Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erheblichkeit
eines Sachmangels im Kaufrecht (Rücktrittsausschluss nach § 323 V S. 2 BGB)
BGH, Urteil vom 15. Juni 2011 - VIII
ZR 139/09
Fundstelle:
NJW 2011, 3708
Amtl. Leitsatz:
Für die Frage, ob das
Rücktrittsrecht eines Käufers wegen der Lieferung einer mangelhaften Sache
gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist, ist auf den Zeitpunkt der
Rücktrittserklärung abzustellen. Ist zu diesem Zeitpunkt die Mangelursache
trotz mehrerer vorausgegangener Reparaturversuche nicht bekannt und deswegen
nicht absehbar, ob und mit welchem Aufwand der Mangel beseitigt werden kann,
wird ein zum Zeitpunkt des Rücktritts erheblicher Mangel nicht zu einem
geringfügigen Mangel, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Mangel
mit verhältnismäßig geringem Aufwand behoben werden kann (Bestätigung der
Senatsurteile vom 5. November 2008 - VIII ZR
166/07, NJW 2009, 508 und vom 9. März 2011 -
VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664).
Zentrale Probleme:
Es geht um den
Rücktrittsausschluss wegen Unerheblichkeit "der Pflichtverletzung" (= des
Mangels) nach § 323 V 2 BGB. Der BGH unterscheidet hier wie folgt: Bei
unbehebbaren Mängeln kommt es auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung
an (denn der Käufer muss ja auf Dauer mit dem mangelhaften Gegenstand
"leben"), bei behebbaren Mängeln wird hingegen auf die Kosten der
Mängelbeseitigung (und nicht auf die Funktionsbeeinträchtigung) abgestellt.
Das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung ist dann sekundär relevant: Sind
die Kosten der Mängelbeseitigung hoch, kann der Mangel immer noch
unerheblich sein, wenn das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung unerheblich
ist. Gleiches gilt, wenn die Mangelursache im Zeitpunkt der
Rücktrittserklärung ungeklärt ist.
S. die Anm. zu
BGH NJW 2009, 508
sowie die
Pressemitteilung des BGH Nr. 103/2011. S. weiter die Anm. von
Höpfner NJW 2011, 3693.
©sl 2011
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten um die
Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw M. Kombi, welchen der
Kläger unter Inzahlunggabe eines Gebrauchtfahrzeugs im Mai 2003 als
Neufahrzeug bei dem Beklagten, einem Vertragshändler des Herstellers M. , zu
einem Kaufpreis von 25.860 € nebst gesondert berechnetem Zubehör bestellt
und im September 2003 ausgeliefert erhalten hatte. Der Kläger rügte in der
Folgezeit eine Vielzahl von Mängeln, die zu einer Reihe von
Werkstattaufenthalten führten, und zwar unter anderem Mängel an der Lenkung
des Fahrzeugs. Namentlich gestützt auf Korrosionserscheinungen und
Farbabplatzungen im Bereich des Fahrzeugunterbodens sowie auf einen
Sägezahnabrieb der Reifen trat er schließlich mit Anwaltsschreiben vom 23.
November 2005 vom Kaufvertrag zurück.
2 Das Landgericht hat - unter Abzug einer Nutzungsentschädigung - der auf
Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des
Fahrzeugs gerichteten Klage weitgehend, nämlich in Höhe von 22.291,31 €
zuzüglich 552,31 € anteiliger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten,
stattgegeben. Dabei hat es zum einen vorhandene Rostanhaftungen am
Unterboden des Fahrzeugs und zum anderen Fehler an der vorderen
Achseinstellung als Mängel angesehen, die den erklärten Rücktritt
rechtfertigten. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Beklagten die
Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils insgesamt abgewiesen.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg.
I.
4 Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
5 Die Korrosion an dem an der Unterseite des Fahrzeugs angeschraubten
Fahrgestell und den dort befindlichen Gussteilen stelle bereits keinen
Sachmangel dar. Demgegenüber stelle die nach dem eingeholten
Sachverständigengutachten fehlerhaft eingestellte Achsgeometrie des
Fahrzeugs zwar einen Mangel dar, der sich in Form von Lenkschwierigkeiten
und Instabilitäten insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten auf die
Verkehrssicherheit ausgewirkt sowie in einem ungleichmäßigen Verschleiß der
Reifen niedergeschlagen habe. Insoweit sei es auch unschädlich, dass der
Kläger sein Rücktrittsverlangen nicht genau auf diesen Mangel gestützt habe,
dessen Ursache den Parteien vor Erstellung des Sachverständigengutachtens
unbekannt gewesen sei, so dass selbst der Beklagte die mit der Lenkung
bestehenden Probleme durch andere, im Ergebnis aber erfolglose Maßnahmen zu
beseitigen versucht habe. Gleichwohl rechtfertige dieser Mangel, dessen
Auswirkungen der Kläger immer wieder moniert und dabei mit dem
Sägezahnabrieb so beschrieben habe, dass sein Rücktrittsverlangen
grundsätzlich auch hierauf gestützt werden könne, einen Rücktritt nicht.
Denn der Mangel sei ungeachtet der von ihm ausgehenden
Beeinträchtigung der Fahrsicherheit unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5
Satz 2 BGB. In die dazu vorzunehmende Interessenabwägung sei nämlich auch
einzustellen, dass die mit maximal 1.300 € anzusetzenden Kosten einer
Mangelbeseitigung noch nicht einmal bei fünf Prozent des vom Kläger
gezahlten Kaufpreises lägen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass
der Kläger - verbunden mit Arglistvorwürfen - immer wieder unberechtigte
Mängelrügen erhoben und den Beklagten auch insoweit zu zahlreichen
Nachbesserungsversuchen veranlasst habe. Dies rechtfertige es, den Kläger
hinsichtlich des einzig bestehenden Mangels auf das ihm nach § 437 Nr. 1, §
439 BGB verbleibende Nacherfüllungsrecht zu verweisen, zumal eine
Nachbesserung noch möglich sei und der Kläger die Annahme einer
Nacherfüllung hinsichtlich des ihm damals selbst noch unbekannten Mangels
bislang nicht endgültig abgelehnt habe.
II.
6 Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand. Es kann dahin stehen, ob in den vom Berufungsgericht festgestellten
Rostanhaftungen an der Fahrzeugunterseite ein Mangel des Fahrzeugs liegt.
Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedenfalls die Annahme des
Berufungsgerichts, der Mangel der vorderen Achseinstellung sei eine
unerhebliche Pflichtverletzung im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, so dass
dem Kläger kein Rücktrittsrecht nach § 437 Nr. 2 BGB zustehe, sondern er
sich auf eine Nacherfüllung verweisen lassen müsse. Der Kläger kann vielmehr
gemäß § 437 Nr. 2, § 440, § 323 Abs. 1 und 2, § 346 Abs. 1, § 348 BGB von
dem Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener
Gebrauchsvorteile Zug um Zug gegen Rückgewähr des gekauften Fahrzeugs
beanspruchen, da die Beseitigung des Mangels durch den Beklagten zum
Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach mehrfachen vergeblichen
Beseitigungsversuchen fehlgeschlagen war.
7 1. Zutreffend sieht das Berufungsgericht es allerdings als unschädlich an,
dass der Kläger für den von ihm erklärten Rücktritt nicht die fehlerhafte
Achseinstellung herangezogen hat, die erst im Zuge des im Prozess
eingeholten Sachverständigengutachtens festgestellt worden ist. Zwar
muss, wenn der Rücktritt - wie hier - auf ein Fehlschlagen bisher erfolgter
Nachbesserungsversuche gestützt wird, der betreffende Mangel zuvor
hinreichend konkret angesprochen und zur Nachbesserung gestellt worden sein.
Das ist vorliegend jedoch geschehen. Denn der Kläger hat sich bei
seinem Rücktritt auch auf einen fortbestehenden Sägezahnabrieb der Reifen
gestützt, für den die bei der bisherigen Fehlersuche nicht als fehlerhaft
erkannte Achseinstellung jedenfalls mitursächlich war. Das
Berufungsgericht hat deshalb die vom Kläger über den Sägezahnabrieb
beanstandete fehlerhafte Achseinstellung, welche der Beklagte bis dahin
trotz diverser Nachbesserungsversuche, die alle nicht an der richtigen
Stelle angesetzt hatten, nicht hatte beseitigen können, mit Recht als
geeignet angesehen, den erklärten Rücktritt zu rechtfertigen.
8 2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, der Kläger sei mit einem
hierauf gestützten Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB
ausgeschlossen, weil die Pflichtverletzung des Beklagten im Hinblick darauf
unerheblich sei, dass die fehlerhafte Achseinstellung mit einem
Reparaturkostenaufwand von weniger als fünf Prozent des Fahrzeugkaufpreises
behoben werden könne.
9 Das Berufungsgericht hat dabei verkannt, dass für die Beurteilung
der Frage, ob die in der Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs liegende
Pflichtverletzung unerheblich ist und deswegen das Rücktrittsrecht des
Käufers ausschließt, auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen
ist (Senatsurteile vom
5. November 2008 - VIII ZR 166/07, NJW 2009, 508 Rn. 19;
vom 9. März 2011 - VIII
ZR 266/09, NJW 2011, 1664 Rn. 18). Zu diesem Zeitpunkt
war die Ursache des Sägezahnabriebs der Bereifung trotz mehrerer
vorausgegangener Reparaturversuche des Beklagten noch nicht bekannt und
deswegen nicht absehbar, ob und mit welchem Aufwand der Mangel beseitigt
werden kann. Bei einer solchen Konstellation
kann dem Mangel die Erheblichkeit nicht abgesprochen werden. Daran ändert
nichts, dass durch das im Verlauf des Rechtsstreits eingeholte
Sachverständigengutachten die Ursache des Sägezahnabriebs der Reifen
offenbar geworden ist und sich herausgestellt hat, dass die fehlerhafte
Achseinstellung mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand korrigiert werden
kann. Denn dadurch kann ein zum Zeitpunkt des Rücktritts erheblicher Mangel
nicht zu einem geringfügigen Mangel im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB
werden (Senatsurteile
vom 5. November 2008 - VIII ZR 166/07, aaO Rn. 20; vom
9. März 2011 - VIII ZR
266/09, aaO).
10 Der vom Berufungsgericht im Rahmen seiner Überlegungen zur Wirksamkeit
des Rücktritts weiter herangezogene Umstand, dass der Kläger den Beklagten
zuvor schon durch eine Reihe unzutreffender Mängelrügen zu zahlreichen
Nachbesserungsversuchen veranlasst habe, ist für die Beurteilung der
Erheblichkeit des zuletzt jedenfalls noch vorhandenen Mangels der
Achseinstellung irrelevant und hat daher außer Betracht zu bleiben.
III.
11 Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben; es ist daher
aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst,
weil die Höhe der vom Landgericht zuerkannten Zahlungsansprüche nicht im
Streit steht, so dass es weiterer Feststellungen nicht bedarf (§ 563 Abs. 3
ZPO). Da die Klage hiernach begründet ist, ist die Berufung des Beklagten
gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
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