Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr Stephan Lorenz


Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht IV

ZPO-Erkenntnisverfahren

5. Arbeitsgemeinschaft

Parteiverhalten I
Klageänderung; Erledigungserklärung; Veräußerung des Streitgegenstands;
Parteiänderung; Vergleich; Widerklage


Fall 7:          "Gute Zeiten, schlechte Zeiten - Folge 2"

(vgl. BGH NJW 1958, 1970; NJW 1964, 1524)

B klagt gegen C auf Herausgabe seines Tennisschlägers. Als C in der mündlichen Verhandlung erklärt, dieser sei ihr gestohlen worden, schließen B und C einen Prozeßvergleich, in dem sich C zur Zahlung von DM 150 verpflichtet. Wenig später muß B mit ansehen, wie A mit seinem Schläger die Augsburger Studentenmeisterschaft gewinnt.
Mit der Begründung, der Prozeßvergleich sei wegen arglistiger Täuschung unwirksam, erhebt er erneut Klage gegen C auf Herausgabe des Tennisschlägers.

Ist die Klage zulässig?


Lösung:

  1. Der Prozeßvergleich ist in der ZPO nur in Ansätzen geregelt (vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Rechtsnatur des Prozeßvergleichs ist strittig. Im wesentlichen werden heute noch drei Theorien vertreten (1).
    1. Die prozessuale Theorie sieht im Prozeßvergleich eine reine Prozeßhandlung, die die Voraussetzungen des § 779 BGB nicht erfüllen muß. Sie vermag die auf zwei verschiedenen Normebenen liegenden Vergleichswirkungen nicht zu erklären.
    2. Die Lehre vom Doppeltatbestand oder Trennungstheorie bzw. moderate Trennungstheorie zerlegt den Prozeßvergleich in zwei Tatbestände, den prozessualen und materiellrechtlichen. Sie beachtet nicht, daß es sich nach dem Parteiwillen um einen einheitlichen Vorgang handelt.
    3. Zutreffend ist daher die herrschende Lehre von der Doppelnatur des Prozeßvergleichs. Er bildet eine Einheit, die gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen und materiellrechtlichen Regelungen bewirkt. Privatrechtlich ist er nach § 779 BGB zu beurteilen, als Prozeßhandlung nach der ZPO (2).
  2. Aus der Doppelnatur des Prozeßvergleichs ergibt sich, daß dieser nur wirksam ist, wenn seine prozessualen und materiellrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Folglich stellt eine Infragestellung seiner materiellen Wirksamkeit - hier gem. §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung seitens der C - auch dessen prozessuale Wirkung in Zweifel. Daher ist die Frage ob ein gerichtlicher Vergleich unwirksam ist, sei es aus materiellrechtlichen oder prozessualen Gründen, nach nunmehr wohl ganz h.M. (3) durch Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits zu klären, vgl BGHZ 28, 171, 172 ff:

    "Die Erkenntnis der Doppelnatur des Prozeßvergleichs und dessen von der Rechtsbeständigkeit seiner formellen und materiellen Grundlagen gleichermaßen abhängigen Wirksamkeit als Prozeßhandlung sowie Erwägungen vornehmlich prozeßwirtschaftlicher Art haben in der Rechtslehre mehr und mehr zu der Auffassung geführt, daß auch der Streit um die Wirksamkeit des Vergleichsvertrages, sofern dadurch die Beendigung des Rechtsstreits in Frage gestellt wird, in Fortsetzung des bisherigen und nicht durch Anstrengung eines neuen Prozesses ausgetragen werden sollte (vgl. namentlich Rosenberg, Lehrbuch 7. Aufl. § 128 III 3; Stein/Jonas/Schönke 18. Aufl. Bem. II 3 a, Seuffert/Walsmann, Bem. II k zu § 794 ZPO; Lehmann, Prozeßvergleich (1911) S. 232 ff).

    Das Reichsgericht hat im Gegensatz hierzu, wenn auch mit gelegentlichen Abweichungen, die Ansicht vertreten, grundsätzlich müsse der Streit um die Wirksamkeit der Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs wegen Irrtums oder arglistiger [28,173] Täuschung ebenso wie der Streit um die aus einem anderen Grunde, z. B. wegen Sittenwidrigkeit oder wegen Geschäftsunfähigkeit eines Vergleichspartners, geltend gemachte Nichtigkeit eines Prozeßvergleichs in einem besonderen Rechtsstreit durchgeführt werden (RGZ 65, 420; 78, 286, 288; 106, 312, 314 f; 141, 104, 106 f). Ausnahmsweise hat es die Fortsetzung des bisherigen Prozesses dann zugelassen, wenn sich der Streit über die Gültigkeit des Vergleichs in einer Rechtsfrage erschöpft oder wenn die Entscheidung darüber von unstreitigen oder sonst keiner besonderen Beweiserhebung bedürftigen Tatsachen abhängt (RGZ 65, 420; RG bei Gruchot 50, 425, 428; vgl. auch RGZ 162, 198, 199 f). Diesen Standpunkt hat das Reichsgericht damit begründet, daß einem Prozeßvergleich gemäß § 794 ZPO die gleichen Vollstreckungswirkungen beigelegt seien wie einem vollstreckbaren Urteil. Dem durch gerichtlichen Vergleich abgeschlossenen Rechtsstreit könne daher so lange kein Fortgang gegeben werden, als die Wirkungen des Prozeßvergleichs nicht in einem anderen Verfahren beseitigt seien. Die durch den Vergleichsabschluß gewonnene klare Prozeßlage solle nicht zugunsten einer ihrer Berechtigung nach zweifelhaften, einseitigen Anfechtung aufgegeben werden (so RG Gruchot 50, 428; RGZ 78, 289). Das Vorbringen der den Vergleich anfechtenden Partei könne sich auch als unschlüssig oder unzutreffend erweisen. Dann aber würde das nachträgliche Verfahren zugelassen worden sein, obwohl auch die entgegengesetzte Ansicht nicht bestreiten könne, daß der Rechtsstreit durch den Prozeßvergleich bereits beendigt sei (so RG Gruchot aaO; RGZ 106, 313 f).

    Der Bundesgerichtshof hat die hier erörterte Frage, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden (vgl. BGHZ 14, 381, 386; 16, 388, 391; Urteil des erkennenden Senats vom 27. März 1958 - VII ZR 197/57-). Immerhin ist in den zuerst angeführten beiden Entscheidungen ebenso wie in dem diese Frage zuletzt berühr6nden Urteil des Reichsgerichts (RGZ 162, 198) die Neigung erkennbar, den Streit über die materiellrechtliche Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs möglichst in dem Rechtsstreit austragen zu lassen, den der Vergleich beendigen sollte.

    [28,174] Bei Abwägung aller Umstände ist dieser in der Rechtslehre ganz überwiegend, auch von zahlreichen Oberlandesgerichten (z. B. Breslau HRR 1940, 1316; Düsseldorf JMBI NRW 1950, 116; Hamburg JZ 1952, 313 f) und in dem angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht der Vorzug zu geben.

    Es entspricht schon dem natürlichen Rechtsempfinden, die Frage, ob ein gerichtlicher Vergleich aus sachlichrechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist und ob er den Prozeß erledigt hat, nicht in einem besonderen Verfahren, sondern in dem bisherigen Rechtsstreit zu entscheiden. Das hat einmal den Vorzug, daß ein zweiter Prozeß um die Wirksamkeit des Vergleichs mit allen Kosten- und Verzögerungsfolgen vermieden wird und daß bereits erhobene Beweise alsbald benutzt werden können. Ein solches Verfahren führt aber auch dazu, daß in der Mehrzahl der Fälle die Richter, die den Prozeßstoff kennen und an dem Vergleich mitgewirkt haben, also auf Grund ihrer Sachkenntnis hierzu besonders geeignet sind, über den Bestand des Vergleichs entscheiden. Würde man die Frage, ob der durch den Vergleich beendigte Prozeß fortzusetzen ist, von der Entscheidung in einem besonderen Rechtsstreit abhängig machen so müßte für den Fall, daß sich die Berufung eines Beteiligten auf die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Vergleichs als gerechtfertigt erwiese, das Gericht, unter dessen Mitwirkung der Vergleich zustande gekommen ist, den früheren Rechtsstreit fortsetzen und in der Sache selbst entscheiden. Das wäre ein höchst umständliches, durch die Sache nicht gerechtfertigtes insbesondere nicht erfordertes Verfahren. Der Hinweis des Reichsgerichts, im umgekehrten Falle sei das Gericht, das den Rechtsstreit fortgesetzt habe, in eineni in Wahrheit tatsächlich erledigten Verfahren tätig geworden, spricht nicht entscheidend gegen die Zulässigkeit der Fortsetzung eines Rechtsstreits nach dem Abschluß eines Vergleichs. Wie schon Lehmann (aaO S. 233) und ihm folgend Rosenberg (aaO S. 608) mit Recht hervorheben, kommt das Gericht, ohne daß hiergegen Einwände erhoben worden sind, auch aus anderen Anlässen in die gleiche Lage, z. B. bei einem Streit über die Zulässigkeit oder Wirksamkeit einer Klagerücknahme, wenn diese zugleich einen Verzicht auf den Klageanspruch enthält.

    [28,175] Den Grundsatz, daß über die Rechtsgültigkeit eines Vergleichs, dessen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit geltend gemacht ist, in einem besonderen Rechtsstreit zu entscheiden sei, hat das Reichsgericht im übrigen selbst durchbrochen; denn es hat die Fortsetzung des bisherigen Verfahrens trotz Abschlusses eines Vergleichs für zulässig erklärt, wenn sich die Entscheidung in einer Rechtsfrage erschöpfe oder wenn sie von unstreitigen oder sonst keiner besonderen Beweiserhebung bedürftigen Tatsachen abhänge (RGZ 65, 420, 422; 78, 286, 289; 106, 312, 315 f). Wäre die Fortsetzung eines durch gerichtlichen Vergleich abgeschlossenen Rechtsstreits in dem bisherigen Verfahren schlechthin undenkbar, so müßte dies für alle Sachen dieser Art gelten. Es wäre nicht angängig, für den Fall, daß die Entscheidung nur eine Rechtsfrage betrifft oder das Gericht ohne weitere Beweiserhebung entscheiden kann, Ausnahmen zuzulassen.

    Tatsächlich sind die vom Reichsgericht für seine grundsätzliche Auffassung angeführten Gründe nicht durchschlagend. Die durch den Vergleich erzielte klare Rechtsposition wird dadurch, daß die Prüfung seiner Rechtswirksamkeit in dem alten Prozeß zugelassen wird, nicht in höherem Maße in Frage gestellt, als wenn dessen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht wird. In beiden Fällen kann die Partei, die den Vergleich anficht, im Falle gehöriger Glaubhaftmachung ihres Vorbringens in entsprechender Anwendung der §§ 707, 719, 769 ZPO die Vollstreckung aus dem Vergleich einstweilen abwenden lassen.

    Ebensowenig bildet die grundsätzliche Gleichstellung des Prozeßvergleichs mit dem Urteil in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht einen genügenden Anlaß, derartige Vergleiche auch sonst wie Urteile zu behandeln und dem Gericht, unter dessen Mitwirkung der Vergleich zustande gekommen ist, die Prüfung seiner Rechtswirksamkeit in demselben Rechtsstreit zu versagen. Allerdings bleibt die Vollstreckbarkeit eines rechtskräftigen Urteils bestehen, bis dieses auf Grund einer in einem besonderen Verfahren ergangenen Entscheidung aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung aus ihm für unzulässig erklärt wird. Aus dieser für ein gerichtliches Erkenntnis geltenden Regelung [28,176] lassen sich aber keine maßgebenden Gesichtspunkte dafür gewinnen, in welchem Verfahren die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs nachzuprüfen ist; denn im Unterschied zum Urteil stellt dieser keinen Akt der Staatsgewalt dar, sondern verdankt seine Entstehung einer - unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich sanktionierten und mit besonderen Wirkungen ausgestatteten - privatrechtlichen Parteivereinbarung. Es liegt auf der Hand, daß ein auf diese Weise zustande gekommener vollstreckbarer Titel mehr Angriffspunkte bietet und daher stärkeren Einwendungen ausgesetzt ist, als ein nach einem prozeßrechtlich bis in alle Einzelheiten geregelten Verfahren ergangenes Urteil der staatlichen Gerichte. Die zu deren Nachprüfung erlassenen Vorschriften können daher für das entsprechende Verfahren bei Prozeßvergleichen regelmäßig nicht als Richtschnur dienen.

    Richtig ist, daß den Parteien eine Instanz verloren geht, wenn der Vergleich, wie hier, erst in der Berufungsinstanz geschlossen ist und die Wirksamkeit des Vergleichs im selben Verfahren angegriffen wird. Aber auch dieser Gesichtspunkt spricht nicht entscheidend gegen die Zulässigkeit eines solchen Verfahreqs. Denn die Gründe, die gegen die sachlichrechtliche Wirksamkeit eines Vergleichs anzuführen sind, werden sich meistens mit dem in zwei Rechtszügen vorgetragenen Prozeßstoff decken oder doch eng mit ihm zusammenhängen, so daß sich eine Prüfung der gegen den Vergleich gerichteten Angriffe in zwei weiteren Tatsacheninstanzen erübrigt. Soweit aber die Rechtswirksamkeit eines Vergleichs aus prozessualen Gründen bezweifelt wird, hält auch das Reichsgericht die Prüfung in dem bisherigen Rechtsstreit für zulässig (RGZ 106, 314). Gerade hier aber werden häufig Gesichtspunkte auftauchen, die in dem dem Vergleichsabschluß vorangegangenen Verfahren noch nicht erörtert worden sind.

    Angesichts der eingangs hervorgehobenen, moderner Prozeßauffassung entsprechenden allgemeinen Gesichtspunkte kann die Rechtsprechung des Reichsgerichts somit nicht als ein Hindernis angesehen werden, die Rechtswirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs auch dann in Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits nachzuprüfen, wenn seine Nichtigkeit - sei [28,177] es auf Grund einer Anfechtung, sei es als von vornherein bestehende - geltend gemacht wird."

  3. Folglich steht einer auf der Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs aufbauenden erneuten Klage des B gegen C auf Herausgabe des Tennisschlägers die "Noch-Rechtshängigkeit" dieses Anspruchs entgegen, da bei Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs aufgrund arglistiger Täuschung der C der erste Prozeß mit demselben Streitgegenstand noch nicht beendet ist. Eine erneute Herausgabeklage ist daher unzulässig 4. Vielmehr muß B beim Gericht des Prozeßvergleichs die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.


FN 1: Überblick bei Musielak/Lackmann, § 794 Rdnr. 2 (zurück).

FN 2: BGHZ 28, 172; BGH NJW 1980, 1753; NJW 1981, 823; NJW 1988, 65; Stein-Jonas/Münzberg, § 794 Rn. 58 ff.; Zöller/Stöber, § 794 Rdnr. 3 m.w.N. (zurück).

FN 3: vgl. Zöller/Stöber, § 794 Rdnr. 15a m.w.N. (zurück).

FN 4: Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 131 IV 4 (zurück).