IZPR: Kein
Grundrechtsverstoß bei Zustellung einer us-amerikanischen Klageschrift nach
dem Haager Zustellungsübereinkommen trotz "pre-trial-discovery"
BVerfG v. 24.1.2007 - 2 BvR
1133/04 (Kammerentscheidung)
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Internet:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20070124_2bvr113304.html
(Eigener) Leitsatz:
Kein Grundrechtsverstoß
bei Zustellung einer us-amerikanischen Klageschrift nach dem Haager
Zustellungsübereinkommen
Zentrale Probleme:
Der Beschwerdeführer wird vor einem
us-amerikanischen Gericht auf Schadensersatz verklagt und wehrt sich gegen
die Zustellung der Klageschrift im Wege der Rechtshilfe auf der Grundlage
des Haager Zustellungsübereinkommens (HZÜ). Sein Antrag auf Aufhebung der
Zustellung wies das Oberlandesgericht zurück. Die 1. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die
angegriffenen Entscheidungen nicht die
verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin, insbesondere nicht ihre
allgemeine Handlungsfreiheit, verletzten. Nach Art. 13 HZÜ (Jayme/Hausmann
Ziff. 211) darf der ersuchte Staat die Zustellung nur verweigern,
wenn seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit gefährdet sind. Diese
Regelung ist durch das Interesse an einer schnellen und effektiven
Rechtshilfe bei der gerichtlichen Zustellung gerechtfertigt und
verfassungsrechtlich unbedenklich. Eine Grenze muss dort als erreicht
angesehen werden, wo das mit der Klage verfolgte Ziel offensichtlich gegen
unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße. Ein
solcher evidenter Rechtsmissbrauch durch die Klageerhebung und deren
Zustellung in Deutschland war aber hier nicht ersichtlich. Die geltend
gemachte Schadensersatzsumme beläuft sich zwar auf einen beachtlichen
Betrag, dieser steht aber nicht ohne jeden Bezug zur behaupteten
Rechtsverletzung und dem behaupteten Schaden. Hierdurch grenzt sich die
Entscheidung von BVerfGE
108, 238 ff ab, wo es klar um
exorbitante Schadensersatzsummen ging. Auch die Unterwerfung unter ein „pre-trial
discovery“, ein zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung
durchgeführtes Beweis- und Beweisermittlungsverfahren, stellt keinen
offensichtlichen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines
freiheitlichen Rechtsstaats dar. Dass der Zustellungsgegner seine
außergerichtlichen Kosten, das heißt in erster Linie ihre Anwaltskosten,
anders als nach deutschem Zivilprozeßrecht nicht ersetzt bekommt, selbst
wenn die U.S.-amerikanische Klage sich später als unzulässig herausstellen
sollte, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen unverzichtbare
rechtsstaatliche Grundsätze. Die Risiken gerichtlicher Entscheidungen hat
ein Unternehmer, der grenzüberschreitend am Wirtschaftsleben teilnimmt,
grundsätzlich zu tragen.
©sl 2007
Gründe:
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die
im Wege der Rechtshilfe beantragte Zustellung einer Klage auf Schadensersatz
und Strafschadensersatz, mit der sie vor einem Gericht der Vereinigten
Staaten von Amerika in Anspruch genommen werden soll. Mit ihrem Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte sie, das Zustellungszeugnis
nicht herauszugeben oder an die ersuchende Behörde zurückzureichen. Dieser
Antrag wurde mit Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2004 abgelehnt (BVerfGK 3, 259 ff.).
2
1. Ein ehemaliger leitender Angestellter hat das puertoricanische
Tochterunternehmen der Beschwerdeführerin vor dem für Puerto Rico
zuständigen Bundesgericht der Vereinigten Staaten von Amerika auf
Schadensersatz und Strafschadensersatz in Höhe von mindestens 11.114.500,00
US-Dollar verklagt. Er macht wegen seiner Entlassung und
Nichtberücksichtigung bei der Besetzung einer Führungsposition eine
Verletzung des Altersdiskriminierungsgesetzes im Angestelltenverhältnis des
Abschnitts VII des Bundesgesetzes von 1964 über die Bürgerrechte geltend.
Zusätzlich zu seinem direkten Arbeitgeber richtet sich die Klage auch gegen
die Beschwerdeführerin sowie ihr U.S.-amerikanisches und ihr mexikanisches
Tochterunternehmen.
3
Die U.S.-amerikanische Klageschrift vom 19. September 2003 wurde der
Beschwerdeführerin im Wege der Rechtshilfe auf der Grundlage des Haager
Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher
Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965
(Haager Zustellungsübereinkommen - HZÜ; BGBl 1977 II S. 1452 ) durch den
Präsidenten des Amtsgerichts Darmstadt als der für das Land Hessen
zuständigen Behörde auf der Grundlage seiner Zustellungsanordnung vom 22.
März 2004 zugestellt.
4
2. Mit Schriftsatz vom 29. April 2004 stellte die Beschwerdeführerin beim
Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG mit
dem Ziel, die Entscheidung über die Zustellung aufzuheben.
5
Das Oberlandesgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 1. Juni 2004 zurück.
Die Voraussetzungen des ordre-public-Vorbehalts aus § 13 HZÜ lägen nicht
vor. Die Vorschrift könne nur angewendet werden, wenn die Zustellung
besonders schwere Beeinträchtigungen der Wertungsgrundlagen der
Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich bringen würde. Diese enge
Auslegung des § 13 HZÜ sei auch von der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gedeckt, insbesondere mit den im
Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Juli 2003
(BVerfGE 108, 238 ff.) enthaltenen Maßstäben vereinbar. Im vorliegenden
Fall könne nicht von einer exorbitant hohen und jeglicher sachlicher
Grundlage entbehrenden Schadensersatzforderung gesprochen werden. Vielmehr
habe der Kläger des U.S.-amerikanischen Ausgangsverfahrens die geltend
gemachte Klagesumme im Einzelnen substantiiert dargelegt. Auch bestünden
keine Hinweise, dass das Verfahren in den Vereinigten Staaten nicht zum
Zwecke der Rechtsverfolgung betrieben werde. Für einen offensichtlichen
Rechtsmissbrauch gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Dass die
Beschwerdeführerin ihre Argumente gegen den klageweise geltend gemachten
Anspruch nunmehr in einem Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten
geltend machen müsse, könne daran - auch im Hinblick auf ein möglicherweise
drohendes pre-trial discovery-Verfahren - nichts ändern.
6
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine
Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie
- hilfsweise - aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG.
7
Die gegen sie in den Vereinigten Staaten erhobene Klage sei evident
unzulässig, weil deren Prozessvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Klage sei
vielmehr mit dem Ziel erhoben worden, den "Abkauf eines spezifischen
Lästigkeitswerts" zu erpressen. Die Höhe der Klage sei insoweit unerheblich,
weil Grundrechtsschutz unabhängig von der Existenzbedrohung eines
Unternehmens zu gewähren sei. Insbesondere durch die Zustellung einer
U.S.-amerikanischen Zivilklage und deren Rechtsfolgen werde bereits in die
grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Zustellungsempfängers
eingegriffen.
8
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht nach § 93a Abs. 2 BVerfGG zur
Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist sie zur Durchsetzung der in § 90
Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist
zulässig, aber unbegründet.
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1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht
in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
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a) Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im
umfassenden Sinne (BVerfGE 80, 137 [152] m.w.N.). Diese kann auf der
Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens, dem der Deutsche Bundestag
mit Gesetz vom 22. Dezember 1977 zugestimmt hat, eingeschränkt werden. Das
Übereinkommen dient wichtigen Belangen des Gemeinwohls, die geeignet sind,
einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu rechtfertigen (vgl.BVerfGE
91, 335 [339 ff.] ). Der deutsche Staat schützt den Bürger, der sich im
internationalen Rechtsverkehr bewegt, nicht vor der Verantwortlichkeit in
einer fremden Rechtsordnung. Vielmehr unterstützt der Staat die Durchsetzung
des ausländischen Regelungsanspruchs auch gegen eigene Staatsbürger und in
der Erwartung einer gegenseitig gewährten Rechtshilfe.
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Auch dass die Verweigerung der Zustellung auf Grundlage des Art. 13 HZÜ nur
unter engen Voraussetzungen, nämlich nur, wenn die Hoheitsrechte oder die
Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sind, zulässig sein soll, ist durch
das Interesse an einer schnellen und effektiven Rechtshilfe bei
gerichtlichen Zustellungen gerechtfertigt und verfassungsrechtlich
unbedenklich (vgl.BVerfGE 91, 335 [340] ). Es liefe dem Grundsatz zuwider,
dass fremde Rechtsanschauungen und -ordnungen grundsätzlich zu achten sind,
auch wenn sie im Einzelfall mit den deutschen Auffassungen nicht
übereinstimmen, wenn eine generelle Überprüfung ausländischer Klagen am
Maßstab der deutschen Rechtsordnung vorgenommen würde (vgl.
BVerfGE 108, 238 [247 f.] ). Andernfalls
könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei
der Zustellung oder, wegen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen
Rechtsauffassungen, zu einer Vereitelung der Zustellung führen, die durch
das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollten.
12
Trotz der grundsätzlichen Entscheidung zu Gunsten der Zustellung der
ausländischen Klage ist die Vorbehaltsklausel des Art. 13 HZÜ nicht
inhaltsleer. Eine Grenze muss dort als erreicht angesehen werden, wo das mit
der Klage verfolgte Ziel "offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze
eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße" (BVerfGE 91, 335 [343];
108, 238 [247]). Die Möglichkeit der
Verhängung von Strafschadensersatz (punitive damages) verletzt noch nicht
unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze (BVerfGE 91, 335 [343 f.]). Bei
Forderungen von Strafschadensersatz in für einen Beschwerdeführer
existenzgefährdender Höhe oder bei Sammelklagen (class action) mit einer
unübersehbaren Anzahl von Klägern, einer entsprechenden Klageforderung und
einer begleitenden Medienkampagne scheint die Unvereinbarkeit einer
Zustellung mit unverzichtbaren Grundsätzen eines freiheitlichen
Rechtsstaates aber jedenfalls dann nicht schlechthin ausgeschlossen zu sein,
wenn diese Forderungen als offensichtlich rechtsmissbräuchlich erscheinen.
13
Ein evidenter Rechtsmissbrauch durch die Klageerhebung und deren Zustellung
in Deutschland ist vorliegend nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht setzt
sich in den Gründen seines Beschlusses ausführlich mit der Entscheidung des
Zweiten Senats vom 25. Juli 2003 (BVerfGE 108, 238
ff.) auseinander und grenzt den vorliegenden Fall von diesem Verfahren
ab. Die Klage betrifft keine Sammelklage. Kläger ist ein einzelner
ehemaliger leitender Angestellter eines Tochterunternehmens der
Beschwerdeführerin. Die geltend gemachte Schadensersatzsumme beläuft sich
zwar auf einen beachtlichen Betrag, dieser steht aber nicht ohne jeden Bezug
zur behaupteten Rechtsverletzung und dem behaupteten Schaden. Der Kläger hat
in der Klageschrift im Einzelnen aufgeschlüsselt, aus welchen Posten sich
seine Forderung zusammensetzt.
14
b) Ihren Vorwurf, die Klagezustellung diene allein dazu, sie zu einem
Vergleich zu bewegen, sucht die Beschwerdeführerin dadurch zu belegen, dass
sie die Klage als offensichtlich unzulässig bezeichnet. Nach dem Haager
Zustellungsübereinkommen ist es aber nicht die Aufgabe der deutschen
Behörden, eine ausländische Klage nach dem einschlägigen Prozessrecht des
ersuchenden Staats auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Die Formalisierung
des Zustellungsverfahrens will zur Förderung des zwischenstaatlichen
Rechtsverkehrs vielmehr gerade ausschließen, dass eine Prüfung vorgenommen
wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann den deutschen Behörden kein
Vorwurf eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die allgemeine
Handlungsfreiheit gemacht werden, wenn sie die prozessrechtlichen Grundlagen
des ausländischen Rechts bei der Zustellung der Klage in Deutschland nicht
überprüfen.
15
c) Auch die Unterwerfung unter eine "pre-trial discovery", ein zwischen
Klageerhebung und mündlicher Verhandlung durchgeführtes Beweis- und
Beweisermittlungsverfahren (vgl. auch BGHZ 118, 312 [323]), stellt keinen
offensichtlichen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines
freiheitlichen Rechtsstaats dar. Zwar kann ein solches Verfahren in Richtung
einer "Ausforschung" des Gegners ausgestaltet werden (vgl. Hay,
US-amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rn. 189), die reine Möglichkeit
verstößt aber im Verfahren der Klagezustellung nicht gegen wesentliche
Grundsätze der deutschen Rechtsordnung. Vor einer konkreten gegen die
Beschwerdeführerin gerichteten Beweisaufnahme bedarf es weiterer
Rechtshilfeentscheidungen deutscher Hoheitsträger, bei denen die Rechte der
Beschwerdeführerin zu beachten sind. Sie wird durch die Eröffnung der
Möglichkeit eines pre-trial discovery-Verfahrens durch eine Klagezustellung
in Deutschland nicht zugleich schutzlos einer Ausforschung ausgeliefert.
16
d) Dass die Beschwerdeführerin ihre außergerichtlichen Kosten, das heißt in
erster Linie ihre Anwaltskosten, nicht ersetzt bekommt, selbst wenn die
U.S.-amerikanische Klage sich später als unzulässig herausstellen sollte
(vgl. dazu Hay, a.a.O., Rn. 154), begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen
unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze. Die Risiken gerichtlicher
Entscheidungen, die sich in prozessualer und materieller Hinsicht von
deutschem Recht unterscheiden, hat ein Unternehmer, der grenzüberschreitend
am Wirtschaftsleben teilnimmt, grundsätzlich zu tragen. Fehlende
Kostenerstattung für die obsiegende Partei ist dem deutschen Recht außerdem
nicht völlig fremd. Gemäß § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG erhält die im ersten
Rechtszug des Urteilsverfahrens obsiegende Partei im Arbeitsgerichtsprozess
ebenfalls keine Erstattung ihrer Anwalts- und sonstigen Verfahrenskosten,
ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
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2. Eine Verletzung in Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich, weil einer
Klagezustellung keine berufsregelnde Tendenz zukommt. Auch eine Verletzung
in Art. 14 Abs. 1 GG scheidet mangels einer gegenwärtigen und unmittelbaren
Betroffenheit in von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgütern durch den
Akt der Klagezustellung aus. Die Zustellung einer Klage - unabhängig davon,
ob es sich um eine inländische oder eine ausländische Klage handelt -
bezieht den Empfänger in ein Gerichtsverfahren ein, trifft aber keine
Entscheidung über den Ausgang des Verfahrens.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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