Zur Frage, ob die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes mittels Computerfax das Formerfordernis der "eigenhändigen Unterschrift" erfüllt.
NJW 1998, 3649 ff
Jetzt entschieden: Beschluß
des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 5.4.2000
- GmS-OGB 1/98; NJW
2000, 2340
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Zivilprozeß sog. "bestimmende Schriftsätze" (Schriftsätze, die das Verfahren unmittelbar gestaltende Prozeßhandlungen wie z.B. Klageerhebung, Einspruch, Rechtsmitteleinlegung, Streitverkündung etc. enthalten) eigenhändig unterschrieben sein. Nachdem der BGH bereits entschieden hat, daß die "Unterschrift" durch einen Faksimilestempel nicht ausreichend ist, eine Übermittlung des eigenhändig unterschriebenen Schriftsatzes durch Telefax formwahrend ist (vgl. zuletzt BGH NJW 1994, 2097), geht es nun um die Frage, ob dies auch bei einem "Computerfax" gilt, bei welchem der Schriftsatz selbst nie ausgedruckt wird, sondern lediglich mit einer eingescannten Unterschrift versehen direkt aus dem Computer versandt wird.
Der BGH verneint diese Frage, legt sie aber gem. § 2 RsprEinhG dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vor, weil das Bundessozialgericht und das Bundesverwaltungsgericht zu ähnlichen Normen des SSG sowie der VwGO anders entschieden haben.
Das ist übrigens eine typische Konstellation für eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes: Hier geht es stets um grundsätzliche Fragen, die in allen Rechtsprechungsbereichen auftreten und die deshalb auch einheitlich entschieden werden sollten (vgl. Art. 95 III GG). Nach § 2 I des RsprEinhG (Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Schönfelder Leitziff. 95b) ist der Gemeinsame Senat anzurufen, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Der Gemeinsame Senat besteht aus den Präsidenten der obersten Gerichtshöfe, den Vorsitzenden Richtern der beteiligten Senate und je einem weiteren Richter der beteiligten Senate (§ 3 I RsprEinhG).
Im Bereich des materiellen Rechts besteht Einigkeit,
daß das Schriftformerfordernis bei Übermittlung einer Willenserklärung
durch Telefax nicht gewahrt wird, weil es - obwohl ein Original
existiert - am formgerechten Zugang der Willenserklärung
fehlt (vgl. etwa BGH NJW 1993, 1126 [zur Bürgschaft] sowie zuletzt
BGH
NJW 1997, 3169). Auch die mittlerweile durch das Signaturgesetz eingeführte
"digitale Signatur" erfüllt nicht das Erfordernis der "eigenhändigen
Unterschrift".
Zum Sachverhalt:
Der BGH hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob in Prozessen mit Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übermittlung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten (sog. Computerfax) eingereicht werden können.
Aus den Gründen:
I. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Vollstreckungsbescheid
über 49379,11 DM erwirkt, den das LG nach Einspruch der Bekl. aufrechterhalten
hat. Die Begründung der dagegen gerichteten Berufung wurde am letzten
Tag der Frist durch sogenanntes Computerfax mit eingescannter Unterschrift
des Prozeßbevollmächtigten übermittelt. Eine inhaltsgleiche
vom Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung
ging am folgenden Tage ein.
II. 1. Das BerGer., dessen Urteil in NJW 1998,
1650 f., abgedruckt ist, hat die Berufung der Bekl. als unzulässig
verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Rechtsmittel
sei nicht rechtzeitig begründet worden. Die durch Computerfax übermittelte
Begründung sei wegen fehlender Unterzeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten
unwirksam. Der am nächsten Tag übermittelte Schriftsatz sei nach
Ablauf der Begründungsfrist eingegangen.
2. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des BerGer.
und möchte deshalb die nach § 547 ZPO unbeschränkt zulässige
Revision zurückweisen. Er würde damit jedoch von der Rechtsprechung
des BSG und des B VerwG abweichen.
Der 14. Senat des BSG hat durch Beschluß
vom 15. 10. 1996 (NJW 1997, 1254 = MDR 1997, 374) entschieden, daß
das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift bei einer mittels PC-Modem
an das Telefax-Empfangsgerät des LSG geleiteten Berufung nicht zur
Formunwirksamkeit führe. Der 5. Senat des BVerwG hat in seinem Beschluß
vom 19. 12. 1994 (NJW 1995, 2121) entschieden, daß eine Klageerhebung
durch Btx-Mitteilung die Schriftform des § 81 I 1 VwGO trotz Fehlens
einer Unterschrift wahre. Beide Gerichte stützen sich auf die von
der Rechtsprechung im Interesse der Nutzung des technischen Fortschritts
bisher bereits zugelassenen Ausnahmen von den Erfordernissen einer eigenhändigen
Unterschrift. Sie lassen es deshalb genügen, daß sich aus dem
bestimmenden Schriftsatz selbst oder in Verbindung mit den ihn begleitenden
Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr
zu bringen, hinreichend sicher ergibt, ohne daß darüber Beweis
erhoben werden müßte.
3. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf
unterschiedliche Gesetzesvorschriften (§ 151 I SGG und § 81 I
1 VwGO). Regelungsgegenstand ist jedoch jeweils ein allgemeiner Rechtsgrundsatz:
Das Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze. Die
unterschiedliche Auslegung dieses Grundsatzes macht eine Vorlage an den
Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach §
2 RsprEinhG notwendig (vgl. BGHZ 9, 179 [181] = NJW 1953, 821 für
das Verfahren nach § 136 GVG a. F.; Schulte, Rechtsprechungseinheit
als Verfassungsauftrag, S. 100 f.). Die Tatsache, daß in Verfahren
nach § 78 ZPO eine strengere Handhabung von Formvorschriften gerechtfertigt
sein kann als etwa in sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten (vgl. BGHZ
75, 340 [345, 347] = NJW 1980, 172) läßt jedenfalls in Prozessen
mit Vertretungszwang — nach § 78 I ZPO, § 671 VwGO und §
166 I SGG - unterschiedliche Anforderungen an bestimmende Schriftsätze
nicht sachgerecht erscheinen. Soweit der Vertretungszwang sich auf Anwälte
bezieht, verbieten sich divergierende Ansprüche an die Schriftform
von selbst. Daran vermag die Zulässigkeit der Vertretung durch andere
Personen in einzelnen Verfahrensordnungen nichts zu ändern.
III. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist in
Verfahren mit Vertretungszwang die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes
mittels Computerfax nicht zulässig, weil ein per Computerfax versandtes
Schreiben nicht eigenhändig von dem postulationsfähigen. Rechtsanwalt
unterschrieben werden kann.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung
aller obersten Gerichtshöfe des Bundes, daß bestimmende Schriftsätze
grundsätzlich eigenhändig von der postulationsfähigen Person
unterschrieben sein müssen (vgl. RGZ 119, 62 [63]; 151, 82 [84 f.];
Senat, NJW 1992, 243; BGH, NJW 1994, 2097; BGH, NJW 1997, 3380 = VersR
1998, 340 m.w. Nachw.; BAG, NJW 1996, 3164; BVerwG, NJW 1962, 555; NJW
1989, 117Sf.; BSG, NZA 1992, 664 = Breithaupt 1992, 787; SozSich 1991,
222 L; BFH, DB 1975, 88). Im Prozeß mit Vertretungszwang sind die
Urschriften derjenigen Schriftsätze, mit deren Einreichung eine wesentliche,
den Gang des Verfahrens bestimmende Prozeßhandlung vorgenommen wird
(bestimmende Schriftsätze), vom Prozeßbevollmächtigten
handschriftlich zu unterzeichnen. Fehlt die Unterschrift, so ist die Prozeßhandlung
nicht wirksam vorgenommen (BGH, NJW 1994, 2097; BGHZ 101, 134 [136 ff.j
= NJW 1987, 2588 = LM § 700 ZPO Nr. 4). Damit soll von vornherein
möglichst jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob diese
für den Gang des Verfahrens wesentlichen Prozeßhandlungen von
der nach dem Gesetz allein befugten Person vorgenommen sind. Würde
man vom Erfordernis eigenhändiger Unterschrift absehen, so wäre
nicht auszuschließen, daß ein bloßer Entwurf, der gegen
den Willen des Anwalts versehentlich bei Gericht eingereicht worden ist,
als ordnungsmäßige Schrift behandelt wird (BGH, NJW 1976, 966
= LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 18; BGHZ 92, 251 [2541 = NJW 1985, 328 =
LM § 276 [Ci] BGB Nr. 43). - Deswegen kann mit einem Unterschriftsstempel
(Faksimile) nicht wirksam unterschrieben werden (vgl. RGZ 119, 62 [63];
BGHZ 57, 160 [164] = NJW 1972, 50 = LM VwZG Nr. 5; BGH, NJW 1962, 1505
[1507] = LM § 42 PatG Nr. 11; NJW 1976, 966 [967] = LM § 518
Abs. 1 ZPO Nr. 18; NJW 1994, 2097 = LM § 117 ZPO Nr. 7). Das Hinzufügen
einer im Computer abgespeicherten Unterschrift oder deren Einscannen sind
nicht anders zu werten als ein solches Faksimile (vgl. Melullis, MDR 1994,
109 [110]).
2. Es ist zwar zulässig, bestimmende Schriftsätze
mittels Telefax einzureichen. Um dem Gebot der eigenhändigen Unterschrift
zu genügen, muß aber die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen
Rechtsanwalt unterschrieben worden sein und diese Unterschrift auf der
bei Gericht eingehenden Kopie wiedergegeben werden (vgl. BGH, NJW 1990,
188 = LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr.25 = WM 1989, 1820 [1821]; NJW 1993,
3141 = LM H. 3/1994 § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 29; NJW 1994, 2097 = LM §
117 ZPO Nr. 7; BAG, NJW 1996, 3164; Ebnet, NJW 1992, 2985 [2987]; Eckert/Scalia,
DStR 1996, 1608 [1611]; Pape/Notthoff, NJW 1996, 417 [419]). Das vom Prozeßbevollmächtigten
der Bekl. versandte Computerfax entspricht diesen Anforderungen nicht.
Anders als beim Versand von einem herkömmlichen Telefaxgerät
bedarf es beim Computerfax keines körperlichen Originalschriftstücks.
Es ist keine Kopiervorlage vorhanden, die der Anwalt unterzeichnen könnte.
Der Text erhält erst beim Ausdruck durch das Telefaxgerät des
Empfängers erstmalig eine körperliche Gestalt. Daran ändert
sich auch nichts, wenn der Absender den Text zuvor selbst ausdruckt. Denn
auch dann erreicht den Empfänger keine Kopie dieses Schriftstücks,
sondern es werden nur die im Computer gespeicherten Zeichen versandt, die
beim Empfänger in einen entsprechenden Ausdruck umgesetzt werden.
Augenfällig wird das hier durch die Unterschiede in Schriftbild, Format
und Briefkopf der beiden am 4. und 5. 11. 1997 eingegangenen Begründungsschriften.
3. Der Senat verkennt nicht, daß die Rechtsprechung
das Schriftformerfordernis im Interesse einer vollen Ausnutzung von Fristen
schon sehr früh relativiert hat, indem sie die telegrafische Rechtsmittelbegründung
sogar bei telefonischer Aufgabe des Telegramms (RGZ 139, 45 [47 f.]; auch
RAG 3, 252 [254] und BGHSt 8, 174 [176 f.] = NJW 1955, 1846) und die fernschriftliche
Rechsmitteleinlegung (BGHZ 65, 10 [11] = RzW 1975, 244 LM § 519 ZPO
Nr. 68; BGHZ 101, 276 [279 f.] = NJW 1987, 2586 = LM § 553 ZPO Nr.
9) zuließ, obwohl in beiden Fällen ein unterschriebenes Original
nicht existiert. Diese Ausnahmen für relativ seltene - inzwischen
kaum noch praktische - Einzelfälle reichen jedoch aus, dem Interesse
an einer extensiven Ausnutzung der gesetzlichen Klage- und Rechtsmittelfristen
Rechnung zu tragen. Sie sind kein Grund, die vom Gesetzgeber aus wohlerwogenen
Gründen vorgeschriebene Schriftform völlig aufzugeben, indem
ohne Not ein jedermann zugängliches technisches Verfahren als die
Schriftform wahrend anerkannt wird, das im Prinzip die Verwendung eines
elektronischen Faksimile-Stempels darstellt. Die Zulassung des Computerfaxverfahrens
würde - ebenso wie diejenige des Btx-Verfahrens (heute: T-Online)
- zur massenhaften Benutzung dieser einfachen technischen Möglichkeit
führen und die Rechtsprechung zur Nichtanerkennung eines Faksimile-Stempels
als Unterschriftersatz nicht länger vertretbar erscheinen lassen.
Das Schriftformerfordernis wäre damit de facto aufgegeben. Dazu besteht
kein Anlaß. Das jedermann - insbesondere jedem Rechtsanwalt - zur
Verfügung stehende Telefax-Verfahren erlaubt die rasche Übermittlung
ordnungsgemäß unterzeichneter bestimmender Schriftsätze
auch außerhalb der Dienststunden und damit die Ausnutzung von Klage-
und Rechtsmittelfristen bis zum Ende des Tages, an dem die jeweilige Frist
abläuft. Die zusätzliche Zeitersparnis, die durch die unmittelbare
Übermittlung der den Schriftsatz enthaltenden Datei durch Computerfax
oder E-Mail erzielt wird, ist so geringfügig, daß sie die erheblichen
Gefahren und Manipulationsmöglichkeiten, die durch den notwendigen
Verzicht auf die Unterschrift des allein postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten
geschaffen werden, nicht aufwiegt (vgl. auch BAG, NJW 1996, 3164 [3165]).
Die Voraussetzungen einer Gleichstellung von nicht verkörperten, durch
Datenübertragung vermittelten Mitteilungen mit eigenhändig unterzeichneten
Schriftstücken sind vom Gesetzgeber zu bestimmen. Es ist seine Aufgabe,
in Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen auf supranationaler
Ebene die Voraussetzungen festzulegen, die im Interesse der Sicherheit
des Rechtsverkehrs für eine Gleichstellung zu erfüllen ist. Der
durch die Bedürfnisse eines effektiven Rechtsschutzes nicht gebotene
voraussetzungslose faktische Verzicht auf die im Gesetz vorgeschriebene
Schriftform im Prozeßrecht überschreitet nach Auffassung des
Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.