Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz


Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

ZPO-Erkenntnisverfahren

3. Arbeitsgemeinschaft

Zulässigkeit der Klage II
Partei-, Prozeß- und Postulationsfähigkeit
(Prozessualer) Anspruch und Streitgegenstand
Rechtshängigkeit und Rechtskraft


Fall 2:          "Brüder, zur Sonne, ..."

(vgl. BGH NJW 1965, 865)

Gewerkschaft A stellte bei der Mitgliederwerbung falsche Behauptungen zum Nachteil der konkurrierenden Gewerkschaft B auf. B klagt vor dem LG auf Unterlassung und Widerruf.

Zulässigkeit der Klage?


Lösung:

Gewerkschaften sind i.d.R. als nicht rechtsfähige Vereine organisiert. Die Klage könnte daher gem. § 50 Abs. 2 ZPO mangels aktiver Parteifähigkeit der A unzulässig sein.

  1. Im Arbeitsgerichtsverfahren hat schon der Gesetzgeber die aktive Parteifähigkeit der Gewerkschaften anerkannt (vgl. § 12 ArbGG).
  2. Für den Zivilprozeß hat die Rechtsprechung für die in Form eines nicht rechtsfähigen Vereines organisierten Gewerkschaften in Abweichung von § 50 Abs. 2 ZPO die aktive Parteifähigkeit ebenfalls seit längeren bejaht. Diese Rechtsprechung hat zu Recht nahezu einhellige Zustimmung gefunden (1): Im Gegensatz zu sonstigen privaten nicht rechtsfähigen Vereinen sind die Gewerkschaften Träger zahlreicher öffentlicher Funktionen, wegen derer sie eine Sonderstellung einnehmen. Das Grundgesetz hat in Art. 9 Abs. 3 das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen gebildeten Vereinigungen unter den Schutz der Verfassung gestellt und damit die besondere Bedeutung dieser Koalitionen in der Sozialordnung anerkannt. Dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG darf sich das Verfahrensrecht nicht versagen. Es muß vielmehr den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, die Gerichte zum Schutz gegen zivilrechtlich unerlaubte Störungen ihrer Organisationen und ihrer Tätigkeit anzurufen (2).
  3. Diese partielle aktive Parteifähigkeit bestimmter nicht rechtsfähiger Vereine dürfte nach der Entscheidung BGH NJW 2001, 1056 nunmehr in der generellen Partei-fähigkeit des "nicht rechtsfähigen" Vereins aufgehen. Ist der nicht eingetragene Verein in demselben Umfang wie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts rechtsfähig und wird deren Parteifähigkeit auf § 50 Abs. 1 ZPO gestützt, dann ist § 50 Abs. 2 ZPO gegenstandslos.(3)

Die Klage ist daher zulässig.


FN 1: Vgl. Zöller/Vollkommer, § 50 Rdnr. 22 (zurück).

FN 2: BGH NJW 1965, 865; BGH NJW 1968, 1830; BGH NJW 1990, 186 (zurück). FN 3: vgl. K. Schmidt, NJW 2001, 993, 1002, 1003 (zurück).