Fall 12: "Die Sorge lastet schwer - Examen III"
Im Fall 11 der 2. AG hält sich LG Ulm für
zuständig und gibt der Klage statt, obwohl der "Liederkranz" im Prozeß die Aufrechnung mit
einer ihm gegen die Paul Müller OHG zustehenden, fälligen Forderung in Höhe von DM 60.000
aus dem Verkauf eines original Schubertschen Notenblattes erklärt hatte. Dieser
Aufrechnungseinwand des "Liederkranzes" wird in den Urteilsgründen mit der Begründung
zurückgewiesen, daß die Paul Müller OHG wirksam vom Kaufvertrag bezüglich des
Notenblattes zurückgetreten sei.
Fünf Wochen nach Zustellung dieses Urteils verklagt der Liederkranz die Paul Müller OHG
aufgrund des Notenblattverkaufs vor dem LG München auf Zahlung von DM 60.000.
Wie hat das zuständige LG München zu entscheiden, wenn es den Einwand der Paul Müller
OHG nicht teilt, diese sei von dem Vertrag über das Schubertsche Notenblatt wirksam
zurückgetreten?
Lösung:
Das LG München muß der Klage des "Liederkranz" (künftig: Kl.) stattgeben, wenn diese zulässig
und begründet ist.
- Zulässigkeit
- Die Parteien sind parteifähig (vgl oben AG II Fall 11).
- Das LG München I ist gem. §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig.
- Die Klage könnte hier deshalb unzulässig sein, weil das LG Ulm bereits über den
vom Kl. geltend gemachten Anspruch sachlich entschieden hat, d.h.es an der (negativen)
Prozeßvoraussetzung keiner rechtskräftigen Entscheidung über den Streitgegenstand
mangelt.
Das LG Ulm könnte über den vom Kl. geltend gemachten (prozessualen) Anspruch gem.
§ 322 Abs. 2 ZPO bereits rechtskräftig entschieden haben.
- § 322 Abs. 2 ZPO setzt zunächst ein formell rechtskräftiges Urteil voraus.
Formell rechtskräftig sind Urteile, die mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr
angefochten werden können, § 705 ZPO. Gegen das Urteil des LG Ulm ist keine Berufung
mehr zulässig, da der durch die Entscheidung allein beschwerte Kl. keine Berufung
innerhalb der Frist des § 516 ZPO eingelegt hat.
- Nach § 322 Abs.2 BGB ist im Falle der erfolglosen Aufrechnung die
Aktivforderung bis zur Höhe der Passivforderung aberkannt. Das LG Ulm hat entschieden, daß
der Kl. gegen die Bekl. wegen des wirksamen Rücktritts vom Kaufvertrag bezüglich des
Notenblatts keinen Kaufpreiszahlungsanspruch habe und folglich in Höhe von DM 30.000
über den vom Kl. geltend gemachten Anspruch bereits rechtskräftig entschieden.
- Strittig ist, ob bei Vorliegen des Tatbestands des § 322 Abs. 2 ZPO die Klage bereits
unzulässig oder lediglich unbegründet ist. Für eine nur materiell präkludierende Wirkung
wird geltend gemacht, daß der Anspruch, mit dem aufgerechnet wird, nicht
rechtshängig (1)
wird. Auf Grund von § 322 Abs. 2 ZPO kann aus der fehlenden Rechtshängigkeit jedoch
gerade nicht deduziert werden, daß der Aufrechnende keinen prozessualen Anspruch geltend
mache, da die Vorschrift für den Fall der Aufrechnung den Gleichlauf von
Rechtshängigkeit und Rechtskraft ausnahmsweise durchbricht (2).
- Folglich ist die Klage in Höhe von DM 30.000 auf Grund von § 322 Abs. 2 ZPO
unzulässig.
- Begründetheit
Da das LG München I den Kaufvertrag über das Notenblatt für wirksam hält und bezüglich
der Restforderung von DM 30.000 nicht gem. § 322 Abs. 2 präkludiert ist, ist die
Klage nach der Auffassung des Gerichts insoweit begründet.
- Ergebnis
Folglich hat das LG München I die Bekl. zur Zahlung von DM 30.000 zu verurteilen und im
übrigen die Klage als unzulässig abzuweisen.
FN 1:
So die h.M, vgl. BGH NJW 1972, 450 und MünchKomm/Lüke, § 261 Rdnr. 27 m.w.N. (Fn. 32)
(zurück).
FN 2:
H.M., vgl MünchKomm/Gottwald, § 322 Rdnr. 177 m.w.N.
(zurück).