BGHZ 41, 310 ff
Vgl. auch BGH NJW 1999,
2903
Haben die Parteien den Rechtsstreit durch einen Prozeßvergleich beendet, so können sie diese verfahrensrechtliche Wirkung des Vergleichs nicht durch eine übereinstimmende Verzichtserklärung auf die Rechte aus dem Vergleich mit der Folge beseitigen, daß der Rechtsstreit fortgesetzt werden kann (Ergänzung zu BGHZ 16, 388 und BGHZ 28, 171).
1. Die Revision wendet sich vergeblich gegen die
Auffassung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten durch die zu
Protokoll gegebene Erklärung, daß sie gemeinsam auf die Rechte
aus dem Prozeßvergleich verzichteten, um zu erreichen, daß
das Verfahren fortgesetzt werden könne, die das Verfahren beendigende
Wirkung des Vergleichs nicht beseitigen können...
2. Der Prozeßvergleich hat eine rechtliche
Doppelnatur; als Prozeßhandlung bestimmt sich seine Wirksamkeit nach
den Grundsätzen des Verfahrensrechts, als privatrechtlicher Vertrag
unterliegt er den Regeln des materiellen Rechts (BGHZ 16, 388, 390; 28,
171, 172). Seine verfahrensrechtliche Wirkung besteht darin, daß
er den Rechtsstreit beendet, also die Rechtshängigkeit beseitigt.
Die Frage, ob die materiell rechtliche Unwirksamkeit
eines Prozeßvergleichs auch die prozeßbeendende Wirkung beseitigt,
ob also der Streit um die Wirksamkeit des Vergleichs in einem neuen Rechtsstreit
geführt werden muß oder ob der durch den Vergleich beendete
Rechtsstreit fortgeführt werden kann, ist in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs dahin entschieden, daß die Rechtswirksamkeit eines
gerichtlichen Vergleichs dann in Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits
nachzuprüfen ist, wenn seine Nichtigkeit - sei es auf Grund einer
Anfechtung, sei es als von vornherein bestehende -geltend gemacht wird
(BGHZ 28, 171, 176;vgl. auch BAGE 4, 84 = NJW 1957, 1127), daß aber
im Falle des Rücktritts vom Vergleich (§ 326 BGB) der Rechtsstreit
nicht weitergeführt werden kann, sondern die aus dem Rücktritt
sich ergebenden Einwendungen in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht
werden müssen (BGHZ 16, 388, 393; aA BAGE 3, 43 = NJW 1956, 1215).
Die Frage, ob die prozeßbeendende Wirkung
eines Prozeßvergleichs auch durch einen Abänderungsvertrag der
Parteien beseitigt werden kann, ob also die Parteien auch nach Ablauf einer
Widerrufsfrist und damit eingetretener Erledigung des Rechtsstreits auf
Grund privatrechtlicher Vereinbarung den Rechtsstreit wieder fortführen
können, hat der Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, noch nicht
entschieden. Das Reichsgericht hat dazu gelegentlich bemerkt (RGZ 78, 286,
289), die Fortsetzung des alten Rechtsstreits müsse möglich sein,
wenn beide Parteien übereinstimmend erklären, der Prozeßvergleich
solle keine Wirkung haben und dem früheren Rechtsstreit solle Fortgang
gegeben werden, als ob der Prozeßvergleich nicht geschlossen worden
wäre; im Schrifttum vertreten Rosenberg (Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts
9. Aufl. § 128 III 2i S. 630) und Lehmann (Der Prozeßvergleich,
1911, S. 240) die Auffassung, daß der Prozeßvergleich von den
Parteien durch übereinstimmende Erklärung beseitigt werden könne
und dann der Fortsetzung des Rechtsstreits nicht im Wege stehe.
Der erkennende Senat vermag sich dieser Auffassung
nicht anzuschließen. Vielmehr sprechen die Gründe, die für
die Geltendmachung der Rücktrittsfolgen in einem neuen Rechtsstreit
ausschlaggebend sind, in verstärktem Maße dafür, die verfahrensrechtliche
Wirkung des Prozeßvergleichs nicht durch Parteivereinbarung beseitigen
zu lassen. Den entscheidenden Unterschied zwischen den verfahrensrechtlichen
Folgen von Anfechtung und Rücktritt vom Vergleich hat der Bundesgerichtshof
(BGHZ 16, 388, 392) darin gesehen, daß im Falle der Anfechtung eine
von Anfang an mangelhafte Erklärung beseitigt wird, während der
Rücktritt eine zunächst mangelfreie Vereinbarung nachträglich
wegen später eingetretener Umstände wirkungslos macht, wobei
der Eintritt dieser Folge im Falle des Rücktritts gemäß
§ 326 BGB von der Ausübung des Wahlrechts durch den Berechtigten
im Sinne des Rücktritts oder der Schadensersatzforderung abhängt.
Ist also in dem einen Falle - besonders deutlich beim nichtigen Prozeßvergleich
- die Rechtshängigkeit nie beendet worden, weil ein mangelfreier Prozeßvergleich
nicht vorgelegen hat, so handelt es sich im anderen Falle darum, ob die
wirksam beendete Rechtshängigkeit dadurch wiederaufleben kann, daß
die Parteien durch übereinstimmende Erklärungen außerhalb
des Rechtsstreits die Wirkung ihrer Prozeßhandlung wieder beseitigen.
Dabei steht außer Zweifel, daß sie zwar durch einen Abänderungs-
oder Aufhebungsvertrag die materiellrechtlichen Wirkungen des Prozeßvergleichs
abändern oder beseitigen können; doch hat das nichts mit der
Frage zu tun, ob insoweit auch die prozeßbeendigende Wirkung des
Vergleichs aufgehoben wird. Davon geht offenbar auch Bonin (Der Prozeßvergleich,
1957, S. 94/95) aus, wenn er bemerkt, daß die Parteien in der Lage
seien, durch eine außergerichtliche Vereinbarung die in einem Prozeßvergleich
begründeten Rechte und Pflichten ganz oder zum Teil abzuändern
oder aufzuheben, daß aber, falls gleichwohl die Zwangsvollstreckung
aus dem Prozeßvergleich weiter betrieben werde, dagegen nur im Wege
der Klage nach § 767 ZPO vorgegangen werden könne.
Daß Bedenken dagegen bestehen, den Parteien
allgemein die Fortführung eines bereits beendeten Rechtsstreits in
die Hand zu geben, hat auch Lehmann nicht verkannt, der es (aaO S. 240)
als ungewöhnlich bezeichnet, daß - nach seiner Auffassung -
eine schon erloschene Rechtshängigkeit ohne Klageerhebung wieder aufleben
soll. Demgegenüber ist es nicht überzeugend, wenn er an seiner
Auffassung nur deshalb festhält, »weil wir nirgendwo in der
ZPO eine Situation von dieser Eigenart geregelt finden«. Vielmehr
ist entscheidend darauf abzustellen, daß eine außerhalb des
beendeten Rechtsstreits getroffene Vereinbarung der Parteien die Sache
nicht von Neuem rechtshängig machen kann (vgl. auch OLG Kassel HRR
1936 Nr. 136); andernfalls wäre, da dann auch eine zeitliche Begrenzung
für eine solche Vereinbarung schwerlich zu finden wäre, der Rechtsunsicherheit
und dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet.
Das Berufungsgericht hat daher im Ergebnis zu
Recht angenommen, daß die Erklärung der Parteien vom 2. November
1961, soweit sie durch den übereinstimmenden Verzicht auf die Rechte
aus dem Vergleich die Fortführung des Rechtsstreits ermöglichen
sollte, die verfahrensrechtliche Wirkung des Prozeßvergleichs, nämlich
die Beendigung des Rechtsstreits, nicht beseitigen konnte. ...
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