Mitverschulden des gesetzlichen Vertreters
und gestörte Gesamtschuld
BGH, Urteil v.
01.03.1988 - VI ZR 190/87 (Düsseldorf)
Fundstellen:
BGHZ 103, 338
JuS 1989, 405 f (Emmerich)
NJW 1988, 2677
MDR 1988, 766
JZ 1989, 45
FamRZ 1988, 810
VersR1988, 632
Amtl. Leitsätze:
1. Zu den Verkehrssicherungspflichten auf einem
öffentlichen Kinderspielplatz.
2. Die Benutzung eines Kinderspielplatzes begründet
kein Sonderrechtsverhältnis, aus dem sich das Kind, das durch ein
nicht verkehrssicheres Spielgerät verletzt wird, ein Mitverschulden
seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB zurechnen lassen muß.
3. Die Ersatzpflicht des Schädigers für
die Verletzung eines Kindes wird nicht dadurch berührt, daß
an der Schädigung die Eltern des Kindes mitbeteiligt gewesen sind,
diese aber wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabes des § 1664
I BGB dem Kind nicht haften. Dem Schädiger steht in diesem Fall auch
nicht ein (fingierter) Ausgleichsanspruch gegen die Eltern zu (Aufgabe
von BGHZ 35, 317).
Zentrale Probleme:
1.) Nach ganz h.M. ist § 254 II 2 BGB als
ein Absatz 3 zu lesen, d.h. auch bei dem Mitverschulden in der Schadensbegründung
nach § 254 I BGB ist dem Geschädigten ein Mitverschulden von
Dritten nach § 278 BGB zurechenbar. Der BGH folgt hier der h.M., welche
die Verweisung auf § 278 BGB als Rechtsgrundverweisung versteht. Damit
war dem Geschädigten Kind hier das Mitverschulden des Vaters als gesetzlicher
Vertreter nicht nach § 278 BGB zurechenbar, da vor dem Unfall kein
Schuldverhältnis zwischen dem Kind und dem "Spielplatzbetreiber" bestand.
2.) Fraglich war, ob sich die Tatsache, daß
der Vater dem Kind aufgrund des Haftungsprivilegs des § 1664 BGB nicht
haftete, nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld zulasten
des Kindes auswirken konnte.
Das Problem der gestörten Gesamtschuld läßt
sich wie folgt zusammenfassen (vgl. hierzu
Lorenz/Riehm,
JuS-Lern CD Zivilrecht I, im Erscheinen, Rn. 238):
Ist von mehreren Schädigern, die eigentlich
nach § 840 (evtl. analog) als Gesamtschuldner für einen Schaden
haften würden, einer aufgrund einer (gesetzlichen oder vertraglichen)
Haftungsfreistellung oder -erleichterung gegenüber dem Geschädigten
von der Haftung befreit, so liegt eine sog. gestörte Gesamtschuld
vor.
Eigentlich entsteht hier gar kein Gesamtschuldverhältnis
i.S.d. § 421, sondern der nicht privilegierte Zweitschädiger
würde alleine haften, ohne daß er eine Regreßmöglichkeit
nach § 426 hätte. Diese Lösung wird aber in vielen Fällen
für unbillig erachtet. Beim vertraglichen Haftungsausschluß
liefe sie sogar auf einen Vertrag zu Lasten Dritter hinaus, da Geschädigter
und Erstschädiger vertraglich die gesamte Haftung auf den Zweitschädiger
abwälzen könnten (vgl. BGHZ 58, 216 = NJW 1972, 942).
Für die Lösung werden mehrere Wege vorgeschlagen:
Die frühere Rechtsprechung hat dem vertraglichen
und gesetzlichen Haftungsausschluß (mit Ausnahme von §§
104 f. SGB VII, früher §§ 636 f. RVO) keine Außenwirkung
beigemessen, sondern hat ein Gesamtschuldverhältnis fingiert, um dem
Zweitschädiger den Regreß beim Erstschädiger zu ermöglichen.
Der Haftungsausschluß war so i.E. für den Erstschädiger
nur wirksam, wenn er alleine schädigte (BGHZ 12, 213).
Diese Lösung wirkte sich im Ergebnis zuungunsten
des Erstschädigers aus.
Im Schrifttum und in der Rspr. zu §§
104 f SGB VII wird dagegen der Haftungsausschluß zuungunsten des
Geschädigten gewertet: Der Anspruch des Geschädigten wird von
vornherein um den Anteil gekürzt, der vom Erstschädiger verursacht
wurde: Insoweit hat der Geschädigte im voraus durch den vereinbarten
Haftungsausschluß darauf verzichtet (Stoll FamRZ 1962, 64; BGHZ 51,
37 = NJW 1975, 236).
In der vorliegenden Entscheidung hat der BGH die
Haftungserleichterung des § 1664 zuungunsten des Zweitschädigers
wirken lassen: Diese Norm wolle die Familie auch nach außen schützen
und privilegiert diese darum als ganze auch mit Außenwirkung, so
daß der Zweitschädiger den gesamten Schaden alleine tragen muß.
Diese Lösung ist aber bei vertraglichen Haftungsausschlüssen
nicht möglich.
(s. nunmehr auch
BGH NJW 2004, 2892)
Zum Sachverhalt:
Der damals 1 Jahr 10 Monate alte Kl. erlitt am
17. 5. 1985 auf einem öffentlichen, von der bekl. Stadt unterhaltenen
Kinderspielplatz in M. erhebliche Verletzungen an Kopf und Schultern, als
er von dem Podest einer dort aufgestellten Rutsche zu Boden stürzte.
Das Podest der Rutsche lag mindestens 1,50 m über dem Boden, der an
dieser Stelle aus Asphaltbeton bestand. An den Seiten des Podestes befand
sich jeweils ein Holm mit weit ausgelegten Seitenräumen. Zu dem Unfall
war es nach Darstellung des Kl. gekommen, als er sich zum Rutschen auf
das Podest gesetzt, das linke Bein vorgestreckt habe und - während
sein Vater an der Rutsche links neben ihm gestanden habe - in einem unbewachten
Moment plötzlich nach rechts rücklings unter den Holm gerutscht
und auf den Boden gefallen sei. Der Kl. hat die Bekl. wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes
sowie auf Feststellung des Ersatzes aller weiteren Schäden in Anspruch
genommen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen
sind. Die Bekl. ist dem Klagebegehren entgegengetreten. Sie hat darauf
verwiesen, daß das Spielgerät schon seit 1964 aufgestellt gewesen
sei und vergleichbare Unfälle in der Vergangenheit nicht aufgetreten
seien. Auch müsse sich der Kl. das Mitverschulden seines Vaters aus
der Verletzung der ihm obliegenden Aufsichtspflicht entgegenhalten lassen.
Das LG hat dem Kl. ein Schmerzensgeld in Höhe
von 10000 DM zugesprochen und den Feststellungsantrag für begründet
erklärt. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG das Schmerzensgeld
auf 8000 DM ermäßigt, die weitergehende Berufung aber als unbegründet
zurückgewiesen. Die (zugelassene) Revision der Bekl. blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. geht von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflichten
durch die Bekl. aus.
Sie habe die Benutzung der Rutsche, die an den
seitlichen Holmen keine ausreichende Absturzsicherung für kleinere
Kinder aufgewiesen habe, nicht mit einem Asphaltbeton als Bodenbelag im
Bereich der Standfläche zulassen dürfen. Da es immer wieder vorkomme,
daß Kinder von Spielgeräten abstürzten, bedürfe es
nur dann keiner besonderen Sicherungsmaßnahmen, wenn das Gerät
verhältnismäßig niedrig sei. Andernfalls sei, um Verletzungen
zu vermeiden, ein aufprallhemmender Unterboden zu wählen. Demgemäß
sehe die bereits 1979 erlassene DIN-Norm 7926 für Spielgeräte
mit Handlauf und einer Fallhöhe von 1 m bis 2 m als Bodenbeläge
nur Rasen, Kunststoff, Fallschutzplatten oder Sand bzw. Feinkies in einer
Höhe von 200 mm vor. Ein etwaiges Mitverschulden seines Vaters an
dem Unfall könne dem Kl. nicht angerechnet werden.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen
Nachprüfung stand.
1. Zutreffend hat das BerGer. die aus § 823
I BGB folgenden Sicherungspflichten bestimmt, die der bekl. Stadt M. aus
der Verkehrseröffnung auf dem Spielplatz, auf dem der Kl. den Unfall
erlitten hat, erwachsen sind.
a) Nach dem Grundsatz, daß jeder, der Gefahren
schafft, auch die notwendigen Vorkehrungen zur Sicherheit Dritter zu treffen
hat, mußte die Bekl. die Sicherungsmaßnahmen ergreifen, die
der Verkehr für diesen Gefahrenkreis für erforderlich hält.
Der Senat folgt dem BerGer. darin, daß sich Inhalt und Umfang der
Verkehrssicherungspflichten für einen öffentlichen Spielplatz
aus der Notwendigkeit ergeben, den Spielplatz möglichst gefahrlos
zu gestalten und zu erhalten, und daß dabei das einzuhaltende Ausmaß
der Sicherheit sich an dem Alter der jüngsten Kinder auszurichten
hat, die für die Benutzung des betreffenden Spielgeräts in Frage
kommen (so schon Hußla, VersR 1971, 877 f.). Wenn das BerGer., weil
gerade auch bei kleineren Kindern Übermut, Neugier oder Unerfahrenheit
zu einem gefahrvollen Fehlverhalten führen können und Stürze
von Spielgeräten infolge einer unglücklichen Bewegung, einer
Störung des Gleichgewichts oder aufgrund der Einwirkung durch andere
Kinder immer wieder vorkommen, von der Bekl. fordert, für Spielgeräte
mit einer Fallhöhe wie hier von 1,50 m einen Untergrund mit aufprallhemmender
Beschaffenheit im Bereich des Standorts des Geräts zu wählen,
so ist dagegen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. An die Sicherheit
der Spielgeräte eines Kinderspielplatzes sind besonders strenge Anforderungen
zu stellen. Grundsätzlich müssen Kinder und ihre Eltern uneingeschränkt
darauf vertrauen dürfen, daß sich die Kinder gefahrlos der Spielgeräte
bedienen können und insb. nicht so schwere Verletzungen erleiden
können wie hier (vgl. Senatsurt., NJW 1988, 48 = VersR 1987, 891 (892)).
Wegen der bei Kindern immer vorhandenen Gefahr des Sturzes von Spielgeräten
ist jedenfalls bei Spielgeräten mit einer Fallhöhe von 1,50 m
die Forderung nach einem geeigneten Bodenbelag, der Absturzunfälle
weniger gefährlich macht, als elementare Sicherheitsforderung zu bezeichnen.
Dieser Maßstab für die einzuhaltenden
Verkehrssicherungspflichten steht - im Gegensatz zur Ansicht der Revision
- auch nicht in Widerspruch damit, daß auch Spielplätze und
darauf befindliche Geräte nicht frei von allen Risiken sein müssen.
Dabei kann es aber nur um überschaubare und kalkulierbare Risiken
gehen, die für das Kind ihren erzieherischen Wert haben (vgl. Senat,
VersR 1978, 739 und 762; RGRK, 12. Aufl., § 823 Anm. 228). Um solche
beherrschbaren Risiken handelt es sich aber nicht, wenn es wie hier um
die Beschaffenheit des passenden Bodens zur Vermeidung von Verletzungen
bei Abstürzen von Spielgeräten geht.
Ob die Verkehrssicherungspflichten dann eingeschränkt
sind, wenn der Kinderspielplatz bzw. bestimmte Spielgeräte nur für
Kinder von einem höheren Lebensalter an zur Benutzung freigegeben
sind, kann dahingestellt bleiben. Denn unstreitig war eine Beschränkung
auf ein Mindestalter für die Benutzung nicht verfügt; vielmehr
war der Spielplatz durch ein entsprechendes Schild zur Benutzung für
alle Kinder bis zu 12 Jahren freigegeben. Eine etwaige nach außen
nicht erkennbare Erwartung der Bekl., daß Rutschen der vorliegenden
Art erst von Kindern ab drei Jahren benutzt werden würden, beschränkte
ihre Verkehrssicherheitspflichten nicht.
b) Es begegnet auch keinen Bedenken, daß
das BerGer. zur Feststellung von Inhalt und Umfang der die Bekl. treffenden
Verkehrssicherungspflichten die im Dezember 1976 erlassene DIN-Norm 7926,
Teil 1, mit herangezogen hat, die für ein Spielgerät mit Handlauf
und einer Fallhöhe von 1 m bis 2 m als Bodenbeläge nur nicht
gebundene Böden nach DIN 18034 wie Naturboden, Rasen oder Sand bzw.
Feinkies vorsieht. Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung
versehene Normen i. S. hoheitlicher Rechtsetzung, sondern um auf freiwillige
Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des "DIN Deutschen Instituts für
Normung e. V." handelt (vgl. Senat, NJW 1987, 2222 = VersR 1987, 783 (784)),
so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden
anerkannten Regeln der Technik wieder und sind somit zur Bestimmung des
nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise
geeignet (vgl. Senat, NJW 1980, 1219 (1221) = VersR 1980, 380 (382) und
VersR 1987, 891). Ob bei Einführung neuer DIN-Normen für eine
Übergangszeit die bestehenden Einrichtungen ohne Veränderung
weiterbetrieben werden dürfen, kann hier dahingestellt bleiben. Eine
solche Anpassungszeit - ließe man sie zu - wäre jedenfalls,
wie das BerGer. zu Recht festgestellt hat, längst verstrichen gewesen,
als es mehr als acht Jahre nach Erlaß der einschlägigen DIN-Norm
zu dem Unfall kam. Soweit die Revision sich darauf beruft, Rutschen der
in Rede stehenden Art seien noch nach Inkrafttreten der DIN-Norm überwachungstechnisch
nicht beanstandet worden, handelt es sich um erstmals in der Revisionsinstanz
gebrauchten und daher unzulässigen Tatsachenvortrag. Im übrigen
könnte eine solche Praxis die Bekl. nicht entlasten, da die vom Standort
des Spielgeräts ausgehende Gefahr für sie als Träger des
Spielplatzes ohne weiteres erkennbar war.
2. Fehl geht auch der Angriff der Revision, der
sich gegen die Nichtberücksichtigung eines möglichen Mitverschuldens
des Vaters des Kl. bei der Haftung der Bekl. wendet.
a) Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß
sich der Kl. ein Mitverschulden seines Vaters an dem Unfall gem. §§
254 I, 278 BGB nur im Rahmen eines schon im Augenblick des Unfalls bestehenden
Schuldverhältnisses oder eines einem Schuldverhältnis ähnlichen
Sonderrechtsverhältnisses zu der Bekl. zurechnen lassen muß
(vgl. Senat, NJW 1980, 2090 = VersR 1980, 938 m. w. Nachw.). Sie meint
jedoch, eine solche Sonderverbindung habe vorliegend bei Schadenseintritt
bestanden, weil die Schildertafel auf dem Spielplatz den zugelassenen Personenkreis
bezeichnet und bestimmte Verhaltensweisen untersagt habe. Damit sei ein
Benutzungsverhältnis begründet worden. Zu Recht hat indes das
BerGer. im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. VersR 1975,
133 (134) und NJW 1977, 1392 (1394) = VersR 1977, 668) diesen Umstand als
nicht ausreichend erachtet, um über die allgemeinen deliktischen Rechte
und Pflichten hinausgehende besondere schuldrechtliche oder schuldrechtsähnliche
Beziehungen zwischen dem Kl. und der Bekl. entstehen zu lassen. Auch wenn
es für die Benutzung des Spielplatzes eine Satzung gegeben haben sollte,
ließe sich daraus allein nicht die Begründung eines vertragsähnlichen
Benutzungsverhältnisses folgern (vgl. Senatsurt. NJW 1977, 1392).
Insb. ist nichts für eine besondere Interessenlage ersichtlich, die
Anlaß zu einer derartigen gesteigerten Rechts- und Pflichtenstellung
für beide Seiten hätte geben können. Vielmehr erscheinen
die Interessen beider Seiten durchaus schon durch die allgemeinen deliktischen
Beziehungen hinreichend gewahrt.
b) Auch soweit die Revision das Berufungsurteil
unter dem Gesichtspunkt einer Einstandspflicht des Kl. für seinen
Vater nach § 278 BGB bei der Erfüllung von Obliegenheiten zur
Schadensabwendung oder Schadensminderung i. S. des § 254 II 1 BGB
zur Überprüfung stellt, weist dieses keinen Rechtsfehler auf.
Richtig ist, daß sich ein Geschädigter im Rahmen seiner Obliegenheiten
zur Abwendung oder Minderung des Schadens nach § 254 II BGB ein Verschulden
dritter Personen nach § 278 BGB anrechnen lassen muß. Indes
muß dazu die unerlaubte Handlung des Schädigers die Schadensentwicklung
schon auf den Weg gebracht haben (BGHZ 5, 378 (384 f.) = NJW 1952, 1050).
Anderes würde nicht nur die Beschränkung der Einstandspflicht
des Geschädigten für ein Verschulden Dritter nach § 278
BGB auf Sonderrechtsverhältnisse gegenstandslos machen, sondern der
Geschädigte stünde auch schlechter da als der Schädiger,
der im Bereich der Schadensentstehung für Dritte grundsätzlich
nur nach § 831 BGB deliktisch einzustehen hat. Deshalb reicht es nicht
- wie die Revision meint - aus, daß die durch die Verletzung der
Verkehrssicherungspflichten von der Bekl. ausgelöste Gefahr schon
bestand, als der Kl. die Rutsche an der Hand seines Vaters bestieg.
Ebensowenig genügt es, daß der gesetzliche Vertreter oder die
von ihm mit der Beaufsichtigung betraute Person die Gefahr kannte, die
dem Kind von einer Anlage oder einem Zustand drohte (vgl. BGHZ 5, 378 (384
f.) = NJW 1952, 1050; Alff, in: RGRK, 12. Aufl., § 254 Anm. 67). Nur
soweit sich ein Mitverschulden für den eingetretenen Schaden auf die
Phase bezieht, in der der Verletzungstatbestand bereits verwirklicht ist,
kommt demnach eine Zurechnung nach §§ 254 II, 278 BGB in Frage.
Zuzurechnen ist das Verhalten des Vaters dem Kl.
darüber hinaus auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Haftungseinheit,
mit der die Revision eine entsprechende Kürzung der Ersatzverpflichtung
der Bekl. zu begründen versucht. Der nicht deliktsfähige Kl.
hat den Unfall nicht in zurechenbarer Weise mitverursacht. Er kann daher
nicht in einer Zurechnungseinheit mit seinem Vater stehen (vgl. Senat,
VersR 1974, 34 (35); OLG Düsseldorf, VersR 1982, 300, (301)).
3. Zu folgen ist dem BerGer. auch darin, daß
der Anspruch, den der Kl. gegen die Bekl. besitzt, nicht aus dem Gesichtspunkt
des gestörten Innenausgleichs unter Gesamtschuldnern zu kürzen
ist. Dabei ist es unerheblich, nach welchem Haftungsmaßstab sich
der Vater des Kl. bei der Beaufsichtigung seines Kindes auf dem Spielplatz
beurteilen lassen muß und ob er danach bestehende Pflichten tatsächlich
schuldhaft verletzt hat. In keiner der möglichen Fallgestaltungen
ist das Haftungsverhältnis der Bekl. zum Kl. betroffen.
a) Nach § 840 I BGB haftet jeder von mehreren
Schädigern dem Geschädigten für den von ihm zu verantwortenden
Schaden ohne Rücksicht auf die Einstandspflicht der übrigen in
vollem Umfang. Das Gesetz überläßt es dem Schädiger
erst auf einer weiteren Stufe, Ausgleich für seine Inanspruchnahme
bei den Mitschädigern zu suchen. Selbst wenn deshalb der Kl. nicht
nur von der Bekl., sondern auch von seinem Vater für seine Unfallverletzungen
Ersatz verlangen könnte, würde das ihre volle Haftung ihm gegenüber
grundsätzlich nicht berühren.
b) Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung
allerdings Ausnahmen in Fällen zugelassen, in denen dem Schädiger
die Möglichkeit zum Ausgleich bei einem Mitschädiger dadurch
genommen ist, daß dieser kraft Gesetzes dem Geschädigten gegenüber
von seiner Haftung freigestellt ist. In diesen Fällen kann der Geschädigte
den nicht privilegierten Schädiger nur auf den Anteil des Schadens
in Anspruch nehmen, mit dem dieser im Innenverhältnis zu dem freigestellten
Mitschädiger belastet bliebe, wenn die Möglichkeit zum Innenausgleich
nicht durch die Haftungsprivilegierung versperrt wäre (vgl. BGHZ 61,
51 = NJW 1973, 1648; zuletzt Senat, NJW 1987, 2669 = BGHRRVOO § 636
I - Arbeitnehmer 1). Zugrunde liegt dem die Erwägung, daß es
unbillig wäre, den nicht privilegierten Schädiger mit der Haftungsfreistellung
seines Mitschädigers zu belasten, die nach ihrem Sinn allein dessen
Verhältnis zu dem Geschädigten betreffen soll.
c) Im weiteren Sinne kann auch bei § 1664
I BGB von einem "Haftungsprivileg" gesprochen werden. Nach dieser Vorschrift
haben Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kinde gegenüber
nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten
anzuwenden pflegen. Im Vergleich zu Schädigern, die nach dem allgemeinen
Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB haften, ist ihre Einstandspflicht
für einen von ihnen verursachten Schaden wegen ihrer familienrechtlichen
Verbundenheit zu dem Geschädigten eingeschränkt (§ 277 BGB).
Im Streitfall war zwar der Vater des Kl. nicht
Sorgeberechtigter für diesen. Indes spricht vieles für die im
Schrifttum vorherrschende Ansicht, auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil
in analoger Anwendung des § 1664 BGB den milderen Haftungsmaßstab
jedenfalls dann zuzubilligen, wenn er - wie hier - in Ausübung seines
Umgangsrechts (§ 1634 BGB) faktisch Personensorge für sein Kind
ausübt (vgl. Adelmann, in: RGRK, 12. Aufl., § 1664 Anm. 4; Soergel-Lang,
BGB, 11. Aufl., § 1664 Anm. 3; Hinz, in: MünchKomm, BGB, 2. Aufl.,
§ 1664 Anm. 4; Palandt-Diederichsen, BGB, 47. Aufl., § 1664 Anm.
1).
Nach Auffassung des Senats würde der Anwendung
des § 1664 BGB im vorliegenden Fall auch nicht schon entgegenstehen,
daß es (auch) um deliktische Verhaltenspflichten des Vaters zum Schutz
der Gesundheit seines Kindes geht. Jedenfalls wo diese Schutzpflichten
in Fallgestaltungen wie hier ganz in der Sorge für die Person des
Kindes aufgehen, würde anderes auf eine Einschränkung des §
1664 BGB hinauslaufen, die mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar
wäre. Das besagt selbstverständlich nicht, daß ein für
die Eltern so zentrales Schutzgut wie die Gesundheit ihrer Kinder einen
besonderen Stellenwert nicht auch für ihre eigenübliche Sorgfalt
und damit für ihre Haftungsverantwortung maßgebliche Bedeutung
hätte. Dahinstehen kann, ob für den subjektiven Sorgfaltsmaßstab
des § 277 BGB dort noch Raum ist, wo die Schutzpflichten der Eltern
gegenüber dem Kind von ihren nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab
des § 276 BGB zu bemessenden Pflichten gegenüber dem Verkehr
kaum sachgerecht zu trennen wären, wie dies insbesonders für
den Kreis der Verkehrssicherungspflichten, etwa der Aufsichtspflichten
nach § 832 BGB (vgl. RGZ 75, 251 (253, 254); OLG Karlsruhe, VersR
1977, 232; OLG Stuttgart, VersR 1980, 952; Adelmann, in: RGRK, aaO, §
1664 Anm. 13; Hinz, in: MünchKomm, § 1664 Anm. 6; Palandt-Diederichsen,
§ 1664 Anm. 1; a. A. Soergel-Lange, § 1664 Anm. 4) und für
den Bereich der Teilnahme am Straßenverkehr (vgl. BGHZ 63, 51 (57
f.) = NJW 1974, 2124; Adelmann, in: RGRK, Anm. 14; Hinz, in: MünchKomm,
§ 1664 Anm. 6; Palandt-Diederichsen, § 1664 Anm. 1 m. w. Nachw.)
befürwortet wird. Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht
vor.
d) Selbst wenn indes der Vater des Kl. allein
wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabs des § 1664 BGB von einer
Mithaftung für die Verletzungen des Kl. befreit wäre, käme
das der Bekl. nicht zugute. Die im Schrifttum vorherrschende Meinung, auch
in derartigen Fällen dürfte die gesetzliche "Haftungsprivilegierung"
nicht zu Lasten des nicht privilegierten Schädigers gehen, sondern
müsse durch eine entsprechende Kürzung der Ersatzansprüche
des Geschädigten nach den zur gesetzlichen Haftungsfreistellung von
der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. die Nachw. bei Weber,
in: Kraftverkehrsrecht von A-Z, Stichwort: Ehegatten, B IV. 2. S. 35; ferner
Adelmann, in: RGRK, Anm. 18; Soergel-Lange, Anm. 7) oder durch Fingieren
eines Innenausgleichs (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1978, 891) aufgefangen
werden, vermag der Senat nicht zu teilen. Tragende Gründe, auf denen
die Rechtsprechung zum sog. "gestörten" Gesamtschuldverhältnis"
beruht, fehlen hier.
In jenen Fällen sind zunächst alle Voraussetzungen
für ein Gesamtschuldverhältnis nach § 840 I BGB erfüllt;
dieses wird erst dadurch "gestört", daß das Gesetz in Abweichung
von dem Grundsatz des § 840 BGB den privilegierten Mitschädiger
von seiner Haftung freistellt. In den Fällen dagegen, in denen die
Mithaftung an § 1664 BGB scheitert, wächst der so "privilegierte"
Mitschädiger schon gar nicht in die Regelung des § 840 I BGB
hinein; es fehlt schon an den Grundlagen für ein Gesamtschuldverhältnis,
das "gestört" werden konnte. Das ist nicht nur ein formaler, äußerlicher
Unterschied. Es entspricht Wesen und System der Deliktshaftung, daß
der Schädiger einen Mitverursacher des Schadens nur dann an seiner
Haftpflicht beteiligen kann, wenn und soweit dieser den Schaden zurechenbar
mitgesetzt hat. Nur wo das Haftungsprivileg ihm den Mitschädiger trotz
dessen haftungsrechtlicher Mitverantwortung als Ausgleichsschuldner nimmt,
ist es gerechtfertigt, von seiner die §§ 840, 426 BGB durchbrechenden
Belastung mit dem Haftungsprivileg zu sprechen. Wenn dagegen ein Ausgleich
schon am Fehlen einer zurechenbaren Mitbeteiligung des Ausgleichsschuldners
scheitert, so ist das eine Folge des Ausgleichssystems, die im Rahmen der
Deliktshaftung grundsätzlich allen Schädigern zugemutet wird.
An der Zurechenbarkeit fehlt es jedoch beim Vorliegen
der Haftungsfreistellung nach §§ 1664 I, 277 BGB, solange die
Pflichtverletzung nicht über die eigenübliche Sorgfalt hinausgeht
bzw. sich als grob fahrlässig darstellt. Unterhalb dieser Schwelle
besteht die Verantwortung des Elternteils für die Setzung eines Schadensbeitrags
nicht. Dem Vater des Kl. ist daher, solange der Haftungsmaßstab der
§§ 1664 I, 277 BGB nicht erreicht ist, ein für den eingetretenen
Schaden mitursächliches Verhalten nicht zuzurechnen.
Bei Fehlen der Zurechenbarkeit wegen des milderenen
Sorgfaltsmaßstabs des § 1664 BGB kann das Versagen eines Ausgleichs
für einen Mitschädiger ebensowenig als unbillige Sonderbelastung
angesehen werden wie in jenen Fällen, in denen es an einer zurechenbaren
Mitbeteiligung etwa wegen einer gesetzlich besonders angeordneten Aufgabenverteilung
oder wegen der Deliktsunfähigkeit der Mitschädiger fehlt. Schon
deshalb sieht der Senat keinen sachlichen Anlaß, nach Maßgabe
seiner zur Haftungsfreistellung durch §§ 636, 637 RVO entwickelten
Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung die gesetzliche Regelung für
die Lastenverteilung bei Mehrbeteiligungen auch in den Fällen zu modifizieren,
in denen ein Gesamtschuldverhältnis wegen des milderen Haftungsmaßstabs
des § 1664 BGB nicht zustande kommt. Für eine derartige Lösung
würde es zudem nicht nur an geeigneten Kriterien fehlen, den Beitrag
des schädigenden Elternteils, dem §§ 1664, 277 BGB die Zurechenbarkeit
gerade versagt, gleichwohl für eine Kürzung des Ersatzanspruchs
zu bemessen. Sie würde auch zu dem schwerlich einleuchtenden Ergebnis
führen, daß das geschädigte Kind bei einem Verhalten seiner
Eltern, das als leicht fahrlässig i. S. von § 276 BGB die Schwelle
des § 277 BGB noch nicht erreicht hat, eine Kürzung seines Ersatzanspruchs
hinzunehmen hätte, bei grobem Verschulden seiner Eltern dagegen nicht.
Insoweit darf auch nicht vernachlässigt werden, daß in
diesen Fällen - anders als im Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierung
der §§ 636, 637 RVO - dem Geschädigten für den genommenen
Ersatzanspruch kein Äquivalent in Gestalt einer anderen Ausgleichslösung
zuwächst.
Ebensowenig aber erscheint es dem Senat nach Überprüfung
seines in BGHZ 35, 317 = NJW 1961, 1966 vertretenen anderen Standpunktes
gerecht, den Schädiger von einem Teil seiner Haftungslast, die ihn
wegen seines verantwortlich gesetzten Schadensbeitrages trifft, über
die Fiktion eines gesamtschuldnerischen Innenausgleichs zu dem mitbeteiligten
Elternteil auf dessen Kosten nur deshalb zu befreien, weil dieser an der
Schädigung zwar beteiligt war, ohne aber dazu einen zurechenbaren
Beitrag geleistet zu haben; dies um so weniger, als im wirtschaftlichen
Ergebnis auch eine derartige Lösung in der Mehrzahl der Fälle
auf Kosten letztlich auch des geschädigten Kindes gehen würde.
Soweit die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 27. 6. 1961
(BGHZ 35, 317 (322 f.) = NJW 1961, 1966) zu dem milderen Haftungsmaßstab
des § 1359 BGB unter Ehegatten dem entgegenstehen, hält der Senat
hieran nicht mehr fest. Insb. erscheint ihm der dort angestellte Vergleich
mit der Interessenlage bei einer vertraglich vereinbarten Haftungsmilderung
als Begründung für die Fiktion eines gesamtschuldnerischen Innenausgleichs
auch in den Fällen der gesetzlichen Haftungsmilderung des § 1664
BGB schon deshalb nicht ausreichend, weil diese Haftungsmilderung nicht
auf einer den Bet. im Rahmen der Vertragsfreiheit überlassenen individuellen
Gewichtung und Gestaltung ihrer Interessen mit der Möglichkeit zu
entsprechenden Auffanglösungen beruht, sondern auf der gesetzgeberischen
Würdigung und Bewertung der Familiengemeinschaft, die auch das "außenstehende"
Rechtsverhältnis als solches angeht. Im übrigen hat die Rechtsprechung
des BGH die Sachverhalte einer Schädigung im Straßenverkehr,
wie sie Gegenstand der genannten Entscheidung in BGHZ 35, 317 = NJW 1961,
1966 gewesen ist, inzwischen einer gerechten Lösung auf andere Weise
zugeführt (vgl. BGHZ 53, 352 = NJW 1970, 1271; BGHZ 61, 101 = NJW
1973, 1654; BGHZ 63, 51 = NJW 1974, 2124).
Aus allem folgt, daß die Bekl. im Streitfall
sich der Kl. gegenüber auch nicht unter Hinweis auf die Rechtsprechungsgrundsätze
zum "gestörten Gesamtschuldnerausgleich" auf eine Beteiligung des
Vaters des Kl. an dem Unfall berufen kann.
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