Zugang der mit nicht abgeholtem
Einschreiben abgesandten Willenserklärung
BGH, Urteil v. 26.11.1997
Amtl. Leitsatz:
Zur Frage, wann eine per Einschreiben abgesandte empfangsbedürftige
Willenserklärung wirksam wird, wenn die beim Postamt niedergelegte
Sendung vom Adressaten trotz schriftlicher Mitteilung über die Niederlegung
nicht abgeholt wird (Abgrenzung zu BGHZ 67, 271 = NJW 1977, 194 = LM §
132 BGB Nr. 3)
Fundstellen:
NJW 1998, 976 f
DB 1998, 618
MDR 1998, 337
LM H. 5/1998 § 130 BGB Nr. 27 mit Anm. Singer VersR 1998, 472
BB 1998, 289
WM 1998, 459
ZIP 1998, 212
BGHZ 137, 205 ff
Zentralprobleme des Falles:
Eine Willenserklärung gilt bekanntlich als zugegangen, sobald sie
derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß bei Annahme
gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne
von ihr Kenntnis erlangen (BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM §
132 BGB Nr. 3). Besonders streitig ist in Rspr. und Literatur die Frage,
ob und wann bei einem Einschreibebrief, den der Postzusteller unter Benachrichtigung
des Adressaten im Postamt zur Abholung bereit legt, der Zugang erfolgt.
Entgegen einer verbreiteten Literaturansicht (vgl. nur Köhler, Allgemeiner
Teil des BGB, 24. Aufl. 1998, § 13 Rn. 14 [S. 127 f] m.w.N.) liegt
nach Ansicht des BGH in der bloßen Benachrichtigung von der Hinterlegung
des Einschreibebriefes im Postamt kein Zugang vor, weil die Erklärung
noch nicht in den Machtbereich des Empfängers geraten ist. Damit kann
auch kein Zugang in dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem dem Adressaten
die Abholung des Einschreibebriefs zumutbar ist (anders etwa bei einem Postfach,
s.
BGH NJW 2003, 3270). Es kommen dann die
unter § 242 BGB zu subsumierenden Grundsätze der Zugangsvereitelung
in Betracht. Die Entscheidung des BGH befaßt sich mit den besonderen
Voraussetzungen, unter denen eine solche angenommen werden kann.
Zum Sachverhalt:
Der Kl. verlangt die Zahlung des Kaufpreises für einen VW-Campingbus.
Er beauftragte und bevollmächtigte Frau M damit, den Kauf seines Fahrzeugs
zu vermitteln. Am 8. 9. 1994 gab der Bekl. gegenüber Frau M ein Angebot
zum Kauf für 13950 DM ab. Das von ihm unterzeichnete Bestellformular
lautet u.a.: "Der Käufer ist an diese Bestellung 10 Tage gebunden.
Der Kaufvertrag ist abgeschlossen, wenn der Verkäufer durch den Vermittler
die Annahme der Bestellung innerhalb dieser Frist schriftlich bestätigt
hat oder die Lieferung ausgeführt ist." Mit an den Bekl. gerichtetem
Einschreiben vom 10. 9. 1994 erklärte Frau M für den Kl. die
Annahme des Angebots vom 8. 9. 1994. Beim Versuch, die Postsendung zuzustellen,
traf die Postbotin den Bekl. nicht an. Sie hinterließ deshalb in
dessen Briefkasten die schriftliche Mitteilung, für ihn sei ein eingeschriebener
Brief bei der näher bezeichneten Postanstalt niedergelegt. Der Bekl.
holte die Postsendung nicht ab. Mit Stempelaufdruck vom 21. 9. 1994 und
dem Vermerk "Empfänger benachrichtigt, da nicht abgefordert nach Ablauf
der Lagerfrist zurück" ging der Einschreibebrief wieder an M. Der
Bekl. nahm weder das Fahrzeug ab, noch leistete er die laut Bestellformular
zu entrichtende Anzahlung. Eine schriftliche Aufforderung der Frau M vom
24. 11. 1994 zur Abnahme des Camping-Busses und Zahlung des Kaufpreises,
verbunden mit einem Hinweis auf die von ihr erklärte Angebotsannahme,
blieb ergebnislos. Frau M erhob daraufhin Klage mit dem Antrag, den Bekl.
zur Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Lieferung des
VW-Campingbusses zu verurteilen. Zur Begründung führte sie aus,
zwischen Herrn G, dem jetzigen Kl., und dem Bekl. sei ein Vertrag
über den Kauf des Fahrzeugs zustande gekommen. Die schriftliche Annahme
seiner Bestellung sei fristgerecht zugegangen; zumindest sei es dem Bekl.
nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, daß er die
Erklärung verspätet erhalten habe.
Das LG hat den geltend gemachten Kaufpreisanspruch bejaht und der Klage
bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Im Berufungsrechtszug
ist der Kl. an Stelle von Frau M in den Prozeß eingetreten. Das OLG
hat den Parteiwechsel als sachdienlich (§ 263 ZPO) angesehen. In sachlicher
Hinsicht hat es das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage
abgewiesen. Die zugelassene Revision des Kl. blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat die Klageabweisung wie folgt begründet:
Dem Kl. stehe kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung zu, weil ein Vertrag
zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. Die zum Vertragsschluß
erforderliche schriftliche Annahmeerklärung sei dem Bekl. nicht fristgerecht
zugegangen. Der Zugang des Benachrichtigungsscheins über die Niederlegung
der Einschreibesendung bewirke weder den Zugang des Einschreibens selbst,
noch könne er dessen Zugang ersetzen. Auch nach Treu und Glauben sei
es dem Bekl. nicht verwehrt, sich auf den fehlenden Zugang zu berufen.
Denn die frühere Kl. habe es in Kenntnis der gescheiterten Zustellung
ihres Einschreibens vom 10. 9. 1994 unterlassen, ihre Annahmeerklärung
zu wiederholen. Anders verhielte es sich, wenn der Bekl. gewußt hätte,
daß die im Benachrichtigungsschein bezeichnete Einschreibesendung
die Annahmeerklärung enthielt und er deshalb die Abholung unterlassen
hätte. Dies könne jedoch nach dem Sachvortrag des Kl. nicht festgestellt
werden.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung
stand. Zutreffend geht das BerGer. davon aus, daß für die Klage
allein § 433 II BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Rechtsfehlerfrei
nimmt es an, ein Kaufvertrag sei nicht zustande gekommen.
1. Die Annahme des vom Bekl. abgegebenen Kaufangebots konnte nach §
148 BGB nur innerhalb der im Bestellformular genannten Zehntagesfrist erfolgen.
Ein Vertrag wäre deshalb zwischen den Parteien zustande gekommen,
wenn die - empfangsbedürftige - Annahmeerklärung dem Bekl. innerhalb
dieser Frist zugegangen wäre, § 130 I 1 BGB. Dies war nicht der
Fall.
Zugegangen ist eine Willenserklärung, sobald sie derart in den
Machtbereich des Empfängers gelangt, daß bei Annahme gewöhnlicher
Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis
erlangen (BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM § 132 BGB Nr. 3).
Danach ist dem Bekl. fristgerecht allein der von der Postzustellerin gefertigte
Benachrichtigungsschein zugegangen. Dieser Zettel unterrichtet den Empfänger,
daß für ihn eine Einschreibesendung bei der Post zur Abholung
bereit liegt. Er enthält aber keinen Hinweis auf den Absender des
Einschreibebriefs und läßt den Empfänger im Ungewissen
darüber, welche Angelegenheit die Einschreibesendung zum Gegenstand
hat. Zu Recht hat deshalb das OLG angenommen, der Zugang des Benachrichtigungsscheins
habe nicht den Zugang des Einschreibebriefes ersetzt (vgl. BGH, VersR 1971,
262 [unter 1]; BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM § 132 BGB Nr.
3; BAG, NJW 1963, 554 [555]).
2. Vergeblich rügt die Revision, der Bekl. müsse sich gem.
§ 242 BGB so behandeln lassen, als ob ihm die Annahmeerklärung
rechtzeitig zugegangen wäre.
a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung muß
derjenige, der aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen
mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, geeignete
Vorkehrungen treffen, daß ihn derartige Erklärungen auch erreichen
(RGZ 110, 34 [36]; BGH, VersR 1971, 262 [263]; BGHZ 67, 271 [278] = NJW
1977, 194 = LM § 132 BGB Nr. 3; BGH, NJW 1983, 929 [930] = LM §
346 BGB Nr. 10; BAG, NJW 1987, 1508 L = DB 1986, 2336). Tut er dies nicht,
so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von
Vertragsverhandlungen oder den Abschluß eines Vertrages begründeten
Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen (vgl. RGZ 110,
34 [36]; BGH, VersR 1971, 262 [263]).
Eine andere Frage ist jedoch, ob dieser Sorgfaltsverstoß innerhalb
der vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehungen so schwer wiegt, daß
es gerechtfertigt ist, den Adressaten nach Treu und Glauben so zu behandeln,
als habe ihn die infolge seiner Sorgfaltsverletzung nicht zugegangene Willenserklärung
doch erreicht. Die Rechtsprechung hebt hierfür auch auf das Verhalten
des Erklärenden ab. Er kann nach den Grundsätzen von Treu und
Glauben aus seiner nicht zugegangenen Willenserklärung ihm günstige
Rechtsfolgen nur dann ableiten, wenn er alles Erforderliche und ihm Zumutbare
getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte.
Dazu gehört in der Regel, daß er nach Kenntnis von dem nicht
erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine
Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen,
daß diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich
ist (RGZ 110, 34 [37]; BGH, NJW 1952, 1169 = LM § 130 BGB Nr. 1; VersR
1971, 262 [263]; BAG, NJW 1987, 1508 L = DB 1986, 2336 [unter II 4e]).
Dies folgt daraus, daß eine empfangsbedürftige Willenserklärung
Rechtsfolgen grundsätzlich erst dann auslöst, wenn sie zugegangen
ist. Welcher Art dieser erneute Versuch des Erklärenden sein muß,
hängt von den konkreten Umständen wie den örtlichen Verhältnissen,
dem bisherigen Verhalten des Adressaten, den Möglichkeiten des
Erklärenden und auch von der Bedeutung der abgegebenen Erklärung
ab und kann allgemein nicht entschieden werden.
Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist allerdings
dann nicht mehr sinnvoll und deshalb entbehrlich, wenn der Empfänger
die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos
verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines
Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muß (BGH, NJW 1983, 929
[930] = LM § 346 BGB Nr. 10). Gleiches wird zu gelten haben, wenn
der Adressat den Zugang der Erklärung arglistig vereitelt. Eine derartige
Situation liegt hier jedoch nicht vor. Der Bekl. hat weder die Annahme
des Einschreibebriefs verweigert, noch rechtfertigt sein Verhalten den
Vorwurf der Arglist. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen
des BerGer. mußte er nicht damit rechnen, daß der Einschreibebrief
die Annahme seines Kaufangebotes enthielt, weil im Benachrichtigungszettel
keine Angaben über den Absender vermerkt waren. Hinzu kommt, daß
nach dem Wortlaut des Bestellformulars auch eine Übersendung der schriftlichen
Annahmeerklärung durch einfachen Brief der Form genügt hätte.
Der Bekl. mußte deshalb die Einschreibesendung nicht notwendig mit
seinem Kaufangebot in Verbindung bringen. Nicht ausgeschlossen ist auch,
worauf das BerGer. ebenfalls hinweist, daß der Bekl. die Abholung
vergessen hat oder ihm der Benachrichtigungszettel abhanden gekommen ist.
Außerhalb der Sonderfälle der Annahmeverweigerung und der
arglistigen Zugangsvereitelung hat der Senat allerdings im Urteil vom 3.
11. 1976 (BGHZ 67, 271 = NJW 1977, 194 = LM § 132 BGB Nr. 3) den Adressaten
einer nicht an ihn gelangten Vertragskündigung auch ohne erneuten
Zustellungsversuch des Kündigenden nach § 242 BGB so behandelt,
als sei ihm die Kündigung zugegangen. Der dortige Fall unterschied
sich dadurch von dem hier gegebenen Sachverhalt, daß die Kündigung
nach dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und -vollstreckungsgesetz
durch die Post zugestellt, wegen Abwesenheit des Empfängers bei dem
Postamt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung
in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise bei dem Empfänger
hinterlassen worden war (BGHZ 67, 271 [275] = NJW 1977, 194 = LM §
132 BGB Nr. 3). Dadurch wurde zwar nicht die Zugangsfiktion des §
132 BGB ausgelöst (BGHZ 67, 271 [277] = NJW 1977, 194 = LM §
132 BGB Nr. 3). Immerhin hatte aber der Kündigende gegenüber
dem hier verwendeten Einschreibebrief eine andere, nachhaltigere
Form der Zustellung der Kündigungserklärung gewählt. Sollte
die damalige Senatsentscheidung in dem Sinne zu verstehen sein, daß
auch bei einer fehlgeschlagenen Zustellung per Einschreibebrief ein erneuter
Zustellungsversuch des Erklärenden entbehrlich ist, könnte der
Senat daran nicht festhalten.
b) Hiernach durfte es Frau M nicht dabei bewenden lassen, daß
sie ihre Annahmeerklärung dem Bekl. nur einmal per Einschreibebrief
zuschickte. Da sie nach Erhalt der Mitteilung, daß der Bekl. den
Einschreibebrief nicht bei der Post abgeholt hatte, untätig blieb,
kann der Kl. auch nach Treu und Glauben aus ihrer Erklärung über
die Annahme des Kaufangebots keine Rechte herleiten.
c) Die Revision macht demgegenüber geltend, mangels anderweiter
Feststellungen des BerGer. sei davon auszugehen, daß Frau M erst
nach Ablauf der zehntägigen Frist für die Annahme des Kaufangebotes
des Bekl. erfahren habe, daß ihre Annahmeerklärung den Bekl.
nicht erreicht hatte. Da zu diesem Zeitpunkt ein Kaufvertrag wegen Ablaufs
der Annahmefrist ohnehin nicht mehr hätte zustande kommen können,
wäre eine Wiederholung der schriftlichen Annahmeerklärung ohne
Sinn gewesen. Auch diese Rüge geht fehl. Die Revision übersieht,
daß nach einem unverzüglichen zweiten Zustellungsversuch dem
Adressaten nicht nur der Einwand abgeschnitten wird, die Erklärung
sei nicht zugegangen, sondern auch der Einwand, diese Erklärung sei
nicht rechtzeitig zugegangen (RGZ 110, 34 [37]; BGH, NJW 1952, 1169 = LM
§ 130 BGB Nr. 1).
d) Ohne Belang ist ferner, daß Frau M im Schreiben vom 24. 11.
1994 an den Bekl. auf ihre in der Einschreibesendung enthaltene Annahmeerklärung
Bezug nahm. Auch wenn hierin eine Wiederholung dieser Willenserklärung
gesehen werden könnte, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung.
Zwar ist diese Erklärung dem Bekl. zugegangen. Jedoch wurde sie nicht
unverzüglich, sondern erst über einen Monat nach dem Zeitpunkt
abgegeben, zu welchem Frau M von der mißglückten Zustellung
erfahren hatte.