"Die Erkenntnis der Doppelnatur des Prozeßvergleichs und
dessen von der Rechtsbeständigkeit seiner formellen und materiellen
Grundlagen gleichermaßen abhängigen Wirksamkeit als Prozeßhandlung sowie
Erwägungen vornehmlich prozeßwirtschaftlicher Art haben in der Rechtslehre
mehr und mehr zu der Auffassung geführt, daß auch der Streit um die
Wirksamkeit des Vergleichsvertrages, sofern dadurch die Beendigung des
Rechtsstreits in Frage gestellt wird, in Fortsetzung des bisherigen und
nicht durch Anstrengung eines neuen Prozesses ausgetragen werden sollte
(vgl. namentlich Rosenberg, Lehrbuch 7. Aufl. § 128 III 3;
Stein/Jonas/Schönke 18. Aufl. Bem. II 3 a, Seuffert/Walsmann, Bem.
II k zu § 794 ZPO; Lehmann, Prozeßvergleich (1911) S. 232 ff).
Das Reichsgericht hat im Gegensatz hierzu, wenn auch mit gelegentlichen
Abweichungen, die Ansicht vertreten, grundsätzlich müsse der Streit um die
Wirksamkeit der Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs wegen Irrtums
oder arglistiger [28,173] Täuschung ebenso wie der Streit um die aus einem
anderen Grunde, z. B. wegen Sittenwidrigkeit oder wegen Geschäftsunfähigkeit
eines Vergleichspartners, geltend gemachte Nichtigkeit eines
Prozeßvergleichs in einem besonderen Rechtsstreit durchgeführt
werden (RGZ 65, 420; 78, 286, 288; 106, 312, 314 f; 141, 104, 106 f).
Ausnahmsweise hat es die Fortsetzung des bisherigen Prozesses dann
zugelassen, wenn sich der Streit über die Gültigkeit des Vergleichs
in einer Rechtsfrage erschöpft oder wenn die Entscheidung darüber von
unstreitigen oder sonst keiner besonderen Beweiserhebung bedürftigen
Tatsachen abhängt (RGZ 65, 420; RG bei Gruchot 50, 425, 428; vgl. auch
RGZ 162, 198, 199 f). Diesen Standpunkt hat das Reichsgericht damit
begründet, daß einem Prozeßvergleich gemäß § 794 ZPO die gleichen
Vollstreckungswirkungen beigelegt seien wie einem vollstreckbaren
Urteil. Dem durch gerichtlichen Vergleich abgeschlossenen Rechtsstreit
könne daher so lange kein Fortgang gegeben werden, als die Wirkungen des
Prozeßvergleichs nicht in einem anderen Verfahren beseitigt seien. Die
durch den Vergleichsabschluß gewonnene klare Prozeßlage solle nicht
zugunsten einer ihrer Berechtigung nach zweifelhaften, einseitigen
Anfechtung aufgegeben werden (so RG Gruchot 50, 428; RGZ 78, 289).
Das Vorbringen der den Vergleich anfechtenden Partei könne sich auch
als unschlüssig oder unzutreffend erweisen. Dann aber würde das
nachträgliche Verfahren zugelassen worden sein, obwohl auch die
entgegengesetzte Ansicht nicht bestreiten könne, daß der Rechtsstreit
durch den Prozeßvergleich bereits beendigt sei (so RG Gruchot aaO; RGZ
106, 313 f).
Der Bundesgerichtshof hat die hier erörterte Frage, soweit ersichtlich,
noch nicht entschieden (vgl. BGHZ 14, 381, 386; 16, 388, 391; Urteil des
erkennenden Senats vom 27. März 1958 - VII ZR 197/57-). Immerhin ist in
den zuerst angeführten beiden Entscheidungen ebenso wie in dem diese
Frage zuletzt berühr6nden Urteil des Reichsgerichts (RGZ 162, 198) die
Neigung erkennbar, den Streit über die materiellrechtliche Wirksamkeit
eines Prozeßvergleichs möglichst in dem Rechtsstreit austragen zu lassen,
den der Vergleich beendigen sollte.
[28,174] Bei Abwägung aller Umstände ist dieser in der Rechtslehre ganz
überwiegend, auch von zahlreichen Oberlandesgerichten (z. B. Breslau
HRR 1940, 1316; Düsseldorf JMBI NRW 1950, 116; Hamburg JZ 1952, 313 f)
und in dem angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht der Vorzug zu
geben.
Es entspricht schon dem natürlichen Rechtsempfinden, die Frage, ob ein
gerichtlicher Vergleich aus sachlichrechtlichen Gründen nichtig oder
anfechtbar ist und ob er den Prozeß erledigt hat, nicht in einem
besonderen Verfahren, sondern in dem bisherigen Rechtsstreit zu entscheiden.
Das hat einmal den Vorzug, daß ein zweiter Prozeß um die Wirksamkeit des
Vergleichs mit allen Kosten- und Verzögerungsfolgen vermieden wird und daß
bereits erhobene Beweise alsbald benutzt werden können. Ein solches
Verfahren führt aber auch dazu, daß in der Mehrzahl der Fälle die Richter,
die den Prozeßstoff kennen und an dem Vergleich mitgewirkt haben, also auf
Grund ihrer Sachkenntnis hierzu besonders geeignet sind, über den Bestand
des Vergleichs entscheiden. Würde man die Frage, ob der durch den Vergleich
beendigte Prozeß fortzusetzen ist, von der Entscheidung in einem besonderen
Rechtsstreit abhängig machen so müßte für den Fall, daß sich die Berufung
eines Beteiligten auf die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Vergleichs als
gerechtfertigt erwiese, das Gericht, unter dessen Mitwirkung der Vergleich
zustande gekommen ist, den früheren Rechtsstreit fortsetzen und in der
Sache selbst entscheiden. Das wäre ein höchst umständliches, durch die
Sache nicht gerechtfertigtes insbesondere nicht erfordertes Verfahren.
Der Hinweis des Reichsgerichts, im umgekehrten Falle sei das Gericht,
das den Rechtsstreit fortgesetzt habe, in eineni in Wahrheit tatsächlich
erledigten Verfahren tätig geworden, spricht nicht entscheidend gegen die
Zulässigkeit der Fortsetzung eines Rechtsstreits nach dem Abschluß eines
Vergleichs. Wie schon Lehmann (aaO S. 233) und ihm folgend Rosenberg (aaO
S. 608) mit Recht hervorheben, kommt das Gericht, ohne daß hiergegen
Einwände erhoben worden sind, auch aus anderen Anlässen in die gleiche
Lage, z. B. bei einem Streit über die Zulässigkeit oder Wirksamkeit einer
Klagerücknahme, wenn diese zugleich einen Verzicht auf den Klageanspruch
enthält.
[28,175] Den Grundsatz, daß über die Rechtsgültigkeit eines Vergleichs,
dessen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit geltend gemacht ist, in einem
besonderen Rechtsstreit zu entscheiden sei, hat das Reichsgericht im
übrigen selbst durchbrochen; denn es hat die Fortsetzung des bisherigen
Verfahrens trotz Abschlusses eines Vergleichs für zulässig erklärt, wenn
sich die Entscheidung in einer Rechtsfrage erschöpfe oder wenn sie von
unstreitigen oder sonst keiner besonderen Beweiserhebung bedürftigen
Tatsachen abhänge (RGZ 65, 420, 422; 78, 286, 289; 106, 312, 315 f).
Wäre die Fortsetzung eines durch gerichtlichen Vergleich abgeschlossenen
Rechtsstreits in dem bisherigen Verfahren schlechthin undenkbar, so müßte
dies für alle Sachen dieser Art gelten. Es wäre nicht angängig, für den
Fall, daß die Entscheidung nur eine Rechtsfrage betrifft oder das Gericht
ohne weitere Beweiserhebung entscheiden kann, Ausnahmen zuzulassen.
Tatsächlich sind die vom Reichsgericht für seine grundsätzliche Auffassung
angeführten Gründe nicht durchschlagend. Die durch den Vergleich erzielte
klare Rechtsposition wird dadurch, daß die Prüfung seiner Rechtswirksamkeit
in dem alten Prozeß zugelassen wird, nicht in höherem Maße in Frage
gestellt, als wenn dessen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit in einem neuen
Rechtsstreit geltend gemacht wird. In beiden Fällen kann die Partei, die
den Vergleich anficht, im Falle gehöriger Glaubhaftmachung ihres Vorbringens
in entsprechender Anwendung der §§ 707, 719, 769 ZPO die Vollstreckung aus
dem Vergleich einstweilen abwenden lassen.
Ebensowenig bildet die grundsätzliche Gleichstellung des Prozeßvergleichs
mit dem Urteil in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht einen genügenden Anlaß,
derartige Vergleiche auch sonst wie Urteile zu behandeln und dem Gericht,
unter dessen Mitwirkung der Vergleich zustande gekommen ist, die Prüfung
seiner Rechtswirksamkeit in demselben Rechtsstreit zu versagen. Allerdings
bleibt die Vollstreckbarkeit eines rechtskräftigen Urteils bestehen, bis
dieses auf Grund einer in einem besonderen Verfahren ergangenen Entscheidung
aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung aus ihm für unzulässig erklärt
wird. Aus dieser für ein gerichtliches Erkenntnis geltenden
Regelung [28,176] lassen sich aber keine maßgebenden Gesichtspunkte dafür
gewinnen, in welchem Verfahren die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs
nachzuprüfen ist; denn im Unterschied zum Urteil stellt dieser keinen
Akt der Staatsgewalt dar, sondern verdankt seine Entstehung einer - unter
bestimmten Voraussetzungen gerichtlich sanktionierten und mit besonderen
Wirkungen ausgestatteten - privatrechtlichen Parteivereinbarung. Es liegt
auf der Hand, daß ein auf diese Weise zustande gekommener vollstreckbarer
Titel mehr Angriffspunkte bietet und daher stärkeren Einwendungen
ausgesetzt ist, als ein nach einem prozeßrechtlich bis in alle Einzelheiten
geregelten Verfahren ergangenes Urteil der staatlichen Gerichte. Die zu
deren Nachprüfung erlassenen Vorschriften können daher für das
entsprechende Verfahren bei Prozeßvergleichen regelmäßig nicht als
Richtschnur dienen.
Richtig ist, daß den Parteien eine Instanz verloren geht, wenn der
Vergleich, wie hier, erst in der Berufungsinstanz geschlossen ist und
die Wirksamkeit des Vergleichs im selben Verfahren angegriffen wird. Aber
auch dieser Gesichtspunkt spricht nicht entscheidend gegen die
Zulässigkeit eines solchen Verfahreqs. Denn die Gründe, die gegen die
sachlichrechtliche Wirksamkeit eines Vergleichs anzuführen sind, werden
sich meistens mit dem in zwei Rechtszügen vorgetragenen Prozeßstoff decken
oder doch eng mit ihm zusammenhängen, so daß sich eine Prüfung der gegen den
Vergleich gerichteten Angriffe in zwei weiteren Tatsacheninstanzen
erübrigt. Soweit aber die Rechtswirksamkeit eines Vergleichs aus
prozessualen Gründen bezweifelt wird, hält auch das Reichsgericht die
Prüfung in dem bisherigen Rechtsstreit für zulässig (RGZ 106, 314).
Gerade hier aber werden häufig Gesichtspunkte auftauchen, die in dem dem
Vergleichsabschluß vorangegangenen Verfahren noch nicht erörtert worden
sind.
Angesichts der eingangs hervorgehobenen, moderner Prozeßauffassung
entsprechenden allgemeinen Gesichtspunkte kann die Rechtsprechung des
Reichsgerichts somit nicht als ein Hindernis angesehen werden, die
Rechtswirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs auch dann in Fortsetzung
des bisherigen Rechtsstreits nachzuprüfen, wenn seine Nichtigkeit -
sei [28,177] es auf Grund einer Anfechtung, sei es als von vornherein
bestehende - geltend gemacht wird."