Wolfgang Vogelsang, LL.M (London)
wissenschaftlicher Assistent
Lehrstuhl Prof. Dr. Stephan Lorenz
Arbeitsgemeinschaft Zivilrecht
IV
ZPO-Erkenntnisverfahren
2. Arbeitsgemeinschaft
Zulässigkeit der Klage
I
Klageschrift - Rechtsweg-, funktionelle,
sachliche und örtliche Zuständigkeit
Fall 1:
"Rosenkrieg"
(vgl. BGH NJW 1988, 2214; BGH NJW-RR 1993, 936;
BGH NJW 1998, 3649; GmS-OGB NJW 2000, 2340)
A und B sind geschiedene Eheleute.
A erhebt beim AG Augsburg Klage gegen B mit dem Antrag, ihr zu untersagen,
Details ihrer gescheiterten Ehe an Dritte weiterzugeben. In der dem AG
vom Anwalt des A durch Computerfax übermittelten Klageschrift wird
A lediglich mit Vor- und Nachnamen bezeichnet. Zur Begründung dafür
wird geltend gemacht, daß B den A wirtschaftlich und seelisch ruiniert
habe, so daß er ihr seine derzeitige Anschrift nicht bekannt geben
könne. Es genüge, daß seine Identität feststehe und
die Prozeßvertretung durch einen Rechtsanwalt gewährleistet
sei.
1) Ist die Klage zulässig?
2) Welche Entscheidung hat das
Gericht zu treffen?
Lösung:
Frage 1:
Voraussetzung einer zulässigen Klage ist in
erster Linie eine ordnungsgemäße Klageerhebung, §§
253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO.
Fraglich ist, ob A ordnungsgemäß Klage
erhoben hat.
-
Die Mindestanforderungen einer Klageschrift sind in
§ 253 Abs. 2 ZPO definiert:
-
Partei ist, wer objektiv Partei
sein soll, und zwar aus der Sicht des Adressaten der Klage (vgl. §
50 ZPO). Grundsätzlich sind daher Vorname und Name der Parteien anzugeben,
auch eines gesetzlichen Vertreters.(1)
Das hat A (ordnungsgemäß vertreten
durch seinen Anwalt) getan.
-
Auch die ladungsfähige Anschrift muß jedenfalls
für den Beklagten benannt werden, schon zwecks Zustellung. Fraglich
ist, ob dies auf bezüglich des Klägers gilt.
-
Grundsätzlich besteht der BGH - unter weitgehender
Zustimmung der Literatur - auch auf der Anschrift des Klägers, vgl.
BGH NJW 1988, 2114:
"Zwar ist in 253 II Nr.1 ZPO
zwingend nur vorgeschrieben, daß, aber nicht wie die Parteien in
der Klageschrift zu bezeichnen sind. Auch ohne die Angabe der ladungsfähigen
Anschrift des Kl. steht durch seine Bezeichnung mit Vor- und Nachnamen
[...] in Verbindung mit dem Umstand, daß er der geschiedene Ehemann
der Bekl. ist, seine Identität zweifelsfrei fest, womit der Vorschrift
insoweit Genüge getan ist (vgl. BGH, NJW 1977, 1686). Soweit 253 IV
ZPO auf die für vorbereitende Schriftsätze geltende Vorschrift
des 130 Nr. 1 ZPO verweist, wonach u. a. der Wohnort der Parteien (samt
Straße und Hausnummer, vgl. Wieczorek, § 130 Anm. B I a); OLG
Frankfurt, MDR 1984, 943) anzugeben ist, wird auf eine bloße Soll-Vorschrift
Bezug genommen. Daraus allein kann jedoch nicht geschlossen werden, daß
es sich hierbei auch bei bestimmenden Schriftsätzen, wie sie die Klageschrift
darstellt, nur um ein Soll-Erfordernis handelt. Wie bereits das RG in bezug
auf das Erfordernis der Unterzeichnung der Klageschrift (vgl. 130 Nr. 6
ZPO) dargelegt hat, kann aus der Bedeutung des bestimmenden Schriftsatzes
für den Gang des Verfahrens folgen, daß ungeachtet der Fassung
des 130 ZPO als Ordnungsvorschrift ein zwingendes Erfordernis gegeben ist
(RGZ 151, 82 (84); s. auch BGHZ 65, 46 (47) = NJW 1975, 1704 = LM §
295 ZPO Nr. 28; BGHZ 92, 251 (254) = NJW 1985, 328 = LM § 276 (Ci)
BGB Nr. 43; BayOBlGZ 1970, 151 (154)). So geht aus den Materialien zur
ZPO hervor, daß der Gesetzgeber von einer besonderen Normierung des
Unterschriftserfordernisses nur abgesehen hat, weil ihm die verantwortliche
Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze als eine Selbstverständlichkeit
erschien (vgl. Hahn, Materialien zu den Reichsjustizgesetzen Bd. 2, S.
255).
Die Klageschrift ist Anlaß
und Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren und soll für
dieses eine möglichst sichere Grundlage schaffen. Es versteht sich
von selbst, daß die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des
Bekl. notwendig ist, weil sonst die Zustellung der Klageschrift und damit
die Begründung des Prozeßrechtsverhältnisses nicht möglich
ist. Ist dem Kl. die Anschrift des Bekl. nicht bekannt, muß er dies
zumindest darlegen; nur dann besteht die Möglichkeit, ggf. eine öffentliche
Zustellung zu erwirken ( 203 ZPO; vgl. dazu auch Kleffmann, Unbekannt als
Parteibezeichnung, 1983, S. 35). Was die Anschrift des Kl. betrifft, so
ist deren Angabe im reinen Parteiprozeß schon deswegen geboten, weil
er sonst nicht zu den Gerichtsterminen geladen werden kann, zu denen er,
wie 330 ZPO zeigt, grundsätzlich erscheinen muß. Aber auch dann,
wenn der Kl. - wie im vorliegenden Fall - durch einen Prozeßbevollmächtigten
vertreten ist, kann auf die Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift
nicht verzichtet werden. Da mit dem Betreiben des Prozesses nachteilige
Folgen verbunden sein können, wie insbesondere die Kostenpflicht im
Falle des Unterliegens, wird dadurch dokumentiert, daß er sich diesen
möglichen Folgen stellt. Auch muß er bereit sein, persönlich
in Terminen zu erscheinen, falls das Gericht dies anordnet (vgl. etwa 141,
79 II, 145 ff. ZPO). Mit Recht hat das OLG in diesem Zusammenhang ausgeführt,
daß es
[Seite 2115]
bei der Prüfung der Frage, ob das
persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden soll, sein Ermessen
nur sachgerecht ausüben kann, wenn ihm auch der Aufenthalt des Kl.
bekannt ist. Kein Kl. hat Anspruch darauf, daß das Gericht in seinem
Falle diese Möglichkeit von vornherein nicht in Betracht zieht. Legte
es ein Kl. darauf an, den Prozeß aus dem Verborgenen zu führen,
um sich dadurch einer möglichen Kostenpflicht zu entziehen, müßte
ohnehin von einem rechtsmißbräuchlichen Verhalten ausgegangen
werden, auf das nicht anders als mit einer Prozeßabweisung zu reagieren
ist. Insgesamt folgt aus diesen Überlegungen, daß die Angabe
der ladungsfähigen Anschrift des Kl. zwingendes Erfordernis einer
ordnungsgemäßen Klageerhebung ist, und zwar jedenfalls dann,
wenn die Angabe ohne weiteres möglich ist. Der Senat verkennt nicht,
daß einer solchen Angabe im Einzelfall unüberwindliche oder
nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten im Wege stehen können,
etwa wenn ein Nachlaßpfleger für unbekannte Erben klagt (zu
einem solchen Fall BGH, LM § 325 ZPO Nr. 10). Denkbar ist auch, daß
schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (vgl. etwa für
die Inkognito-Adoption OLG Karlsruhe FamRZ 1975, 507). Solchen Schwierigkeiten
muß das Verfahrensrecht Rechnung tragen. In derartigen Fällen
ist aber wenigstens zu fordern, daß dem Gericht die insoweit maßgebenden
Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise
auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift des Kl. verzichtet
werden kann. Wird diese hingegen schlechthin oder ohne zureichenden Grund
verweigert, liegt keine ordnungsmäßige Klageerhebung vor mit
der Folge, daß das Rechtsschutzgesuch als unzulässig abzuweisen
ist, soweit der Mangel nicht noch in den Tatsacheninstanzen geheilt wird
(zur Heilung vgl. etwa Thomas-Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 253 Anm. 4b
m. w. Nachw.)."
-
In der Literatur ist diese Entscheidung mit folgenden
Argumenten auf Kritik gestoßen (vgl. insbes. Zeiss, ZZP 101 (1988),
460 f.):
-
Die ZPO kenne "bestimmende Schriftsätze" weder
dem Namen noch der Sache nach, so daß §§ 253 Abs. 4, 130
Nr. 1 ZPO nicht mit diesem Argument in Muß-Vorschriften umgedeutet
werden könne.
-
Der Hinweis auf § 330 ZPO verfange nicht, da
die ZPO keine Pflicht zum Erscheinen kenne, sondern an die Nichtschulterung
dieser prozessualen Last nur den Rechtsnachteil der Klagabweisung durch
Versäumnisurteil knüpfe.
-
Der Kläger müsse auch nicht bereit sein
persönlich zum Termin zu erscheinen, falls das Gericht dies anordnet,
wie der BGH mit Hinweis auf §§ 141, 279 Abs. 2, 445 ff ZPO meine.
§ 141 Abs. 3 S. 1 sehe beim Ausbleiben einer Partei nur Ordnungsgeld
vor. Auch beim Ausbleiben der zur Parteivernehmung geladenen Partei drohten
nur die Rechtsnachteile des § 454 ZPO, die eine keine ladungsfähige
Anschrift benennende Partei tragen möge, falls sie die wolle.
-
Schließlich sei auch das Argument nicht überzeugend,
ein Prozeß dürfe nicht aus dem Verborgenen geführt werden,
weil man sich so im Falle der Klageabweisung einer möglichen Kostenpflicht
entziehen könne. Auch der BGH komme ja bei Ablehnung der Klage als
unzulässig notwendigerweise zur Auferlegung der Kosten des Rechtsstreits
an den verborgenen Kläger, ohne dem Beklagten die Möglichkeit
zu eröffnen, wie er diese gegen den verborgenen Kläger beitreiben
könne. Der Gefahr, die der BGH für den Beklagten sehe, könne
daher besser durch eine analoge Anwendung des §110 ZPO begegnet werden.
-
Fraglich ist daher, welche Auffassung den Vorzug verdient.
Die ersten beiden Argumente der Mindermeinung überzeugen,
nicht aber das erste und vierte.
aa. Aus der Tatsache, daß die ZPO den Terminus des "bestimmenden Schriftsatzes" nicht
erwähnt, kann nicht die Nichtberechtigung der Unterscheidung zwischen
"bestimmenden" und lediglich "vorbereitenden" Schriftsätzen gefolgert werden.
Schriftsätze, die lediglich künftiges Vorbringen ankündigen, sind von solchen, die die
prozessuale Erklärung der Partei darstellen, qualitativ deutlich verschieden.
bb. Gegen eine analoge Anwendung des § 110 ZPO
spricht, daß die ZPO für Inländer eben gerade keinen Grundsatz
enthält, wonach die Zulässigkeit der Klage von der Sicherung
einer dem Beklagten nachteiligen Prozeßführung, insbesondere
der Sicherung etwa auf ihn entfallender Prozeßkosten abhinge. Das
Gesetz ist insoweit nicht lückenhaft. Gleichwohl kann man aus dem
Fehlen eines Prozeßgrundsatzes, wonach die Sicherheitsleistung des
Klägers Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage ist, nicht auf mangelnde
Berechtigung der Argumentation des BGH schließen. Denn die Angabe
der Anschrift des Klägers sichert seine Einstandspflicht auf einem
ungleich niedrigeren als dem durch Sicherheitsleistung erreichbaren Niveau.
Während das Erfordernis der Sicherheitsleistung den Beklagten und
die Staatskasse umfassend schützt, stellt die Angabe der - richtigen
- Anschrift des Klägers zumindest die Erreichbarkeit seiner Person
einigermaßen sicher. Die Gewährung
eines solchen prozessualen Minimalschutzes ist legitim, wenn nicht dem
Kläger ausnahmsweise die Angabe seiner Adresse unmöglich oder
unzumutbar ist.(2)
Das Argument, daß auch ein die Klage wegen
fehlender Anschrift abweisendes Urteil notwendigerweise zur Auferlegung
der Kosten an den Kläger führe, und somit dem Beklagten Steine
statt Brot gebe, fällt auf die Mindermeinung zurück. Auch die
analoge Anwendung von § 110 ZPO kann diesem Dilemma nicht entgegnen,
da bei Nichtleistung der Sicherheit die Klage gem. § 113 ZPO als zurückgenommen
fingiert wird und folglich dem Kläger gem. § 269 Abs. 3 BGB durch
Beschluß die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind. Die Ansicht
des BGH vermeidet daher im Vergleich zur Analogielösung die Entstehung
unnötiger Kosten, weil bereits nach Ende der ersten mündlichen
Verhandlung Prozeßurteil ergehen kann, wenn der Kläger bis zu
diesem Zeitpunkt keine Adresse benennt.
cc. Die Ansicht des BGH verdient daher Zustimmung.
-
Auf Grund der bloßen Behauptung des A, daß
B ihn seelisch und wirtschaftlich ruiniert habe, kann das AG nicht prüfen,
ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift des
Kl. verzichtet werden kann. Daraus läßt sich ein schutzwürdiges
Geheimhaltungsinteresse nicht entnehmen. Folglich reicht dieses Vorbringen
nicht aus, um einen der vom BGH erwähnten Ausnahmetatbestände
zu erfüllen. K verweigert in der Klageschrift die Bekanntgabe seiner
derzeitigen Anschrift, ohne einen verständigen Grund dafür zu
nennen. Danach ist davon auszugehen, daß der Kl., obwohl er an sich
dazu imstande ist, seine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt gegeben
hat. Seine Klage ist somit unzulässig.
-
Darüber hinaus könnte gegen eine ordnungsgemäße
Klageerhebung sprechen, daß die Klageschrift dem Gericht per Computerfax
zuging.
-
Die Klageschrift ist bestimmender
Schriftsatz. Sie bedarf daher nach Rspr. und h.M.neben der Schriftform einer
eigenhändigen (vollständigen) Unterschrift als Wirksamkeitsvoraussetzung,
die wenigstens individuelle Züge aufweisen muß. Abgeleitet wird
dies aus §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO, da anders als bei nur vorbereitenden
Schriftsätzen die gebotene Rechtssicherheit keinen Streit über
Urheberschaft und prozessuale Verbindlichkeit dulde.
Diese Ansicht verdient Zustimmung, da es sowohl
das öffentliche Interesse als auch die schützenswerten Belange
der anderen Partei verlangen, daß die Klageabsicht eindeutig feststeht.
Die Unterschrift dient daher (auch) der Abgrenzung der Klage vom bloßen
Entwurf, d.h. der Feststellung der Klageabsicht. Unterschreiben muß
der Kläger bzw. sein gesetzlicher Vertreter oder Prozeßbevollmächtigter,
in Anwaltsprozessen ein bei dem Prozeßgericht zugelassener Rechtsanwalt
(vgl. § 78 ZPO; allg. M. (3)).
-
Gewohnheitsrechtlich kann die
Klage auch elektronisch übermittelt werden, sofern sie dem Gericht
in einer Mindestform zugeht. Insoweit werden die Anforderungen an Schriftlichkeit
und Unterschrift modifiziert, da dem Zweck des § 253 ZPO, Identität
und Klageabsicht sicherzustellen, auf andere Weise entsprochen wird.
Anerkannt ist, daß die Klage dem Gericht
per Telegramm, Fernschreiber, Telefax oder Telebrief übermittelt werden
darf (4). Umstritten ist, ob dies hierfür
entwickelten Grundsätze auch auf die Übermittlung per Computerfax
oder Btx-Mitteilung ausgedehnt werden können.
-
Der 14. Senat des BSG hat durch Beschluß vom
15. 10. 1996 (NJW 1997, 1254 = MDR 1997, 374) entschieden, daß das
Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift bei einer mittels PC-Modem
an das Telefax-Empfangsgerät des LSG geleiteten Berufung nicht zur
Formunwirksamkeit führe. Der 5. Senat des BVerwG hat in seinem Beschluß
vom 19. 12. 1994 (NJW 1995, 2121) entschieden, daß eine Klageerhebung
durch Btx-Mitteilung die Schriftform des § 81 I 1 VwGO trotz Fehlens
einer Unterschrift wahre. Beide Gerichte stützen sich auf die von
der Rechtsprechung im Interesse der Nutzung des technischen Fortschritts
bisher bereits zugelassenen Ausnahmen von den Erfordernissen einer eigenhändigen
Unterschrift. Sie lassen es deshalb genügen, daß sich aus dem
bestimmenden Schriftsatz selbst oder in Verbindung mit den ihn begleitenden
Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr
zu bringen, hinreichend sicher ergibt, ohne daß darüber Beweis
erhoben werden müßte.
-
Nach Ansicht des XI. Zivilsenats des BGH ist in Verfahren
mit Anwaltszwang die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes mittels
Computerfax nicht zulässig, weil ein per Computerfax versandtes Schreiben
nicht eigenhändig von dem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben
werden könne. Trotz der rasanten technischen Entwicklung fehle es bisher an Software,
die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit garantieren könne, daß die
elektronisch verfaßte Post auch tatsächlich vom genannten Absender stamme. Solange
dieses Manko nicht beseitigt sei, müßten und könnten die vorhandenen, weniger
manipulationsanfälligen elektronischen Übertragungsmittel genutzt werden (vgl. BGH NJW
1998, 3649). Der XI. Senat hat daher den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe
des Bundes diese Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt.
- Dieser entschied wie folgt:
"Der Gemeinsame Senat beantwortet die ihm vorgelegte Rechtsfrage dahin, dass in Prozessen mit
Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei
mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt
werden können.
1. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes geht in ständiger Rechtsprechung davon
aus, dass Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sind. Auch sie dienen letztlich der Wahrung der
materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits
unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. In diesem Sinne hat die
Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes bisher das Schriftlichkeitserfordernis, soweit es
durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird, ausgelegt. Die Schriftlichkeit soll
gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die
Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss
feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit
Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschluss des Gemeinsamen
Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 75, 340, 348 f.).
Zwar hat die Rechtsprechung bisher grundsätzlich für bestimmende fristwahrende Schriftsätze, soweit sie
nicht von Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder von Behörden eingereicht wurden,
zur Sicherstellung dieser prozessrechtlichen Anforderungen die handschriftliche Unterschriftsleistung des
Berechtigten verlangt. Jedoch sind unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des
Schriftlichkeitserfordernisses im Rahmen des Prozessrechts insoweit schon in erheblichem Umfang
Ausnahmen zugelassen worden.
2. So haben schon das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht die Übermittlung einer
Rechtsmittelschrift und anderer bestimmenden Schriftsätze durch ein Telegramm für zulässig erachtet.
Diese Ausnahme hat sich auf allen Rechtsgebieten durchgesetzt (vgl. z.B. für den Zivilprozess: RGZ 139,
45; 151, 82,86; RG, Beschluss vom 25. Juni 1937 - II B 6/37, WarnRspr 1937 Nr. 122; BGHZ 24, 297,
299; 75, 340, 349; BGH, Urteile 29. Mai 1962 - I ZR 137/61, NJW 1962, 1505,1507, vom 22./23. Juni
1965 - III ZR 251/63, VersR 1965, 852, vom 28. Januar 1971 - IX ZR 50/70, MDR 1971, 576, vom 18.
Dezember 1975 - VIII ZR 123/75, NJW 1976, 966, 967, und vom 25. September 1979 - VI ZR 79/79,
NJW 1980, 172; für das arbeitsgerichtliche Verfahren: RAGE 3, 252; BAGE 3, 55; 13, 121, 123; 22, 156,
158; BAG, Urteile vom 1. Juli 1971 -5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190, vom 26. Januar 1976 - 2 AZR
506/74, NJW 1976, 1285, vom 14. Februar 1978 - 1 AZR 154/76, NJW 1979, 233, 234, vom 1. Juni 1983
- 5 AZR 468/80, NJW 1984, 199 f. und vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84, DB 1987, 183; für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren: BVerwGE 1, 103; 2, 190, 192, 3, 56; BVerwG, Beschluss vom 27.
Oktober 1961 - BVerwG 2,7/61, NJW 1962, 555; BVerwG, Urteil vom 22. November 1963 - BVerwG IV
C 76/63, NJW 1964, 831, 832; für das sozialgerichtliche Verfahren: BSGE 1, 243, 245; 5, 3, 4; 7, 16, 17;
für das finanzgerichtliche Verfahren: BFHE 92, 438; BFH, Urteile vom 3. Dezember 1953 - IV 256/53 U,
BStBl III 1954, 27 und vom 24. Juli 1973 - IV R 204/69, BB 1973, 1517; jetzt ausdrücklich § 357 I 3 AO;
für die freiwillige Gerichtsbarkeit; BGH, Beschluss vom 23. September 1952 - V BLw 3/52, JZ 1953, 179;
für die Verfassungsbeschwerde: BVerfGE 4, 7, 12; 32, 365, 368). Danach wird das Telegramm heute
allgemein als rechtswirksamer bestimmender Schriftsatz anerkannt, auch wenn es aus technischen Gründen
vom Erklärenden nicht - eigenhändig und handschriftlich - unterzeichnet werden kann. Diese Übung ist
nach der Rechtsprechung zum Gewohnheitsrecht erstarkt (RGZ 139, 45, 48; BSGE 1, 243, 245; BAG,
Urteil vom 1. Juli 1971 - 5 AZR 75/71, NJW 1971, 2190, 2191; BGHZ 79, 314, 316; 87, 63, 64; BGHSt
31, 7, 8). Massgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den
Adressaten bestimmte Telegrammurkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer "Urschrift"
beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist. Auch eine
telefonische Telegrammaufgabe wird deshalb allgemein zugelassen (RAGE 3, 252, 254; RGZ 139, 45, 48;
151, 82, 86; BGHZ 79, 314, 316; BGHSt 8, 174, 176 f.; 14, 233, 235).
Dieselben Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung, wenn der bestimmende Schriftsatz nicht durch
Telegramm, sondern mittels Fernschreiben übermittelt worden ist (BGHZ 79, 314, 316; 87, 65). Auch hier
veranlasst der Absender im Wege der elektrotechnischen Nachrichtenübermittlung, dass die maßgebliche
Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich niedergelegt wird. Vorausgesetzt wird allerdings,
dass das Fernschreiben unmittelbar von der Fernschreibstelle des Gerichts aufgenommen wird (vgl. BGHZ
79, 314, 318), dass es seinem Inhalt nach den Anforderungen entspricht, die die Prozessordnung an
bestimmende Schriftsätze, z. B. an eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbegründung, stellt, und dass es
abschliessend - als Ersatz der an sich erforderlichen, technisch aber nicht möglichen Unterschrift - den
Namen des Erklärenden anführt (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 1965 - I a ZB 11/65, NJW 1966, 1077
und vom 27. April 1967 - I a ZB 19/66, NJW 1967, 2114; BFHE 136, 38; BAG, Urteile vom 1. Juni 1983
- 5 AZR 468/80, NJW 1984, 199 und vom 24. September 1986 - 7 AZR 669/84; DB 1987,
183).
Dementsprechend ist die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax in allen Gerichtszweigen
uneingeschränkt zulässig, ein Verfahren, das sich von der Übermittlung im Telefaxdienst der Bundespost
nicht wesentlich unterscheidet (vgl. BverfG - 2. Kammer des Ersten Senats -, NJW 1996, 2857; BGH,
Beschlüsse vom 20. September 1993 - II ZB 10/93, NJW 1993, 3141, vom 27. November 1996 - VIII ZB
38/96, VersR 1997, 853 und vom 8. Oktober 1997 - XII ZB 124/97, NJW 1998, 762; BAG, Urteil vom 27.
März 1996 - 5 AZR 576/94, NJW 1996, 3164 f.; Hoppmann, VersR 1992, 1068 m. w. Nachw.).
3. Es entspricht der langjährigen Entwicklung dieser Rechtsprechung, die dem technischen Fortschritt auf
dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung trägt, die Übermittlung bestimmender Schriftsätze auch
durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des
Gerichts zuzulassen.
Die Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform, zu der grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift
gehört, ist solchen bestimmenden Schriftsätzen nicht deshalb abzusprechen, weil sie durch moderne
elektronische Medien - wie das im Streitfall zu beurteilende Computerfax - übermittelt werden und
mangels Vorhandenseins eines körperlichen Originalschriftstücks beim Absender eine eigenhändige
Unterzeichnung nicht möglich ist. Auch bei der von der Rechtsprechung zu Recht gebilligten und zum
Gewohnheitsrecht erstarkten Übung der telefonischen Telegrammaufgabe existiert keine vom Absender
unterschriebene Urschrift. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten
Schriftsatzes ist nicht eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im
Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am Empfangsort
(Gericht) erstellte körperliche Urkunde. Der alleinige Zweck der Schriftform, die Rechtssicherheit und
insbesondere die Verlässlichkeit der Eingabe zu gewährleisten, kann auch im Falle einer derartigen
elektronischen Übermittlung gewahrt werden. Entspricht ein bestimmender Schriftsatz - wie im
Ausgangsverfahren die Berufungsbegründung- inhaltlich den prozessualen Anforderungen, so ist die
Person des Erklärenden in der Regel dadurch eindeutig bestimmt, dass seine Unterschrift eingescannt oder
der Hinweis angebracht ist, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht
unterzeichnen kann. Auch der Wille, einen solchen Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, kann in aller Regel
nicht ernsthaft bezweifelt werden.
-
Diese Argumentation des Gemeinsamen Senats vermag die Bedenken des XI. Senats
nicht gänzlich auszuräumen. Moderne elektronische Übertragungsmittel sind - zumindest
noch - in weit höherem Maße als ihre "Ahnen" der Gefahr der Manipulation ausgesetzt.
Zustimmung verdient der Gemeinsame Senat jedoch darin, daß diese Gefahr im
Verhältnis zu den Vorteilen moderner Kommunikationstechnik weniger schwer ins
Gewicht fällt.
-
Die Klage des A ist folglich auch wegen Übermittlung
an das Gericht per Computerfax nicht ordnungsgemäß erhoben.
-
Ergebnis:
Die Klage ist unzulässig, da sie nicht nach
§ 253 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß erhoben wurde.
Frage 2:
Es fragt sich daher, ob
das Gericht eine nicht ordnungsgemäß erhobene Klage überhaupt
zustellen darf. Die ordnungsgemäße Klageerhebung ist Prozeßvoraussetzung
im eigentlichen Sinn (vgl. AG I, S. 5). Nach (wohl ganz) h.M. (6)
hat das Gericht daher die Ordnungsmäßigkeit der Klage bereits
vor der Zustellung zu prüfen, denn ist die Klage erst einmal zugestellt,
muß sie auch als solche behandelt werden.
Bei Zweifeln in bezug auf die Ordnungsmäßigkeit
der Klage hat das Gericht daher den Rechtsanwalt des A zunächst gem.
§ 139 ZPO auf den Mangel hinzuweisen, um ihm Gelegenheit zur Klarstellung
bzw. Beseitigung des Mangels zu geben. Geschieht dies nicht, muß
das Gericht die Klageerhebung durch Beschluß als unzulässig
ablehnen und die Zustellung verweigern.
FN 1: Gegen
namentlich Unbekannte kann nach der ZPO nur beschränkt vorgegangen
werden. Bei Störern, die sich namentlicher Erfassung entziehen, muß
allerdings genügen, daß ihre physische Identität eingrenzbar
ist, indem sie nach Zahl, Aufenthaltsort oder auch Tätigkeit von anderen
unterschieden werden (konstante Hausbesetzer; Blockierer; Abhilfe ist u.U.
nur durch einstweilige, sofort zugestellte Verfügung eines am Tatort
entscheidenden Richters möglich. Im übrigen kann, wenn auch die
Polizei nicht hilft, das Rechtsstaatsprinzip zu verfassungskonformer Restriktion
von § 253 zwingen, vgl. Musielak/Foerste, § 253 ZPO Rdnr. 18
m.w.N. (zurück).
FN 2: Nietwetberg,
NJW 1988, 2095, 2096
(zurück).
FN 3: Bei
Behörden, Körperschaften und öffentlichen Anstalten reicht
allerdings aus, daß der maschinengeschriebene Name des Verfassers
mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist, vgl. Musielak/Foerste, §
253 ZPO Rdnr. 8. (zurück).
FN 4: Vgl.
Musielak/Foerste, § 253 ZPO Rdnr. 12
(zurück).
FN 5: Vgl.
Zöller/Greger, § 253 Rdnr. 22; Stein/Jonas/Leipold, § 271
Rdnr. 31; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 97 III 3 (zurück). |