BGH NJW 1997, 2233 ff: Annahme nach § 151 S. 1 BGB



1. Schickt der Bürge seine schriftliche Bürgschaftserklärung dem abwesenden Gläubiger zu, ist es regelmäßig als Bestätigung der Annahmewillens anzusehen, wenn der Gläubiger, der zuvor die Übernahme der Bürgschaft verlangt hatte, die Urkunde behält.
2. Zur Zeitbürgschaft für Ratenzahlungen.

Zum Erlöschen des Angebots wg. Zeitablaufs (§ 151 S. 2 BGB) vgl. BGH NJW 1999, 2179


Zum Sachverhalt:

Die Kl. und ihre Mutter, Frau W (im folgenden auch: Verkäuferinnen), hielten je zur Hälfte die Anteile der Gewürzmühle Les E d I-S.a.r.l., I. (F.). Mit Vertrag vom 31. 3. 1993 veräußerten sie ihre Anteile zum Gesamtpreis von 4,5 Mio. Französischer Francs (FF) an R. Vom Kaufpreis waren 2 Mio. FF bei Übergabe zahlbar, der Rest in fünf halbjährlichen Raten von jeweils 500000 FF, beginnend mit dem 1. 7. 1993 und endend mit dem 30. 6. 1995. Gem. § 3.2 .2 des Kaufvertrags war der Kaufpreis auf ein Konto der Frau W zu zahlen. Nach § 3.1 .1 hatte der Käufer wegen der nach der Übergabe zu zahlenden Kaufpreisraten die Bürgschaft einer deutschen Bank beizubringen. Gem. § 14 unterlag der Kaufvertrag dem französischen Recht. Die verkl. Sparkasse gab unter dem 3. 6. 1993 eine schriftliche Bürgschaftserklärung "gegenüber den Verkäuferinnen". Darin heißt es, daß die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft spätestens 14 Tage nach Fälligkeit der jeweiligen Raten bei der Bekl. vorliegen müsse. Die Bürgschaft wurde außerdem bis zum 14. 7. 1995 befristet. Auf sie sollte deutsches Recht anwendbar sein. Die Kl. verlangt von der Bekl. im Urkundenprozeß Zahlung der am 30. 6. und 30. 12. 1994 fälligen, von R aber nicht beglichenen Raten an sich und ihre Mutter. Die Bürgenleistung wegen der Rate vom 30. 6. 1994 wurde von der Kl. erst mit Schreiben vom 12. 9. 1994 verlangt.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Verkäuferinnen das Vertragsangebot der Bekl., das in der Übersendung ihrer Bürgschaftserklärung gesehen werden könne, nicht (rechtzeitig) angenommen hätten. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, daß die Klagesumme auf das im Kaufvertrag angegebene Konto der Frau W zu zahlen ist. Mit ihrer Revision erstrebte die Bekl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Im Wege der Anschlußrevision begehrte die Kl. die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung an die Kl. und ihre Mutter. Die Revision war teilweise begründet; die Anschlußrevision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat ausgeführt, die Kl. könne Leistung an sich und ihre Mutter verlangen. Beide seien Gesamtgläubiger i.S. von § 432 BGB, nicht Gesamthandsgläubiger. Die Regelung in Nr. 3.2 des Kaufvertrags betreffe lediglich die Form der Zahlung. Für die Annahme der von der Bekl. abgegebenen Bürgschaftserklärung habe es keines urkundlichen Nachweises bedurft; jene sei stillschweigend erfolgt. Der Anspruch wegen Nichtzahlung der zum 30. 6. 1994 fällig gewordenen Rate scheitere nicht daran, daß diese nicht innerhalb von 14 Tagen geltend gemacht worden sei.
II. Diese Ausführungen halten - wie die Revision zu Recht geltend macht - einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
1. Allerdings ist dem BerGer. darin zu folgen, daß der Bürgschaftsvertrag wirksam zustande gekommen und die Kl. daraus berechtigt ist.
a) Die von der Bekl. unter dem 3. 6. 1993 abgegebene Bürgschaftserklärung stellte sich als Angebot auf Abschluß eines Bürgschaftsvertrags nach deutschem Recht dar (§ 145 BGB). Das Angebot war nach seinem klaren Wortlaut an "die Verkäuferinnen" - also an die Kl. und ihre Mutter - gerichtet. Daß es in § 3.1 .1 des Kaufvertrags hieß, die Mutter erhalte eine Bankbürgschaft, besagt nicht, daß jene allein Adressatin des Bürgschaftsangebots war. Denn die genannte Bestimmung des Kaufvertrags verpflichtete den Käufer allenfalls dazu, eine Bürgschaft beizubringen, legte deren Inhalt aber noch nicht fest.
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist dieses Angebot von den Adressaten angenommen worden. Gem. § 151 S. 1 BGB kann ein Vertrag durch die Annahme des Antrags zustande kommen, ohne daß die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist. Das vom Bürgen erklärte Angebot zur Übernahme einer Bürgschaft bedarf danach regelmäßig keiner Erklärung der Annahme gegenüber dem Antragenden (vgl. - für den Schuldbeitritt - BGH, NJW-RR 1994, 280 = LM H. 4/1994 HOAI Nr. 23 = WM 1994, 303 (305)). Zwar ist auch im Falle des § 151 BGB eine nach außen hervortretende, eindeutige Betätigung des Annahmewillens erforderlich (BGHZ 74, 352 (356) = NJW 1979, 2143 = LM § 662 BGB Nr. 21; BGHZ 111, 97 (101) = NJW 1990, 1655 = LM § 151 BGB Nr. 16; vgl. auch BGH, WM 1977, 996 (997)). Diese kann aber, falls die Bürgschaftsurkunde unter Anwesenden übergeben wird, in deren Entgegennahme gesehen  werden (BGH, WM 1978, 1065 (1066); Staudinger/Horn, BGB, 12. Aufl., § 766 Rdnr. 18; Pecher, in: MünchKomm, § 766 Rdnr. 18; Soergel/Mühl, BGB, 11. Aufl., § 766 Rdnr. 1). Wird die Bürgschaftsurkunde dem abwesenden Gläubiger zugeschickt, reicht es als Betätigung des Annahmewillens regelmäßig aus, daß der Gläubiger, der zuvor eine Bürgschaft verlangt hatte, die Urkunde behalten hat. Dies läßt nach der Lebenserfahrung darauf schließen, daß er mit der ihm zugegangenen Bürgschaftserklärung einverstanden ist.
2. Ferner ist im Ergebnis der Annahme des BerGer. zuzustimmen, die Kl. sei allein zur klageweisen Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs befugt.
a) Eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung kommt - entgegen der Ansicht der Revision - schon deshalb nicht in Betracht, weil Inhaber der verkauften Anteile nicht eine Gesellschaft war. Inhaber der Anteile und deren Verkäufer waren nach den §§ 1, 2 des Kaufvertrags die Kl. und deren Mutter. Die Frage, ob anstelle der Kl. eine Gesellschaft hätte klagen müssen und ob die Kl. diese nach französischem Recht allein hätte vertreten oder ob die Kl. gar an deren Stelle den Bürgschaftsanspruch als Prozeßstandschafter hätte geltend machen können, stellt sich mithin nicht.
b) Offenbleiben kann auch, nach welcher Rechtsordnung in Fällen der Mitgläubigerschaft zu beurteilen ist, wer den Bürgschaftsanspruch geltend machen darf, wenn - wie hier - das Bürgschaftsstatut deutschen und das Statut der Hauptschuld französischem Recht unterliegt. Denn nach beiden Rechtsordnungen kann jeder Gläubiger Leistung an alle fordern. Nach deutschem Recht regeln die §§ 428ff. . BGB, wer berechtigt ist, die Bürgschaftsforderung geltend zu machen. Da der gemeinschaftliche Verwendungszweck der Bürgenleistung - die Absicherung des ungeteilten Kaufpreisanspruchs - eine rechtliche Unteilbarkeit begründet (vgl. BGHZ 106, 122 (126) = NJW 1989, 1221 = LM § 1 LwVG Nr. 8; BGHZ 115, 253 (258) = NJW 1992, 182 = LM H. 3/1993 § 43 WohnungseigentumsG Nr. 16; BGH, NJW 1992, 2817 (2818) = LM H. 2/1993 § 133 (C) BGB Nr. 78), kann die Kl. als Mitgläubigerin (§ 432 BGB) von der Bekl. Leistung an beide Gläubigerinnen verlangen.

Auch nach französischem Recht, das mangels entsprechender Feststellungen des BerGer. vom RevGer. selbst festgestellt werden kann (vgl. § 565 IV ZPO; BGHZ 118, 151 (168) = NJW 1992, 2026 = LM H. 10/1992 § 106 KO Nr. 9; BGHZ 118, 312 (319) = NJW 1992, 3096 = LM H. 2/1993 § 328 ZPO Nr. 38/39/40; BGHZ 122, 373 (378, 384) = NJW 1993, 2312 = LM H. 12/1993 § 237 KO Nr. 6; BGH, NJW 1997, 657 = LM H. 3/1997 § 237 KO Nr. 9 = WM 1997, 178 (179) z. Veröff. bestimmt in BGHZ), darf die Kl. die Gesamtforderung allein geltend machen. Unerheblich ist dabei, ob der Anspruch als teilbar anzusehen ist oder nicht (vgl. Art. 1217f. . Code Civil). Handelt es sich um eine teilbare Forderung, ist jeder Gläubiger - teils aus eigenem Recht, teils aufgrund eines gesetzlich geregelten Vertretungsverhältnisses - zur Geltendmachung der gesamten Forderung berechtigt (Solidarité active, Art. 1197 Code Civil, vgl. Ferid, Das Französische ZivilR I, 1971, S. 562 (2 E 97); Lange, Die Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern im deutschen u. französischen  Recht, Diss. München 1963, S. 15ff., 18). Ist die Forderung unteilbar, kann jeder der mehreren Gläubiger aufgrund einer Gesamtberechtigung den ganzen Anspruch geltend machen (Indivision, Art. 1224f. . Code Civil; vgl. Ferid, S. 564 (2 E 110); Lange, S. 96f.; ferner: Ghestin/Desché, Traité des contrats, La vente, 1990, S. 1091).
3. Indes hat das BerGer. die Bekl. zu Unrecht für die am 30. 6. 1994 fällig gewordene Kaufpreisrate aus der Bürgschaft haften lassen. Das BerGer. hat gemeint, die Vertragsklausel, wonach die schriftliche Inanspruchnahme aus der Bürgschaft der Bürgin jeweils spätestens 14 Tage nach Fälligkeit der Kaufpreisraten habe vorliegen müssen, bringe nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß sich die Bekl. über diese Frist hinaus nicht an ihre Bürgschaft habe gebunden halten wollen. Wenn die Bekl. habe erklären wollten, daß die Bürgschaft für jede Kaufpreisrate lediglich "auf Zeit" gelte, hätte sie - zumal im Hinblick auf die endgültige Befristung zum 14. 7. 1995 - deutlicher machen müssen, daß ihre Einstandspflicht für eine jede Rate erlösche, falls diese nicht binnen 14 Tagen geltend gemacht werde.
Diese Auslegung des BerGer. ist für den Senat nicht bindend, weil dabei allgemein anerkannte Auslegungsregeln unbeachtet geblieben sind (vgl. BGH, NJW 1992, 1446 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr. 81; NJW 1994, 2228 (2229) = LM H. 1/1995 § 249 (A) BGB Nr. 106; NJW 1995, 959 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 97 m.w.Nachw.). Sie verstößt gegen den anerkannten Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1203 (1204); NJW 1994, 2228 (2229) = LM H. 1/1995 § 249 (A) BGB Nr. 106). Da die Bürgschaft in einem Individualvertrag vereinbart worden ist, hat die Auslegung darauf abzustellen, wie jeder Vertragspartner den objektiven Wert der Erklärung des anderen Teils nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen mußte (BGH, NJW 1992, 146 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr. 81; NJW 1996, 375 = LM H. 5/1996 StBGebV Nr. 1 = WM 1996, 73 (74)). Wird eine Bürgschaft für eine Forderung übernommen, die im Zeitpunkt der Verbürgung "schon abgeschlossen vorliegt", ist eine zeitliche Begrenzung im allgemeinen dahin zu verstehen, daß es sich um eine Zeitbürgschaft  handelt (BGHZ 91, 349 (351) = NJW 1984, 2461 = LM § 777 BGB Nr. 6; BGHZ 99, 288 (290) = NJW 1987, 1760 = LM § 777 BGB Nr. 8; BGH, NJW 1988, 908 = LM § 777 BGB Nr. 9; WM 1988, 210 (211); NJW 1989, 1856 (1857) = LM § 777 BGB Nr. 10). Eine derartige zeitliche Begrenzung liegt insbesondere dann vor, wenn die Bürgschaft innerhalb einer bestimmten Frist nach Eintritt der Fälligkeit der Hauptforderung geltend gemacht werden muß. Dies war hier mit der Klausel "Inanspruchnahme aus der Bürgschaft jeweils innerhalb von 14 Tagen" vereinbart. Die vom BerGer. vermißte Rechtsfolge der nicht fristgemäßen Inanspruchnahme braucht nicht vertraglich festgelegt zu werden; sie ergibt sich aus § 777 I BGB. Die im vorliegenden Fall vorgenommene Befristung der Bürgschaft bis zum 14. 7. 1995 läßt sich nicht dahin auslegen, daß die Verkäuferinnen die Bürgschaft für eine jede der fünf Kaufpreisraten bis zu diesem Zeitpunkt geltend machen durften. Vielmehr bezieht sich der Endtermin "14. Juli 1995" ersichtlich nur auf die letzte, am 30. 6. 1995 fällig werdende  Kaufpreisrate. Bezöge er sich auf alle Raten, ergäbe die Klausel "Inanspruchnahme jeweils innerhalb von 14 Tagen" keinen Sinn.
Die Bürgschaftsgläubigerinnen hätten deshalb nach Eintritt der Fälligkeit der dritten Rate des Restkaufpreises am 30. 6. 1994 die Bürgenleistung bis zum 14. 7. 1994 in Anspruch nehmen müssen. Sie haben dies jedoch erst mit Schreiben vom 12. 9. 1994 - somit verspätet - getan. Damit ist die Bekl. insoweit von der Bürgenschuld freigeworden.
4. Das angefochtene Urteil ist in dem entsprechenden Umfang aufzuheben (§ 564 I ZPO). Da der Rechtsstreit auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts zur Entscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 III 1 ZPO). Im Hinblick auf Bedenken, welche die Revision gegenüber der zweitinstanzlichen Kostenentscheidung geäußert hat, weist der Senat darauf hin, daß der Vorbehalt gem. § 599 I ZPO im Beurkundungsprozeß kein Teilunterliegen bedeutet (Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 599 Rdnr. 3).
III. Die Anschlußrevision hat keinen Erfolg. Das BerGer. ist der Kl. darin gefolgt, daß sie und ihre Mutter Mitgläubiger i.S. des § 432 BGB sind. Es hat lediglich angenommen, daß das Konto der Frau W "Zahlstelle" auch für die Bürgschaftsforderung sei. Diese Auslegung ist vertretbar und somit für das RevGer. bindend.



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