Schriftform und Telefax im materiellen Recht


BGH, Urteil v. 30.07.1997  - VIII ZR 244/96


Leitsätze:

1. Der Schuldbeitritt eines Verbrauchers zu einem Finanzierungsleasingvertrag bedarf entsprechend § 1 I 1 VerbrKrG der Schriftform (Bestätigung von BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7 = WM 1997, 158, und NJW 1997, 1443 = LM H. 7/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 8 = ZIP 1997, 642).
2. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach dem Gesetz der Schriftform bedarf, wird nicht wirksam, wenn sie dem Erklärungsempfänger lediglich per Telefax zugeht.



Fundstellen:

NJW 1997, 3169
DStR 1997, 1542
ZIP 1997, 1694
BB 1997, 2022
DB 1997, 2017
WM 1997, 2000
MDR 1997, 1006
DAR 1997, 445



Zentralproblem des Falles:

Vgl. Anmerkung zu BGH NJW 1998, 3649


Zum Sachverhalt:

Die Kl., ein Leasingunternehmen, schloß am 5./10. 2. 1992 mit der Firma P - GmbH in Pa. (künftig: Leasingnehmerin) zwei Leasingverträge über Produktionsmaschinen mit einer Laufzeit von jeweils 64 Monaten ab. Die Höhe der monatlichen Leasingraten betrug im einen Fall (künftig: Vertrag A) zunächst 7980,64 DM (7000,56 DM zuzüglich 14 % Mehrwertsteuer, später reduziert auf 6968,85 DM einschließlich Mehrwertsteuer), im anderen Fall (künftig: Vertrag B) 12546,24 DM (11005,47 DM zuzüglich 14 % Mehrwertsteuer). Gesellschafter und Geschäftsführer der Leasingnehmerin waren die Bekl. zu 1 und 3. Die Bekl. zu 2 ist die Ehefrau des Bekl. zu 1, die Bekl. zu 4 die Ehefrau des Bekl. zu 3. Die Kl. machte die Auslieferung der beiden Maschinen von der Übernahme der gesamtschuldnerischen Mithaftung der Bekl. für die Verbindlichkeiten der Leasingnehmerin abhängig. Zu diesem Zweck übermittelte sie den Bekl. per Telefax Fernkopien der beiden von ihr und der Leasingnehmerin unterzeichneten Formularverträge, die am unteren Rand des Formulars - unterhalb der den Leasingvertrag betreffenden Unterschriftszeilen - folgende vorgedruckte Erklärung enthalten:
"Hiermit übernehme(n) ich (wir) neben dem Leasingnehmer die gesamtschuldnerische Haftung aus diesem Vertrag unter Anerkennung der vorstehenden und umseitigen Allgemeinen Leasing-Bedingungen gegenüber der H-GmbH, G. (= Kl.)."
Die Bekl. unterzeichneten diese Erklärung an der dafür vorgesehenen Stelle auf beiden Vertragskopien und übermittelten diese der Kl. wiederum per Telefax. Die Schriftstücke mit den Originalunterschriften verblieben bei den Bekl. Die beiden Maschinen wurden an die Leasingnehmerin ausgeliefert und von ihr in Betrieb genommen. Im Frühjahr 1994 geriet die Leasingnehmerin in Vermögensverfall. Nachdem die Leasingraten für März und April 1994 nicht mehr bezahlt worden waren und über das Vermögen der Leasingnehmerin am 26. 4. 1994 das Konkursverfahren eröffnet worden war, kündigte die Kl. beide Leasingverträge mit Schreiben vom 5. 5. 1994 fristlos. Die ihr restlich zustehenden Ansprüche hat sie - abgezinst und vermindert um den Erlös aus der Verwertung der Leasingobjekte - zunächst mit 543226,40 DM brutto, später mit 461104,11 DM netto beziffert. In zweiter Instanz ist sie auf den ursprünglich errechneten Betrag zurückgenommen. Mit der Klage nimmt sie die Bekl. aufgrund der von diesen abgegebenen Mithaftungserklärung als Gesamtschuldnerin auf Zahlung eines Teilbetrages von 205000 DM nebst Zinsen in Anspruch.
Das LG hat der Klage hinsichtlich der Bekl. zu 1 und 3 durch Teilversäumnisurteil vom 9. 11. 1994, gegen das kein Einspruch eingelegt worden ist, stattgegeben. Mit Schlußurteil vom 17. 3. 1995 hat es auch die Bekl. zu 2 und 4 antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Bekl. zu 2 und 4 ist erfolglos geblieben. Ihre Revision führte zur Abweisung der Klage.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat ausgeführt: Die von der Kl. erhobenen Teilklage sei nicht mangels Bestimmtheit des Klagebegehrens unzulässig, denn dieses sei "zwangslos dahin auszulegen", daß der eingeklagte Teilbetrag im Verhältnis der beiden aus den Leasingverträgen jeweils noch offenstehenden Forderungen aufzuteilen sei. Danach entfielen von dem eingeklagten Teilbetrag 35,71 % (73205,50 DM) auf den Vertrag A und 64,29 % (131794,50 DM) auf den Vertrag B. Für diesen Teilbetrag hätten auch die Bekl. zu 2 und 4 aufgrund der übernommenen Mithaftung einzustehen. Entgegen der Auffassung der Bekl. sei die Mithaftungserklärung nicht als (formbedürftige) Bürgschaft, sondern als Schuldbeitritt auszulegen. Da der Schuldbeitritt nicht der Schriftform unterliege, könne offenbleiben, ob die Übermittlung von Telefaxkopien unterschriebener Schriftstücke dem Schriftformerfordernis genüge. Die von den Bekl. zu 2 und 4 übernommene Mitverpflichtung sei auch nicht gem. § 138 I BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Die wirtschaftliche Überforderung der Bekl. zu 2 und 4 allein reiche dafür nicht aus. An weiteren Umständen, die eine Sittenwidrigkeit begründen könnten, fehle es. Die Anfechtung der Schuldbeitrittsverträge sei verspätet erklärt worden und daher unwirksam. Da die Gefahr von Vermögensverschiebungen zwischen den bekl. Eheleuten für die Zukunft nicht ausgeschlossen sei, sei die Mithaftung der Bekl. zu 2 und 4 auch nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage entfallen.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Allerdings ist die Klage nunmehr zulässig. Die Kl. hat auf entsprechenden Hinweis des Senats im einzelnen angegeben, wie sich der eingeklagte Teilbetrag auf die ihm zugrundeliegenden, in ihrer Summe höheren Einzelforderungen aufteilt. Die insoweit gebotene Aufteilung (z. B. Senat, NJW-RR 1997, 441 unter II 1a m.w. Nachw.) kann noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (BGHZ 11, 192 (195f.) = NJW 1954, 757 = LM § 253 ZPO Nr. 8).
2. Entgegen der Auffassung des BerGer. ist der Schuldbeitritt der Bekl. aber gem. § 125 S. 1 BGB, § 6 I VerbrKrG formnichtig.
a) Auf den Schuldbeitritt der Bekl. findet das Verbraucherkreditgesetz entsprechende Anwendung (Senat, BGHZ 133, 71 = NJW 1996, 2156 = LM H. 10/1996 § 1 VerbrKrG Nr. 5 = WM 1996, 1258 unter II 1a; BGHZ 133, 220 = NJW 1996, 2865 = LM H. 1/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 6 = WM 1996, 1781 unter II 2; BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7 = WM 1997, 158 unter II 2a). Die Bekl. sind Verbraucher i.S. des § 1 I VerbrKrG (dazu Senat, BGHZ 133, 71 = NJW 1996, 2156 = LM H. 10/1996 § 1 VerbrKrG Nr. 5 unter II 1c). Die Finanzierungsleasingverträge, zu denen der Schuldbeitritt erklärt worden ist, sind Kreditverträge i.S.d. § 1 II VerbrKrG (Senat, BGHZ 133, 71 = NJW 1996, 2156 = LM H. 10/1996 § 1 VerbrKrG Nr. 5 unter II 1a; NJW 1996, 2033 = LM H. 10/1996 § 1 VerbrKrG Nr. 4 = WM 1996, 1146 unter II 1). Daß der Leasingnehmerin (Kreditnehmerin) als GmbH die Verbrauchereigenschaft fehlt, steht der entsprechenden Anwendbarkeit des Verbraucherkreditgesetzes auf den Schulbeitritt der Bekl. nicht entgegen (Senat, BGHZ 133, 71 = NJW 1996, 2156 = LM H. 10/1996 § 1 VerbrKrG Nr. 5 unter II 1c aa).
b) Der Schuldbeitritt der Bekl. bedurfte daher gem. § 4 I 1 VerbrKG der Schriftform. Diese ist nicht gewahrt.
aa) In seiner ursprünglichen, für den hier zu beurteilenden Zeitraum maßgeblichen Fassung vom 17. 12. 1990 (BGBl I, 2840) verlangte § 4 I VerbrKrG für Verträge - um einen solchen handelt es sich bei einer Schuldbeitrittsvereinbarung (vgl. nur BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7 unter II 2b; Möschel, in: MünchKomm, 3. Aufl., Vorb. § 414 Rdnr. 11; Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., Vorb. § 414 Rdnr. 2) - die Wahrung der Form des § 126 II BGB (BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7; NJW 1997, 1443 = LM H. 7/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 8 = ZIP 1997, 642 unter 2b). Danach muß ein Vertrag entweder von allen Beteiligten auf derselben Urkunde oder - im Falle der Aufnahme mehrerer gleichlautender Urkunden über den Vertrag - jeweils auf der für den Gegner bestimmten Urkunde unterzeichnet werden. Weder das seine noch das andere ist hier geschehen. Die in den Vertragsformularen der Kl. vorgedruckte Mithaftungserklärung ist für beide Leasingverträge jeweils nur von den Bekl. unterzeichnet  worden. Unterschriften des Geschäftsführers der Kl. finden sich jeweils nur am Ende des Leasingvertragstextes über die Mithaftungserklärung. Diese decken jeweils nur den auf beiden Vertragsformularen über den Unterschriften angeordneten Text der Leasingverträge (BGHZ 113, 48 = NJW 1991, 487 = LM § 126 BGB Nr. 20; BGH, NJW 1995, 43 = LM H. 3/1995 § 164 BGB Nr. 77 = WM 1994, 2233 unter II 2b). Eine Unterzeichnung auch der Mithaftungserklärung durch die Kl. ist in den verwendeten Vertragsformularen weder vorgesehen noch erfolgt.
bb) Es fehlt darüber hinaus schon an einem schriftlichen Angebot der Bekl. auf Abschluß einer Schuldbeitrittsvereinbarung. Nach den Feststellungen des BerGer., dem das unbestrittenen gebliebene Vorbringen der Bekl. zugrunde liegt, sind der Kl. nur Telefaxkopien der beiden von den Bekl. unterzeichneten Mithaftungserklärungen übermittelt worden, die von den Bekl. unterzeichneten Originalurkunden dagegen in deren Besitz geblieben. Es fehlt mithin am Zugang eines formwirksamen, nämlich schriftlichen Angebots der Bekl. auf Abschluß der von der Kl. geforderten Schuldbeitrittsverträge. Die Bekl. haben durch die Unterzeichnung der ihnen per Telefax übermittelten Formularerklärungen zwar entsprechende schriftliche Angebotserklärungen abgegeben; diese sind indessen nicht wirksam geworden (§ 130 I BGB), denn sie sind der Kl. nicht in der erforderlichen Schriftform zugegangen (vgl. dazu Senat, NJW 1962, 1388 = LM § 566 BGB Nr. 7 unter II 2; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 126 Rdnr. 21; Förschler, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 126 Rdnr. 16; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 126 Rdnrn. 6f.; Palandt/Heinrichs, § 126 Rdnr. 11 m.w. Nachw.). Die Übermittlung einer Telefaxkopie der im Original, der Kopiervorlage, unterzeichneten Urkunde reicht nicht aus (BGHZ 121, 224 (228ff.) = NJW 1993, 1126 = LM H. 7/1993 § 766 BGB Nr. 26 für die Bürgschaft; allgemein  Palandt/Heinrichs, § 126 Rdnr. 11; Förschler, in: MünchKomm. § 126 Rdnr. 22, jew. m.w. Nachw.; Erman/Brox, BGB, 9. Aufl., § 126 Rdnr. 11; zu § 4 VerbrKrG: Ulmer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 4 VerbrKrG Rdnr. 12; wohl auch v. Rottenburg, in: Graf v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg, VerbrKrG, 2. Aufl., § 4 Rdnr. 29).
c) Der Formmangel der Schuldbeitrittsvereinbarungen ist nicht dadurch nach § 6 II 1 VerbrKrG geheilt worden, daß die Kl. der Leasingnehmerin die Leasingobjekte zur Verfügung gestellt hat (vgl. BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7 unter II 2c; NJW 1997, 1443 = LM H. 7/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 8). Den Bekl. zu 2 und 4 sind durch die Überlassung der Leasingobjekte an die GmbH allenfalls mittelbare Vorteile entstanden, die einem Empfang des Darlehens oder einer Inanspruchnahme des Kredits nicht gleichgestellt werden können (BGH, NJW 1997, 654 = LM H. 4/1997 § 1 VerbrKrG Nr. 7).
d) Die Bekl. müssen sich schließlich auch nicht nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als wäre ihr Schuldbeitritt formwirksam. Ein Mangel der durch Gesetz vorgeschriebenen Form kann nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich sein (BGHZ, 121, 224 (233) = NJW 1993, 1126 = LM H. 7/1993 § 766 BGB Nr. 26 m.w. Nachw.; allgemein Palandt/Heinrichs, § 125 Rdnrn. 16ff.). Ein solcher Ausnahmefall kann nach der Rechtsprechung des BGH vorliegen, wenn eine Partei sich unter Berufung auf den Formangel ihrer Verpflichtung entziehen will, obwohl sie längere Zeit aus dem nichtigen Vertrag Vorteile gezogen hat (BGHZ 121, 224 (233) = NJW 1993, 1126 = LM H. 7/1993 § 766 BGB Nr. 26). Dabei kommt auch ein mittelbarer Vorteil, den ein Gesellschafter durch Leistung an die Gesellschaft erlangt hat, als Anknüpfungspunkt für treuwidriges Verhalten in Betracht (BGHZ 121, 224 (234) = NJW 1993, 1126 = LM H. 7/1993 § 766 BGB Nr. 26 m.w. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind indessen hinsichtlich der Bekl. zu 2 und 4 nicht erfüllt, denn Gesellschafter der Leasingnehmerin  waren allein die Bekl. zu 1 und 3. Daß den Bekl. zu 2 und 4 als Ehefrauen der Gesellschafter die mittelbaren Vorteile zugute kamen, die die Ehemänner als Gesellschafter aus der Nutzung der Leasingobjekte ziehen konnten, rechtfertigt es nicht, auch den Ehefrauen die Berufung auf den Formmangel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu versagen. Hinzu kommt, daß die Bekl. zu 2 und 4 auch aufgrund eines als formwirksam behandelten Schuldbeitritts ohnedies nicht in Anspruch genommen werden könnten, solange sie Vermögen nicht erworben haben und die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht (BGH, NJW 1997, 1005 = LM H 5/1997 § 765 BGB Nr. 113 = WM 1997, 465 unter III 1; NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114 = WM 1997, 467 unter III 2). Im wirtschaftlichen Ergebnis verliert die Kl. als Folge der Formnichtigkeit des Schuldbeitritts der Bekl. - die Erfolgslosigkeit der sonstigen Rügen der Revision gegen die Wirksamkeit des Beitritts unterstellt - lediglich die ungewisse Aussicht, die Bekl. zu 2 und 4 im Falle einer möglichen künftigen Verbesserung ihres Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Verbindlichkeiten der in Konkurs gefallenen Leasingnehmerin in Anspruch nehmen zu können.
III. Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben (§ 564 I ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da diese zur Endentscheidung reif ist (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Da die Klage, soweit sie sich gegen die Bekl. zu 2 und 4 richtet, unbegründet ist, war sie unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung abzuweisen.



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