Zum Erlöschen des Angebots wg. Zeitablaufs (§ 151 S. 2 BGB)
vgl. BGH NJW 1999, 2179
Zum Sachverhalt:
Die Kl. und ihre Mutter, Frau W (im folgenden auch: Verkäuferinnen),
hielten je zur Hälfte die Anteile der Gewürzmühle Les E
d I-S.a.r.l., I. (F.). Mit Vertrag vom 31. 3. 1993 veräußerten
sie ihre Anteile zum Gesamtpreis von 4,5 Mio. Französischer Francs
(FF) an R. Vom Kaufpreis waren 2 Mio. FF bei Übergabe zahlbar, der
Rest in fünf halbjährlichen Raten von jeweils 500000 FF, beginnend
mit dem 1. 7. 1993 und endend mit dem 30. 6. 1995. Gem. § 3.2 .2 des
Kaufvertrags war der Kaufpreis auf ein Konto der Frau W zu zahlen. Nach
§ 3.1 .1 hatte der Käufer wegen der nach der Übergabe zu
zahlenden Kaufpreisraten die Bürgschaft einer deutschen Bank beizubringen.
Gem. § 14 unterlag der Kaufvertrag dem französischen Recht. Die
verkl. Sparkasse gab unter dem 3. 6. 1993 eine schriftliche Bürgschaftserklärung
"gegenüber den Verkäuferinnen". Darin heißt es, daß
die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft spätestens 14 Tage nach
Fälligkeit der jeweiligen Raten bei der Bekl. vorliegen müsse.
Die Bürgschaft wurde außerdem bis zum 14. 7. 1995 befristet.
Auf sie sollte deutsches Recht anwendbar sein. Die Kl. verlangt von der
Bekl. im Urkundenprozeß Zahlung der am 30. 6. und 30. 12. 1994 fälligen,
von R aber nicht beglichenen Raten an sich und ihre Mutter. Die Bürgenleistung
wegen der Rate vom 30. 6. 1994 wurde von der Kl. erst mit Schreiben vom
12. 9. 1994 verlangt.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Verkäuferinnen das Vertragsangebot
der Bekl., das in der Übersendung ihrer Bürgschaftserklärung
gesehen werden könne, nicht (rechtzeitig) angenommen hätten.
Auf die Berufung der Kl. hat das OLG der Klage mit der Maßgabe stattgegeben,
daß die Klagesumme auf das im Kaufvertrag angegebene Konto der Frau
W zu zahlen ist. Mit ihrer Revision erstrebte die Bekl. die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils. Im Wege der Anschlußrevision begehrte
die Kl. die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung an die Kl. und ihre Mutter.
Die Revision war teilweise begründet; die Anschlußrevision hatte
keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat ausgeführt, die Kl. könne Leistung an sich
und ihre Mutter verlangen. Beide seien Gesamtgläubiger i.S. von §
432 BGB, nicht Gesamthandsgläubiger. Die Regelung in Nr. 3.2 des Kaufvertrags
betreffe lediglich die Form der Zahlung. Für die Annahme der von der
Bekl. abgegebenen Bürgschaftserklärung habe es keines urkundlichen
Nachweises bedurft; jene sei stillschweigend erfolgt. Der Anspruch wegen
Nichtzahlung der zum 30. 6. 1994 fällig gewordenen Rate scheitere
nicht daran, daß diese nicht innerhalb von 14 Tagen geltend gemacht
worden sei.
II. Diese Ausführungen halten - wie die Revision zu Recht geltend
macht - einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt
nicht stand.
1. Allerdings ist dem BerGer. darin zu folgen, daß der Bürgschaftsvertrag
wirksam zustande gekommen und die Kl. daraus berechtigt ist.
a) Die von der Bekl. unter dem 3. 6. 1993 abgegebene Bürgschaftserklärung
stellte sich als Angebot auf Abschluß eines Bürgschaftsvertrags
nach deutschem Recht dar (§ 145 BGB). Das Angebot war nach seinem
klaren Wortlaut an "die Verkäuferinnen" - also an die Kl. und ihre
Mutter - gerichtet. Daß es in § 3.1 .1 des Kaufvertrags hieß,
die Mutter erhalte eine Bankbürgschaft, besagt nicht, daß jene
allein Adressatin des Bürgschaftsangebots war. Denn die genannte Bestimmung
des Kaufvertrags verpflichtete den Käufer allenfalls dazu, eine Bürgschaft
beizubringen, legte deren Inhalt aber noch nicht fest.
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist dieses Angebot von den Adressaten
angenommen worden. Gem. § 151 S. 1 BGB kann ein Vertrag durch die
Annahme des Antrags zustande kommen, ohne daß die Annahme dem Antragenden
gegenüber erklärt zu werden braucht. Dies ist insbesondere dann
der Fall, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht
zu erwarten ist. Das vom Bürgen erklärte Angebot zur Übernahme
einer Bürgschaft bedarf danach regelmäßig keiner Erklärung
der Annahme gegenüber dem Antragenden (vgl. - für den Schuldbeitritt
- BGH, NJW-RR 1994, 280 = LM H. 4/1994 HOAI Nr. 23 = WM 1994, 303 (305)).
Zwar ist auch im Falle des § 151 BGB eine nach außen hervortretende,
eindeutige Betätigung des Annahmewillens erforderlich (BGHZ 74, 352
(356) = NJW 1979, 2143 = LM § 662 BGB Nr. 21; BGHZ 111, 97 (101) =
NJW 1990, 1655 = LM § 151 BGB Nr. 16; vgl. auch BGH, WM 1977, 996
(997)). Diese kann aber, falls die Bürgschaftsurkunde unter Anwesenden
übergeben wird, in deren Entgegennahme gesehen werden (BGH,
WM 1978, 1065 (1066); Staudinger/Horn, BGB, 12. Aufl., § 766 Rdnr.
18; Pecher, in: MünchKomm, § 766 Rdnr. 18; Soergel/Mühl,
BGB, 11. Aufl., § 766 Rdnr. 1). Wird die Bürgschaftsurkunde dem abwesenden
Gläubiger zugeschickt, reicht es als Betätigung des Annahmewillens regelmäßig
aus, daß der Gläubiger,
der zuvor eine Bürgschaft verlangt hatte, die Urkunde behalten hat.
Dies läßt nach der Lebenserfahrung darauf schließen, daß
er mit der ihm zugegangenen Bürgschaftserklärung einverstanden
ist.
2. Ferner ist im Ergebnis der Annahme des BerGer. zuzustimmen, die
Kl. sei allein zur klageweisen Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs
befugt.
a) Eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung kommt - entgegen der
Ansicht der Revision - schon deshalb nicht in Betracht, weil Inhaber der
verkauften Anteile nicht eine Gesellschaft war. Inhaber der Anteile und
deren Verkäufer waren nach den §§ 1, 2 des Kaufvertrags
die Kl. und deren Mutter. Die Frage, ob anstelle der Kl. eine Gesellschaft
hätte klagen müssen und ob die Kl. diese nach französischem
Recht allein hätte vertreten oder ob die Kl. gar an deren Stelle den
Bürgschaftsanspruch als Prozeßstandschafter hätte geltend
machen können, stellt sich mithin nicht.
b) Offenbleiben kann auch, nach welcher Rechtsordnung in Fällen
der Mitgläubigerschaft zu beurteilen ist, wer den Bürgschaftsanspruch
geltend machen darf, wenn - wie hier - das Bürgschaftsstatut deutschen
und das Statut der Hauptschuld französischem Recht unterliegt. Denn
nach beiden Rechtsordnungen kann jeder Gläubiger Leistung an alle
fordern. Nach deutschem Recht regeln die §§ 428ff. . BGB, wer
berechtigt ist, die Bürgschaftsforderung geltend zu machen. Da der
gemeinschaftliche Verwendungszweck der Bürgenleistung - die Absicherung
des ungeteilten Kaufpreisanspruchs - eine rechtliche Unteilbarkeit begründet
(vgl. BGHZ 106, 122 (126) = NJW 1989, 1221 = LM § 1 LwVG Nr. 8; BGHZ
115, 253 (258) = NJW 1992, 182 = LM H. 3/1993 § 43 WohnungseigentumsG
Nr. 16; BGH, NJW 1992, 2817 (2818) = LM H. 2/1993 § 133 (C) BGB Nr.
78), kann die Kl. als Mitgläubigerin (§ 432 BGB) von der Bekl.
Leistung an beide Gläubigerinnen verlangen.
Auch nach französischem Recht, das mangels entsprechender Feststellungen
des BerGer. vom RevGer. selbst festgestellt werden kann (vgl. § 565
IV ZPO; BGHZ 118, 151 (168) = NJW 1992, 2026 = LM H. 10/1992 § 106
KO Nr. 9; BGHZ 118, 312 (319) = NJW 1992, 3096 = LM H. 2/1993 § 328
ZPO Nr. 38/39/40; BGHZ 122, 373 (378, 384) = NJW 1993, 2312 = LM H. 12/1993
§ 237 KO Nr. 6; BGH, NJW 1997, 657 = LM H. 3/1997 § 237 KO Nr.
9 = WM 1997, 178 (179) z. Veröff. bestimmt in BGHZ), darf die Kl.
die Gesamtforderung allein geltend machen. Unerheblich ist dabei, ob der
Anspruch als teilbar anzusehen ist oder nicht (vgl. Art. 1217f. . Code
Civil). Handelt es sich um eine teilbare Forderung, ist jeder Gläubiger
- teils aus eigenem Recht, teils aufgrund eines gesetzlich geregelten Vertretungsverhältnisses
- zur Geltendmachung der gesamten Forderung berechtigt (Solidarité
active, Art. 1197 Code Civil, vgl. Ferid, Das Französische ZivilR
I, 1971, S. 562 (2 E 97); Lange, Die Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern
im deutschen u. französischen Recht, Diss. München 1963,
S. 15ff., 18). Ist die Forderung unteilbar, kann jeder der mehreren Gläubiger
aufgrund einer Gesamtberechtigung den ganzen Anspruch geltend machen (Indivision,
Art. 1224f. . Code Civil; vgl. Ferid, S. 564 (2 E 110); Lange, S. 96f.;
ferner: Ghestin/Desché, Traité des contrats, La vente, 1990,
S. 1091).
3. Indes hat das BerGer. die Bekl. zu Unrecht für die am 30. 6.
1994 fällig gewordene Kaufpreisrate aus der Bürgschaft haften
lassen. Das BerGer. hat gemeint, die Vertragsklausel, wonach die schriftliche
Inanspruchnahme aus der Bürgschaft der Bürgin jeweils spätestens
14 Tage nach Fälligkeit der Kaufpreisraten habe vorliegen müssen,
bringe nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß sich die Bekl.
über diese Frist hinaus nicht an ihre Bürgschaft habe gebunden
halten wollen. Wenn die Bekl. habe erklären wollten, daß die
Bürgschaft für jede Kaufpreisrate lediglich "auf Zeit" gelte,
hätte sie - zumal im Hinblick auf die endgültige Befristung zum
14. 7. 1995 - deutlicher machen müssen, daß ihre Einstandspflicht
für eine jede Rate erlösche, falls diese nicht binnen 14 Tagen
geltend gemacht werde.
Diese Auslegung des BerGer. ist für den Senat nicht bindend, weil
dabei allgemein anerkannte Auslegungsregeln unbeachtet geblieben sind (vgl.
BGH, NJW 1992, 1446 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr. 81; NJW 1994, 2228
(2229) = LM H. 1/1995 § 249 (A) BGB Nr. 106; NJW 1995, 959 = LM H.
6/1995 § 765 BGB Nr. 97 m.w.Nachw.). Sie verstößt gegen
den anerkannten Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten
Auslegung (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1203 (1204); NJW 1994, 2228 (2229) =
LM H. 1/1995 § 249 (A) BGB Nr. 106). Da die Bürgschaft in einem
Individualvertrag vereinbart worden ist, hat die Auslegung darauf abzustellen,
wie jeder Vertragspartner den objektiven Wert der Erklärung des anderen
Teils nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen
mußte (BGH, NJW 1992, 146 = LM H. 8/1992 § 765 BGB Nr. 81; NJW
1996, 375 = LM H. 5/1996 StBGebV Nr. 1 = WM 1996, 73 (74)). Wird eine Bürgschaft
für eine Forderung übernommen, die im Zeitpunkt der Verbürgung
"schon abgeschlossen vorliegt", ist eine zeitliche Begrenzung im allgemeinen
dahin zu verstehen, daß es sich um eine Zeitbürgschaft
handelt (BGHZ 91, 349 (351) = NJW 1984, 2461 = LM § 777 BGB Nr. 6;
BGHZ 99, 288 (290) = NJW 1987, 1760 = LM § 777 BGB Nr. 8; BGH, NJW
1988, 908 = LM § 777 BGB Nr. 9; WM 1988, 210 (211); NJW 1989, 1856
(1857) = LM § 777 BGB Nr. 10). Eine derartige zeitliche Begrenzung
liegt insbesondere dann vor, wenn die Bürgschaft innerhalb einer bestimmten
Frist nach Eintritt der Fälligkeit der Hauptforderung geltend gemacht
werden muß. Dies war hier mit der Klausel "Inanspruchnahme aus der
Bürgschaft jeweils innerhalb von 14 Tagen" vereinbart. Die vom BerGer.
vermißte Rechtsfolge der nicht fristgemäßen Inanspruchnahme
braucht nicht vertraglich festgelegt zu werden; sie ergibt sich aus §
777 I BGB. Die im vorliegenden Fall vorgenommene Befristung der Bürgschaft
bis zum 14. 7. 1995 läßt sich nicht dahin auslegen, daß
die Verkäuferinnen die Bürgschaft für eine jede der fünf
Kaufpreisraten bis zu diesem Zeitpunkt geltend machen durften. Vielmehr
bezieht sich der Endtermin "14. Juli 1995" ersichtlich nur auf die letzte,
am 30. 6. 1995 fällig werdende Kaufpreisrate. Bezöge er
sich auf alle Raten, ergäbe die Klausel "Inanspruchnahme jeweils innerhalb
von 14 Tagen" keinen Sinn.
Die Bürgschaftsgläubigerinnen hätten deshalb nach Eintritt
der Fälligkeit der dritten Rate des Restkaufpreises am 30. 6. 1994
die Bürgenleistung bis zum 14. 7. 1994 in Anspruch nehmen müssen.
Sie haben dies jedoch erst mit Schreiben vom 12. 9. 1994 - somit verspätet
- getan. Damit ist die Bekl. insoweit von der Bürgenschuld freigeworden.
4. Das angefochtene Urteil ist in dem entsprechenden Umfang aufzuheben
(§ 564 I ZPO). Da der Rechtsstreit auf der Grundlage des festgestellten
Sachverhalts zur Entscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst
entscheiden (§ 565 III 1 ZPO). Im Hinblick auf Bedenken, welche die
Revision gegenüber der zweitinstanzlichen Kostenentscheidung geäußert
hat, weist der Senat darauf hin, daß der Vorbehalt gem. § 599
I ZPO im Beurkundungsprozeß kein Teilunterliegen bedeutet (Zöller/Greger,
ZPO, 20. Aufl., § 599 Rdnr. 3).
III. Die Anschlußrevision hat keinen Erfolg. Das BerGer. ist
der Kl. darin gefolgt, daß sie und ihre Mutter Mitgläubiger
i.S. des § 432 BGB sind. Es hat lediglich angenommen, daß das
Konto der Frau W "Zahlstelle" auch für die Bürgschaftsforderung
sei. Diese Auslegung ist vertretbar und somit für das RevGer. bindend.