Keine
Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums über den Nachlaßwert bei
bekannter Nachlaßzusammensetzung
BayObLG, Beschluß vom
16.03.1995 - 1Z BR 82/94
Fundstelle:
BayObLGZ 1995, 120
NJW-RR 1995, 904
FamRZ 1996, 59
Zur Abgrenzung (Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses) s.
BGHZ 106, 359 = NJW 1989, 2885.
Amtl. Leitsätze:
1. Keine Anfechtung der
Erbschaftsannahme wegen Irrtums über den Wert der von vornherein bekannten
Nachlaßgrundstücke.
2. Keine Anfechtung der gegenüber dem Nachlaßgericht erklärten
Erbschaftsannahme, weil der Annehmende nicht gewußt habe, daß er die
Erbschaft ausschlagen könne.
3. Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme durch den pflichtteilsberechtigten
Erben wegen Unkenntnis des daraus folgenden Verlustes seines
Pflichtteilsanspruchs.
Zum Sachverhalt:
Die Bet. zu 1 bis 3 sind die Kinder des Erblassers und seiner
vorverstorbenen Ehefrau. Die Ehegatten haben im Jahr 1973 mit dem Bet. zu 3
einen Erbvertrag geschlossen. In Nr. I der notariellen Urkunde erklärten
sie, sie hätten ihr landwirtschaftliches Anwesen an ihren Sohn A (Bet. zu 3)
übergeben, mit Ausnahme des Grundstücks Flst. 1463 und einer amtlich erst zu
vermessenden Grundstücksfläche aus Flst. 1455. In Nr. II vereinbarten sie im
Weg des Erbvertrags: II. Der Längstlebende von uns vermacht hiermit das
Grundstück Flst. 1463 und die aus Flst. 1455 nicht mitübergebene
Grundstücksfläche unserem Sohn A. Die Kosten der Vermächtniserfüllung und
eine etwa anfallende Steuer hat der Vermächtnisnehmer selbst zu tragen.
Einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen wir nicht.
Der Bet. zu 3 nahm diese Bestimmungen vertraglich an. Am 15. 12. 1986
vereinbarte der Erblasser mit seinem Kreditinstitut durch Vertrag zugunsten
Dritter, daß alle Rechte aus den dort geführten Konten mit seinem Tod auf
seine drei Kinder zu gleichen Teilen übergehen sollten, ohne in den Nachlaß
zu fallen. Nach dem Tod des Erblassers wurden aufgrund dieser Vereinbarung
an jeden der Bet. rund 7900 DM ausgezahlt. Weiteres Vermögen hatte der
Erblasser nicht. In der Nachlaßverhandlung vom 12. 1. 1993 erklärten die
Bet. zur Niederschrift des Rechtspflegers, der Erbvertrag enthalte lediglich
die Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten des Bet. zu 3, nicht eine
Erbeinsetzung. Aufgrund gesetzlicher Erbfolge werde der Erblasser daher von
den Bet. zu je 1/3 beerbt. Ferner erklärten sie, die Erbschaft werde
angenommen und stellten Erbscheinsantrag. Das NachlaßG bewilligte am 12. 1.
1993 einen Erbschein, der die Bet. zu 1 bis 3 als Miterben zu je 1/3
ausweist, und gab diesen anschließend hinaus. Mit Schreiben vom 2. 8. 1993
wandten sich die Bet. zu 1 und 2 an das NachlaßG. Sie erklärten, sie hätten
erst durch das Schreiben eines Rechtsanwalts vom 2. 7. 1993 von der
Möglichkeit erfahren, den mit einem Vermächtnis beschwerten Erbteil
auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Die erbvertraglich dem Bet.
zu 3 zugewendeten Grundstücke seien entgegen dessen Angaben vor dem NachlaßG
nicht nur Ackerland im Wert von 15000 DM, sondern wertvolles Baugelände. Mit
Erklärungen vom 16. 8. 1993 fochten die Bet. zu 1 und 2 die Annahme der
Erbschaft an, weil ihnen im Termin vom 12. 1. 1993 die Möglichkeit der
Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Der Nachlaßrichter stellte mit
Verfügung vom 19. 8. 1993 fest, die Anfechtungserklärungen der Bet. zu 1 und
2 seien unwirksam. Die angeblich fehlerhafte Bewertung der von Anfang an
bekannten Nachlaßgrundstücke begründe kein Recht zur Anfechtung. Am 20. 8.
1993 beantragte der Bet. zu 1 beim NachlaßG die Einziehung des Erbscheins
vom 12. 1. 1993 als unrichtig. Der Bet. zu 3 sei Alleinerbe geworden, weil
die im notariellen Erbvertrag vom 7. 5. 1973 als Vermächtnis bezeichneten
Grundstücke das gesamte Vermögen des Erblassers dargestellt hätten.
Das NachlaßG hat die Einziehung des Erbscheins mit Beschluß vom 6. 9. 1993
abgelehnt. Das LG hat die Beschwerde des Bet. zu 1 gegen diesen Beschluß
sowie gegen die Verfügung vom 19. 7. 1993 zurückgewiesen. Auch die weitere
Beschwerde des Bet. zu 1 blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
II. 3. ... a) Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde, die das RechtsbeschwGer.
selbständig nachzuprüfen hat (vgl. BayObLGZ 1993, 389 (391) = NJW-RR 1994,
590), hat das LG zutreffend bejaht. Der Bet. zu 1 erstrebt die Einziehung
des Erbscheins vom 12. 1. 1993, weil ihn dieser zu Unrecht als Miterben
ausweise. Daraus ergibt sich gem. § 20 I FGG die Befugnis des Bf., gegen die
Ablehnung der Erbscheinseinziehung ein Rechtsmittel einzulegen, und zwar
ungeachtet dessen, daß er den Erbschein so, wie er erteilt worden ist,
selbst beantragt hatte (vgl. BayObLGZ 1977, 163 (164) und 1991, 1 (5) =
NJW-RR 1991, 587; Palandt/Edenhofer, BGB, 54. Aufl., § 2361 Rdnr. 15).
b) Der Bet. zu 1 hat geltend gemacht, der ihn und die Bet. zu 2 als Miterben
ausweisende Erbschein sei unrichtig, weil nicht die gesetzliche Erbfolge
eingetreten, sondern der Bet. zu 3 durch den Erbvertrag als Alleinerbe
eingesetzt worden sei. Dies hat das LGohne Rechtsfehler verneint.
aa) Ob eine letztwillige Verfügung eine Erbeinsetzung (§§ 1937, 1941 BGB)
oder die Zuwendung eines Vermächtnisses (§ 1939 BGB) enthält, ist durch
Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der wirkliche Wille des Erblassers unter
Heranziehung aller Umstände zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn
des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Es geht um die Klärung der Frage, was
der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte (vgl. BGH,NJW 1993, 256). Bei
der Auslegung eines Erbvertrags muß bei vertragsmäßigen Verfügungen (§ 2278
I BGB) der erklärte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien ermittelt
werden, gegebenenfalls ist § 157 BGB heranzuziehen (vgl.
BGH, NJW 1989, 2885; BayObLGZ 1994, 313 (319)
= NJW-RR 1995, 330; Palandt/Edenhofer, Vorb. § 2274 Rdnr. 8). Ausgehend von
diesen Grundsätzen hat das LG den Erbvertrag ausgelegt. Im Verfahren der
weiteren Beschwerde kann die vom Gericht der Tatsacheninstanz vorgenommene
Auslegung nur auf Rechtsfehler nachgeprüft werden, nämlich ob sie nach den
Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, dem klaren Sinn und Wortlaut der
Urkunde nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt
(vgl. BayObLGZ 1991, 173 (176) = NJW-RR 1991, 1288 und st. Rspr.).
bb) Das LG hat die erbvertragliche Zuwendung zweier Grundstücke an den Bet.
zu 3 entsprechend dem Wortlaut der Urkunde als Vermächtnis ausgelegt.
Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
(1) Die Zuwendung eines einzelnen Vermögensgegenstands ist im Zweifel keine
Erbeinsetzung (§ 2087 II BGB), es sei denn, der Erblasser wollte damit über
sein Vermögen als Ganzes verfügen. Dies ist im Zweifel anzunehmen, wenn der
zugewendete Gegenstand die anderen Vermögensgegenstände an Wert so sehr
übersteigt, daß anzunehmen ist, der Erblasser habe im wesentlichen in diesem
Gegenstand seinen Nachlaß erblickt (vgl. BayObLGZ1992, 296 (299) = NJW-RR
1993, 138 und BayObLG, FamRZ 1995, 246 (248), jeweils m. w. Nachw.).
Dementsprechend hat das LG geprüft, ob die dem Bet. zu 3 zugewendeten
Grundstücke das gesamte Vermögen des Erblassers und seiner Ehefrau
darstellten. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß insoweit die
Vorstellungen maßgeblich sind, die die testierenden Ehegatten im Zeitpunkt
der Errichtung des Erbvertrags über die voraussichtliche Zusammensetzung des
Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hatten (vgl.
BayObLG, FamRZ 1995, 246 (248) und NJW-RR 1993, 581 (582)).
(2) Das LG hat angenommen, im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags seien
die zugewendeten Grundstücke Ackerland gewesen, dessen Wert nicht über 15000
DM gelegen habe. Dies läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Aus den
Feststellungen des LGund dem Vorbringen der Bet. ergeben sich keine
Anhaltspunkte dafür, daß die Wertvorstellungen der Vertragschließenden schon
im Jahr 1973 von der Erwartung einer späteren Bebaubarkeit der Grundstücke
geprägt gewesen wären. Demgemäß sind auch die Gebühren des Erbvertrags,
dessen Gegenstand allein die Zuwendung der Grundstücke war, aus einem Wert
von 10000 DM berechnet worden.
(3) Das LG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß die dem Bet. zu 3
zugewendeten Grundstücke im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags nicht
das gesamte Vermögen der testierenden Ehegatten darstellten. Soweit die
Rechtsbeschwerde geltend macht, das Geldvermögen des Erblassers sei aufgrund
eines Vertrags zugunsten Dritter nicht in den Nachlaß gefallen, übersieht
sie, daß der Erblasser diese Vereinbarung mit seinem Kreditinstitut erst am
15. 12. 1986 getroffen hat, nach dem Tod seiner Ehefrau und mehr als 13
Jahre nach dem Abschluß des Erbvertrags.
(4) Das LG hat angenommen, die erbvertragliche Zuwendung der Grundstücke
stehe im Zusammenhang mit der am selben Tag beurkundeten Übergabe des
landwirtschaftlichen Anwesens an den Bet. zu 3. Es sei der Wille der
Vertragschließenden gewesen, daß die zunächst von der Übergabe ausgenommenen
beiden Grundstücke letztlich wieder zum Bestand des übergebenen Hofs gehören
und nach dem Tod des zuletzt versterbenden Elternteils an den Übernehmer
fallen sollten. Das BeschwGer. hat diesen Umstand als Anhaltspunkt dafür
gewertet, daß die Grundstücke als Einzelgegenstand und somit als Vermächtnis
zugewendet sein sollten. Diese Schlußfolgerung ist jedenfalls möglich und
damit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
(5) Das LG hat bei seiner Auslegung des Erbvertrags zutreffend auch den
Umstand berücksichtigt, daß die Erklärungen der Vertragschließenden von
einem Notar beurkundet sind, der aufgrund des am selben Tag von ihm
geschlossenen Hofübergabevertrags mit den Vermögensverhältnissen der
Beteiligten vertraut war. Dies spricht dafür, daß er den Begriff
„Vermächtnis“ bewußt und dem ihm gegenüber erklärten Willen der Bet.
entsprechend gewählt hat (vgl. BayObLG, FamRZ 1991, 493 (494)).
(6) Im übrigen hängt die Stellung als Erbe nicht begriffsnotwendig davon ab,
ob ihm nach Erfüllung der Nachlaßverbindlichkeiten noch ein mehr oder
weniger großer Vorteil aus der Erbschaft verbleibt (vgl. BayObLG, NJW-RR
1993, 581 (582); Palandt/Edenhofer, § 2087 Rdnr. 3).
c) Allerdings wäre der die Bet. zu 1 und 2 als Miterben ausweisende
Erbschein auch dann unrichtig und gem. § 2361 I 1 BGB einzuziehen, wenn sie
die am 12. 1. 1993 vor dem NachlaßG erklärte Annahme der Erbschaft wirksam
angefochten und dadurch die Rechtswirkungen der Ausschlagung herbeigeführt
hätten (§§ 1957 I , 1953 I BGB). Das NachlaßG hat mit Verfügung vom 19. 8.
1993 festgestellt, die am 16. 8. 1993 eingegangenen Anfechtungserklärungen
der Bet. zu 1 und 2 seien unwirksam. Auch diese Entscheidung hat der Bet. zu
1 mit seiner Beschwerde in zulässiger Weise (§ 19 I FGG, vgl. BayObLGZ 1988,
76 (77) = NJW-RR 1988, 1355; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 6. Aufl., § 19 FGG
Anm. I 1) angefochten. Das LG hat auch insoweit über das Rechtsmittel
entschieden, obwohl es im Tenor seiner Entscheidung nur den
amtsgerichtlichen Beschluß vom 6. 9. 1993 nennt. In den Gründen der
Beschwerdeentscheidung führt das LG nämlich aus, eine Anfechtung der
Erbschaftsannahme scheide aus. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist
daher auch die Anfechtung der Erbschaftsannahme, deren Wirksamkeit der Bet.
zu 1 weiterhin behauptet.
d) Soweit das LG eine wirksame Anfechtung der Erbschaftsannahme verneint,
ist seine Entscheidung nicht frei von Rechtsfehlern, denn es hat nur einen
der geltend gemachten Anfechtungsgründe geprüft und hinsichtlich weiterer
Umstände, auf die der Bet. zu 1 seine Anfechtung ebenfalls gestützt hat, das
Beschwerdevorbringen nicht gewürdigt. Die Beschwerdeentscheidung verstößt
insoweit gegen § 25 FGG, weil sie nicht ausreichend begründet ist (vgl. KG,
NJW-RR 1989, 842; Keidel/Kuntze, FGG, 13. Aufl. § 25 Rdnrn. 12 und 12a;
Jansen, FGG, 2. Aufl., § 25 Rdnr. 17). Dieser Verfahrensmangel führt jedoch
nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, denn die landgerichtliche
Entscheidung erweist sich im Ergebnis als richtig (§ 27 I 2 FGG, § 563 ZPO).
aa) Für den Inhalt der gem. § 1955 BGB gegenüber dem NachlaßG zu erklärenden
Anfechtung einer Erbschaftsannahme gelten die allgemeinen Grundsätze, die
für eine Anfechtungserklärung i.S. von § 143 I BGB maßgebend sind. Demgemäß
ist durch Auslegung (§ 133 BGB) zu ermitteln, was erkennbar gewollt war, und
die Tatsacheninstanzen haben zu prüfen, ob die Anfechtungsgründe zutreffen,
die der Anfechtungsberechtigte in der Anfechtungserklärung oder im
Zusammenhang damit geltend macht (vgl. BayObLG, FamRZ 1994, 848 (849) m. w.
Nachw.). Daher hat das NachlaßG, dessen Ausführungen in der Verfügung vom
19. 8. 1993 das BeschwGer. sich ersichtlich zu eigen machen wollte, neben
den Anfechtungserklärungen selbst, mit denen die Bet. zu 1 und 2 geltend
gemacht hatten, im Termin vom 12. 1. 1993 sei ihnen die Möglichkeit der
Ausschlagung unbekannt gewesen, zu Recht auch die vorangegangenen Schreiben
des Bet. zu 1 und die vorgelegten Unterlagen berücksichtigt.
bb) Dem Vorbringen des Bet. zu 1, er habe erst nach dem Termin vom 12. 1.
1993 erfahren, daß die seinem Bruder zugewendeten Grundstücke entgegen
dessen Angaben bei der Nachlaßverhandlung nicht Ackerland, sondern
wertvolles Bauland seien, hat das NachlaßG und ihm folgend das LG entnommen,
die Anfechtung solle auf einen Irrtum über den Wert der Nachlaßgrundstücke
gestützt werden, deren Vorhandensein bekannt war und die der Bet. zu 1
selbst seinem Vorbringen zufolge als Bauerwartungsland betrachtet hat.
Insoweit haben die Tatsacheninstanzen ohne Rechtsfehler angenommen, daß ein
Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S. von §
119 II BGB, der die Anfechtung begründen könnte, nicht vorlag (vgl. Leipold,
in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1954 Rdnr. 7; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., §
1954 Rdnr. 3; Palandt/Edenhofer, § 1954 Rdnr. 4). Die auf diesen Umstand
gestützte Anfechtung kann daher nicht durchgreifen, abgesehen davon, daß die
Frist des § 1954 I und II BGB nicht gewahrt wäre, weil der Bet. zu 1 laut
seinem Schreiben an das NachlaßG vom 30. 1. 1993 schon im Januar 1993 von
der Einbeziehung der Grundstücke in einen Bebauungsplan erfahren hat.
cc) In den Anfechtungserklärungen vom 13. 8. 1993 haben die Anfechtenden
vorgetragen, im Termin vom 12. 1. 1993 sei ihnen die Möglichkeit einer
Erbschaftsausschlagung unbekannt gewesen. Aus einem Schreiben des Bet. zu 1
an das NachlaßG vom 2. 8. 1993 und dem als Anlage beigefügten Brief eines
Rechtsanwalts vom 2. 7. 1993 ergibt sich außerdem, daß der Bet. zu 1 geltend
machen wollte, er habe die Vorschrift des § 2306 BGB nicht gekannt und erst
aus dem vorgenannten Anwaltsschreiben erfahren, daß er den Pflichtteil nur
verlangen könne, wenn er den vermächtnisbelasteten Erbteil ausschlage. Die
Voristanzen haben nicht geprüft, ob die Anfechtung auf diese Umstände
gestützt werden kann, obwohl das Vorbringen des Bet. zu 1 dazu Anlaß gegeben
hätte. Dieser Mangel erfordert jedoch nicht die Zurückverweisung der Sache,
weil der Sachverhalt keiner weiteren Ermittlungen bedarf. Das
RechtsbeschwGer. kann daher die vorgebrachten Anfechtungsgründe anstelle des
BeschwGer. würdigen (vgl. Jansen, § 27 Rdnr. 45). Die angeführten Gründe
sind nicht geeignet, eine Anfechtung der Erbschaftsannahme zu tragen.
(1) Die Bet. zu 1 und 2 haben im Termin vom 12. 1. 1993 die Erbschaft
ausdrücklich angenommen. Diese Erklärung kann nicht mit der Begründung
angefochten werden, der Annehmende habe nicht gewußt, daß er die Erbschaft
ausschlagen könne (vgl. BayObLGZ 1987, 356 (358) = NJW 1988, 1270). Mit der
vor dem NachlaßG abgegebenen Erklärung, die Erbschaft werde angenommen, kann
nichts anderes erstrebt und gewollt sein, als endgültig Erbe zu sein und zu
bleiben. Eine fehlende Kenntnis des Ausschlagungsrechts stellt sich daher
als bloßer Rechtsirrtum dar, der nach allgemeiner Ansicht unbeachtlich ist
und nicht zur Anfechtung berechtigt (vgl. BayObLGZ 1987, 356 (359) = NJW
1988, 1270 m. w. Nachw.).
(2) Der aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Miterbe berufene Bet. zu 1 ist
mit dem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) beschwert, das der Erblasser dem Bet.
zu 3 erbvertraglich zugewendet hat. Als pflichtteilsberechtigter Abkömmling
(§ 2303 I BGB) hätte der Bet. zu 1 gem. § 2306 I 2 BGB den Erbteil
ausschlagen und den Pflichtteil verlangen können, in dessen Berechnung auch
der Wert der Vermächtnisgrundstücke einzubeziehen gewesen wäre (vgl.
Johannsen, in: RGRK, 12. Aufl., § 2311 Rdnr 8; Palandt/Edenhofer, § 2311
Rdnr. 7). Mit der Annahme der Erbschaft im Termin vom 12. 1. 1993 ist diese
Möglichkeit entfallen (vgl. Erman/Schlüter, BGB, 9. Aufl., § 2306 Rdnr. 4),
selbst wenn der Pflichtteilsberechtigte dadurch weniger erhält, als sein
Pflichtteil ausmachen würde (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB, 12. Aufl.,
§ 2306 Rdnrn. 66f.; Soergel/Dieckmann, § 2306 Rdnr. 16). Jedoch kann die
Annahmeerklärung nicht deswegen angefochten werden, weil sie, wie der Bet.
zu 1 geltend macht, in Unkenntnis dieser Rechtswirkung abgegeben worden ist.
Die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums des
pflichtteilsberechtigten Erben richtet sich nach § 119 BGB (vgl. BGH, NJW
1989, 2885; Staudinger/Ferid/Cieslar, § 2308 Rdnr. 20; Johannsen, in: RGRK,
§ 2308 Rdnr. 3; Soergel/Dieckmann, § 2308 Rdnr. 9; Erman/Schlüter, § 2308
Rdnr. 2; Frank, in: MünchKomm, § 2308 Rdnr. 11; Palandt/Edenhofer, § 2308
Rdnr. 1; Lange/Kuchinke, ErbR, 3. Aufl., § 39 V 9a; Kraiß, BWNotZ 1992, 31
(33)). Ein im Sinne dieser Vorschrift zur Anfechtung berechtigender Irrtum
liegt nicht vor.
(a) Der Bet. zu 1 hat sich weder über die Größe seines Erbteils noch über
die Beschwerung mit einem Vermächtnis geirrt, denn diese Umstände sind
ausweislich der Niederschrift des NachlaßGim Anschluß an die Verkündung des
Erbvertrags mit den Bet. erörtert worden, bevor die Annahme der Erbschaft
erklärt wurde. Die Fehlvorstellungen des Bet. zu 1 betrafen die rechtliche
und wirtschaftliche Tragweite der ihm bekannten Belastung. Ein Irrtum über
eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S. von § 119 II BGB lag daher nicht
vor (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, § 2308 Rdnr. 13; Soergel/Dieckmann, §
2308 Rdnr. 9; Johannsen, in: RGRK, § 2308 Rdnr. 3; Erman/Schlüter, § 2308
Rdnr. 2).
(b) Auch ein Irrtum über den Inhalt der Annahmeerklärung i.S. von § 119 I
BGB kommt nicht in Betracht. Aus dem Vorbringen des Bet. zu 1 ergibt sich,
daß ihm bewußt war, er werde mit der vor dem NachlaßG erklärten Annahme der
Erbschaft Erbe sein, und daß er diese Rechtsfolge gewollt hat. Seine
Fehlvorstellungen bezogen sich auf den als weitere Folge der
Erbschaftsannahme eingetretenen Verlust des Pflichtteilsanspruchs. Der nicht
erkannte Eintritt einer zusätzlichen Rechtswirkung, hier der
pflichtteilsrechtlichen Folgen der Erbschaftsannahme, ist jedoch als
Motivirrtum anzusehen und daher unbeachtlich (vgl. OLG Hamm,OLGZ 1982, 41
(49); Staudinger/Dilcher, § 119 Rdnrn. 35f.; Krüger-Nieland, in: RGRK, § 119
Rdnr. 28; Palandt/Heinrichs, § 119 Rdnr. 15; Palandt/Edenhofer, § 1954 Rdnr.
3; Soergel/Stein, § 1954 Rdnr. 2; v. Lübtow, ErbR, 2. Halbb., S. 708 (709);
Kraiß, BWNotZ 1992, 31 (33); Schwab, JuS 1965, 432 (437)).
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