Gemeinschaftliches Testament (§§ 2265 ff BGB),
Voraussetzung der Wechselbezüglichkeit (§ 2270 BGB); analoge Anwendung von §
2287 auf beeinträchtigende Schenkungen, Voraussetzungen der
Beeinträchtigungsabsicht
BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 -
IV ZR 72/11
Fundstelle:
NJW-RR 2012, 207
Amtl. Leitsatz:
Ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an
einer Schenkung kann auch dann vorliegen, wenn der Beschenkte ohne
rechtliche Bindung Leistungen - etwa zur Betreuung im weiteren Sinne -
übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung
behandelt Grundfragen des Rechts der gewillkürten Erbfolge in einem geradezu
klausurtypischen Sachverhalt. Es geht um die Schenkung eines Gegenstandes
durch einen Erblasser, der nach dem Tode seines Ehegatten an die
wechselbezügliche Einsetzung der gemeinsamen Kinder (Vermutung der
Wechselbezüglichkeit nach § 2270 II) eine Schenkung an eines der Kinder
gemacht hat. Nach dem Erbfall macht das andere Kind einen Anspruch aus §§
2287, 818 BGB gegen den Beschenkten geltend. Die analoge Anwendung dieser
für den Erbvertrag geltenden Regelung ist seit langem anerkannt (s.
BGHZ 82, 257). Hier geht es jetzt zentral um
die Frage der Beeinträchtigungsabsicht. Von Interesse sind auch die
Ausführungen des Senats zur Frage einer nur teilweisen Rückforderung bei Tz.
14. S. dazu auch BGH v.
20.11.2013 - IV ZR 54/13 (Anwendung von § 822 BGB gegen den
Zweitbeschenkten).
©sl 2011
Gründe:
1 I. Die Klägerin begehrt vom Beklagten, ihrem Bruder,
Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück. Die
Eltern der Parteien errichteten am 20. Februar 1986 ein gemeinschaftliches
Testament, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten sowie
bestimmten, Erben des Überlebenden von ihnen sollten ihre gemeinschaftlichen
Kinder sein. Nach dem Tod des Vaters errichtete die Erblasserin, die Mutter
der Parteien, am 18. Januar 2005 ein Testament mit folgendem Inhalt:
"Ich, Regina P. , vermache mein Haus mit Grundstück ... meinem Sohn Klaus
P.....
Meine Tochter Doris P. ... hat als Erbvorauszahlung ab 18.12.1984 in bar
einen Betrag von 172.300,- DM erhalten, Belege liegen bei.
Meine Tochter bekommt mein Bargeld auf meinem Sparkonto bei der
Kreissparkasse. ..."
2 Mit Vertrag vom 28. November 2006 übereignete die Erblasserin dem
Beklagten das von ihr bewohnte Hausgrundstück, welches sie von ihren Eltern
geerbt hatte. Die Überlassung an den Beklagten, der den Wert der ihm
gemachten Zuwendung gemäß §§ 2050 ff. BGB nicht zur Ausgleichung bringen
sollte, erfolgte unentgeltlich. § 3 Nr. 7 des Vertrages bestimmt ferner,
dass weitere Gegenleistungen, insbesondere die Vereinbarung von Wart- und
Pflegeleistungen, von den Vertragsteilen trotz Belehrung durch den Notar
nicht gewünscht werden.
3 Die Klägerin verlangt vom Beklagten Übertragung des hälftigen
Miteigentumsanteils an dem Grundstück, weil es sich um eine
beeinträchtigende Schenkung gemäß § 2287 BGB handele. Der Beklagte hat
Hilfswiderklage in Höhe von 42.610,53 € erhoben. Im Falle seiner
Verurteilung stehe ihm jedenfalls ein Gegenanspruch auf Zahlung in Höhe des
Wertes der hälftigen Schenkungen zu, die die Klägerin nach dem Tod des
Vaters in den Jahren 1995 bis 2002 über insgesamt 39.706,06 € erhalten habe.
Hinzu komme die Hälfte des Kontovermögens der Erblasserin von 45.515 €,
welches an die Klägerin geflossen sei.
4 Das Landgericht hat der Klage und der Hilfswiderklage stattgegeben. Das
Berufungsgericht hat die nur vom Beklagten eingelegte Berufung
zurückgewiesen.
5 II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Parteien seien als Erben zu
gleichen Teilen bedacht worden. Die Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder
sei nicht nur für den Vater, sondern auch für die Mutter der Parteien
wechselbezüglich und damit bindend gewesen. Allein der Umstand, dass die
Vermögensverhältnisse der Eltern der Parteien unterschiedlich gewesen seien
und das Hausgrundstück der Mutter gehört habe, zwinge nicht zur Verneinung
der Wechselbezüglichkeit. Der Klägerin stehe auch gemäß § 2287 BGB ein
Anspruch auf Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils zu. Die
Voraussetzungen für ein lebzeitiges Eigeninteresse der Mutter der Parteien
an der Begünstigung des Beklagten lägen nicht vor, da in § 3 Nr. 7 des
Vertrages ausdrücklich festgehalten worden sei, dass Wart- und
Pflegeleistungen nicht gewünscht seien. Ob die Klägerin selbst Vorempfänge
erhalten habe, sei im Rahmen des Anspruchs aus § 2287 BGB unerheblich. Sein
Zweck sei es vielmehr, zunächst die Situation zu bereinigen, die durch die
beeinträchtigende Schenkung entstanden sei.
6 III. Die Stattgabe der Klage ohne Beweisaufnahme verletzt den Anspruch des
Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in
entscheidungserheblicher Weise.
7 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass
der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Übertragung des hälftigen
Miteigentumsanteils an dem Wohnhausgrundstück gemäß § 2287 Abs. 1 i.V.m. §§
818 ff. BGB zustehen könnte. Die Regelung ist auf wechselbezügliche
letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, das nach dem
Tod des erstverstorbenen Ehegatten unwiderruflich geworden ist, entsprechend
anzuwenden (Senatsurteil vom 26. November 1975 - IV ZR 138/74, BGHZ
66, 8, 15).
8 Ohne Erfolg greift der Beklagte hierbei die Feststellungen des
Berufungsgerichts an, dass die Erbeinsetzung der Parteien durch die
Erblasserin wechselbezüglich zu ihrer Erbeinsetzung durch
ihren Ehemann i.S. von § 2270 Abs. 1 BGB ist. Zwar kann der Umstand,
dass ein Ehegatte über ein wesentlich größeres Vermögen verfügt als der
andere, bei der Auslegung dazu führen, dass die Schlusserbeneinsetzung durch
den vermögenden Ehegatten nicht wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung durch
den vorverstorbenen vermögenslosen Ehegatten ist, weil der vermögende
Ehegatte an der eigenen Erbeinsetzung durch seinen vermögenslosen Ehegatten
häufig kein Interesse hat, sondern seine Freiheit behalten will, wen er als
Schlusserben einsetzt (RGZ 116, 148, 150; OLG Celle FamRZ 2003,
887, 888; OLG Brandenburg FamRZ 1999, 1541, 1543; BayObLG ZEV 1994, 362,
364; FamRZ 1984, 1154, 1155; OLG Hamm ZEV 1995, 146, 147; OLG Saarbrücken
FamRZ 1990, 1285, 1286).
9 Der Beklagte hat hierzu geltend gemacht, die Erblasserin sei
Alleineigentümerin des Hausgrundstücks gewesen, während sonstiges
wesentliches Kapitalvermögen der Eltern nicht vorhanden gewesen sei. Das
Berufungsgericht hat die unterschiedlichen Vermögensverhältnisse der
Eheleute aber durchaus gesehen. Ferner hat es erkannt, dass unterschiedliche
Vermögensverhältnisse nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die
Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung durch den vermögenden
Ehegatten mit der eigenen Erbeinsetzung durch den vermögenslosen Ehegatten
verneint werden müsste (vgl. OLG Hamm aaO; BayObLG aaO). Soweit sich das
Berufungsgericht auf dieser Grundlage die Überzeugung gebildet hat, dass
trotz unterschiedlicher Vermögensverhältnisse Wechselbezüglichkeit bestehe,
ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat hiergegen
nichts Durchgreifendes vorgebracht.
10 2. Unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör
(Art.103 Abs. 1 GG) hat das Berufungsgericht sodann allerdings ohne
Beweisaufnahme angenommen, dass die Voraussetzungen für ein lebzeitiges
Eigeninteresse der Erblasserin an der Begünstigung des Beklagten nicht
vorgelegen haben.
11 a) Gemäß § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe (bzw. bei einem
gemeinschaftlichen Testament der Schlusserbe), nachdem ihm die Erbschaft
angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den
Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung
fordern, wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertrags- bzw. Schlusserben
zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat. Da die
Benachteiligungsabsicht mit der Absicht, den Beschenkten zu begünstigen,
meist untrennbar verbunden ist, wäre sie - von Ausnahmefällen abgesehen - in
einer solchen Lage praktisch immer gegeben (vgl.
Senatsurteil vom 5. Juli 1972 - IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343, 350).
Dennoch greift die Vorschrift nicht zwangsläufig bei jeder Schenkung ein.
Erforderlich ist vielmehr, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu
lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liegt nicht
vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm
vorgenommenen Schenkung hatte (Senat aaO; ferner Senatsurteile vom
23. April 1986 - IVa ZR 97/85, FamRZ 1986, 980 unter III 3; vom 23.
September 1981 - IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 282;
vom 26. November 1975 aaO). Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist
anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung
in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der
erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint
(Senatsurteil vom 12. Juni 1980 - IVa ZR 5/80, BGHZ 77, 264, 266).
Ein derartiges Interesse kommt etwa dann in Betracht, wenn es dem
Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht
(Senatsurteile vom 27. Januar 1982 - IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44,
46; vom 23. September 1981 - IVa ZR 185/80, NJW 1982, 43 unter 3; vom 26.
November 1975 aaO 16) oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer
sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die
ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will
(Senatsurteile vom 27. Januar 1982 und vom 26. November 1975 je aaO).
Beweispflichtig für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges
Eigeninteresse ist der Vertrags- bzw. Schlusserbe (Senatsurteil vom
23. September 1981 aaO).
12 b) Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, das Fehlen eines
lebzeitigen Eigeninteresses ergebe sich aus der Regelung in § 3 Nr. 7 des
Überlassungsvertrages, wonach Wart- und Pflegeleistungen nicht gewünscht
seien. Hierbei verkennt es aber, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse
des Erblassers an einer Schenkung auch dann vorliegen kann, wenn der
Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen - etwa zur Betreuung im
weiteren Sinne - übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft
vornehmen will. Im Falle der Übernahme einer rechtlichen Verpflichtung zu
Gegenleistungen handelt es sich hingegen bereits nicht mehr um eine
Schenkung i.S. des § 2287 Abs. 1 BGB (vgl. Musielak in MünchKomm,
BGB 5. Aufl. § 2287 Rn. 12, 18).
13 Hier hat der Beklagte im Einzelnen und unter Beweisantritt vorgetragen,
dass er für die Erblasserin in den Jahren 1986 bis 2009 zahlreiche
Leistungen erbracht habe, die er selbst mit einem Wert von 93.887,08 €
bemisst. Hierbei geht es um den Winterdienst, Gartenpflege mit Rasenmähen,
Heckenschnitt etc. sowie die monatliche Fahrt zum Großeinkauf im Zeitraum
von 1986 bis Februar 2009, das wöchentliche Besorgen des Haushalts (Putzen,
Staubsaugen, Betten abziehen) nach der Erkrankung der Erblasserin ab 2003,
wöchentliche Einkäufe und Botengänge für die Erblasserin ab 2004 sowie die
Übernahme sämtlicher Fahrdienste. Über den Umfang dieser von der Klägerin
bestrittenen Leistungen des Beklagten und den hierzu mit der Erblasserin
getroffenen Übereinkünften muss Beweis erhoben werden. Ein lebzeitiges
Eigeninteresse der Erblasserin kann insbesondere auch dann in Betracht
kommen, wenn der Beschenkte sich um Haus, Garten, Einkäufe, Reinigung etc.
kümmert, zumal die Erblasserin gerade ein Interesse daran hatte, dass sie in
dem Haus wohnen bleiben kann und es als Familienbesitz erhalten wird.
14 c) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass ein
lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten
Schenkungsgegenstand angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen
Teil der Schenkung zu rechtfertigen und insoweit einen Missbrauch der
lebzeitigen Verfügungsmacht auszuschließen vermag. Die sich dann
stellende Frage, ob der Vertrags- bzw. Schlusserbe Übereignung des
Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung des Betrages verlangen kann, bis zu dem
er die Schenkung hinnehmen muss, oder ob er nur Zahlung des Betrages
beanspruchen kann, der dem Teilwert der Schenkung entspricht, ist
entsprechend den Grundsätzen zu beantworten, die für die gemischte Schenkung
entwickelt wurden (Senatsurteil vom 12. Juni 1980 aaO 271 f.).
Das geschenkte Grundstück kann hiernach nur bei entsprechender
Zug-um-Zug-Leistung herausverlangt werden, wenn die Schenkung überwiegend
nicht anzuerkennen ist, wenn also derjenige Wertanteil der Schenkung, der
hinzunehmen ist, geringer wiegt als der nach § 2287 BGB auszugleichende
überschießende Anteil. Hierbei ist allerdings keine rein rechnerische
Gegenüberstellung des Wertes der vom Beklagten erbrachten Leistungen mit dem
Wert des Grundstücks vorzunehmen. Vielmehr hat auch unter Berücksichtigung
des Umstandes, dass Leistungen noch in Zukunft erfolgen sollten und der
Erblasser sich ihm erbrachte oder zu erbringende Leistungen "etwas kosten
lassen darf", eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen (OLG
Oldenburg FamRZ 1992, 1226, 1227; Palandt/Weidlich, BGB 70. Aufl. § 2325 Rn.
9).
15 3. Sollte hiernach ein Anspruch der Klägerin in Betracht kommen, so ist
dieser unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie selbst Vorempfänge
erhalten hat, die im Falle einer Nachlassauseinandersetzung nach §§ 2050 ff.
BGB berücksichtigt werden müssten. Der Anspruch aus § 2287 BGB
stellt einen rein persönlichen Anspruch des Vertrags- bzw. Schlusserben dar
und fällt nicht in den Nachlass (vgl. Senatsurteile vom 4. März
1992 - IV ZR 309/90, FamRZ 1992, 665 unter 3 d; vom 21. Juni 1989 - IVa ZR
302/87, NJW 1989, 2389 unter 4; vom 28. September 1983 - IVa ZR 168/82, BGHZ
88, 269, 271; vom 3. Juli 1980 - IVa ZR 38/80, BGHZ 78, 1, 3). Der
Anspruch aus § 2287 BGB darf deshalb nicht in die Auseinandersetzung des
Nachlasses hineingezogen werden. Insbesondere kann der Beschenkte die
Herausgabe des Geschenks nicht mit der Begründung verweigern, dass der
Vertrags- bzw. Schlusserbe selbst Vorempfänge erhalten habe und nach § 2050
BGB ausgleichspflichtig sei. Derartige Ausgleichspflichten sind
erst im Rahmen der Erbauseinandersetzung vorzunehmen und nicht vorweg beim
Anspruch aus § 2287 BGB.
16 IV. Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob eine etwaige
Änderung des landgerichtlichen Urteils Auswirkungen auf die erhobene
Hilfswiederklage haben kann.
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