BGHZ 106, 108
NJW 1989, 1093
Amtl. Leitsatz:
Der Senat hält an der in seiner Entscheidung vom 10. Januar 1975 (V ZR 110/73, WM 1975,255,256 = DNotZ 1976,96,97) begründeten Auffassung fest, daß ein übertragbares und damit pfändbares Recht eines Auflassungsempfängers erst dann vorliegt, wenn ein Antrag auf Eigentumsumschreibung vom Erwerber beim Grundbuch gestellt ist (oder eine Auflassungsvormerkung vorliegt, vgl. BGHZ 83,395,399; 89,41,44 f.).
Zentrale Probleme:
1.) Problem des Anwartschaftsrechts:
Es geht zunächst um
die Frage, ob die Rechtsposition des bloßen Auflassungsempfängers
bereits ein übertragbares Recht in Form des sog. "Anwartschaftsrechts"
ist. Von einem Anwartschaftsrecht spricht man dann, wenn von einem mehraktigen
Erwerbsvorgang bereits so viele Einzelakte erfüllt sind, daß
dem Erwerber die Rechtsposition ohne sein Zutun nicht mehr entzogen werden
kann (BGHZ 132, 218 = NJW 1996, 1741). Folge
ist dann, daß man diese Rechtsposition als "wesensgleiches minus"
des Vollrechts, als dessen "Vorstufe" wie dieses behandelt, insbesondere
kann über dieses wie über das Vollrecht verfügt werden (BGHZ
28, 16 ff). Für die Position des Auflassungsempfängers bedeutet
dies, daß er dann nicht nur seinen schuldrechtlichen Anspruch auf
Übereignung nach § 398 BGB abtreten, sondern analog durch Einigung
nach § 873 BGB (eine Eintragung nach § 925 BGB kann mangels Voreintragung
nicht erfolgen) sein Anwartschaftsrecht übertragen kann.
Fraglich und str. ist, wann
bei der Verfügung über Grundstücke von einem Anwartschaftsrecht
gesprochen werden kann:
a) Einigung: Unstr.
schützt eine bindende Einigung (§
873 II) nur gegen den einseitigen Widerruf des Veräußerers,
nicht aber nicht abredewidrige Verfügungen. Sie kann daher alleine
nie ein Anwartschaftsrecht begründen.
b)
Einigung
+ Antrag: Hat der Auflassungsempfänger zusätzlich den Eintragungsantrag
gestellt, ist dieser nach § 17 GBO rangwahrend, das Grundbuchamt muß
ihn vor anderen Anträgen behandeln. Da nur der Antragsteller den Antrag
zurücknehmen kann und die Einigung bindend ist, kann dem Erwerber
nunmehr bei ordnungsgemäßem Verlauf der Dinge, d.h. bei fehlerlosem
Handeln des Grundbuchamts, der Erwerb nicht mehr vereitelt werden. Der
BGH sieht in der vorliegenden Entscheidung ebenso wie die wohl h.M. in
dieser Rechtsposition bereits ein Anwartschaftsrecht. Die Gegenansicht
stellt darauf ab, daß § 17 GBO eine formale Ordnungsvorschrift
ist, d.h. bei fehlerhaftem Handeln des Grundbuchamts ist der Erwerber nicht
geschützt, sondern auf Amthaftungsansprüche gegen das Grundbuchamt
beschränkt (so zuletzt
Habersack JuS 2000, 1145, 1146).
c)
Auflassungsvormerkung:
Liegt eine Auflassungsvormerkung bejaht die ganz h.M. wegen des Schutzes
des Erwerbers gegen Zwischenverfügungen (§§ 883 II, 888
BGB) das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts.
2.)
Problem der Kettenauflassung:
Selbst
wenn man aber das Anwartschaftsrechts des bloßen Auflassungsempfängers
verneint, kann dieser, wenn er das Grundstück, dessen Eigentümer
er mangels Eintragung (§ 925 BGB) noch nicht ist, weiterveräußern
will, direkt im eigenen Namen weiterveräußern, wenn der Eigentümer
ihn hierzu ermächtig (§ 185 I BGB). In der vom Eigentümer
bereits erklärten Auflassung wird i.d.R. eine konkludente Ermächtigung
des Erwerbers i.S.v. § 185 I BGB gesehen, über das Grundstück
im eigenen Namen zu verfügen. Wenn dieser seinerseits die Auflassung
an einen Dritterwerber erklärt und dieser im Grundbuch eingetragen
wird, erwirbt er ohne Zwischenerwerb des "Ersterwerbers" Eigentum vom Eigentümer.
Diese Situation der Auflassung ohne Zwischeneintragung bezeichnet man als
"Kettenauflassung". Sie ist - wie der BGH hier
betont - von der Frage des Anwartschaftsrechts vollkommen unabhängig,
weil der Veräußerer ("Ersterwerber") nicht über ein eigenes,
sondern über ein fremdes Recht im eigenen Namen verfügt. Freilich
liegt in einer erklärten Auflassung nicht immer zwingend eine solche
konkludente Einwilligung zur Weiterveräußerung. Die großzügige
Bejahung einer solchen konkludenten Ermächtigung beruhrt auf dem Gedanken,
daß es dem Veräußerer, der bereits die Auflassung erklärt
und damit das Grundstück bereits wirtschaftlich "aus der Hand" gegeben
hat, i.d.R. gleichgültig ist, ob sich der Ersterwerber zunächst
selbst eintragen läßt oder ob er ohne Zwischeneintragung weiterveräußert.
Das aber ist nicht immer zwingend der Fall. Wenn etwa der Veräußerer
zugleich ein rechtsgeschäftliches, nur schuldrechtlich wirksames Veräußerungsverbot
vereinbart hat (§ 137 S. 2 BGB), ist er mit einer Weiterveräußerung
gerade nicht einverstanden (s. dazu z.B.BGH
NJW 1997, 936.)
Zur Vertiefung: | Habersack JuS 2000,
1146 ff
Hager JuS 1991, 1 ff |
Zum Überblick: | Lorenz/Riehm, Jus-Lern CD ZivilR I Rn. 544 (Anwartschaftsrecht), Rn. 594 (Kettenauflassung); Rn. 595 (Anwartschaftsrecht bei Grundstücken) |
Zur Übung: | Gottwald, PdW SachenR Fall 47, 48 |
© sl 2001
Aus den Gründen:
I.
Mit notariellem Vertrag
vom 25. Juli 1986 verkaufte H. eine noch herauszumessende Teilfläche
aus zwei Grundstücken an die Beteiligten zu 3 und ihren Sohn A. zum
Erwerb zu je 1/3 Miteigentum. Die Vertragspartner erklärten zugleich
die Auflassung und bewilligten die Eigentumsumschreibung.
Mit Verfügungen vom
6. August 1986 pfändete das Finanzamt H. für das Land Hessen
(Beteiligte zu 2) wegen dort bezeichneter Steuerforderungen die Ansprüche
der Beteiligten zu 3 auf Eintragung als Eigentümer zu je 1/3 aufgrund
der mit dem Veräußerer »erfolgten Einigung (Auflassung)«.
Mit notarieller Urkunde vom 2. Oktober 1986 bewilligten die Beteiligten
zu 3 und ihr Sohn A. die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von
107000 DM für die Landeskreditkasse (Beteiligte zu 1) an erster Rangstelle
auf dem noch einzutragenden Grundstück.
Die Anträge auf Eigentumsumschreibung
und auf Eintragung der Grundschuld wurden am 31. März 1987 beim Grundbuchamt
eingereicht; die Eintragungen erfolgten am 15. April 1987. Mit Schreiben
vom 1. September 1987 hat das Finanzamt H. für die Beteiligte
zu 2 unter Vorlage der Pfändungsverfügungen beantragt, zwei Zwangssicherungshypotheken
im Range vor der Grundschuld der Beteiligten zu 1 einzutragen. Das Grundbuchamt
hat den Antrag zurückgewiesen.
Auf die als Beschwerde geltende
Erinnerung der Beteiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluß
vom 22. Dezember 1987 dem Antrag der Beteiligten zu 2 auf Eintragung der
Sicherungshypotheken an erster Rangstelle stattgegeben.
Das Grundbuchamt hat die
Sicherungshypotheken am 26. Januar 1988 unter Eintragung eines Vorrangvermerks
(1. Rangstelle) bei der Post III,1 eingetragen.
Gegen die Beschwerdeentscheidung
des Landgerichts hat die Beteiligte zu 1 weitere Beschwerde eingelegt.
Sie beantragt, den Beschluß des Landgerichts aufzuheben und die Löschung
des Rangvermerks, hilfsweise die Eintragung eines Widerspruchs bei diesem
anzuordnen.
Das Oberlandesgericht möchte
die weitere Beschwerde zurückweisen. Es sieht sich hieran durch die
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in BGHZ 45,186; 49, 197; 83,395
und vor allem durch das Senatsurteil vom 10. Januar 1975, V ZR 110/73,
WM 1975,255,256 = DNotZ 1976,96 gehindert, nach denen ein pfändbares
Anwartschaftsrecht erst mit einem Umschreibungsantrag des Erwerbers entsteht.
Der Bundesgerichtshof hat die Eintragung eines Amtswiderspruchs angeordnet.
II.
A. ... (Statthaftigkeit
der Vorlage an den Bundesgerichtshof)
B.
Die weitere Beschwerde ist
nur mit dem Hilfsantrag auf Eintragung eines Widerspruchs zulässig.
1. Die an keine Frist gebundene
weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts ist gemäß
§ 78 GBO statthaft und in der gemäß § 80 Abs. 1 Sätze
1,2 GBO zulässigen Form eingelegt worden.
2. Sie ist jedoch - wie
im Vorlagebeschluß zutreffend ausgeführt - gemäß
§§ 80 Abs. 3,71 Abs. 1 Satz 2 GBO unzulässig, soweit die
Beteiligte zu 1 unter Aufhebung der landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung
die Löschung des zugunsten der Antragstellerin eingetragenen Rangvermerks
begehrt. C. Im Umfang ihrer Zulässigkeit ist die weitere Beschwerde
begründet.
1. Es steht hier nur noch
zur Entscheidung, ob die Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß
§ 53 Abs. 1 Satz 1 GBO veranlaßt ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen
dafür sind gegeben. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts enthält
eine Gesetzesverletzung, die zu einer unrichtigen Grundbucheintragung geführt
hat.
a) Das Grundbuchamt ist
nicht nur zur Beachtung der förmlichen Eintragungsvoraussetzungen,
sondern auch zur Wahrung der Richtigkeit des Grundbuchs verpflichtet, und
darf deshalb keine Eintragungen vornehmen, deren Unrichtigkeit ihm bekannt
ist (BGHZ 35,135,139; BayObLGZ 1969,278,281). Dies gilt auch gegenüber
dem Eintragungsersuchen einer Behörde (OLG Köln DNotZ 1958,487,488;
BayObLGZ 1952,157,159; 1970,182,184 f.; 1985,372,374; vgl. auch BGHZ 19,355,357).
Geht schon aus den von der Behörde dem Ersuchen beigefügten Unterlagen
hervor, daß die begehrte Eintragung das Grundbuch unrichtig machen
würde, so darf das Grundbuchamt dem Ersuchen nicht entsprechen. Das
Gleiche gilt für die im Beschwerdeverfahren gemäß §§
71 ff. GBO zu treffenden Entscheidungen.
b) Die Eintragung der Sicherungshypotheken
durfte nicht angeordnet werden. Die Beteiligte zu 2 hat keine Grundpfandrechte
erworben, da die Pfändung des Anwartschaftsrechts durch die am 8.
August 1988 zugestellten Verfügungen ins Leere ging.
Der Senat hält an der
in seiner Entscheidung vom 10. Januar 1975 (V ZR 110/73, WM 1975,255,256
= DNotZ 1976,96,97; vgl. auch schon BGHZ 49, 197,199 ff.) begründeten
Auffassung fest, daß ein übertragbares und damit pfändbares
Recht erst dann vorliegt, wenn ein Antrag auf Eigentumsumschreibung beim
Grundbuchamt gestellt ist (oder eine Auflassungsvormerkung vorliegt, BGHZ
83,395,399; 89,41,44 f.). Nur unter dieser Voraussetzung ist es gerechtfertigt,
ein vom schuldrechtlichen Anspruch unabhängiges, dem späteren
Vollrecht vergleichbares, übertragbares und pfändbares Recht
(Anwartschaftsrecht) anzunehmen.
Das vorlegende Oberlandesgericht
will der in einer älteren Entscheidung des Kammergerichts (JFG 4,339,342)
und im Schrifttum (KEHE/Hermann, GBO 6. Aufl. Einl. M 16; Münzberg,
Festschrift für Schiedermair, 1976,439,446 ff.; Reinicke/ Tiedtke
NJW 1982,2281,2282 f.; Staudinger/Ertl, BGB 12. Aufl. § 925 Rdn. 133;
Stöber, Forderungspfändung 8. Aufl. Rdn. 2067-2071) vertretenen
Auffassung folgen, die ein solches Recht schon nach Auflassungserklärung
bejaht. Der Senat vermag sich dieser Ansicht jedoch aus den nachstehenden
Gründen nicht anzuschließen.
Die vom Oberlandesgericht
vertretene Auffassung, es bestehe kein Grund, die Übertragbarkeit,
Verpfändbarkeit bzw. Pfändbarkeit eines Anwartschaftsrechts des
Erwerbers von der Stellung der Anträge beim Grundbuchamt abhängig
zu machen, trägt dem Umstand nicht Rechnung, daß der Erwerb
des Eigentums am Grundstück gemäß § 873 Abs. 1 Satz
1 BGB Einigung und Eintragung erfordert. Es ist deshalb nicht möglich,
ein dem Vollrecht vergleichbares Anwartschaftsrecht unabhängig vom
Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen anzunehmen. Nach der Gegenmeinung
würde selbst dann ein solches Recht entstehen, wenn die Parteien die
Rechtsänderung im Grundbuch (noch) nicht wollen und deshalb beispielsweise
vereinbaren, zur Zeit keine Anträge beim Grundbuchamt zu stellen.
Eine solche Vereinbarung wäre möglich; § 873 Abs. 2 BGB
stünde ihr nicht entgegen (Senatsurt. vom 15. Mai 1953, V ZR 95/52,
LM BGB § 925 Nr. 3; OLG Düsseldorf NJW 1954,1041; MünchKomm/
Kanzleiter 2. Aufl. § 925 Rdn. 27; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. §
925 Rdn. 78).
Die Bindungswirkung aus
§ 873 Abs. 2 BGB bietet allein keine geeignete Grundlage, schon nach
der Auflassung ein dem Vollrecht vergleichbares, übertragbares Recht
des Erwerbers anzunehmen. Der mit dieser Vorschrift bezweckte Schutz des
Erwerbers rechtfertigt nicht, zugunsten eines Gläubigers des Erwerbers
vor Stellung des Eintragungsantrages eine übertragbare und pfändbare
Rechtsposition zu bejahen.
Den
Senat überzeugt auch nicht das Argument, die Übertragbarkeit
der Rechtsposition des Auflassungsempfängers sei schon deshalb anzuerkennen,
weil diese eine Umschreibung des Eigentums auf einen Zweiterwerber ohne
eine Eintragung des ersten Erwerbers ermögliche (Münzberg, Festschrift
für Schiedermair (1976), 439, 449; vgl. auch Hoche NJW 1954,652).
Die Umschreibungsmöglichkeit beruht nicht darauf, daß der Auflassungsempfänger
die Rechte aus der Auflassung auf einen Dritten überträgt. Sie
folgt vielmehr daraus, daß in der Auflassung für den Auflassungsempfänger
zugleich die Ermächtigung durch den Grundstückseigentümer
liegt, als Nichtberechtigter (§ 185 Abs. 1 BGB) über das Grundstück
zu verfügen (vgl. RGZ 129,150,153).
Es wird nach alledem daran
festgehalten, daß die Stellung des Antrages auf Eigentumsumschreibung
der Zeitpunkt ist, in dem ein übertragbares Recht entsteht.
2. Da mangels wirksamer
Pfändung des Anwartschaftsrechts keine Sicherungshypotheken entstanden
sind, ist das Grundbuch durch deren Eintragung unrichtig geworden.
III.
Die Beschwerdeentscheidung
des Landgerichts ist danach aufzuheben.
Gleichzeitig ist die Eintragung
von Amtswidersprüchen - unabhängig von der Reichweite der Anträge
- nach § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO anzuordnen. Die Widersprüche richten
sich gegen die Eintragung der in Abteilung III unter Nr. 2 und 3 für
die Beteiligte zu 2 ausgewiesenen, aber nicht entstandenen Sicherungshypotheken.