschaftsrecht, vgl. hierzu BAG NJW 1984, 446.)


Amtl. Leitsätze:

1. Der Arbeitgeber darf den Bewerber bei der Einstellung nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert (st. Rspr. seit BAGE 5, 159 [163] = AP Nr. 2 zu § 123 BGB).
2. Bei der Prüfung der Eignung des Bewerbers für die geschuldete Tätigkeit (im Fall: Einstellung in den Polizeivollzugsdienst) kann es je nach den Umständen zulässig sein, daß der Arbeitgeber den Bewerber auch nach laufenden Ermittlungsverfahren fragt bzw. verpflichtet, während eines längeren Bewerbungsverfahrens anhängig werdende einschlägige Ermittlungsverfahren nachträglich mitzuteilen.
3. Die wahrheitswidrige Beantwortung einer danach zulässigen Frage nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren bzw. die pflichtwidrige Unterlassung der nachträglichen Mitteilung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen unter den Voraussetzungen der §§ 123, 124 BGB die Anfechtung des Arbeitsvertrags. 



Zum Sachverhalt:

Der 1964 geborene Kl. war seit dem 31. 8. 1993 bei dem bekl. Land als vollbeschäftigter Angestellter im Polizeivollzugsdienst mit dem Ziel seiner späteren Übernahme in ein Beamtenverhälmis tätig. Der Einstellung des Kl. ging ein längeres Bewerbungsverfahren voraus. Dabei gab der Kl. an, ihm sei wegen einer im Jahre 1992 begangenen Trunkenheitsfahrt die Fahrerlauhnis für acht Monate entzogen worden und er habe ein Bußgeld zahlen müssen. Ob der Kl. diese Erklärung bereits im November 1992 abgegeben und dabei wahrheitswidrig erklärt hat, die Fahrerlauhnis sei ihm bereits wieder ausgehändigt, ist zwischen den Parteien streitig. Am 25. 4. 1993 machte der Kl. mit einem von ihm reparierten, weder zugelassenen noch versicherten Jeep eine Probefahrt. Er zerstörte dabei auf einem Acker einen großen Teil des dort befindlichen Saatguts und benutzte eine öffentliche Straße. Am 10. 6. 1993 unterzeichnete der Kl. einen Belehrungsbogen, in dem er sich verpflichtete, die Bereitschaftspolizei zu benachrichtigen, falls bis zu seinem Dienstantritt ein Ermittlungsoder Strafverfahren gegen ihn eingeleitet werden sollte. Mit einer Reschuldigtenbenachrichtigung vom 12. 8. 1993 wurde der Kl. wegen des Vorfalls vom 25. 4. 1993 von der zuständigen Polizeidienststelle zur Vernehmung am 23. 8. 1993 geladen. Der Kl. erschien nicht zur Vernehmung, sondern erteilte am 30. 8. 1993, einen Tag vor Abschluß des Arbeitsvertrags mit dem bekl. Land, einer Rechtsanwältin Strafprozeßvollmacht wegen eines "Ermittlungsverfahrens". Nach seinem Dienstantritt erhielt der Kl. im Mai 1994 einen Strafbefehl wegen eines Vergehens nach dem Pflichtversicherungsgesetz und im Dezember 1994 einen weiteren Strafbefehl wegen Sachbeschädigung. Die nachträglich gebildete Gesamtgeldstrafe betrug 35 Tagessätze à 25 DM. Der Kl. informierte seine Dienststelle darüber zunächst nicht. Als Anfang 1996 seine Übernahme in das Beamtenverhältnis anstand, gab der Kl. in dem ihm vorgelegten Formular neben der Geldstrafe von 25 Tagessätzen à 40 DM wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr die gegen ihn verhängte Geldstrafe wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz in Höhe von 20 Tagessätzen à 30 DM an. Das bekl. Land erfuhr zu diesem Zeitpunkt erstmals von dem weiteren Strafverfahren gegen den Kl. und gab diesem im Mai 1996 die Gelegenheit, sich schriftlich dazu zu äußern. Mit Schreiben vom 4. 6. 1996 übersandte der Kl. die beiden Strafbefehle und erklärte, am 25. 4. 1993 sei ihm nicht bewußt gewesen, daß er sich rechtswidrig verhalten habe und er habe sich keine weiteren Gedanken gemacht. Die Rechtswidrigkeit seines Tuns sei ihm erst in der Zwischenzeit klargeworden. Mit Schreiben vom 7. 11. 1996, dem Kl. zugegangen am 12. 11.1996, erklärte das bekl. Land dem Kl. gegenüber die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Der Kl. hält die Anfechtung für unwirksam. Er meint, für ihn habe grundsätzlich keine Verpflichtung bestanden, ein laufendes Ermittlungsverfahren zu offenbaren, selbst wenn man von einer erhöhten Offenbarungspflicht bei einem Polizeiangestellten ausgehe. Ihm sei auch nicht bewußt gewesen, eine offenbarungspflichtige Tatsache verschwiegen zu haben. Die Beschuldigtenbenachrichtigung habe er noch nicht als Beginn des Ermittlungsverfahrens angesehen. Die Prozeßvollmacht vom 30. 8. 1993 habe er weder ausgefüllt noch überprüft. Er habe auch in dem Erklärungsbogen anläßlich seiner Bewerbung keine falschen Angaben gemacht. Die Angaben über seine Verurteilung wegen der Trunkenheitsfahrt seien dort erst nachträglich zu einem Zeitpunkt ergänzt worden, als ihm die Fahrerlaubnis wieder ausgehändigt gewesen sei. Im übrigen sei die Anfechtung des bekl. Landes treuwidrig, da das Arbeitsverhältnis unbeanstandet verlaufen und er nach Kenntnis aller Anfechtungsgründe noch zehn Monate weiterbeschäftigt worden sei.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. blieb erfolglos. Mit seiner Revision hatte der Kl. keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das Arbeitsverhältnis hat zum Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtungserklärung des bekl. Landes am 12. 11. 1996, also ex nunc (vgl. BAGE 41, 54 [64] = NJW 1984, 446 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB [zu IV 3] m.w. Nachw.) sein Ende gefunden.
A. Das LAG hat, kurz zusammengefaßt, angenommen, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses nach § 123 I BGB lägen vor. Der Kl. sei während des Einstellungsverfahrens mehrfach nach laufenden Ermittlungsverfahren befragt und belehrt worden, er müsse ein später eingeleitetes Ermittlungsverfahren offenbaren. Angesichts der beruflichen Tätigkeit, für die sich der Kl. beworben habe und der bereits vorliegenden Verurteilung des Kl. wegen einer Trunkenheitsfahrt sei die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren auch berechtigt und der Kl. dementsprechend verpflichtet gewesen, das vor Abschluß des Arbeitsvertrags eingeleitete Ermittlungsverfahren zu offenbaren. Der Kl. habe das bekl. Land auch arglistig getäuscht, indem er das Ermittlungsverfahren bewußt verschwiegen habe. Dies habe kausal zum Arbeitsvertragsschluß geführt. Die Ausübung des Anfechtungsrechts stelle sich auch nicht als unzulässige Rechtsausübung dar.
B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung der §§ 123, 242 BGB.
I. Das bekl. Land hat den Arbeitsvertrag der Parteien wirksam gem. § 123 1 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten.
1. Zur Anfechtung gem. § 123 1 BGB berechtigt lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise gestellten Frage; eine solche setzt ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung voraus (Senat, AP Nr. 46 zu § 123 BGB; BAGE 75, 77 [81] = AP Nr.38 zu § 123 BGB [zu II la] m.w. Nachw.); fehlt es hieran, ist die wahrheitswidrige Beantwortung nicht rechtswidrig.
a) Nach den nicht mit einer Revisionsrüge angegriffenen Feststellungen des LAG, an die der Senat nach § 561 ZPO gebunden ist, ist der Kl. mit der Erklärung vom 16. 11. 1992 befragt worden, ob er gerichtlich vorbestraft ist bzw. gegen ihn ein gerichtliches Straf- oder Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig ist. Nach seinen eigenen Darlegungen ist die Erklärung in dem Bewerbungsbogen sogar in zwei Abschnitten unterzeichnet und der Kl. deshalb einige Zeit nach dem 16. 11. 1992 insoweit erneut befragt worden. In dem Belehrungsbogen vom 10. 6. 1993 hat der Kl. durch seine Unterschrift außerdem bestätigt, er werde die Bereitschaftspolizei benachrichtigen, falls bis zu seinem Dienstantritt ein Ermirtlungs- oder Strafverfahren gegen ihn eingeleitet werde und es sei ihm bekannt, daß er nicht eingestellt bzw. aus dem Polizeivollzugsdienst entlassen werde, wenn er dieser Mitteilungspflicht nicht nachkomme.
b) Zutreffend sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, daß das bekl. Land den Kl. während des Einstellungsverfahrens nach eventuellen Vorstrafen bzw. anhängigen Ermittlungsverfahren befragen durfte und der Kl. diese Fragen grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten harte und entsprechend der Belehrung vom 10. 6. 1993 ein vor seinem Dienstantritt eingeleitetes Ermittlungsverfahren nachträglich offenbaren mußte.
aa) Soweit es um die Einstellung in den öffentlichen Dienst geht, trifft Art. 33 II GG eine Regelung, die das Grundrecht des Art. 12 1 GG auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ergänzt. Nach Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Einstellung von Bewerbern um ein öffentliches Amt wird damit an besondere Anforderungen (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) geknüpft. Geeignet i. S. von Art. 33 II GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören darüber hinaus die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechts-staatliche Regeln einzuhalten (BVerfGE 96, 189 = NZA 1997, 935 = NJW 1997, 2305 = AP Nr. 67 zu Einigungsvertrag Anl. 1 Kap. XIX, und BVerfGE 92, 140 [151] = NZA 1995, 619 = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anl. 1 Kap. XIX [zu C 1 1]).
bb) Nach Vorstrafen darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, welche Vorstrafen er als einschlägig ansieht; entscheidend ist vielmehr ein objektiver Maßstab. Dies gilt grundsätzlich auch für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (BAG, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG - Verhaltensbedingte Kündigung; BAGE 5, 159 [163] = NJW 1958, 516 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; RAGE 15, 261 [263] = NJW 1964, 1197 = APNr. 6 zu § 276 BGB-Verschulden bei Vertragsabschluß [zu 1 1]). An dieser Rechtsprechung ist auch nach Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes grundsätzlich festzuhalten (ebenso Kramer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 16; Fischermeier, in: KR, 5. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 435; eingehend Buchner, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 38 Rdnrn. 138 ff.).
cc) Zutreffend gehen die Vorinstanzen davon aus, bei der Prüfung der Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit könne es je nach den Umständen auch zulässig sein, nach anhängigen Ermittlungsverfahren zu fragen. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer solchen Frage ist dann zu bejahen, wenn auch ein Ermittlungsverfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers begründen kann. Ein Kindergärtner etwa, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindergartenkindern in dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis läuft, hat regelmäßig kein hinreichend schützenswertes Interesse daran, eine erneute Einstellung als Kindergärtner dadurch zu erreichen, daß er wahrheitswidrig bei der Bewerbung angibt, es laufe gegen ihn kein Ermittlungsverfahren. Dem steht die in Art. 6 II EMRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen; diese bindet - worauf der Senat schon im Zusammenhang mit der Verdachtskündigung hingewiesen hat (RAGE 78, 18 = NZA 1995 269-NJW 1995, 1110 =AP Nr.24 zu §626 BGB- Verdacht strafbarer Handlung) - unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat. Dagegen läßt sich aus der Unschuldsvermutung nicht der Schluß ziehen, daß dem Betroffenen aus der Tatsache, daß ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig ist, überhaupt keine Nachteile entstehen dürfen.
dd) Ist der Arbeitgeber im Einzelfall berechtigt, den Arbeitnehmer nach einem laufenden Ermittlungsverfahren zu befragen, so kann es bei einem längeren Bewerbungsverfahren auch zulässig sein, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der im Lauf des Bewerbungsverfahrens erklärt hat, gegen ihn laufe kein Ermittlungsverfahren, verpflichtet, ein bis zum tatsächlichen Vertragsabschluß noch anhängig werdendes Ermittlungsverfahren nachträglich mitzuteilen. Eine solche Verpflichtung tangiert die Interessen des Bewerbers nicht erheblich mehr als die durch den Arbeitgeber im Lauf des Bewerbungsverfahrens mehrfach gestellte Frage nach einem laufenden Ermittlungsverfahren. Dem Arbeitnehmer ist es in derartigen Fällen regelmäßig nach Treu und Glauben zumutbar, nachdem er eine entsprechende Verpflichtung übernommen hat, selbst tätig zu werden und das später eingeleitete Ermittlungsverfahren zu offenbaren.
ee) Nach diesen Grundsätzen war der Kl. verpflichtet, vor der Vertragsunterzeichnung am 31. 8. 1993 die Einstellungsbehörde über die Ladung zur Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorfalls vom 25. 4. 1993 zu informieren. Das BerGer. hat zutreffend darauf abgestellt, daß das bekl. Land an die persönliche und charakterliche Eignung des Kl. erhebliche Anforderungen stellen durfte, weil der Kl. für den mittleren Polizeivollzugsdienst eingestellt werden sollte und deshalb etwa als Streifenpolizist dieselben Vergehen aufzuklären hatte, wegen derer er vorbestraft war bzw. ein Ermittlungsverfahren lief. Die Tauglichkeit des Kl. für den letztlich angestrebten Posten als Polizeibeamter mußte zwangsläufig fraglich erscheinen, wenn der Kl. selbst noch kurze Zeit vor der Einstellung mit dem Gesetz in nicht‘ unerheblicher Weise in Konflikt gekommen war und in dem Verdacht stand, sogar noch während des laufenden Bewerbungsverfahrens sich weiterer Vergehen schuldig gemacht zu haben. Zu Recht stellt das LAG weiter darauf ab, daß der Kl. im Polizeidienst auch ein Kraftfahrzeug zu führen hatte. Eine Vorstrafe wegen Trunkenheitsfahrt und zwei laufende Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz und Sachbeschädigung mittels eines Pkw begründen Zweifel an der Eignung des Kl. zum Führen eines Kraftfahrzeugs, zumal dem BerGer. darin zu folgen ist, daß unter den gegebenen Umständen nicht einmal auszuschließen war, daß der Kl. wegen der Vorfälle am 25. 4. 1993 erneut seinen Führerschein verlor, was das Führen eines Dienstfahrzeugs nach seiner Einstellung für eine gewisse Zeit unmöglich gemacht hätte. Entscheidend für die Zulässigkeit der Frage nach einem laufenden Ermittlungsverfahren und die Verpflichtung des Kl., ein nachträglich eingeleitetes Verfahren mitzuteilen, ist schließlich die Tatsache, daß der Kl. bereits "einschlägig" vorbestraft war. Wenn das bekl. Land grundsätzlich bereit war, den Kl. trotz der Vorstrafe wegen einer Trunkenheitsfahrt als Angestellten im Polizeivollzugsdienst einzustellen, so hatte es ein erhebliches Interesse daran, zu erfahren, ob sich der Kl. wenigstens seither bis zum Abschluß des Arbeitsvertrags gesetzestreu verhalten hatte oder ob wegen vergleichbarer Delikte gegen ihn erneut ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.
2. Zutreffend haben die Vorinstanzen auch das Vorliegen einer Täuschungshandlung des Kl. in Form der Unterlassung eines Hinweises auf die inzwischen erfolgte Ladung zur Beschuldigtenvernehmung vor Abschluß des Arbeitsvertrags bejaht. Gegen den Kl. lief jedenfalls mit der Ladung zur Vernehmung als Beschuldigter ein Ermittlungsverfahren (vgl. § 163 a StPO), über das er die Einstellungsbehörde nicht informiert hat, obwohl er dazu aufgrund der ausdrücklichen Belehrung vom 10. 6. 1993 verpflichtet war.
3. Der unterlassene Hinweis auf das inzwischen eingeleitete Ermittlungsverfahren war auch kausal für den Abschluß des Arbeitsvertrags. Das ist der Fall, wenn ohne den erzeugten Irrtum die Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre, wobei Mitursächlichkeit der Täuschung genügt und es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluß auf die Entscheidung haben kann (RAGE 75, 77 [84] = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II lee]; Senat, AP Nr. 46 zu§ 242 BGB). Der Kl. räumt in der Revisionsinstanz selbst ein, daß er wahrscheinlich nicht eingestellt worden wäre, wenn er das bekl. Land vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags über das laufende Ermittlungsverfahren informiert hätte.
4. Der Kl. handelte auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflußt werden (RAGE 75,77 [84] = AP Nr. 38 zu § 123 BGB). Eine Rüge des Kl. zum Vorliegen der vom LAG festgestellten Arglist liegt nicht vor. Wenn das BerGer. aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ladung zur Beschuldigtenvernehmung, der Beauftragung einer Rechtsanwältin zur Vertretung in einem "Ermittlungsverfahren" und der einen Tag später erfolgten Unterzeichnung des Arbeitsvertrags herleitet, der Kl. habe in Täuschungsabsicht gehandelt, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang darauf hinweist, nur ein geringer Anteil der eingeleiteten Ermittlungsverfahren führe tatsächlich zu einer Verurteilung des Betreffenden, so verfängt dies nicht. Die Hoffnung des Kl., es werde trotz seines unstreitigen Fehlverhaltens nicht zu einer Verurteilung kommen, steht der Annahme einer Täuschungsabsicht nicht entgegen. Ein Verbotsirrtum, auf den sich der Kl. nicht einmal ausdrücklich beruft, wäre mit dem BerGer. als verschuldet und damit als unbeachtlich anzusehen, zumal der Kl. einen Tag vor der Vertragsunterzeichnung bereits kundigen Rechtsrat eingeholt hatte.
5. Die Jahresfrist zur Anfechtung nach § 124 BGB ist mit der am 12. 11. 1996 zugegangenen Anfechtungserklärung eingehalten. Soweit der Kl. darauf hinweist, das bekl. Land habe ihn in Kenntnis des Anfechtungsgrunds zehn Monate weiterbeschäftigt, löst dies keine Verwirkung (§ 242 BGB) aus. Bereits das Zeitmoment ist nicht erfüllt, da das bekl. Land nach den den Senat bindenden Feststellungen des BerGer. erst seit dem 4. 6. 1996 über die vollständige Kenntnis des Sachverhalts verfügt hat. Aus der dem Getäuschten vom Gesetzgeber gewährten Jahresfrist ergibt sich, daß das Interesse des Täuschenden an baldiger Entscheidung über die Anfechtung gering einzuschätzen ist (vgl. Senat, NZA 19 , 74 = AP Nr. 45 zu § 242 BGB - Verwirkung). Es fehlt außerdem an dem erforderlichen Umstandsmoment, weil der Kl. nicht vorgetragen hat, bekl. Land habe zu erkennen gegeben, die Prüfung der Vorwürfe sei abgeschlossen und eine Anfechtung werde nicht mehr erfolgen.
II. Entgegen der Auffassung der Revision verstieß die Ausübung des Anfechtungsrechts durch das bekl. Land auch nicht gegen Treu und Glauben, § 242 BGB.
1. Zutreffend geht das BerGer. davon aus, daß auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt steht, daß seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (RAGE 22,278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; RAGE 75, 77 [86] = AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1 e]; Senat, NZA 1998, 1052 = AP Nr. 46 zu § 123 BGB). Gerade aufgrund der Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann.
2. Die Annahme des LAG, die Voraussetzungen für einen Ausschluß des Anfechtungsrechts lägen hier nicht vor, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist vorab zu berücksichtigen, daß bei der Prüfung des Ausschlusses des Anfechtungsrechts nicht etwa eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist wie bei einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 I BGB (Senat, NZA 1998, 1052= AP Nr. 46 zu § 123 BGB [zu II 2b]). § 123 BGB schützt die "freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete", indem es in den "Willen des Verletzten" gestellt wird, ob dieser wegen Täuschung anficht oder nicht (Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1, S. 204). Das BerGer. hat ohne Rechtsfehler zu Lasten des Kl. berücksichtigt, daß dieser nach dem ersten Hinweis auf einen der Strafbefehle das bekl. Land nur zögerlich über den gesamten Sachverhalt informiert hat, nachdem er schon bei seiner Erklärung über die erste Vorstrafe wegen der Trunkenheitsfahrt nach seinem eigenen Vorbringen entweder sich zunächst am 16. 11. 1992 als nicht vorbestraft bezeichnet und die Vorstrafe erst später angegeben oder zumindest eine falsche Erklärung über die Fortdauer der Entziehung der Fahrerlaubnis abgegeben hat. Demgegenüber hat der Kl. keine Umstände aufgezeigt, die erkennen ließen, daß die Rechte des von ihm getäuschten bekl. Landes nach erst dreijähriger Tätigkeit, die zudem zu einem erheblichen Teil in einer Fortbildung bestand, nicht mehr beeinträchtigt wären. 


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