Computerfax und Wahrung der Form im Prozeßrecht


BGH, Vorlagebeschluß an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 29.9.1998— XI ZR 367/97


Leitsatz:

Zur Frage, ob die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes mittels Computerfax das Formerfordernis der "eigenhändigen Unterschrift" erfüllt.



Fundstelle:

NJW 1998, 3649 ff
Jetzt entschieden: Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 5.4.2000 - GmS-OGB 1/98; NJW 2000, 2340



Zentralproblem des Falles:

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Zivilprozeß sog. "bestimmende Schriftsätze" (Schriftsätze, die das Verfahren unmittelbar gestaltende Prozeßhandlungen wie z.B. Klageerhebung, Einspruch, Rechtsmitteleinlegung, Streitverkündung etc. enthalten) eigenhändig unterschrieben sein. Nachdem der BGH bereits entschieden hat, daß die "Unterschrift" durch einen Faksimilestempel nicht ausreichend ist, eine Übermittlung des eigenhändig unterschriebenen Schriftsatzes durch Telefax formwahrend ist (vgl. zuletzt BGH NJW 1994, 2097), geht es nun um die Frage, ob dies auch bei einem "Computerfax" gilt, bei welchem der Schriftsatz selbst nie ausgedruckt wird, sondern lediglich mit einer eingescannten Unterschrift versehen direkt aus dem Computer versandt wird.

Der BGH verneint diese Frage, legt sie aber gem. § 2 RsprEinhG dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vor, weil das Bundessozialgericht und das Bundesverwaltungsgericht zu ähnlichen Normen des SSG sowie der VwGO anders entschieden haben.

Das ist übrigens eine typische Konstellation für eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes: Hier geht es stets um grundsätzliche Fragen, die in allen Rechtsprechungsbereichen auftreten und die deshalb auch einheitlich entschieden werden sollten (vgl. Art. 95 III GG). Nach § 2 I des RsprEinhG (Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Schönfelder Leitziff. 95b) ist der Gemeinsame Senat anzurufen, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Der Gemeinsame Senat besteht aus den Präsidenten der obersten Gerichtshöfe, den Vorsitzenden Richtern der beteiligten Senate und je einem weiteren Richter der beteiligten Senate (§ 3 I RsprEinhG).

Vorsicht:
Im Bereich des materiellen Rechts besteht Einigkeit, daß das Schriftformerfordernis bei Übermittlung einer Willenserklärung durch Telefax nicht gewahrt wird, weil es - obwohl ein Original existiert - am formgerechten Zugang der Willenserklärung fehlt (vgl. etwa BGH NJW 1993, 1126 [zur Bürgschaft] sowie zuletzt BGH NJW 1997, 3169). Auch die mittlerweile durch das Signaturgesetz eingeführte "digitale Signatur" erfüllt nicht das Erfordernis der "eigenhändigen Unterschrift".


Zum Sachverhalt:

Der BGH hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob in Prozessen mit Vertretungszwang bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übermittlung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten (sog. Computerfax) eingereicht werden können.

Aus den Gründen:

I. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Vollstreckungsbescheid über 49379,11 DM erwirkt, den das LG nach Einspruch der Bekl. aufrechterhalten hat. Die Begründung der dagegen gerichteten Berufung wurde am letzten Tag der Frist durch sogenanntes Computerfax mit eingescannter Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten übermittelt. Eine inhaltsgleiche vom Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung ging am folgenden Tage ein.
II. 1. Das BerGer., dessen Urteil in NJW 1998, 1650 f., abgedruckt ist, hat die Berufung der Bekl. als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Rechtsmittel sei nicht rechtzeitig begründet worden. Die durch Computerfax übermittelte Begründung sei wegen fehlender Unterzeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten unwirksam. Der am nächsten Tag übermittelte Schriftsatz sei nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangen.
2. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des BerGer. und möchte deshalb die nach § 547 ZPO unbeschränkt zulässige Revision zurückweisen. Er würde damit jedoch von der Rechtsprechung des BSG und des B VerwG abweichen.
Der 14. Senat des BSG hat durch Beschluß vom 15. 10. 1996 (NJW 1997, 1254 = MDR 1997, 374) entschieden, daß das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift bei einer mittels PC-Modem an das Telefax-Empfangsgerät des LSG geleiteten Berufung nicht zur Formunwirksamkeit führe. Der 5. Senat des BVerwG hat in seinem Beschluß vom 19. 12. 1994 (NJW 1995, 2121) entschieden, daß eine Klageerhebung durch Btx-Mitteilung die Schriftform des § 81 I 1 VwGO trotz Fehlens einer Unterschrift wahre. Beide Gerichte stützen sich auf die von der Rechtsprechung im Interesse der Nutzung des technischen Fortschritts bisher bereits zugelassenen Ausnahmen von den Erfordernissen einer eigenhändigen Unterschrift. Sie lassen es deshalb genügen, daß sich aus dem bestimmenden Schriftsatz selbst oder in Verbindung mit den ihn begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt, ohne daß darüber Beweis erhoben werden müßte.
3. Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf unterschiedliche Gesetzesvorschriften (§ 151 I SGG und § 81 I 1 VwGO). Regelungsgegenstand ist jedoch jeweils ein allgemeiner Rechtsgrundsatz: Das Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze. Die unterschiedliche Auslegung dieses Grundsatzes macht eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 RsprEinhG notwendig (vgl. BGHZ 9, 179 [181] = NJW 1953, 821 für das Verfahren nach § 136 GVG a. F.; Schulte, Rechtsprechungseinheit als Verfassungsauftrag, S. 100 f.). Die Tatsache, daß in Verfahren nach § 78 ZPO eine strengere Handhabung von Formvorschriften gerechtfertigt sein kann als etwa in sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten (vgl. BGHZ 75, 340 [345, 347] = NJW 1980, 172) läßt jedenfalls in Prozessen mit Vertretungszwang — nach § 78 I ZPO, § 671 VwGO und § 166 I SGG - unterschiedliche Anforderungen an bestimmende Schriftsätze nicht sachgerecht erscheinen. Soweit der Vertretungszwang sich auf Anwälte bezieht, verbieten sich divergierende Ansprüche an die Schriftform von selbst. Daran vermag die Zulässigkeit der Vertretung durch andere Personen in einzelnen Verfahrensordnungen nichts zu ändern.
III. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist in Verfahren mit Vertretungszwang die Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes mittels Computerfax nicht zulässig, weil ein per Computerfax versandtes Schreiben nicht eigenhändig von dem postulationsfähigen. Rechtsanwalt unterschrieben werden kann.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes, daß bestimmende Schriftsätze grundsätzlich eigenhändig von der postulationsfähigen Person unterschrieben sein müssen (vgl. RGZ 119, 62 [63]; 151, 82 [84 f.]; Senat, NJW 1992, 243; BGH, NJW 1994, 2097; BGH, NJW 1997, 3380 = VersR 1998, 340 m.w. Nachw.; BAG, NJW 1996, 3164; BVerwG, NJW 1962, 555; NJW 1989, 117Sf.; BSG, NZA 1992, 664 = Breithaupt 1992, 787; SozSich 1991, 222 L; BFH, DB 1975, 88). Im Prozeß mit Vertretungszwang sind die Urschriften derjenigen Schriftsätze, mit deren Einreichung eine wesentliche, den Gang des Verfahrens bestimmende Prozeßhandlung vorgenommen wird (bestimmende Schriftsätze), vom Prozeßbevollmächtigten handschriftlich zu unterzeichnen. Fehlt die Unterschrift, so ist die Prozeßhandlung nicht wirksam vorgenommen (BGH, NJW 1994, 2097; BGHZ 101, 134 [136 ff.j = NJW 1987, 2588 = LM § 700 ZPO Nr. 4). Damit soll von vornherein möglichst jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob diese für den Gang des Verfahrens wesentlichen Prozeßhandlungen von der nach dem Gesetz allein befugten Person vorgenommen sind. Würde man vom Erfordernis eigenhändiger Unterschrift absehen, so wäre nicht auszuschließen, daß ein bloßer Entwurf, der gegen den Willen des Anwalts versehentlich bei Gericht eingereicht worden ist, als ordnungsmäßige Schrift behandelt wird (BGH, NJW 1976, 966 = LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 18; BGHZ 92, 251 [2541 = NJW 1985, 328 = LM § 276 [Ci] BGB Nr. 43). - Deswegen kann mit einem Unterschriftsstempel (Faksimile) nicht wirksam unterschrieben werden (vgl. RGZ 119, 62 [63]; BGHZ 57, 160 [164] = NJW 1972, 50 = LM VwZG Nr. 5; BGH, NJW 1962, 1505 [1507] = LM § 42 PatG Nr. 11; NJW 1976, 966 [967] = LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 18; NJW 1994, 2097 = LM § 117 ZPO Nr. 7). Das Hinzufügen einer im Computer abgespeicherten Unterschrift oder deren Einscannen sind nicht anders zu werten als ein solches Faksimile (vgl. Melullis, MDR 1994, 109 [110]).
2. Es ist zwar zulässig, bestimmende Schriftsätze mittels Telefax einzureichen. Um dem Gebot der eigenhändigen Unterschrift zu genügen, muß aber die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden sein und diese Unterschrift auf der bei Gericht eingehenden Kopie wiedergegeben werden (vgl. BGH, NJW 1990, 188 = LM § 518 Abs. 1 ZPO Nr.25 = WM 1989, 1820 [1821]; NJW 1993, 3141 = LM H. 3/1994 § 518 Abs. 1 ZPO Nr. 29; NJW 1994, 2097 = LM § 117 ZPO Nr. 7; BAG, NJW 1996, 3164; Ebnet, NJW 1992, 2985 [2987]; Eckert/Scalia, DStR 1996, 1608 [1611]; Pape/Notthoff, NJW 1996, 417 [419]). Das vom Prozeßbevollmächtigten der Bekl. versandte Computerfax entspricht diesen Anforderungen nicht. Anders als beim Versand von einem herkömmlichen Telefaxgerät bedarf es beim Computerfax keines körperlichen Originalschriftstücks. Es ist keine Kopiervorlage vorhanden, die der Anwalt unterzeichnen könnte. Der Text erhält erst beim Ausdruck durch das Telefaxgerät des Empfängers erstmalig eine körperliche Gestalt. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Absender den Text zuvor selbst ausdruckt. Denn auch dann erreicht den Empfänger keine Kopie dieses Schriftstücks, sondern es werden nur die im Computer gespeicherten Zeichen versandt, die beim Empfänger in einen entsprechenden Ausdruck umgesetzt werden. Augenfällig wird das hier durch die Unterschiede in Schriftbild, Format und Briefkopf der beiden am 4. und 5. 11. 1997 eingegangenen Begründungsschriften.
3. Der Senat verkennt nicht, daß die Rechtsprechung das Schriftformerfordernis im Interesse einer vollen Ausnutzung von Fristen schon sehr früh relativiert hat, indem sie die telegrafische Rechtsmittelbegründung sogar bei telefonischer Aufgabe des Telegramms (RGZ 139, 45 [47 f.]; auch RAG 3, 252 [254] und BGHSt 8, 174 [176 f.] = NJW 1955, 1846) und die fernschriftliche Rechsmitteleinlegung (BGHZ 65, 10 [11] = RzW 1975, 244 LM § 519 ZPO Nr. 68; BGHZ 101, 276 [279 f.] = NJW 1987, 2586 = LM § 553 ZPO Nr. 9) zuließ, obwohl in beiden Fällen ein unterschriebenes Original nicht existiert. Diese Ausnahmen für relativ seltene - inzwischen kaum noch praktische - Einzelfälle reichen jedoch aus, dem Interesse an einer extensiven Ausnutzung der gesetzlichen Klage- und Rechtsmittelfristen Rechnung zu tragen. Sie sind kein Grund, die vom Gesetzgeber aus wohlerwogenen Gründen vorgeschriebene Schriftform völlig aufzugeben, indem ohne Not ein jedermann zugängliches technisches Verfahren als die Schriftform wahrend anerkannt wird, das im Prinzip die Verwendung eines elektronischen Faksimile-Stempels darstellt. Die Zulassung des Computerfaxverfahrens würde - ebenso wie diejenige des Btx-Verfahrens (heute: T-Online) - zur massenhaften Benutzung dieser einfachen technischen Möglichkeit führen und die Rechtsprechung zur Nichtanerkennung eines Faksimile-Stempels als Unterschriftersatz nicht länger vertretbar erscheinen lassen. Das Schriftformerfordernis wäre damit de facto aufgegeben. Dazu besteht kein Anlaß. Das jedermann - insbesondere jedem Rechtsanwalt - zur Verfügung stehende Telefax-Verfahren erlaubt die rasche Übermittlung ordnungsgemäß unterzeichneter bestimmender Schriftsätze auch außerhalb der Dienststunden und damit die Ausnutzung von Klage- und Rechtsmittelfristen bis zum Ende des Tages, an dem die jeweilige Frist abläuft. Die zusätzliche Zeitersparnis, die durch die unmittelbare Übermittlung der den Schriftsatz enthaltenden Datei durch Computerfax oder E-Mail erzielt wird, ist so geringfügig, daß sie die erheblichen Gefahren und Manipulationsmöglichkeiten, die durch den notwendigen Verzicht auf die Unterschrift des allein postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten geschaffen werden, nicht aufwiegt (vgl. auch BAG, NJW 1996, 3164 [3165]). Die Voraussetzungen einer Gleichstellung von nicht verkörperten, durch Datenübertragung vermittelten Mitteilungen mit eigenhändig unterzeichneten Schriftstücken sind vom Gesetzgeber zu bestimmen. Es ist seine Aufgabe, in Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen auf supranationaler Ebene die Voraussetzungen festzulegen, die im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs für eine Gleichstellung zu erfüllen ist. Der durch die Bedürfnisse eines effektiven Rechtsschutzes nicht gebotene voraussetzungslose faktische Verzicht auf die im Gesetz vorgeschriebene Schriftform im Prozeßrecht überschreitet nach Auffassung des Senats die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.