Fall 2: "Brüder, zur Sonne, ..."
(vgl. BGH NJW 1965, 865)
Gewerkschaft A stellte bei der Mitgliederwerbung falsche Behauptungen zum
Nachteil der konkurrierenden Gewerkschaft B auf. B klagt vor dem LG auf Unterlassung und
Widerruf.
Zulässigkeit der Klage?
Lösung:
Gewerkschaften sind i.d.R. als nicht rechtsfähige Vereine organisiert. Die Klage könnte
daher gem. § 50 Abs. 2 ZPO mangels aktiver Parteifähigkeit der A unzulässig sein.
- Im Arbeitsgerichtsverfahren hat schon der Gesetzgeber die aktive Parteifähigkeit der
Gewerkschaften anerkannt (vgl. § 12 ArbGG).
- Für den Zivilprozeß hat die Rechtsprechung für
die in Form eines nicht rechtsfähigen Vereines organisierten Gewerkschaften in Abweichung
von § 50 Abs. 2 ZPO die aktive Parteifähigkeit ebenfalls seit längeren bejaht. Diese Rechtsprechung hat zu Recht nahezu
einhellige Zustimmung gefunden (1): Im Gegensatz zu sonstigen privaten nicht rechtsfähigen
Vereinen sind die Gewerkschaften Träger zahlreicher öffentlicher Funktionen, wegen derer
sie eine Sonderstellung einnehmen. Das Grundgesetz hat in Art. 9 Abs. 3 das korporative
Daseins- und Betätigungsrecht der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbeziehungen gebildeten Vereinigungen unter den Schutz der Verfassung gestellt
und damit die besondere Bedeutung dieser Koalitionen in der Sozialordnung anerkannt.
Dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG darf sich das Verfahrensrecht
nicht versagen. Es muß vielmehr den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, die Gerichte
zum Schutz gegen zivilrechtlich unerlaubte Störungen ihrer Organisationen und ihrer
Tätigkeit anzurufen (2).
- Diese partielle aktive Parteifähigkeit bestimmter nicht rechtsfähiger Vereine dürfte
nach der Entscheidung BGH NJW 2001, 1056 nunmehr in der generellen Partei-fähigkeit
des "nicht rechtsfähigen" Vereins aufgehen. Ist der nicht eingetragene
Verein in demselben Umfang wie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts rechtsfähig
und wird deren Parteifähigkeit auf § 50 Abs. 1 ZPO gestützt, dann ist § 50 Abs. 2
ZPO gegenstandslos.(3)
Die Klage ist daher zulässig.
FN 1:
Vgl. Zöller/Vollkommer, § 50 Rdnr. 22
(zurück).
FN 2:
BGH NJW 1965, 865; BGH NJW 1968, 1830; BGH NJW 1990, 186
(zurück).
FN 3:
vgl. K. Schmidt, NJW 2001, 993, 1002, 1003
(zurück).