Mangelfolgeschaden, Rügeobliegenheit
und Eigentumsverletzung (Weinkorkenfall)
BGH, Urteil v. 16.09.1987 - VIII ZR 334/86
(Frankfurt)
Fundstellen:
BGHZ 101, 337
NJW 1988, 52
LM § 377 HGB Nr. 31
MDR 1988, 138
BB 1987, 2326
DB 1987, 2351
WM 1987, 1299
s. auch
BGH v. 17.3.2010 - VIII
ZR 253/08
Amtl. Leitsatz:
Die Verletzung der Rügeobliegenheit gemäß
§ 377 Abs. 1 HGB hat nicht den Verlust deliktischer Ansprüche
wegen einer durch die Schlechtlieferung verursachten Verletzung eines der
in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter des Käufers zur
Folge.
Sachverhalt:
Der Kläger, der eine Weinkellerei betrieb,
bezog am 13. und 25. Oktober 1983 von der Beklagten je 50000 Weinflaschenkorken
zum Preis von 19,50 DM pro 1000 Stück. Es handelte sich um Ware der
schlechtesten von sieben auf dem Markt angebotenen Qualitätsstufen,
mit der üblicherweise billige, keiner längeren Lagerdauer ausgesetzte
Weine verkorkt werden. Die Beklagte bezog die Korken von ihrer Tochterfirma
in Portugal. Bei der Beklagten wurden die Korken bedruckt, mit einer Emulsion
überzogen, getrocknet und steril verpackt; vor und nach dem Bedrucken
werden beschädigte Korken aussortiert.
Im Betrieb des Klägers wurden 89755 Flaschen
neun verschiedener Weinsorten, darunter auch Spätlesen, mit der von
der Beklagten gelieferten Ware verkorkt, in Kartons verpackt und teilweise
an Abnehmer ausgeliefert. Kurze Zeit nach der Verkorkung wiesen die Weine
eine Trübung auf und schmeckten bitter. Der Kläger rügte
am 12. Dezember 1983 bei der Beklagten fernmündlich eine schlechte
Qualität der Korken. Er leitete ein Beweissicherungsverfahren ein,
in dem der Sachverständige M. ein Gutachten erstattete. Danach war
die Trübung der Weine durch die Korken verursacht worden, bei denen
er, der Sachverständige, so lockeres Material festgestellt habe, daß
dieses »einfach nichts mehr mit Kork zu tun« habe.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz
in Höhe von 29227705 DM, nämlich die Nettoverkaufspreise der
nicht mehr verwendungsfähigen Weine, die Kosten der Wiederherstellung
der noch verwendungsfähigen Weine, Transport- und Lagerkosten, die
Kosten der Schadensermittlung in seinem Betrieb und durch den Sachverständigen
sowie die Kosten für die Entkorkung aller Flaschen und den Preis nicht
wiederverwendungsfähiger Kartonagen und der nicht verwendeten Korken.
Die Beklagte macht unter Bezugnahme auf von ihr eingeholte Gutachten geltend,
nicht die Korken hätten zur Trübung der Weine geführt, sondern
deren hoher Eisengehalt und eine unsachgemäße kellertechnische
Behandlung; sie hat sich im übrigen darauf berufen, daß der
Kläger die angeblichen Mängel der Korken nicht unverzüglich
gerügt habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die
hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht
(dessen Urteil in WM 1986,1566 m. Anm. Ott WuB IV D. § 377 HGB 1.87
abgedruckt ist) zurückgewiesen. Die Revision des Klägers führte
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
Aus den Gründen:
I. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Es könne dahinstehen, ob Schadensersatzansprüche aus positiver
Vertragsverletzung überhaupt in Betracht kämen, weil sie grundsätzlich
die Verletzung einer über die bloße Lieferung hinausgehenden
Verhaltenspflicht voraussetzten. Jedenfalls stehe dem Anspruch das Unterlassen
der unverzüglichen Mängelrüge nach § 377 Abs. 1 HGB
entgegen. Der Kläger habe die Korken, die nach dem Gutachten des Sachverständigen
schon äußerlich sehr schlecht gewesen seien, genauer untersuchen
und wenigstens einige durchschneiden müssen, zumal er die billigste
Korkqualität gekauft und damit auch bessere Weine habe verschließen
wollen. Bei einem Durchschneiden der Korken hätte ihre schlechte Qualität
festgestellt werden können. Selbst wenn - wie der Kläger behauptet
habe - die frühere Verwendung von Korken derselben Qualität zu
keiner Trübung des Weines geführt habe, könne ihn dies nicht
von der Verpflichtung zur unverzüglichen Untersuchung und Rüge
befreien. Die erstmals am 12. Dezember 1983 erfolgte Reklamation sei nicht
mehr unverzüglich gewesen.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen
der Revision stand.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden
Senats kommen Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung
unter dem Gesichtspunkt schuldhafter Schlechtlieferung einer Kaufsache
insoweit in Betracht, als der Käufer durch die Lieferung der mangelhaften
Sache Schaden an anderen Rechtsgütern erlitten hat (z. B. BGHZ 66,315,316;
77,215,217; Urteile vom 30. April 1975 - VIII ZR 164/73 = WM 1975,562 unter
I, vom 16. Mai 1984 - , VIIl ZR 40/83 = WM 1984,1059 unter I 2a und vom
3. Juli 1985 - VIll ZR 152/84 = WM 1985,1145 unter III 2, m. Nachw.).
b) Dem vom Berufungsgericht angedeuteten Bedenken
gegen die Annahme eines derartigen Anspruchs braucht nicht nachgegangen
zu werden. Denn das Berufungsgericht nimmt rechtsfehlerfrei an, daß
der Kläger mit diesem Anspruch gemäß § 377 Abs. 2
HGB ausgeschlossen ist, weil er die Korken nicht unverzüglich gerügt
hat.
aa) Soweit die Revision geltend machen will, der
Kläger habe keine Veranlassung zur Untersuchung der Ware gehabt, weil
auch früher gelieferte Korken sehr schlechte Qualität aufgewiesen
und gleichwohl nicht zu einer Trübung der Weine geführt hätten,
verkennt sie die an die Rügeobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGB
zu stellenden Anforderungen. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf
hin, daß auch bei Teil- und Sukzessivlieferungen grundsätzlich
jede einzelne Lieferung gerügt werden muß (Senatsurteil vom
3. Februar 1959 - , VIll ZR 14/58 = LM HGB § 377 Nr. 5 unter II a.
E; RGZ 65,49,53; Staub/Brüggemann, HGB 4. Aufl. § 377 Rdn. 118).
Hatte der Kläger - wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht eingeräumt hat - sogar erkannt, daß die Korken
»nicht gut« waren, so hilft ihm sein Vertrauen darauf nicht,
daß die schlechte Qualität - wie in früheren Fällen
- keine negativen Auswirkungen auf die mit den Korken verschlossenen Weine
haben werde. Die Rügeobliegenheit setzt mit dem Vorliegen eines Mangels
der Sache und dessen Erkennbarkeit ein und erfordert nicht, daß der
Käufer die Gefahr eines Mangelfolgeschadens erkannte oder erkennen
konnte. Daß aber die mangelhafte Qualität der Ware, von der
der Kläger selbst ausgeht, bei dem ihm ohne weiteres zuzumutenden
Durchschneiden einiger Korken unschwer festzustellen war, hat das Berufungsgericht
in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen
ohne Rechtsfehler festgestellt. Aus demselben Grund kann die Revision auch
mit ihrem weiteren Einwand, es habe ein versteckter Mangel i.S. des §
377 Abs. 3 HGB vorgelegen, keinen Erfolg haben.
bb) Zu Unrecht will die Revision zwischen der
Korkenqualität einerseits und der durch sie möglicherweise hervorgerufenen
Trübung der Weine andererseits unterscheiden und daraus den Schluß
herleiten, die Geltendmachung des Mangelfolgeschadens werde nicht dadurch
ausgeschlossen, daß die Ware gemäß § 377 Abs. 2 HGB
als vertragsgemäß zu gelten habe. Soweit dem nicht schon die
obigen Ausführungen (zu aa) entgegenstehen, setzt sich die Revision
mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats in Widerspruch,
nach der durch das Unterlassen der Rüge neben den Gewährleistungsansprüchen
im eigentlichen Sinne (§§ 462 f. , 480 BGB) auch Ansprüche
aus positiver Vertragsverletzung wegen eines nicht rechtzeitig gerügten
Fehlers verlorengehen (BGHZ 66,208,212; Urteile vom 30. April 1975 aaO
unter II und vom 22. Mai 1985 - VIII ZR 140/84 = WM 1985,975 unter I 1;
RGZ 106,309,310). Ein Anlaß, hiervon abzugehen, besteht nicht und
wird von der Revision auch nicht aufgezeigt.
II. 1. Ob die Beklagte als Herstellerin der Korken
im Sinne einer Produzentenhaftung anzusehen ist, hat das Berufungsgericht
offengelassen. Es meint, auch ein Anspruch aus Delikt stehe dem Kläger
nicht zu, weil die Vorschrift des § 377 HGB insoweit jedenfalls analog
angewendet werden müsse. Dem stehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGHZ 66,315), nach der bei einem Zusammentreffen von auf einem Sachmangel
beruhenden Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung
und unerlaubter Handlung der Delikts anspruch unabhängig von der Regelung
des § 477 BGB in drei Jahren verjähre (§ 852 HGB), nicht
entgegen. Denn der Zweck des § 377 HGB erschöpfe sich nicht -
wie der des § 477 BGB - in der baldigen Wiederherstellung des Rechtsfriedens
im Kaufrecht und in der Vermeidung von nach gewisser Zeit kaum noch durchzuführenden
Mängelfeststellungen, sondern diene auch dem Ziel einer interessengemäßen
Risikoverteilung im Handelsverkehr. Der Verkäufer müsse möglichst
früh von fehlerhaften Lieferungen erfahren, um rechtzeitig Ersatz
liefern und etwaige Folgeschäden vermeiden zu können. Diesem
Schutzzweck müsse durch die Einbeziehung deliktischer Ansprüche
in die Ausschlußwirkung des § 377 HGB zumindest dann Rechnung
getragen werden, wenn durch Verarbeitung oder Verwertung im Rahmen der
bestimmungsgemäßen Verwendung der Kaufsache - wie hier - typischerweise
mit Schäden an weiteren Rechtsgütern des Käufers zu rechnen
sei.
2. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kommt
eine deliktische Haftung der Beklagten wegen Lieferung einer mangelhaften
Sache unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht
grundsätzlich in Betracht (dazu z. B. Kullmann in: Kullmann/Pfister,
Produzentenhaftung 1. Bd. Kennzahl 1520 S. 21 ff. , insbes. 40 c, 64,72,73).
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem Kläger
ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nicht abgesprochen werden.
a) Die Frage, ob die Vorschrift des § 377
HGB auch auf Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung aus
§ 823 Abs. 1 BGB mit der Folge des Rechtsverlustes bei nicht rechtzeitiger
Rüge übergreift, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich
bisher nicht ausdrücklich entschieden (zur früheren Rechtsprechung,
die in aller Regel nur Ansprüche wegen vertraglichen Verschuldens
betraf, vgl. z. B. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche
Haftung, 1972, S. 296 ff.). Im Schrifttum wird die Frage überwiegend
verneint (Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht 2. Aufl. S. 216 f.; Baumbach/Duden/Hopt,
HGB 27 Aufl. § 377 Anm. 1 C; Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr,
1961, S. 340; Messer in: Kullmann/Pfister aaO Kennzahl 1426 S. 32 f.; Ott
aaO; von Caemmerer, Festschrift für Rheinstein Bd. II, 1969, S. 659,681
für Ansprüche wegen Verletzung von Person und Sachen des Käufers;
Schlechtriem aaO S. 293 ff.; ders. , Festschrift für Rheinstein aaO
S. 683,695 ff. mit Ausnahme der auf das »Vertragsinteresse«
gerichteten Deliktsansprüche; ders. VersR 1973,581,588 ff. jedenfalls
dann, wenn sich aus der vertragswidrigen Beschaffenheit der Sache zugleich
eine Verkehrspflichtverletzung ergibt; ähnlich Soergel/Huber, BGB
11. Aufl. § 463 Rdn. 99; Huber AcP 177,281,321 ff.; Staub/Brüggemann
aaO Rdn. 168; anders dagegen Brüggemann JA 1977; 102,104), teilweise
aber auch bejaht (Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und
Delikt, 1934, S. 145; Schumann, Handelsrecht Bd. II, 1954, S. 109; Rabel,
Das Recht des Warenkaufs 2. Bd. , 1958, S. 217; Meeske, Die Mängelrüge,
1965, S. 152; Schwark AcP 179,57; 76 ff.; Schlegelberger/Hildebrandt, HGB
3. Aufl. § 377 Rdn. 53; Schlegelberger/Hefermehl, HGB 5. Aufl. §
377 Rdn. 82; einschränkend offenbar MünchKomm/Mertens 2. Aufl.
§ 823 Rdn. 89). Nicht selten findet sich in der handelsrechtlichen
Literatur die Aussage, daß die Rügeversäumnis alle aus
dem Mangel der Ware abgeleiteten Ansprüche ausschließe, ohne
daß solche aus unerlaubter Handlung ausdrücklich genannt werden
(z. B. Düringer/Hachenburg, HGB 3. Aufl. § 377 Anm. 59; Koenige/Teichmann/Koehler,
HGB 4. Aufl. § 377 Anm. 4d; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 1980, S.
603; Glaser JR 1955,281,284; vgl. auch RGJW 1936,2391,2392). Das Schweizerische
Bundesgericht hat in einem Fall aus dem Werkvertragsrecht der deliktischen
Schadensersatzklage wegen eines Unfalls trotz Rügeversäumnis
(vgl. Art. 367; 370 OR) stattgegeben (BGE 64 II 254,259 f. , 263), dem
Käufer hingegen, der die Sache nicht überprüft und Mängel
nicht rügt (vgl. Art. 201 Abs. 1 OR), seinen auf Ersatz eines Vermögensschadens
gerichteten Deliktsanspruch aberkannt (BGE 67 II 132,137 f.), später
indessen offengelassen, ob an der im letzteren Entscheid vertretenen Auffassung
festgehalten werden könne (BGE 90 II 86,89). Im amerikanischen Recht
hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß das im Uniform Scales Act
und im Uniform Commercial Code aufgestellte Erfordernis, einen Vertragsbruch
in einer »reasonable time« zu rügen, für Ansprüche
aus Delikt nicht gilt (näher dazu Schlechtriem, Festschrift für
Rheinstein aaO S. 701 ff.).
b) Der erkennende Senat entscheidet die Frage
dahin, daß die Verletzung der Rügeobliegenheit gemäß
§ 377 Abs. 1 HGB nicht den Verlust deliktischer Ansprüche wegen
der durch die Schlechtlieferung verursachten Verletzung eines der in §
823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter des Käufers zur Folge hat.
Denn bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung handelt es sich - anders
als bei solchen aus positiver Vertragsverletzung - nicht um Gewährleistungsansprüche
im weiteren Sinne, bei denen allein ein Ausschluß durch rügelose
Annahme der mangelhaften Ware gerechtfertigt erscheint (BGHZ 66,208,213).
aa) Die Vorschrift des § 377 HGB bezieht
sich nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz (Viertes Buch, Zweiter
Abschnitt des Handelsgesetzbuches) und ihrem Wortlaut (Abs. 1: »Kauf«,
»Handelsgeschäft« usw.) unmittelbar nur auf den Handelskauf
zwischen Kaufleuten. Auch der vom Gesetz angeordneten Rechtsfolge (Abs.
2: .... so gilt die Ware als genehmigt. .. «) läßt sich
lediglich entnehmen, daß die Frage der vertragsmäßigen
Beschaffenheit der Ware nach einer Rügeversäumnis dem Streit
der Parteien entzogen sein soll. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift,
die auf Art. 347 ADHGB (dazu Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs
und eines Einführungsgesetzes, 1896/97, S. 240 ff.) und damit auf
Art. 264 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen
Staaten von 1857 (dazu Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen
deutschen Handelsgesetzbuches. I. und II. Teil, 1858, S. 643 ff.) zurückgeht,
gibt keinerlei Hinweise darauf, daß die Verfasser des Gesetzes bei
den Wirkungen der Mängelrüge an andere als vertragliche Ansprüche
gedacht haben (ebenso Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO
S. 695; ders. in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung
des Schuldrechts Bd. II, 1981, S. 1591,1661 Fußn. 333).
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs handelt es sich bei dem Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen
aus Vertragsverletzung und aus unerlaubter Handlung um eine echte Anspruchskonkurrenz
mit der Folge, daß grundsätzlich weder die Deliktsordnung von
der Vertragsordnung verdrängt wird noch umgekehrt und daß jeder
Anspruch nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung
selbständig zu beurteilen ist und seinen eigenen Regeln folgt (BGHZ
9,301,302 f.; 66,315,319; 67,359,362 f.; 86,256,260; 96,221,229). Dies
spricht dafür, die für den Handelskauf geschaffene Bestimmung
des § 377 HGB auf deliktische Ansprüche nicht anzuwenden. Etwas
anderes könnte nur dann gelten, wenn die Möglichkeit des Geschädigten,
nach einem Ausschluß mit seinen vertraglichen Schadensersatzansprüchen
auf die aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Ansprüche
auszuweichen, den Zweck einer für den vertraglichen Anspruch geltenden
Vorschrift vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen
würde (Senatsurteil BGHZ 66,315,319; ähnlich BGHZ 96,221,229).
Dies hat der erkennende Senat bejaht hinsichtlich der Ersatzansprüche
des Vermieters wegen Veränderung oder Verschlechterung der vermieteten
Sache (BGHZ 47,53; Urteil vom 7. Februar 1968 - VIII ZR 179/65 = WM 1968,435
unter 2 b); wollte man hier auf den deliktischen Anspruch die dreijährige
Verjährungsfrist des § 852 BGB anwenden, so würde die in
§ 558 BGB getroffene Regelung, die den vertraglichen Ersatzanspruch
der kurzen sechsmonatigen Verjährung unterstellt, leerlaufen, weil
sich die Ersatzansprüche des Vermieters in aller Regel auf einen Schaden
an der in seinem Eigentum stehenden Mietsache beziehen. Verneint hat der
Senat dagegen eine derartige Sachlage für die Frage der Anwendbarkeit
des § 477 BGB, wenn der Käufer vom Verkäufer wegen eines
Sachmangels Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung und zugleich
aus unerlaubter Handlung verlangen kann (BGHZ 66,315,320 ff.; Urteil vom
3. Juli 1985 - VIII ZR 152/84 = WM 1985,1145 unter III 3).
Der vorliegende Fall ist mit dem zuletzt genannten
Sachverhalt vergleichbar. Die Vorschriften der §§ 477 BGB, 377
HGB dienen - wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt - jedenfalls
teilweise ähnlichen Zielen. Sinn der kurzen Verjährungsfrist
ist es, im Kaufrecht möglichst bald nach Vertragsabwicklung Rechtsfrieden
wiederherzustellen und die mit zunehmendem Zeitablauf schwieriger werdenden
Ermittlungen darüber entbehrlich zu machen, ob und in welchem Umfang
Mängel bei Gefahrübergang vorhanden waren und welche Schäden
sie verursacht haben (BGHZ 60,9,11 f.; 77,215,219; 88,130,137). Die Rügeobliegenheit
bezweckt, die Abwicklung der Handelskäufe zu beschleunigen, dem Verkäufer
so bald wie möglich Klarheit über später nur schwer feststellbare
Mängel zu verschaffen und ihn von der Dispositions- und Beweisunsicherheit
zu entlasten, die sich aus der Möglichkeit eines Nachschiebens von
Mängelrügen ergäbe (BGHZ 91,293,299 f.; Senatsurteil vom
27. März 1985 -VIII ZR 75/84 = WM 1985,834 unter 3b cc ß; RGZ
106,309,310). Daß die angestrebte rasche Wiederherstellung des Rechtsfriedens
erschwert wird, wenn der Geschädigte auf deliktische Ansprüche
ausweichen kann, gilt im einen wie im anderen Falle, zwingt jedoch nicht
dazu, die vertragliche Regelung auf den Anspruch aus unerlaubter Handlung
übergreifen zu lassen (BGHZ 66,315,321 f.). Dem Berufungsgericht und
der Revisionserwiderung ist allerdings einzuräumen, daß der
rechtspolitische Sinn des § 377 HGB insofern weitergeht, als die Rügeobliegenheit
auch dem Interesse des Verkäufers dient, von den bei zumutbarer Prüfung
zutage tretenden Mängeln der von ihm gelieferten Sache möglichst
rasch zu erfahren, um dadurch drohenden Schaden noch rechtzeitig abwenden
zu können (BGHZ 66,208,213; Senatsurteil vom 30. April 1975 - VIII
ZR 164/73 = WM 1975,562 unter I 4). Dies betrifft indessen stets nur den
vertraglichen Abwicklungsschutz des Verkäufers, ein Schutz vor seiner
deliktischen Verantwortlichkeit liegt nicht im Zweck der Norm. Vor allem
kann keine Rede davon sein, daß die Vorschrift des § 377 HGB
ihren Sinn verlöre, wenn dem Käufer auch nach Rügeversäumung
die Rechte aus unerlaubter Handlung erhalten bleiben: Er ist auf Ansprüche
beschränkt, die auf einer Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB
genannten Rechtsgüter beruhen, und bleibt somit - von dem hier nicht
entscheidungserheblichen Fall der Schutzgesetzverletzung möglicherweise
abgesehen - mit der Geltendmachung seines allgemeinen Vermögensschadens
ausgeschlossen. Auch ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB die Deliktshaftung
des Verkäufers auf den Ersatz des Integritätsinteresses des Käufers
beschränkt und erstreckt sich nicht auf dessen enttäuschte Vertragserwartungen
(BGHZ 86,256,259 f.; BGH Urteile vom 18. Januar 1983 -VI ZR 270/80 = WM
1983,265 unter II 1 aaa und vom 18. September 1984-VI ZRS 1/83 = VersR
1984,1151 unter II 2b aa). Schließlich ist dem geschädigten
Käufer nach versäumter Rüge die Rechtsverfolgung insofern
erschwert, als dem Verkäufer der Entlastungsbeweis hinsichtlich des
Verhaltens seiner Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) offensteht (dazu
BGHZ 66,315,322). Aus allem folgt, daß der Verkäufer nach einem
Verstoß des Käufers gegen seine Rügeobliegenheit in erheblichem
Umfang auch dann vor einer Inanspruchnahme durch den Käufer geschützt
bleibt, wenn diesem deliktische Ansprüche nicht grundsätzlich
abgeschnitten sind. Im Rahmen der Deliktsverantwortlichkeit des Verkäufers
ermöglicht zudem die Vorschrift des § 254 BGB bei einer Selbstgefährdung
des Käufers, die ihm wegen Unterlassens einer gebotenen Untersuchung
der schädlichen Ware anzulasten sein kann, einen flexibleren und abgestufteren
Interessenausgleich als die starre Regelung des § 377 HGB (BGHZ 66,208,214
m. Anm. Hiddemann LM HGB § 377 Nr. 17 unter 2 aE. zum Fall eines nicht
auf einem Sachmangel beruhenden Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung;
vgl. auch Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 704).
cc) Die gegenteilige Auffassung gelangt zu unbefriedigenden
Ergebnissen und schwer verständlichen Wertungswidersprüchen.
Dies zeigt sich an drei Beispielen: Die aus der Gegenmeinung folgende Verkürzung
des allgemeinen Rechtsgüterschutzes des in seinem Eigentum oder anderen
absoluten Rechten geschädigten Käufers läßt sich nicht
rechtfertigen, weil er gegenüber dem schädigenden Verkäufer
nicht schlechter als jeder Dritte gestellt werden darf. Tritt der Schaden
erst beim Abnehmer des Käufers oder einer anderen Person ein, die
mit der fehlerhaften Ware in Berührung gerät, so könnte
der Verkäufer einem auf Produzentenhaftung gestützten Anspruch
dieses Dritten die Rügeversäumnis des Käufers ohne Zweifel
nicht entgegenhalten. Es ist nicht einzusehen, den Käufer nur deswegen
anders zu behandeln, weil er zum Verkäufer in vertraglichen Beziehungen
steht. Die Gewährleistungsansprüche nach den § 459 ff. BGB
- auch in ihrer Ausformung beim Handelskauf (§§ 377; 378 HGB)
- geben dem Verkäufer im Vergleich zu Dritten zusätzliche Rechte
und können nicht zu einer Einschränkung seines allgemeinen Rechtsgüterschutzes
herangezogen werden (ebenso z. B. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche
Haftung aaO S. 295,298; ders. VersR 1973,598; hinsichtlich der Verjährungsfrist
vgl. auch Hiddemann Anm. LM BGB § 477 Nr. 25 zu 3 a. E.; Rengier JZ
1977; 346,347). Ebensowenig besteht Veranlassung, den Kaufmann im Schutz
seiner absoluten Rechtsgüter schlechter zu stellen als jeden anderen
Käufer, den eine Rügeobliegenheit nicht trifft (zutreffend Messer
aaO S. 32 f.). Noch ungereimter wäre - worauf Huber (AcP 177,323 dort
zu § 477 BGB) zu Recht hinweist - das Ergebnis, wenn man einem Dritten,
der vermöge seines besonderen »Näheverhältnisses«
zum Käufer in den Schutzbereich des Kaufvertrages einbezogen ist,
bei einer Schädigung durch die Kaufsache zwar einen eigenen vertraglichen
Schadensersatzanspruch zugestehen, ihn aber nach einer Rügeversäumnis
durch den Käufer nicht nur hiermit, sondern auch mit deliktischen
Ansprüchen ausschließen wollte.
dd) Die im Schrifttum für eine Erstreckung
der Wirkung des § 377 Abs. 2 HGB auf deliktische Ansprüche genannten
Gründe können nicht überzeugen.
a) Nach Dietz (aaO) soll durch die Genehmigungsfiktion
zwar nicht die Widerrechtlichkeit einer Eigentumsverletzung beseitigt werden;
der Käufer müsse sich aber so behandeln lassen, »als ob
er eingewilligt und damit die Widerrechtlichkeit in Wegfall gebracht hätte«
(dagegen z. B. Messer aaO S. 32; Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein
aaO S. 690). Diese Auffassung verkennt die Bedeutung der gesetzlichen Fiktion
in § 377 Abs. 2 HGB (zum Charakter als Fiktion vgl. RGJW 1936,2391;
RGZ 106,359,360; anders z. B. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des
Bürgerlichen Rechts 15. Aufl. 2. Halbb. , 1960, S. 946 Fußn.
16). Die Rechtsfiktion bedeutet keine »tatsächliche Identifikation«
zweier verschiedener Sachverhalte, sondern fordert lediglich zur Prüfung
auf, ob und inwieweit die rechtliche Gleichbewertung unterschiedlicher
Tatbestände gewollt und gerechtfertigt ist (Esser, Wert und Bedeutung
der Rechtsfiktionen, 1940, S. 31 f.). Hinsichtlich des § 377 HGB ergeben
die Auslegung der Vorschrift (oben II 2b aa) und das Bestehen echter Anspruchskonkurrenz
zwischen Vertrags- und Deliktsordnung (oben II 2b bb), daß die Ausschlußwirkung
darauf beschränkt ist, die Mängelfreiheit der gelieferten Sache
klarzustellen: Die Ware gilt als vertragsgerecht (ebenso Hönn BB 1978,685,688).
Die deliktische Haftung des Verkäufers beruht indessen nicht darauf,
daß die Sache nicht den vertraglichen Anforderungen entspricht, sondern
daß er eine Verkehrspflicht verletzt hat (Huber AcP 177; 321). Daß
der Käufer hierin und in die sich daraus ergebende Verletzung seiner
Rechtsgüter eingewilligt habe, kann allein aus der Rügeunterlassung
deshalb nicht gefolgert werden, weil es sich hierbei nicht um eine Genehmigung
i.S. eines privatautonomen Verhaltens handelt (Hönn aaO). Selbst unter
dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr führt eine bewußte
Selbstgefährdung in der Regel nicht zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit,
sondern nur zur Anwendung des § 254 BGB (BGHZ 34,355,360 ff. unter
Angabe der früheren Rechtsprechung). Einen hiervon abweichenden Ausnahmefall
(BGH aaO 363) hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und die Beklagte
nicht behauptet. Schwark (AcP 179,77) hält es für »wenig
sinnvoll«, bei der Frage der Ausschlußwirkung durch Rügeverlust
zwischen Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung und solchen aus
Delikt zu unterscheiden (vgl. demgegenüber hinsichtlich der Verjährung
bereits BGHZ 66,315). Dies leugnet nicht nur die von der herrschenden Meinung
in Rechtsprechung und Schrifttum angenommenen Rechtsfolgen echter Anspruchskonkurrenz
(oben II 2b bb und allgemein z. B. Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl.
Vorbem. zu §§ 823 ff. Rdn. 32 ff. m. Nachw.), sondern übersieht
auch die Gründe, die dazu geführt haben, früher als typische
Deliktstatbestände aufgefaßte Sachverhalte in den Bereich der
Haftung für positive Vertragsverletzung einzubeziehen (dazu z. B.
von Caemmerer in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben Bd. II, 1960, S.
49,56; Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 685): Denn
damit sollte - vornehmlich aus Beweislastgründen und wegen der als
unbefriedigend empfundenen deliktischen Ordnung der Haftung für Angestellte
(§ 831 BGB) - der Schutz des Käufers gestärkt werden. Das
Gegenteil würde erreicht, wenn man aus dem Umstand, daß das
Integritätsinteresse des Käufers in gewissem Umfang nunmehr auch
durch Vertragsansprüche geschützt ist, die Folgerung ableiten
wollte, der vertragliche Abwicklungsschutz des Verkäufers durch die
kurze Verjährungsfrist (§ 477 BGB) und die Folgen einer Rügeversäumnis
des Käufers beim Handelskauf (§ 377 HGB) müßten auch
auf seine Deliktshaftung erstreckt werden (ähnlich wohl auch Schlechtriem,
Vertragsordnung und außervertragliche Haftung aaO S. 296; ders. VersR
1973,588).
&ggr;) Aus ähnlichen Gründen kann
Schwark (aaO 78) auch nicht in der Beurteilung zugestimmt werden, es sei
sachlich nicht gerechtfertigt, zwischen einem auf die Kaufsache bezogenen
und einem weitere Rechtsgüter des Käufers ergreifenden Schaden
zu differenzieren. Es kommt nicht in erster Linie darauf an, wo der Schaden
eingetreten ist. Deliktische Ansprüche des Käufers können
unter Umständen auch gegeben sein, wenn die Kaufsache selbst beschädigt
wird (BGHZ 67,359; 86,256). Entscheidend ist, ob den Verkäufer neben
seiner vertraglichen auch eine deliktische Verantwortlichkeit trifft. Ist
dies der Fall, so ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, den schädigenden
Verkäufer nur deshalb besser zu stellen, weil er mit dem Geschädigten
einen Vertrag geschlossen hat.
3. Wenn somit auch ein Anspruch des Klägers
aus § 823 Abs. 1 BGB nicht durch sein Rügeversäumnis ausgeschlossen
ist, so kann der erkennende Senat gleichwohl nicht abschließend entscheiden
(§ 565 ZPO). Das Berufungsgericht hat weder auf geklärt, ob ein
Mangel der Korken für die Trübung der Weine ursächlich war,
noch Feststellungen darüber getroffen, inwieweit die Beklagte eine
Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung trifft
und ob sie schuldhaft eine Gefahrabwendungspflicht verletzt hat. Im übrigen
liegt die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers nahe, der nach
seinem eigenen Vorbringen die schlechte Qualität der Korken gekannt
und dennoch eine große Anzahl Flaschen Wein, darunter auch Spätlesen,
mit diesem Material ohne Prüfung verschlossen hat. Auch die Verteilung
und das Maß der Verantwortlichkeit für den Schaden im Rahmen
des § 254 BGB muß der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten
bleiben (BGHZ 51,275,279 f.; Senatsurteil vom 21. September 1983 -VIII
ZR 163/ 82 = WM 1983,1189 unter II 3; st. Rspr.). Mangels all dieser Feststellungen
sieht der Senat Ausführungen zu einzelnen Positionen des geltend gemachten
Schadens nicht veranlaßt, zumal die Summe dieser Positionen die Höhe
des Klagantrags übersteigt.
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