Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums über den Nachlaßwert bei bekannter Nachlaßzusammensetzung


BayObLG, Beschluß vom 16.03.1995 - 1Z BR 82/94


Fundstelle:
 

BayObLGZ 1995, 120
NJW-RR 1995, 904
FamRZ 1996, 59
Zur Abgrenzung (Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses) s. BGHZ 106, 359 = NJW 1989, 2885.


Amtl. Leitsätze:

1. Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums über den Wert der von vornherein bekannten Nachlaßgrundstücke.
2. Keine Anfechtung der gegenüber dem Nachlaßgericht erklärten Erbschaftsannahme, weil der Annehmende nicht gewußt habe, daß er die Erbschaft ausschlagen könne.
3. Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme durch den pflichtteilsberechtigten Erben wegen Unkenntnis des daraus folgenden Verlustes seines Pflichtteilsanspruchs.


Zum Sachverhalt:

Die Bet. zu 1 bis 3 sind die Kinder des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau. Die Ehegatten haben im Jahr 1973 mit dem Bet. zu 3 einen Erbvertrag geschlossen. In Nr. I der notariellen Urkunde erklärten sie, sie hätten ihr landwirtschaftliches Anwesen an ihren Sohn A (Bet. zu 3) übergeben, mit Ausnahme des Grundstücks Flst. 1463 und einer amtlich erst zu vermessenden Grundstücksfläche aus Flst. 1455. In Nr. II vereinbarten sie im Weg des Erbvertrags: II. Der Längstlebende von uns vermacht hiermit das Grundstück Flst. 1463 und die aus Flst. 1455 nicht mitübergebene Grundstücksfläche unserem Sohn A. Die Kosten der Vermächtniserfüllung und eine etwa anfallende Steuer hat der Vermächtnisnehmer selbst zu tragen. Einen Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen wir nicht.

Der Bet. zu 3 nahm diese Bestimmungen vertraglich an. Am 15. 12. 1986 vereinbarte der Erblasser mit seinem Kreditinstitut durch Vertrag zugunsten Dritter, daß alle Rechte aus den dort geführten Konten mit seinem Tod auf seine drei Kinder zu gleichen Teilen übergehen sollten, ohne in den Nachlaß zu fallen. Nach dem Tod des Erblassers wurden aufgrund dieser Vereinbarung an jeden der Bet. rund 7900 DM ausgezahlt. Weiteres Vermögen hatte der Erblasser nicht. In der Nachlaßverhandlung vom 12. 1. 1993 erklärten die Bet. zur Niederschrift des Rechtspflegers, der Erbvertrag enthalte lediglich die Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten des Bet. zu 3, nicht eine Erbeinsetzung. Aufgrund gesetzlicher Erbfolge werde der Erblasser daher von den Bet. zu je 1/3 beerbt. Ferner erklärten sie, die Erbschaft werde angenommen und stellten Erbscheinsantrag. Das NachlaßG bewilligte am 12. 1. 1993 einen Erbschein, der die Bet. zu 1 bis 3 als Miterben zu je 1/3 ausweist, und gab diesen anschließend hinaus. Mit Schreiben vom 2. 8. 1993 wandten sich die Bet. zu 1 und 2 an das NachlaßG. Sie erklärten, sie hätten erst durch das Schreiben eines Rechtsanwalts vom 2. 7. 1993 von der Möglichkeit erfahren, den mit einem Vermächtnis beschwerten Erbteil auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Die erbvertraglich dem Bet. zu 3 zugewendeten Grundstücke seien entgegen dessen Angaben vor dem NachlaßG nicht nur Ackerland im Wert von 15000 DM, sondern wertvolles Baugelände. Mit Erklärungen vom 16. 8. 1993 fochten die Bet. zu 1 und 2 die Annahme der Erbschaft an, weil ihnen im Termin vom 12. 1. 1993 die Möglichkeit der Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Der Nachlaßrichter stellte mit Verfügung vom 19. 8. 1993 fest, die Anfechtungserklärungen der Bet. zu 1 und 2 seien unwirksam. Die angeblich fehlerhafte Bewertung der von Anfang an bekannten Nachlaßgrundstücke begründe kein Recht zur Anfechtung. Am 20. 8. 1993 beantragte der Bet. zu 1 beim NachlaßG die Einziehung des Erbscheins vom 12. 1. 1993 als unrichtig. Der Bet. zu 3 sei Alleinerbe geworden, weil die im notariellen Erbvertrag vom 7. 5. 1973 als Vermächtnis bezeichneten Grundstücke das gesamte Vermögen des Erblassers dargestellt hätten.

Das NachlaßG hat die Einziehung des Erbscheins mit Beschluß vom 6. 9. 1993 abgelehnt. Das LG hat die Beschwerde des Bet. zu 1 gegen diesen Beschluß sowie gegen die Verfügung vom 19. 7. 1993 zurückgewiesen. Auch die weitere Beschwerde des Bet. zu 1 blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

II. 3. ... a) Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde, die das RechtsbeschwGer. selbständig nachzuprüfen hat (vgl. BayObLGZ 1993, 389 (391) = NJW-RR 1994, 590), hat das LG zutreffend bejaht. Der Bet. zu 1 erstrebt die Einziehung des Erbscheins vom 12. 1. 1993, weil ihn dieser zu Unrecht als Miterben ausweise. Daraus ergibt sich gem. § 20 I FGG die Befugnis des Bf., gegen die Ablehnung der Erbscheinseinziehung ein Rechtsmittel einzulegen, und zwar ungeachtet dessen, daß er den Erbschein so, wie er erteilt worden ist, selbst beantragt hatte (vgl. BayObLGZ 1977, 163 (164) und 1991, 1 (5) = NJW-RR 1991, 587; Palandt/Edenhofer, BGB, 54. Aufl., § 2361 Rdnr. 15).

b) Der Bet. zu 1 hat geltend gemacht, der ihn und die Bet. zu 2 als Miterben ausweisende Erbschein sei unrichtig, weil nicht die gesetzliche Erbfolge eingetreten, sondern der Bet. zu 3 durch den Erbvertrag als Alleinerbe eingesetzt worden sei. Dies hat das LGohne Rechtsfehler verneint.

aa) Ob eine letztwillige Verfügung eine Erbeinsetzung (§§ 1937, 1941 BGB) oder die Zuwendung eines Vermächtnisses (§ 1939 BGB) enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der wirkliche Wille des Erblassers unter Heranziehung aller Umstände zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Es geht um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte (vgl. BGH,NJW 1993, 256). Bei der Auslegung eines Erbvertrags muß bei vertragsmäßigen Verfügungen (§ 2278 I BGB) der erklärte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien ermittelt werden, gegebenenfalls ist § 157 BGB heranzuziehen (vgl. BGH, NJW 1989, 2885; BayObLGZ 1994, 313 (319) = NJW-RR 1995, 330; Palandt/Edenhofer, Vorb. § 2274 Rdnr. 8). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das LG den Erbvertrag ausgelegt. Im Verfahren der weiteren Beschwerde kann die vom Gericht der Tatsacheninstanz vorgenommene Auslegung nur auf Rechtsfehler nachgeprüft werden, nämlich ob sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, dem klaren Sinn und Wortlaut der Urkunde nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (vgl. BayObLGZ 1991, 173 (176) = NJW-RR 1991, 1288 und st. Rspr.).

bb) Das LG hat die erbvertragliche Zuwendung zweier Grundstücke an den Bet. zu 3 entsprechend dem Wortlaut der Urkunde als Vermächtnis ausgelegt. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

(1) Die Zuwendung eines einzelnen Vermögensgegenstands ist im Zweifel keine Erbeinsetzung (§ 2087 II BGB), es sei denn, der Erblasser wollte damit über sein Vermögen als Ganzes verfügen. Dies ist im Zweifel anzunehmen, wenn der zugewendete Gegenstand die anderen Vermögensgegenstände an Wert so sehr übersteigt, daß anzunehmen ist, der Erblasser habe im wesentlichen in diesem Gegenstand seinen Nachlaß erblickt (vgl. BayObLGZ1992, 296 (299) = NJW-RR 1993, 138 und BayObLG, FamRZ 1995, 246 (248), jeweils m. w. Nachw.). Dementsprechend hat das LG geprüft, ob die dem Bet. zu 3 zugewendeten Grundstücke das gesamte Vermögen des Erblassers und seiner Ehefrau darstellten. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß insoweit die Vorstellungen maßgeblich sind, die die testierenden Ehegatten im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags über die voraussichtliche Zusammensetzung des Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hatten (vgl. BayObLG, FamRZ 1995, 246 (248) und NJW-RR 1993, 581 (582)).

(2) Das LG hat angenommen, im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags seien die zugewendeten Grundstücke Ackerland gewesen, dessen Wert nicht über 15000 DM gelegen habe. Dies läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Aus den Feststellungen des LGund dem Vorbringen der Bet. ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Wertvorstellungen der Vertragschließenden schon im Jahr 1973 von der Erwartung einer späteren Bebaubarkeit der Grundstücke geprägt gewesen wären. Demgemäß sind auch die Gebühren des Erbvertrags, dessen Gegenstand allein die Zuwendung der Grundstücke war, aus einem Wert von 10000 DM berechnet worden.

(3) Das LG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß die dem Bet. zu 3 zugewendeten Grundstücke im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags nicht das gesamte Vermögen der testierenden Ehegatten darstellten. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Geldvermögen des Erblassers sei aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter nicht in den Nachlaß gefallen, übersieht sie, daß der Erblasser diese Vereinbarung mit seinem Kreditinstitut erst am 15. 12. 1986 getroffen hat, nach dem Tod seiner Ehefrau und mehr als 13 Jahre nach dem Abschluß des Erbvertrags.

(4) Das LG hat angenommen, die erbvertragliche Zuwendung der Grundstücke stehe im Zusammenhang mit der am selben Tag beurkundeten Übergabe des landwirtschaftlichen Anwesens an den Bet. zu 3. Es sei der Wille der Vertragschließenden gewesen, daß die zunächst von der Übergabe ausgenommenen beiden Grundstücke letztlich wieder zum Bestand des übergebenen Hofs gehören und nach dem Tod des zuletzt versterbenden Elternteils an den Übernehmer fallen sollten. Das BeschwGer. hat diesen Umstand als Anhaltspunkt dafür gewertet, daß die Grundstücke als Einzelgegenstand und somit als Vermächtnis zugewendet sein sollten. Diese Schlußfolgerung ist jedenfalls möglich und damit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

(5) Das LG hat bei seiner Auslegung des Erbvertrags zutreffend auch den Umstand berücksichtigt, daß die Erklärungen der Vertragschließenden von einem Notar beurkundet sind, der aufgrund des am selben Tag von ihm geschlossenen Hofübergabevertrags mit den Vermögensverhältnissen der Beteiligten vertraut war. Dies spricht dafür, daß er den Begriff „Vermächtnis“ bewußt und dem ihm gegenüber erklärten Willen der Bet. entsprechend gewählt hat (vgl. BayObLG, FamRZ 1991, 493 (494)).

(6) Im übrigen hängt die Stellung als Erbe nicht begriffsnotwendig davon ab, ob ihm nach Erfüllung der Nachlaßverbindlichkeiten noch ein mehr oder weniger großer Vorteil aus der Erbschaft verbleibt (vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 581 (582); Palandt/Edenhofer, § 2087 Rdnr. 3).

c) Allerdings wäre der die Bet. zu 1 und 2 als Miterben ausweisende Erbschein auch dann unrichtig und gem. § 2361 I 1 BGB einzuziehen, wenn sie die am 12. 1. 1993 vor dem NachlaßG erklärte Annahme der Erbschaft wirksam angefochten und dadurch die Rechtswirkungen der Ausschlagung herbeigeführt hätten (§§ 1957 I , 1953 I BGB). Das NachlaßG hat mit Verfügung vom 19. 8. 1993 festgestellt, die am 16. 8. 1993 eingegangenen Anfechtungserklärungen der Bet. zu 1 und 2 seien unwirksam. Auch diese Entscheidung hat der Bet. zu 1 mit seiner Beschwerde in zulässiger Weise (§ 19 I FGG, vgl. BayObLGZ 1988, 76 (77) = NJW-RR 1988, 1355; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 6. Aufl., § 19 FGG Anm. I 1) angefochten. Das LG hat auch insoweit über das Rechtsmittel entschieden, obwohl es im Tenor seiner Entscheidung nur den amtsgerichtlichen Beschluß vom 6. 9. 1993 nennt. In den Gründen der Beschwerdeentscheidung führt das LG nämlich aus, eine Anfechtung der Erbschaftsannahme scheide aus. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist daher auch die Anfechtung der Erbschaftsannahme, deren Wirksamkeit der Bet. zu 1 weiterhin behauptet.

d) Soweit das LG eine wirksame Anfechtung der Erbschaftsannahme verneint, ist seine Entscheidung nicht frei von Rechtsfehlern, denn es hat nur einen der geltend gemachten Anfechtungsgründe geprüft und hinsichtlich weiterer Umstände, auf die der Bet. zu 1 seine Anfechtung ebenfalls gestützt hat, das Beschwerdevorbringen nicht gewürdigt. Die Beschwerdeentscheidung verstößt insoweit gegen § 25 FGG, weil sie nicht ausreichend begründet ist (vgl. KG, NJW-RR 1989, 842; Keidel/Kuntze, FGG, 13. Aufl. § 25 Rdnrn. 12 und 12a; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 25 Rdnr. 17). Dieser Verfahrensmangel führt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, denn die landgerichtliche Entscheidung erweist sich im Ergebnis als richtig (§ 27 I 2 FGG, § 563 ZPO).

aa) Für den Inhalt der gem. § 1955 BGB gegenüber dem NachlaßG zu erklärenden Anfechtung einer Erbschaftsannahme gelten die allgemeinen Grundsätze, die für eine Anfechtungserklärung i.S. von § 143 I BGB maßgebend sind. Demgemäß ist durch Auslegung (§ 133 BGB) zu ermitteln, was erkennbar gewollt war, und die Tatsacheninstanzen haben zu prüfen, ob die Anfechtungsgründe zutreffen, die der Anfechtungsberechtigte in der Anfechtungserklärung oder im Zusammenhang damit geltend macht (vgl. BayObLG, FamRZ 1994, 848 (849) m. w. Nachw.). Daher hat das NachlaßG, dessen Ausführungen in der Verfügung vom 19. 8. 1993 das BeschwGer. sich ersichtlich zu eigen machen wollte, neben den Anfechtungserklärungen selbst, mit denen die Bet. zu 1 und 2 geltend gemacht hatten, im Termin vom 12. 1. 1993 sei ihnen die Möglichkeit der Ausschlagung unbekannt gewesen, zu Recht auch die vorangegangenen Schreiben des Bet. zu 1 und die vorgelegten Unterlagen berücksichtigt.

bb) Dem Vorbringen des Bet. zu 1, er habe erst nach dem Termin vom 12. 1. 1993 erfahren, daß die seinem Bruder zugewendeten Grundstücke entgegen dessen Angaben bei der Nachlaßverhandlung nicht Ackerland, sondern wertvolles Bauland seien, hat das NachlaßG und ihm folgend das LG entnommen, die Anfechtung solle auf einen Irrtum über den Wert der Nachlaßgrundstücke gestützt werden, deren Vorhandensein bekannt war und die der Bet. zu 1 selbst seinem Vorbringen zufolge als Bauerwartungsland betrachtet hat. Insoweit haben die Tatsacheninstanzen ohne Rechtsfehler angenommen, daß ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S. von § 119 II BGB, der die Anfechtung begründen könnte, nicht vorlag (vgl. Leipold, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1954 Rdnr. 7; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 1954 Rdnr. 3; Palandt/Edenhofer, § 1954 Rdnr. 4). Die auf diesen Umstand gestützte Anfechtung kann daher nicht durchgreifen, abgesehen davon, daß die Frist des § 1954 I und II BGB nicht gewahrt wäre, weil der Bet. zu 1 laut seinem Schreiben an das NachlaßG vom 30. 1. 1993 schon im Januar 1993 von der Einbeziehung der Grundstücke in einen Bebauungsplan erfahren hat.

cc) In den Anfechtungserklärungen vom 13. 8. 1993 haben die Anfechtenden vorgetragen, im Termin vom 12. 1. 1993 sei ihnen die Möglichkeit einer Erbschaftsausschlagung unbekannt gewesen. Aus einem Schreiben des Bet. zu 1 an das NachlaßG vom 2. 8. 1993 und dem als Anlage beigefügten Brief eines Rechtsanwalts vom 2. 7. 1993 ergibt sich außerdem, daß der Bet. zu 1 geltend machen wollte, er habe die Vorschrift des § 2306 BGB nicht gekannt und erst aus dem vorgenannten Anwaltsschreiben erfahren, daß er den Pflichtteil nur verlangen könne, wenn er den vermächtnisbelasteten Erbteil ausschlage. Die Voristanzen haben nicht geprüft, ob die Anfechtung auf diese Umstände gestützt werden kann, obwohl das Vorbringen des Bet. zu 1 dazu Anlaß gegeben hätte. Dieser Mangel erfordert jedoch nicht die Zurückverweisung der Sache, weil der Sachverhalt keiner weiteren Ermittlungen bedarf. Das RechtsbeschwGer. kann daher die vorgebrachten Anfechtungsgründe anstelle des BeschwGer. würdigen (vgl. Jansen, § 27 Rdnr. 45). Die angeführten Gründe sind nicht geeignet, eine Anfechtung der Erbschaftsannahme zu tragen.

(1) Die Bet. zu 1 und 2 haben im Termin vom 12. 1. 1993 die Erbschaft ausdrücklich angenommen. Diese Erklärung kann nicht mit der Begründung angefochten werden, der Annehmende habe nicht gewußt, daß er die Erbschaft ausschlagen könne (vgl. BayObLGZ 1987, 356 (358) = NJW 1988, 1270). Mit der vor dem NachlaßG abgegebenen Erklärung, die Erbschaft werde angenommen, kann nichts anderes erstrebt und gewollt sein, als endgültig Erbe zu sein und zu bleiben. Eine fehlende Kenntnis des Ausschlagungsrechts stellt sich daher als bloßer Rechtsirrtum dar, der nach allgemeiner Ansicht unbeachtlich ist und nicht zur Anfechtung berechtigt (vgl. BayObLGZ 1987, 356 (359) = NJW 1988, 1270 m. w. Nachw.).

(2) Der aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Miterbe berufene Bet. zu 1 ist mit dem Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) beschwert, das der Erblasser dem Bet. zu 3 erbvertraglich zugewendet hat. Als pflichtteilsberechtigter Abkömmling (§ 2303 I BGB) hätte der Bet. zu 1 gem. § 2306 I 2 BGB den Erbteil ausschlagen und den Pflichtteil verlangen können, in dessen Berechnung auch der Wert der Vermächtnisgrundstücke einzubeziehen gewesen wäre (vgl. Johannsen, in: RGRK, 12. Aufl., § 2311 Rdnr 8; Palandt/Edenhofer, § 2311 Rdnr. 7). Mit der Annahme der Erbschaft im Termin vom 12. 1. 1993 ist diese Möglichkeit entfallen (vgl. Erman/Schlüter, BGB, 9. Aufl., § 2306 Rdnr. 4), selbst wenn der Pflichtteilsberechtigte dadurch weniger erhält, als sein Pflichtteil ausmachen würde (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB, 12. Aufl., § 2306 Rdnrn. 66f.; Soergel/Dieckmann, § 2306 Rdnr. 16). Jedoch kann die Annahmeerklärung nicht deswegen angefochten werden, weil sie, wie der Bet. zu 1 geltend macht, in Unkenntnis dieser Rechtswirkung abgegeben worden ist. Die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums des pflichtteilsberechtigten Erben richtet sich nach § 119 BGB (vgl. BGH, NJW 1989, 2885; Staudinger/Ferid/Cieslar, § 2308 Rdnr. 20; Johannsen, in: RGRK, § 2308 Rdnr. 3; Soergel/Dieckmann, § 2308 Rdnr. 9; Erman/Schlüter, § 2308 Rdnr. 2; Frank, in: MünchKomm, § 2308 Rdnr. 11; Palandt/Edenhofer, § 2308 Rdnr. 1; Lange/Kuchinke, ErbR, 3. Aufl., § 39 V 9a; Kraiß, BWNotZ 1992, 31 (33)). Ein im Sinne dieser Vorschrift zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegt nicht vor.

(a) Der Bet. zu 1 hat sich weder über die Größe seines Erbteils noch über die Beschwerung mit einem Vermächtnis geirrt, denn diese Umstände sind ausweislich der Niederschrift des NachlaßGim Anschluß an die Verkündung des Erbvertrags mit den Bet. erörtert worden, bevor die Annahme der Erbschaft erklärt wurde. Die Fehlvorstellungen des Bet. zu 1 betrafen die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite der ihm bekannten Belastung. Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S. von § 119 II BGB lag daher nicht vor (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, § 2308 Rdnr. 13; Soergel/Dieckmann, § 2308 Rdnr. 9; Johannsen, in: RGRK, § 2308 Rdnr. 3; Erman/Schlüter, § 2308 Rdnr. 2).

(b) Auch ein Irrtum über den Inhalt der Annahmeerklärung i.S. von § 119 I BGB kommt nicht in Betracht. Aus dem Vorbringen des Bet. zu 1 ergibt sich, daß ihm bewußt war, er werde mit der vor dem NachlaßG erklärten Annahme der Erbschaft Erbe sein, und daß er diese Rechtsfolge gewollt hat. Seine Fehlvorstellungen bezogen sich auf den als weitere Folge der Erbschaftsannahme eingetretenen Verlust des Pflichtteilsanspruchs. Der nicht erkannte Eintritt einer zusätzlichen Rechtswirkung, hier der pflichtteilsrechtlichen Folgen der Erbschaftsannahme, ist jedoch als Motivirrtum anzusehen und daher unbeachtlich (vgl. OLG Hamm,OLGZ 1982, 41 (49); Staudinger/Dilcher, § 119 Rdnrn. 35f.; Krüger-Nieland, in: RGRK, § 119 Rdnr. 28; Palandt/Heinrichs, § 119 Rdnr. 15; Palandt/Edenhofer, § 1954 Rdnr. 3; Soergel/Stein, § 1954 Rdnr. 2; v. Lübtow, ErbR, 2. Halbb., S. 708 (709); Kraiß, BWNotZ 1992, 31 (33); Schwab, JuS 1965, 432 (437)).