Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments,
Abgrenzung Schlusserbeneinsetzung und Nacherbeneinsetzung; Auslegung;
Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen, Anfechtung durch den
Erblasser und Dritte, Anfechtungsfrist
OLG München v. 1.12.2011 - 31 Wx 249/10
Fundstelle:
NJW-RR 2012, 338
Amtl. Leitsatz:
1. Ein gemeinschaftliches Testament kann auch
dann wirksam errichtet sein, wenn der andere Ehegatte erst nach längerer
Zeit beitritt, sofern im Zeitpunkt des Beitritts der Wille des
ersttestierenden Ehegatten zur gemeinschaftlichen Testierung weiterhin
besteht.
2. Irrt sich der nach Wiederverheiratung anfechtungsberechtigte überlebende
Ehegatte über die Bindungswirkung, hindert das nicht den Beginn der
Anfechtungsfrist.
Zentrale Probleme:
Ein schöner, gehaltvoller
Grundlagenfall aus dem Erbrecht, der eine klassische Examensklausur sein
könnte. Von der Testamentserrichtung über die Auslegung, der Bindungswirkung
wechselbezüglicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten bis zur
Anfechtung ist alles enthalten: Lesen! Zum gemeinschaftlichen Testament s.
auch
BGH v.
26.10.2011 - IV ZR 72/11.
©sl 2012
Gründe:
I.
Der am 29.11.2009 im Alter von 77 Jahren verstorbene Erblasser war mit der
Beteiligten zu 1 in zweiter Ehe verheiratet. Die Ehe wurde am 4.8.1995
geschlossen. In erster Ehe war der Verstorbene mit der am 2.6.1992
verstorbenen Frau E. K. verheiratet. Aus dieser Ehe sind die Beteiligten zu
2 und 3 hervor gegangen.
Es liegt eine letztwillige Verfügung des Erblassers und seiner ersten
Ehefrau vom 19.2.1971/20.3.1977 vor, die von dem Erblasser geschrieben und
unterschrieben ist und mit einer unterschriebenen Beitrittserklärung seiner
Ehefrau versehen ist. Sie lautet wie folgt:
„Gemeinschaftliches Testament
Wir, die Eheleute (...) bestimmen für den Fall unseres Todes was folgt:
Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu befreiten Vorerben unseres derzeitigen
Nachlasses ein, d. h. der Überlebende ist von sämtlichen im Gesetz
vorgeschriebenen Beschränkungen befreit und kann frei und unbeschränkt über
den Nachlass verfügen.
Als Nacherben setzen wir unsere Kinder (Beteiligter zu 2 und Beteiligter zu
3) zu gleichen Teilen ein. Sollte eines unserer Kinder vor uns sterben, so
treten dessen Abkömmlinge an seine Stelle.
(Ort), den 19. Februar 1971
(Unterschrift des Erblassers)
Das vorstehende Testament meines Ehemannes soll auch als mein Testament
gelten.
(Ort), den 20. März 1977
(Unterschrift der vorverstorbenen Ehefrau)“
Der Erblasser übersandte dieses Testament nach dem Tod seiner ersten Ehefrau
an das Nachlassgericht, wobei er es als das „gemeinsame Testament von meiner
verstorbenen Frau und mir“ bezeichnete. Bei der Eröffnung gab er gegenüber
dem Nachlassgericht an, dass ihm und seiner Ehefrau der Begriff der Vor- und
Nacherbschaft nicht bekannt gewesen sei. Er habe die Formulierung einer
Broschüre entnommen. Beide Ehegatten hätten tatsächlich eine
gegenseitige Alleinerbeneinsetzung gewollt, wobei der Überlebende
rechtsgeschäftlich über den gesamten Nachlass allein verfügungsberechtigt
habe sein sollen. Erben des Letztversterbenden sollten die Beteiligten zu 2
und 3 sein. Dementsprechend wurde dem Erblasser antragsgemäß ein
Erbschein als Alleinerbe ohne Nacherbenvermerk erteilt.
Der Erblasser errichtete am 31.8.2004 ein handschriftliches Testament, in
dem er die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin einsetzte. Am 5.12.2008 schlossen
der Erblasser und die Beteiligte zu 1 einen notariellen Erbvertrag, in dem
sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten.
Der Beteiligte zu 2 hat am 12.7.2010 Antrag auf Erteilung eines Erbscheins
gestellt, der ihn mit dem Beteiligten zu 3 gemäß Testament vom
19.2.1971/20.3.1977 als Miterben zu je 1/2 ausweist. Die Beteiligte zu 1 hat
dem widersprochen. Sie ist der Auffassung, dass sie Alleinerbin aufgrund des
Erbvertrages vom 5.12.2008 sei. Ein gemeinschaftliches Testament mit
wechselseitigen Bindungen liege nicht vor. Vorsorglich erklärte sie
mit Schriftsatz vom 14.6.2010 die Anfechtung des Testaments vom
19.2.1971/20.3.1977 wegen Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten und wegen
Irrtums des Erblassers über die Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung.
Mit Beschluss vom 15.10.2010 hat das Nachlassgericht den beantragten
Erbschein bewilligt. Der Erblasser habe mit seiner damaligen Ehefrau ein
gemeinschaftliches Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen verfasst.
Die von der Beteiligten zu 1 erklärte Anfechtung greife wegen Fristablaufs
nicht durch. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht
ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge
nicht nach dem Erbvertrag vom 5.12.2008, sondern nach dem vom Erblasser mit
seiner vorverstorbenen Ehefrau in den Jahren 1971/1977 errichteten Testament
bestimmt, und daher die Beteiligten zu 2 und 3 je zur Hälfte Erben des
Erblassers geworden sind.
1. Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Erblasser und seine
vorverstorbene Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament im Sinne der
§§ 2265, 2269 BGB errichtet haben.
a) Voraussetzung ist nach allgemeiner Auffassung, dass der Wille der
testierenden Eheleute auf die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments
gerichtet ist und sich aus der Testamentsurkunde selbst zumindest
andeutungsweise ergibt, dass es sich um eine gemeinschaftliche Erklärung
handelt (vgl. dazu Burandt/Rojahn/Braun Erbrecht 1. Auflage § 2265
Rn. 8 ff m. w. N.).
Hier zeigt sich der Wille der Ehegatten zur Errichtung eines
gemeinschaftlichen Testaments bereits in der Überschrift
(„gemeinschaftliches Testament“) wie auch in der Verwendung der Ausdrücke
„Wir“, „die Eheleute ... setzen uns hiermit gegenseitig ...“ und „unseres
(...) Nachlasses“ (vgl. Palandt/Weidlich BGB 70. Auflage vor § 2265 Rn. 8).
Mit diesen Formulierungen hat der Erblasser, der das Testament
geschrieben hat, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er gemeinsam mit
seiner Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichten wollte und nicht
etwa für sich allein ein Einzeltestament. Die Erklärung der Ehefrau stellt
eine typische Beitrittserklärung zu dem vom anderen Ehegatten geschriebenen
gemeinschaftlichen Testament dar und nicht etwa ein Einzeltestament, denn
sie enthält für sich genommen überhaupt keine letztwillige Verfügung
(vgl. Burandt/Rojahn/Braun a. a. O. § 2267 Rn. 15; Reimann/Bengel/J.Mayer
Testament und Erbvertrag 5. Auflage § 2267 BGB Rn. 25 ). Die Ehefrau hat
vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass auch sie im Einklang mit dem Willen
ihres Ehemanns ein gemeinschaftliches Testament errichten will und dass die
von ihm getroffenen Verfügungen auch ihrem Willen entsprechen. Mit diesem
Beitritt wurde daher von den Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament im
Sinne der §§ 2265 ff. BGB wirksam errichtet.
b) Dem steht nicht entgegen, dass die Ehefrau ihre Erklärung erst
rund sechs Jahre nach der des Ehemannes abgegeben hat. Es ist
nämlich nicht erforderlich, dass die Erklärungen der Ehegatten gleichzeitig
erfolgen.
aa) Die korrespondierende Erklärung durch den anderen Ehegatten kann
grundsätzlich auch noch nach längerer Zeit erfolgen (Staudinger/Kanzleiter
BGB <2006> Vorbem. zu §§ 2265 ff Rn. 20 unter Hinweis auf KG KGJ 51, 82:
Abstand von 7 Jahren; kritisch hierzu Reimann/Bengel/J. Mayer vor §§ 2265 ff
BGB Rn. 23; Coing JZ 1952, 611; Lange/Kuchinke Erbrecht 5. Auflage § 24 III
2c Fn 83). Voraussetzung ist aber, dass in diesem Zeitpunkt noch die
Zustimmung des anderen (ersttestierenden) Ehegatten hierzu gegeben ist
(Staudinger/Kanzleiter a. a. O.; MüKo/BGB/Musielak <2010> vor §§
2265 Rn. 10; § 2267 Rn. 15).
bb) Das war hier nach Auffassung des Senats bei Abgabe der
korrespondierenden Erklärung seiner vorverstorbenen Ehefrau am 20.3.1977,
also sechs Jahren nach seiner eigenen Erklärung, bei dem Erblasser weiterhin
der Fall, wie sich aus dessen Verhalten nach dem Tod seiner Ehefrau
im Jahre 1992 ergibt. Zum einen legte er das Testament vor und stützte
darauf sein Erbrecht. Dabei bezeichnete er die eingereichte Verfügung gerade
als „gemeinsames Testament von meiner verstorbenen Frau und mir“. Zum
anderen stellen seine weiteren Angaben gegenüber dem Nachlassgericht am
13.8.1992 im Rahmen der Eröffnung des Testaments ein gewichtiges Indiz
hierfür dar. Dabei bekundete er, dass durch das Testament sowohl
von ihm als auch von seiner Ehefrau eine gegenseitige Alleinerbeneinsetzung
über den gesamten Nachlass und eine Schlusserbeneinsetzung ihrer beider
Söhne beabsichtigt war. Damit brachte er zum Ausdruck, dass der Wille der
Ehegatten darauf gerichtet war, ihre Erbfolge, insbesondere auch den Fall
des Ablebens des überlebenden Ehegatten, gemeinsam zu regeln und dass seine
sechs Jahre zuvor getroffene Verfügung auch im Zeitpunkt der Abgabe der
Erklärung seiner vorverstorbenen Ehefrau weiterhin gelten sollte.
cc) Hingegen lässt die Erklärung des Erblassers in § 1 Ziffer 3 des
Erbvertrags vom 5.12.2008, dass er durch ein gemeinschaftliches Testament
nicht in der freien Verfügung über seinen Nachlass beschränkt sei, entgegen
dem Beschwerdevorbringen keinen hinreichenden Rückschluss darauf zu, dass
der Erblasser selbst nicht von einer gemeinschaftlichen Verfügung der
Ehegatten bezüglich des Testaments aus den Jahren 1971/1977 ausgegangen ist.
Sie kann ebenso bedeuten, dass er sich durch das Testament lediglich in
seiner Testierfreiheit als nicht beschränkt angesehen hat (vgl. dazu unten).
Im Übrigen steht diese Erklärung des Erblassers im Widerspruch zu seinen
Angaben bezüglich des Testaments aus den Jahren 1971/1977 vor dem
Nachlassgericht im Jahre 1992, die zum Zeitpunkt des letzten
Errichtungsaktes (Beitritt der vorverstorbenen Ehefrau) zeitnäher erfolgt
sind.
2. An die Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserbe war der
Erblasser gebunden. Die Erbfolge nach dem Erblasser bestimmt sich
deshalb nicht nach dem Erbvertrag vom 5.12.2008, sondern nach dem mit seiner
vorverstorbenen Ehefrau errichteten gemeinschaftlichen Testament aus den
Jahren 1971/1977.
a) Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Ehegatten mit dem
gemeinschaftlichen Testament nicht eine Vor- und Nacherbschaft anordnen,
sondern sich gegenseitig als Alleinerben und die Beteiligten zu 2 und 3 als
Schlusserben einsetzen wollten. Dem Gebrauch der Worte „Vorerbe“ und
„Nacherbe“ kommt für sich allein keine entscheidende Bedeutung im Rahmen der
Auslegung zu. Maßgebend ist auch insoweit der Wille beider Erblasser
(BGH NJW 1983, 277/278). Hier ergibt sich aus der Erklärung des
Erblassers gegenüber dem Nachlassgericht, dass er die einer Broschüre
entnommenen Begriffe nicht im Rechtssinne verwendet hatte und die Ehegatten
tatsächlich eine gegenseitige Alleinerbeneinsetzung mit
Schlusserbeneinsetzung anordnen wollten.
b) Zutreffend ist das Nachlassgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass
die in dem gemeinschaftlichen Testament von dem Erblasser angeordnete
Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 zu seiner
eigenen Einsetzung als Alleinerbe seiner Ehefrau wechselbezüglich im Sinne
des § 2270 BGB ist und daher der Erblasser in entsprechender Anwendung des §
2289 Abs. 1 Satz 2 BGB daran gehindert war, die Erbeinsetzung nach
seinem Ableben davon abweichend zu regeln.
aa) Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen
Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den
überlebenden Ehegatten bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des
einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen
worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die
andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich
Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLGZ
1991, 173/175 f.; OLG Hamm FamRZ 2004, 662). Maßgeblich ist der
übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung
(BGHZ 112, 229/233). Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine
klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den
allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt
werden (BGH NJW-RR 1987, 1410). Erst wenn die Ermittlung des
Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige
Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs.
2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen,
wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten
von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des
Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem
anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.
bb) Schon nach der Lebenserfahrung liegt es nahe, dass die Einsetzung des
Erblassers durch seine erstverstorbene Ehefrau in Abhängigkeit zu dessen
Einsetzung der gemeinsamen Kinder getroffen wurde. Indem die Ehefrau, wie
geschehen, ihren Ehemann zum Alleinerben einsetzt, übergeht und enterbt sie
ihre eigenen Kinder; denn ihre eigene Schlusserbeinsetzung der Kinder wird
im Fall ihres Vorversterbens gegenstandslos. Wer sein Vermögen
letztendlich an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für
den ersten eigenen Todesfall enterbt, tut das im Bewusstsein und Vertrauen
darauf, dass wegen der Schlusserbeinsetzung des anderen Ehegatten das
gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird. Das Gesetz
schützt dieses Vertrauen der Eheleute in den Bestand einer solchen Regelung,
indem es zu Lebzeiten beider Ehegatten einen einseitigen Widerruf nur in
einer besonderen Form gestattet, die sicherstellt, dass der andere Ehegatte
von dem Widerruf erfährt (§ 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 Abs. 2 BGB),
und indem es nach dem Tod des Erstversterbenden den Widerruf
grundsätzlich ausschließt (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB).
cc) Selbst wenn man jedoch nach all dem noch Zweifel haben müsste,
dass die genannten Verfügungen wechselbezüglich sind, so wäre nach der
ergänzend heranzuziehenden Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, die durch
individuelle Auslegung jedenfalls nicht widerlegt ist, von einer
Wechselbezüglichkeit auszugehen. Durchgreifende Umstände, die gegen dieses
Auslegungsergebnis sprechen, sind nicht zutage getreten.
(1) Der Umstand, dass der Erblasser im Nachgang zu der Errichtung des
gemeinschaftlichen Testaments nochmals neu testiert hat (2004) wie auch den
Erbvertrag mit der Beteiligten zu 1 schloss, und sich dabei in seiner
Testierfreiheit nicht gebunden angesehen hat, stellt dafür kein
hinreichendes Indiz dar. Maßgeblich ist der Wille der beiden
Ehegatten im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments,
also im Zeitpunkt als die vorverstorbene Ehefrau im Jahre 1977 ihre
letztwilligen Verfügungen getroffen hat. Für diesen Zeitpunkt
liegen nach Überzeugung des Senats jedoch keine durchgreifenden
Anhaltspunkte vor, dass nach dem Willen der Erblasser die
Schlusserbeneinsetzung ihrer gemeinsamen Kinder zu der jeweiligen Einsetzung
des anderen Ehegatten als Alleinerben nicht in einer Wechselwirkung
zueinander stehen sollte.
(2) Der Bestimmung in dem gemeinschaftlichen Testament, dass der
„Überlebende von sämtlichen im Gesetz vorgesehenen Beschränkungen befreit
sein sollte und frei und beschränkt über den Nachlass verfügen könne“, wie
auch der Erklärung des Erblassers vor dem Nachlassgericht bei Eröffnung des
gemeinschaftlichen Testaments im Jahre 1992 lässt sich nicht entnehmen, dass
von den Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen nicht gewollt
war. Eine solche Formulierung enthält regelmäßig lediglich die
Ermächtigung des Überlebenden über die Erbschaft unter Lebenden, nicht aber
von Todes wegen frei zu verfügen (Staudinger/Kanzleiter a. a. O. §
2271 Rn. 57; Palandt/Weidlich a. a. O. § 2271 Rn. 21; BayObLG FamRZ 1985,
209; OLG Hamm OLGR 2002, 179 ff; Urteil v. 29.3.2011 - 10 U 112/10; KG FamRZ
1998, 124). Gegenteilige Anhaltspunkte (vgl. OLG Hamm FamRZ 2007, 678) sind
vorliegend nicht gegeben. Vielmehr legt die Aussage des Erblassers vor dem
Nachlassgericht im Rahmen der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments
nahe, dass die eingeräumte Verfügungsbefugnis zugunsten des Überlebenden
keine erbrechtliche Komponente mit einschloss, sondern sich auf
rechtsgeschäftliche Verfügung beschränkte, wie auch die Weitergabe des
gemeinsamen Vermögens an ihre Söhne nicht nur eine untergeordnete Rolle
gespielt hat.
(3) Entgegen dem Beschwerdevorbringen steht auch der Umstand, dass bis zur
vollständigen Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ein Zeitraum von
ca. sechs Jahren verstrichen ist, der wechselseitigen Abhängigkeit der
Verfügungen der Ehegatten nicht entgegen. Ob im Einzelfall bei einem
Beitritt des anderen Ehegatten erst nach mehreren Jahren angenommen werden
kann, dass die Verfügungen des zuerst Testierenden auch ohne die Verfügungen
des anderen erfolgt wären (vgl. Pfeiffer FamRZ 1993, 1266/1271 im Hinblick
auf die Entscheidung des KG KGJ 51, 82/86), bedarf hier keiner Entscheidung.
Anders als in dem vom KG entschiedenen Sachverhalt, in dem die überlebende
Ehefrau ihren Beitritt zu dem von ihrem Mann errichteten Testament sieben
Jahre später erklärt hatte, als dieser bereits im Sterben lag, erfolgte hier
der Beitritt durch die (später als erste verstorbene) Ehefrau lange vor dem
Tod des Ehemannes. Überdies hat sich der Erblasser, der seine Verfügung
zuerst niedergeschrieben hatte, nach dem Tod seiner Ehefrau gerade auf das
gemeinschaftliche Testament gestützt und in seiner Erläuterung für dessen
Auslegung vor dem Nachlassgericht darauf hingewiesen, dass das Testament von
seiner Ehefrau und ihm einvernehmlich abgefasst worden sei. Es kann deshalb
nicht angenommen werden, dass der Erblasser als der zuerst Testierende seine
Verfügungen auch ohne die Verfügungen seiner Ehefrau getroffen hätte. Im
Übrigen geht es hier darum, ob die Verfügung der später beigetretenen
Ehefrau zugunsten des Ehemannes wechselbezüglich zu dessen Einsetzung der
gemeinsamen Kinder ist.
3. Der Senat teilt auch die Auffassung des Nachlassgerichts, dass
die von der Beschwerdeführerin erklärte Anfechtung nicht durchgreift.
a) Soweit sich die Anfechtungserklärung darauf stützt, dass sich der
Erblasser über die Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung der
gemeinsamen Kinder geirrt habe, hat die Anfechtung bereits deswegen keinen
Erfolg, da ein solcher Irrtum über die Bindungswirkung keinen zur Anfechtung
berechtigenden Inhaltsirrtum im Sinne des § 2078
BGB, sondern lediglich einen unbeachtlichen Rechtsfolgeirrtum darstellt
(vgl. dazu näher OLG München NJW- RR 2011, 1020/1022).
b) Auch die von der Beschwerdeführerin erklärte Anfechtung gemäß §
2079 BGB greift nicht durch. Nach § 2285 BGB, der auf wechselbezügliche
Verfügungen des überlebenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament
entsprechend anwendbar ist (Palandt/Weidlich a. a. O. § 2271 Rn.
32), besteht das Anfechtungsrecht des Dritten im Sinne des § 2079
BGB nicht mehr, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers selbst bereits zur
Zeit des Erbfalls erloschen ist. Dies ist hier der Fall.
aa) Gemäß § 2283 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung durch den Erblasser nur
binnen Jahresfrist, beginnend mit dem Zeitpunkt, in welchem er von dem
Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt (§ 2283 Abs. 2 BGB), erklärt werden, d. h.
er alle Tatsachen kennt, die für die Anfechtung erforderlich sind.
Entscheidend sind hier der Tod der ersten Ehefrau (2.6.1992), die Annahme
der Erbschaft nach ihrem Tode (13.8.1992), die Tatsache der
Wiederverheiratung (4.8.1995) und das Vorhandensein des gemeinschaftlichen
Testaments aus den Jahren 1971/1977 mit der Schlusserbeneinsetzung der
gemeinsamen Kinder. Die Anfechtungsfrist beginnt frühestens mit dem
Zeitpunkt der Wiederverheiratung (§ 2281 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB). Dieser
Zeitpunkt und nicht der der Errichtung des Erbvertrages am 3.12.2008 steht
bezüglich der Kenntnis des Anfechtungsgrundes daher inmitten. Zu
diesem Zeitpunkt hat der überlebende Ehegatte dann Kenntnis von dem
gemeinschaftlichen Testament, wenn er sich daran ohne weitere
Gedächtnishilfe erinneren würde, falls er sich mit der Frage der
Nachlassregelung befassen sollte (BayObLG FamRZ 1995, 1024).
Die Kenntnis fehlt aber dann, wenn das Testament so weit aus der
Erinnerung des Überlebenden entschwunden ist, dass es selbst bei Befassung
mit der Nachlassregelung nicht in dessen Bewusstsein zurückgerufen worden
wäre (BayObLG a. a. O.). Im letztgenannten Fall ist die für den
Fristbeginn erforderliche Kenntnis erst dann gegeben, wenn der
Anfechtungsberechtigte konkret an seine frühere Verfügung erinnert wird.
bb) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist es nach Auffassung des Senats
fernliegend, dass das Vorhandensein des gemeinschaftlichen Testaments, das
er mit seiner ersten Ehefrau errichtet hat, im Zeitpunkt der Heirat mit der
Beschwerdeführerin (4.8.1995) aus der Erinnerung des Erblassers entschwunden
ist. Die erste Ehefrau des Erblassers war erst drei Jahre zuvor am 2.6.1992
vorverstorben. Das mit ihr errichtete gemeinschaftliche Testament war zudem
am 13.8.1992 Gegenstand einer eingehenden Erörterung vor dem Nachlassgericht
über die Auslegung.
cc) Entgegen dem Beschwerdevorbringen lief die Frist ab Wiederverheiratung
des Erblassers selbst dann, sofern er sich im Irrtum über die
Bindungswirkung der wechselseitigen Verfügungen in dem Testament aus den
Jahren 1971/1977 befunden hat. Grundsätzlich hindert nur ein
Tatsachenirrtum des Anfechtungsberechtigten die Kenntnis und damit den
Fristbeginn. Die rechtsirrtümliche Beurteilung eines den Tatsachen nach
richtig erkannten Anfechtungstatbestandes geht hingegen, soweit es sich um
das Anfechtungsrecht und seine Ausübung handelt, zulasten des Berechtigten
(vgl. BGH FamRZ 2011, 1224 m. w. N.).
Dies ist hier der Fall. Der Erblasser hatte Kenntnis von den für den Beginn
der Anfechtungsfrist maßgeblichen Tatsachen. Hinreichende Anhaltspunkte
dafür, dass er irrtümlich annahm, dass die Schlusserbeneinsetzung durch
seine zweite Eheschließung hinfällig war (vgl. dazu BayObLG NJW-RR 1992,
1223) liegen nicht vor. Ein Irrtum über eine Bindungswirkung, über die
Notwendigkeit der Anfechtung oder darüber, dass auch ein gemeinschaftliches
Testament vom Erblasser angefochten werden kann, stellt hingegen lediglich
einen Rechtsirrtum dar, der den Ablauf der Anfechtungsfrist nicht hindert
(Staudinger/Kanzleiter a. a. O. § 2283 Rn. 8).
dd) Die Anfechtungsfrist im Sinne des § 2283 Abs. 1 BGB war somit mit Ablauf
des 5.8.1996 verstrichen und das Anfechtungsrecht des Erblassers erloschen.
Demgemäß konnte auch die Beschwerdeführerin im Jahre 2010 nicht mehr die
Schlusserbeneinsetzung in dem gemeinschaftlichen Testament 1971/1977
anfechten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Es erscheint angemessen,
dass die Beschwerdeführerin die durch ihr erfolgloses Rechtsmittel
entstandenen außergerichtlichen Kosten den Beteiligten zu 2 und 3 erstattet.
Für die Festsetzung des Geschäftswerts des Beschwerdeverfahren ist das
wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführerin maßgeblich (§ 131 Abs. 4, §
30 Abs. 1 KostO). Dieses entspricht der von ihr behaupteten
Alleinerbenstellung abzüglich der Pflichtteilsansprüche der Beteiligten zu 2
und 3, also 3/4 des Reinnachlasswertes. Ausgehend von den Angaben des
Beteiligten zu 2 im Erbscheinsantrag schätzt der Senat den Reinnachlasswert
auf 200.000 €.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
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