NJW 1999, 3653
Zentrales Problem:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht
das Problem der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach §
123 I BGB. Anders als für den Fall der Drohung enthält der Täuschungstatbestand
kein ausdrückliches Erfordernis der Rechtswidrigkeit. Dies fehlt aber
nur deshalb im Gesetzestext, weil der Gesetzgeber ganz selbstverständlich
von der Rechtswidrigkeit der Täuschung ausging. Unabhängig von
der Frage einer Aufklärungspflicht ist eine Täuschung durch positives
Tun grundsätzlich immer rechtswidrig: Wenn man eine Aussage macht,
darf man nicht lügen. Man kann also nichts oder die Wahrheit sagen.
In ganz engen Bereichen ist aber ein "Recht auf Lüge" anerkannt. Auf
unzulässig gestellte Fragen darf man eine falsche Antwort geben, die
Täuschung ist dann nicht rechtswidrig (Vorsicht: Das setzt aber eine
Frage voraus, die ungefragte Falschangabe bleibt rechtswidrig). In der
Praxis ist dabei insbesondere die Frage nach Schwangerschaft, Kinderwunsch,
sexueller Orientierung etc. unzulässig, sofern nicht eine spezifische
Bedeutung für das Arbeitsverhältnis besteht (zB Gefährdung
der Leibesfrucht). Im vorliegenden Fall geht es um die Zulässigkeit
der Frage nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren. Nach Vorstrafen
darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung fragen, wenn
und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert. Dabei
kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, welche
Vorstrafen er als einschlägig ansieht; entscheidend ist vielmehr ein
objektiver Maßstab. Die Entscheidung enthält eine lehrbuchartige
Subsumtion von § 123 I BGB. Für den Grundkurs sind insbesondere
die fett gedruckten Passagen von Bedeutung.
Nur kurz erwähnt wird die -
ständiger Rspr. entsprechende - bloße ex-nunc-Wirkung der Anfechtung
(Abweichung von § 142 I BGB) beim fehlerhaften, aber vollzogenen Arbeitsverhältnis
(gleiches gilt für das Gesellschaftsrecht, vgl. hierzu BAG
NJW 1984, 446.)
Amtl. Leitsätze:
1. Der Arbeitgeber darf den Bewerber bei der
Einstellung nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden
Arbeitsplatzes dies erfordert (st. Rspr. seit BAGE 5, 159 [163] = AP Nr.
2 zu § 123 BGB).
2. Bei der Prüfung der Eignung des Bewerbers
für die geschuldete Tätigkeit (im Fall: Einstellung in den Polizeivollzugsdienst)
kann es je nach den Umständen zulässig sein, daß der Arbeitgeber
den Bewerber auch nach laufenden Ermittlungsverfahren fragt bzw. verpflichtet,
während eines längeren Bewerbungsverfahrens anhängig werdende
einschlägige Ermittlungsverfahren nachträglich mitzuteilen.
3. Die wahrheitswidrige Beantwortung einer
danach zulässigen Frage nach Vorstrafen und laufenden Ermittlungsverfahren
bzw. die pflichtwidrige Unterlassung der nachträglichen Mitteilung
eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen unter den Voraussetzungen der
§§ 123, 124 BGB die Anfechtung des Arbeitsvertrags.
Der 1964 geborene Kl. war seit dem 31. 8. 1993
bei dem bekl. Land als vollbeschäftigter Angestellter im Polizeivollzugsdienst
mit dem Ziel seiner späteren Übernahme in ein Beamtenverhälmis
tätig. Der Einstellung des Kl. ging ein längeres Bewerbungsverfahren
voraus. Dabei gab der Kl. an, ihm sei wegen einer im Jahre 1992 begangenen
Trunkenheitsfahrt die Fahrerlauhnis für acht Monate entzogen worden
und er habe ein Bußgeld zahlen müssen. Ob der Kl. diese Erklärung
bereits im November 1992 abgegeben und dabei wahrheitswidrig erklärt
hat, die Fahrerlauhnis sei ihm bereits wieder ausgehändigt, ist zwischen
den Parteien streitig. Am 25. 4. 1993 machte der Kl. mit einem von ihm
reparierten, weder zugelassenen noch versicherten Jeep eine Probefahrt.
Er zerstörte dabei auf einem Acker einen großen Teil des dort
befindlichen Saatguts und benutzte eine öffentliche Straße.
Am 10. 6. 1993 unterzeichnete der Kl. einen Belehrungsbogen, in dem er
sich verpflichtete, die Bereitschaftspolizei zu benachrichtigen, falls
bis zu seinem Dienstantritt ein Ermittlungsoder Strafverfahren gegen ihn
eingeleitet werden sollte. Mit einer Reschuldigtenbenachrichtigung vom
12. 8. 1993 wurde der Kl. wegen des Vorfalls vom 25. 4. 1993 von der zuständigen
Polizeidienststelle zur Vernehmung am 23. 8. 1993 geladen. Der Kl. erschien
nicht zur Vernehmung, sondern erteilte am 30. 8. 1993, einen Tag vor Abschluß
des Arbeitsvertrags mit dem bekl. Land, einer Rechtsanwältin Strafprozeßvollmacht
wegen eines "Ermittlungsverfahrens". Nach seinem Dienstantritt erhielt
der Kl. im Mai 1994 einen Strafbefehl wegen eines Vergehens nach dem Pflichtversicherungsgesetz
und im Dezember 1994 einen weiteren Strafbefehl wegen Sachbeschädigung.
Die nachträglich gebildete Gesamtgeldstrafe betrug 35 Tagessätze
à 25 DM. Der Kl. informierte seine Dienststelle darüber zunächst
nicht. Als Anfang 1996 seine Übernahme in das Beamtenverhältnis
anstand, gab der Kl. in dem ihm vorgelegten Formular neben der Geldstrafe
von 25 Tagessätzen à 40 DM wegen vorsätzlicher Trunkenheit
im Verkehr die gegen ihn verhängte Geldstrafe wegen Verstoßes
gegen das Pflichtversicherungsgesetz in Höhe von 20 Tagessätzen
à 30 DM an. Das bekl. Land erfuhr zu diesem Zeitpunkt erstmals von
dem weiteren Strafverfahren gegen den Kl. und gab diesem im Mai 1996 die
Gelegenheit, sich schriftlich dazu zu äußern. Mit Schreiben
vom 4. 6. 1996 übersandte der Kl. die beiden Strafbefehle und erklärte,
am 25. 4. 1993 sei ihm nicht bewußt gewesen, daß er sich rechtswidrig
verhalten habe und er habe sich keine weiteren Gedanken gemacht. Die Rechtswidrigkeit
seines Tuns sei ihm erst in der Zwischenzeit klargeworden. Mit Schreiben
vom 7. 11. 1996, dem Kl. zugegangen am 12. 11.1996, erklärte das bekl.
Land dem Kl. gegenüber die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger
Täuschung. Der Kl. hält die Anfechtung für unwirksam. Er
meint, für ihn habe grundsätzlich keine Verpflichtung bestanden,
ein laufendes Ermittlungsverfahren zu offenbaren, selbst wenn man von einer
erhöhten Offenbarungspflicht bei einem Polizeiangestellten ausgehe.
Ihm sei auch nicht bewußt gewesen, eine offenbarungspflichtige Tatsache
verschwiegen zu haben. Die Beschuldigtenbenachrichtigung habe er noch nicht
als Beginn des Ermittlungsverfahrens angesehen. Die Prozeßvollmacht
vom 30. 8. 1993 habe er weder ausgefüllt noch überprüft.
Er habe auch in dem Erklärungsbogen anläßlich seiner Bewerbung
keine falschen Angaben gemacht. Die Angaben über seine Verurteilung
wegen der Trunkenheitsfahrt seien dort erst nachträglich zu einem
Zeitpunkt ergänzt worden, als ihm die Fahrerlaubnis wieder ausgehändigt
gewesen sei. Im übrigen sei die Anfechtung des bekl. Landes treuwidrig,
da das Arbeitsverhältnis unbeanstandet verlaufen und er nach Kenntnis
aller Anfechtungsgründe noch zehn Monate weiterbeschäftigt worden
sei.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung
des Kl. blieb erfolglos. Mit seiner Revision hatte der Kl. keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Das Arbeitsverhältnis hat zum Zeitpunkt des
Zugangs der Anfechtungserklärung des bekl. Landes am 12. 11. 1996,
also ex nunc (vgl. BAGE 41, 54 [64] = NJW
1984, 446 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB [zu IV 3] m.w. Nachw.) sein
Ende gefunden.
A. Das LAG hat, kurz zusammengefaßt, angenommen,
die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses
nach § 123 I BGB lägen vor. Der Kl. sei während des Einstellungsverfahrens
mehrfach nach laufenden Ermittlungsverfahren befragt und belehrt worden,
er müsse ein später eingeleitetes Ermittlungsverfahren offenbaren.
Angesichts der beruflichen Tätigkeit, für die sich der Kl. beworben
habe und der bereits vorliegenden Verurteilung des Kl. wegen einer Trunkenheitsfahrt
sei die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren auch berechtigt und der
Kl. dementsprechend verpflichtet gewesen, das vor Abschluß des Arbeitsvertrags
eingeleitete Ermittlungsverfahren zu offenbaren. Der Kl. habe das bekl.
Land auch arglistig getäuscht, indem er das Ermittlungsverfahren bewußt
verschwiegen habe. Dies habe kausal zum Arbeitsvertragsschluß geführt.
Die Ausübung des Anfechtungsrechts stelle sich auch nicht als unzulässige
Rechtsausübung dar.
B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in
wesentlichen Teilen der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht
eine Verletzung der §§ 123, 242 BGB.
I. Das bekl. Land hat den Arbeitsvertrag der Parteien
wirksam gem. § 123 1 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten.
1. Zur Anfechtung gem. § 123 1 BGB berechtigt
lediglich die wahrheitswidrige Beantwortung einer in zulässiger Weise
gestellten Frage; eine solche setzt ein berechtigtes, billigenswertes und
schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung voraus (Senat, AP Nr.
46 zu § 123 BGB; BAGE 75, 77 [81] = AP Nr.38 zu § 123 BGB [zu
II la] m.w. Nachw.); fehlt es hieran, ist die wahrheitswidrige Beantwortung
nicht rechtswidrig.
a) Nach den nicht mit einer Revisionsrüge
angegriffenen Feststellungen des LAG, an die der Senat nach § 561
ZPO gebunden ist, ist der Kl. mit der Erklärung vom 16. 11. 1992 befragt
worden, ob er gerichtlich vorbestraft ist bzw. gegen ihn ein gerichtliches
Straf- oder Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig ist.
Nach seinen eigenen Darlegungen ist die Erklärung in dem Bewerbungsbogen
sogar in zwei Abschnitten unterzeichnet und der Kl. deshalb einige Zeit
nach dem 16. 11. 1992 insoweit erneut befragt worden. In dem Belehrungsbogen
vom 10. 6. 1993 hat der Kl. durch seine Unterschrift außerdem bestätigt,
er werde die Bereitschaftspolizei benachrichtigen, falls bis zu seinem
Dienstantritt ein Ermirtlungs- oder Strafverfahren gegen ihn eingeleitet
werde und es sei ihm bekannt, daß er nicht eingestellt bzw. aus dem
Polizeivollzugsdienst entlassen werde, wenn er dieser Mitteilungspflicht
nicht nachkomme.
b) Zutreffend sind beide Vorinstanzen davon
ausgegangen, daß das bekl. Land den Kl. während des Einstellungsverfahrens
nach eventuellen Vorstrafen bzw. anhängigen Ermittlungsverfahren befragen
durfte und der Kl. diese Fragen grundsätzlich wahrheitsgemäß
zu beantworten harte und entsprechend der Belehrung vom 10. 6. 1993 ein
vor seinem Dienstantritt eingeleitetes Ermittlungsverfahren nachträglich
offenbaren mußte.
aa) Soweit es um die Einstellung in den öffentlichen
Dienst geht, trifft Art. 33 II GG eine Regelung, die das Grundrecht des
Art. 12 1 GG auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ergänzt. Nach Art.
33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen
Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Einstellung
von Bewerbern um ein öffentliches Amt wird damit an besondere Anforderungen
(Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) geknüpft. Geeignet
i. S. von Art. 33 II GG ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher,
psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören
darüber hinaus die Fähigkeit und die innere Bereitschaft, die
dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen,
insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechts-staatliche
Regeln einzuhalten (BVerfGE 96, 189 = NZA 1997, 935 = NJW 1997, 2305 =
AP Nr. 67 zu Einigungsvertrag Anl. 1 Kap. XIX, und BVerfGE 92, 140 [151]
= NZA 1995, 619 = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anl. 1 Kap. XIX [zu C 1
1]).
bb) Nach Vorstrafen darf der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer bei der Einstellung fragen, wenn und soweit die Art des zu
besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert. Dabei kommt es nicht auf die
subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, welche Vorstrafen er als einschlägig
ansieht; entscheidend ist vielmehr ein objektiver Maßstab. Dies
gilt grundsätzlich auch für Arbeitnehmer im öffentlichen
Dienst (BAG, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG - Verhaltensbedingte Kündigung;
BAGE 5, 159 [163] = NJW 1958, 516 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; RAGE 15,
261 [263] = NJW 1964, 1197 = APNr. 6 zu § 276 BGB-Verschulden bei
Vertragsabschluß [zu 1 1]). An dieser Rechtsprechung ist auch nach
Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes grundsätzlich festzuhalten
(ebenso Kramer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 123 Rdnr. 16; Fischermeier,
in: KR, 5. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 435; eingehend Buchner, in: Münchener
Hdb. z. ArbeitsR, § 38 Rdnrn. 138 ff.).
cc) Zutreffend gehen die Vorinstanzen davon
aus, bei der Prüfung der Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete
Tätigkeit könne es je nach den Umständen auch zulässig
sein, nach anhängigen Ermittlungsverfahren zu fragen. Ein berechtigtes
Interesse des Arbeitgebers an einer solchen Frage ist dann zu bejahen,
wenn auch ein Ermittlungsverfahren Zweifel an der persönlichen Eignung
des Arbeitnehmers begründen kann. Ein Kindergärtner etwa, gegen
den ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindergartenkindern
in dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis läuft, hat regelmäßig
kein hinreichend schützenswertes Interesse daran, eine erneute Einstellung
als Kindergärtner dadurch zu erreichen, daß er wahrheitswidrig
bei der Bewerbung angibt, es laufe gegen ihn kein Ermittlungsverfahren.
Dem steht die in Art. 6 II EMRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen;
diese bindet - worauf der Senat schon im Zusammenhang mit der Verdachtskündigung
hingewiesen hat (RAGE 78, 18 = NZA 1995 269-NJW 1995, 1110 =AP Nr.24 zu
§626 BGB- Verdacht strafbarer Handlung) - unmittelbar nur den Richter,
der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat. Dagegen
läßt sich aus der Unschuldsvermutung nicht der Schluß
ziehen, daß dem Betroffenen aus der Tatsache, daß ein Ermittlungsverfahren
gegen ihn anhängig ist, überhaupt keine Nachteile entstehen dürfen.
dd) Ist der Arbeitgeber im Einzelfall berechtigt,
den Arbeitnehmer nach einem laufenden Ermittlungsverfahren zu befragen,
so kann es bei einem längeren Bewerbungsverfahren auch zulässig
sein, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der im Lauf des Bewerbungsverfahrens
erklärt hat, gegen ihn laufe kein Ermittlungsverfahren, verpflichtet,
ein bis zum tatsächlichen Vertragsabschluß noch anhängig
werdendes Ermittlungsverfahren nachträglich mitzuteilen. Eine solche
Verpflichtung tangiert die Interessen des Bewerbers nicht erheblich mehr
als die durch den Arbeitgeber im Lauf des Bewerbungsverfahrens mehrfach
gestellte Frage nach einem laufenden Ermittlungsverfahren. Dem Arbeitnehmer
ist es in derartigen Fällen regelmäßig nach Treu und Glauben
zumutbar, nachdem er eine entsprechende Verpflichtung übernommen hat,
selbst tätig zu werden und das später eingeleitete Ermittlungsverfahren
zu offenbaren.
ee) Nach diesen Grundsätzen war der Kl. verpflichtet,
vor der Vertragsunterzeichnung am 31. 8. 1993 die Einstellungsbehörde
über die Ladung zur Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorfalls vom
25. 4. 1993 zu informieren. Das BerGer. hat zutreffend darauf abgestellt,
daß das bekl. Land an die persönliche und charakterliche Eignung
des Kl. erhebliche Anforderungen stellen durfte, weil der Kl. für
den mittleren Polizeivollzugsdienst eingestellt werden sollte und deshalb
etwa als Streifenpolizist dieselben Vergehen aufzuklären hatte, wegen
derer er vorbestraft war bzw. ein Ermittlungsverfahren lief. Die Tauglichkeit
des Kl. für den letztlich angestrebten Posten als Polizeibeamter mußte
zwangsläufig fraglich erscheinen, wenn der Kl. selbst noch kurze Zeit
vor der Einstellung mit dem Gesetz in nicht‘ unerheblicher Weise in Konflikt
gekommen war und in dem Verdacht stand, sogar noch während des laufenden
Bewerbungsverfahrens sich weiterer Vergehen schuldig gemacht zu haben.
Zu Recht stellt das LAG weiter darauf ab, daß der Kl. im Polizeidienst
auch ein Kraftfahrzeug zu führen hatte. Eine Vorstrafe wegen Trunkenheitsfahrt
und zwei laufende Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das
Pflichtversicherungsgesetz und Sachbeschädigung mittels eines Pkw
begründen Zweifel an der Eignung des Kl. zum Führen eines Kraftfahrzeugs,
zumal dem BerGer. darin zu folgen ist, daß unter den gegebenen Umständen
nicht einmal auszuschließen war, daß der Kl. wegen der Vorfälle
am 25. 4. 1993 erneut seinen Führerschein verlor, was das Führen
eines Dienstfahrzeugs nach seiner Einstellung für eine gewisse Zeit
unmöglich gemacht hätte. Entscheidend für die Zulässigkeit
der Frage nach einem laufenden Ermittlungsverfahren und die Verpflichtung
des Kl., ein nachträglich eingeleitetes Verfahren mitzuteilen, ist
schließlich die Tatsache, daß der Kl. bereits "einschlägig"
vorbestraft war. Wenn das bekl. Land grundsätzlich bereit war, den
Kl. trotz der Vorstrafe wegen einer Trunkenheitsfahrt als Angestellten
im Polizeivollzugsdienst einzustellen, so hatte es ein erhebliches Interesse
daran, zu erfahren, ob sich der Kl. wenigstens seither bis zum Abschluß
des Arbeitsvertrags gesetzestreu verhalten hatte oder ob wegen vergleichbarer
Delikte gegen ihn erneut ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.
2. Zutreffend haben die Vorinstanzen auch das
Vorliegen einer Täuschungshandlung des Kl. in Form der Unterlassung
eines Hinweises auf die inzwischen erfolgte Ladung zur Beschuldigtenvernehmung
vor Abschluß des Arbeitsvertrags bejaht. Gegen den Kl. lief jedenfalls
mit der Ladung zur Vernehmung als Beschuldigter ein Ermittlungsverfahren
(vgl. § 163 a StPO), über das er die Einstellungsbehörde
nicht informiert hat, obwohl er dazu aufgrund der ausdrücklichen Belehrung
vom 10. 6. 1993 verpflichtet war.
3. Der unterlassene Hinweis auf das inzwischen
eingeleitete Ermittlungsverfahren war auch kausal für den Abschluß
des Arbeitsvertrags. Das ist der Fall, wenn ohne den erzeugten Irrtum die
Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre, wobei Mitursächlichkeit
der Täuschung genügt und es ausreicht, wenn der Getäuschte
Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung
sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluß
auf die Entscheidung haben kann (RAGE 75, 77 [84] = AP Nr. 38 zu §
123 BGB [zu II lee]; Senat, AP Nr. 46 zu§ 242 BGB). Der Kl. räumt
in der Revisionsinstanz selbst ein, daß er wahrscheinlich nicht eingestellt
worden wäre, wenn er das bekl. Land vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags
über das laufende Ermittlungsverfahren informiert hätte.
4. Der Kl. handelte auch arglistig. Das ist
der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt
und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger
könnte durch die Täuschung beeinflußt werden (RAGE
75,77 [84] = AP Nr. 38 zu § 123 BGB). Eine Rüge des Kl. zum Vorliegen
der vom LAG festgestellten Arglist liegt nicht vor. Wenn das BerGer. aus
dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ladung zur Beschuldigtenvernehmung,
der Beauftragung einer Rechtsanwältin zur Vertretung in einem "Ermittlungsverfahren"
und der einen Tag später erfolgten Unterzeichnung des Arbeitsvertrags
herleitet, der Kl. habe in Täuschungsabsicht gehandelt, so ist dies
rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang
darauf hinweist, nur ein geringer Anteil der eingeleiteten Ermittlungsverfahren
führe tatsächlich zu einer Verurteilung des Betreffenden, so
verfängt dies nicht. Die Hoffnung des Kl., es werde trotz seines unstreitigen
Fehlverhaltens nicht zu einer Verurteilung kommen, steht der Annahme einer
Täuschungsabsicht nicht entgegen. Ein Verbotsirrtum, auf den sich
der Kl. nicht einmal ausdrücklich beruft, wäre mit dem BerGer.
als verschuldet und damit als unbeachtlich anzusehen, zumal der Kl. einen
Tag vor der Vertragsunterzeichnung bereits kundigen Rechtsrat eingeholt
hatte.
5. Die Jahresfrist zur Anfechtung nach §
124 BGB ist mit der am 12. 11. 1996 zugegangenen Anfechtungserklärung
eingehalten. Soweit der Kl. darauf hinweist, das bekl. Land habe ihn in
Kenntnis des Anfechtungsgrunds zehn Monate weiterbeschäftigt, löst
dies keine Verwirkung (§ 242 BGB) aus. Bereits das Zeitmoment ist
nicht erfüllt, da das bekl. Land nach den den Senat bindenden Feststellungen
des BerGer. erst seit dem 4. 6. 1996 über die vollständige Kenntnis
des Sachverhalts verfügt hat. Aus der dem Getäuschten vom Gesetzgeber
gewährten Jahresfrist ergibt sich, daß das Interesse des Täuschenden
an baldiger Entscheidung über die Anfechtung gering einzuschätzen
ist (vgl. Senat, NZA 19 , 74 = AP Nr. 45 zu § 242 BGB - Verwirkung).
Es fehlt außerdem an dem erforderlichen Umstandsmoment, weil der
Kl. nicht vorgetragen hat, bekl. Land habe zu erkennen gegeben, die Prüfung
der Vorwürfe sei abgeschlossen und eine Anfechtung werde nicht mehr
erfolgen.
II. Entgegen der Auffassung der Revision verstieß
die Ausübung des Anfechtungsrechts durch das bekl. Land auch nicht
gegen Treu und Glauben, § 242 BGB.
1. Zutreffend geht das BerGer. davon aus, daß
auch das Recht zur Anfechtung unter dem Vorbehalt steht, daß seine
Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung
ist dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt
der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt
ist (RAGE 22,278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; RAGE 75, 77 [86] =
AP Nr. 38 zu § 123 BGB [zu II 1 e]; Senat, NZA 1998, 1052 = AP Nr.
46 zu § 123 BGB). Gerade aufgrund der Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis
ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, daß
der Anfechtungsgrund angesichts der nachträglichen Entwicklung soviel
an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nicht mehr rechtfertigen kann.
2. Die Annahme des LAG, die Voraussetzungen für
einen Ausschluß des Anfechtungsrechts lägen hier nicht vor,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist vorab zu berücksichtigen,
daß bei der Prüfung des Ausschlusses des Anfechtungsrechts nicht
etwa eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist wie bei einer
außerordentlichen Kündigung nach § 626 I BGB (Senat, NZA
1998, 1052= AP Nr. 46 zu § 123 BGB [zu II 2b]). § 123 BGB
schützt die "freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem
Gebiete", indem es in den "Willen des Verletzten" gestellt wird, ob dieser
wegen Täuschung anficht oder nicht (Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Bd. 1, S. 204). Das BerGer. hat ohne Rechtsfehler zu Lasten
des Kl. berücksichtigt, daß dieser nach dem ersten Hinweis auf
einen der Strafbefehle das bekl. Land nur zögerlich über den
gesamten Sachverhalt informiert hat, nachdem er schon bei seiner Erklärung
über die erste Vorstrafe wegen der Trunkenheitsfahrt nach seinem eigenen
Vorbringen entweder sich zunächst am 16. 11. 1992 als nicht vorbestraft
bezeichnet und die Vorstrafe erst später angegeben oder zumindest
eine falsche Erklärung über die Fortdauer der Entziehung der
Fahrerlaubnis abgegeben hat. Demgegenüber hat der Kl. keine Umstände
aufgezeigt, die erkennen ließen, daß die Rechte des von ihm
getäuschten bekl. Landes nach erst dreijähriger Tätigkeit,
die zudem zu einem erheblichen Teil in einer Fortbildung bestand, nicht
mehr beeinträchtigt wären.
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