Haftungsbegründende
Kausalität bei mittelbarer Verursachung und psychisch vermittelter
Kausalität ("Verfolgerfälle")
BGH, Urteil v. 12.03.1996 - VI ZR 12/95
(Oldenburg) Fundstellen:
BGHZ 132, 164 NJW 1996, 1533 NJW 1996, 1533 LM H. 7/1996 § 823 (C) BGB Nr. 70 MDR 1996, 586 JZ 1996, 1178 VersR1996, 715 S. auch
BGH v. 31.1.2012 - VI ZR 43/11
Amtl. Leitsätze:
1. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch
die Flucht entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden
Körperschaden des Polizeibeamten, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten
Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis
zu deren Zweck standen (Fortführung von BGHZ 63, 189 = NJW 1975, 168
= LM § 823 (C) BGB (L) Nr. 46). 2. Zum Mitverschulden des Verfolgers durch
Selbstgefährdung in solchen Fällen (hier: Sprung aus einem 4
m hoch gelegenen Fenster).
Zum Sachverhalt:
Das kl. Land (künftig: der Kl.) verlangt aus
übergegangenem Recht des Polizeibeamten W vom Bekl. die Erstattung
aufgewendeter Heilbehandlungskosten in Höhe von 77572,73 DM und weitergezahlter
Dienstbezüge von 67191,43 DM; ferner begehrt der Kl. Ersatz für
beschädigte Dienstkleidung des W in Höhe von 300 DM. Die Polizeibeamten
W und M führten am 13. 8. 1990 den damals knapp 17jährigen Bekl.
und den ebenfalls noch jugendlichen Ü, die aufgrund eines Ermittlungsverfahrens
wegen mehrerer Pkw-Aufbrüche und Diebstähle aus Wohnungen festgenommen
worden waren, dem Haftrichter vor. Beide Tatverdächtige waren wegen
solcher Delikte bereits mehrfach vorbestraft. Nach ihrer richterlichen
Vernehmung nutzten sie ein Gespräch der Polizeibeamten mit dem Haftrichter
zur Flucht durch ein etwa 4 Meter über dem Erdboden gelegenes Fenster
im 1. Obergeschoß des Gerichtsgebäudes. Zunächst sprang
Ü hinab. Die Polizeibeamten nahmen sofort die Verfolgung auf; während
M die Treppe hinunterlief, eilte der damals 31 Jahre alte W zum Fenster.
Nach dem Vorbringen des Kl. hat er dort den zum Sprung bereiten Bekl. noch
fassen können, ist aber von ihm mit hinabgerissen worden. Nach der
Sachdarstellung des Bekl. war dieser selbst bereits ca. 10 Meter vom Gebäude
entfernt, als W ihm nachgesprungen ist. Ü blieb bei seinem Sprung
unverletzt; der Bekl. brach sich einen Arm. W erlitt Frakturen an beiden
Beinen, die operativ versorgt werden mußten. Er wurde etwa 6 Monate
lang stationär behandelt und war insgesamt rund 1 1/2 Jahre dienstunfähig.
Das LG hat dem Zahlungsbegehren des Kl. stattgegeben.
Die Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg. Seine Revision führte
zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. läßt es dahingestellt,
ob Wvom Bekl. durch die Fensteröffnung mit hinabgerissen wurde oder
ob er dem Bekl. nachgesprungen ist. Auch in letzterem Fall sei der Bekl.
gem. § 823 I BGB i.V. mit § 95 NdsBG zum Schadensersatz verpflichtet.
Denn dann sei W vom Bekl. in haftungsbegründender Weise zum Nachspringen
herausgefordert worden. Der Bekl. habe nach den gesamten Umständen
damit rechnen müssen, daß ihm der Polizeibeamte nachspringen
werde. Zwar sei auch W Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er habe erkennen
müssen, daß er sich mit dem Sprung aus 4 Meter Höhe einem
erheblichen Risiko aussetze. Dies führe aber nicht zu einer Einschränkung
der Haftung des Bekl., weil er die ganz entscheidende Ursache für
die Verletzung des W gesetzt habe.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen
der Revision nicht in allen Punkten stand. Auf der Grundlage der vom BerGer.
als richtig unterstellten Sachdarstellung des Bekl., daß W ihm bei
seiner Flucht durch die Fensteröffnung nachgesprungen ist, läßt
zwar die Ansicht des BerGer., daß dem Bekl. die durch den Sprung
eingetretenen Verletzungen des W haftungsrechtlich zuzurechnen seien, keinen
Rechtsfehler erkennen. Rechtlich nicht zu halten sind aber die Erwägungen
des BerGer. dazu, daß W kein ins Gewicht fallendes Mitverschulden
treffe.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem
Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluß
auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter
Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch
die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist (BGHZ 57, 25 (28ff.)
= NJW 1971, 1980 = LM § 823 (C) BGB Nr. 38; BGHZ 63, 189 (191ff.)
= NJW 1975, 168 = LM § 823 (C) BGB (L) Nr. 46; BGHZ 70, 374 (376)
= NJW 1978, 1005 = LM § 249 (Bb) BGB Nr. 25; zuletzt Senat, NJW 1990,
2885 = LM § 823 (C) BGB Nr. 64 = VersR 1991, 111 (112) und LM H. 9/1993
§ 823 (C) BGB Nr. 69 = VersR 1993, 843 (844)). Eine auf solcher Grundlage
beruhende deliktische Haftung ist vom Senat insbesondere in Fällen
bejaht worden, in denen sich jemand der (vorläufigen) Festnahme durch
Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht
zu entziehen versucht und diese Personen dadurch in vorwerfbarer Weise
zu einer sie selbst gefährdenden Verfolgung herausgefordert hat, wobei
sie dann infolge der gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben
(vgl. insb. Senat, NJW 1990, 2885 = LM § 823 (C) BGB Nr. 64 = VersR
1991, 111 (112) m.w.Nachw.). In diesen Fallgestaltungen kann, wie der Senat
wiederholt herausgestellt hat, die billigenswerte Motivation des Verfolgers
zur Nacheile trotz der damit verbundenen besonderen Gefahren ihre Grundlage
unter anderem in den Dienstpflichten des für die Bewachung des Fliehenden
zuständigen Beamten finden (BGHZ 63, 189 (194f.) = NJW 1975, 168 =
LM § 823 (C) BGB (L) Nr. 46; BGHZ 70, 374 (376) = NJW 1978, 1005 =
LM § 249 (Bb) BGB Nr. 25; Senat, NJW 1978, 421 = LM § 823 (Ec)
BGB Nr. 22 = VersR 1978, 183 (184)). An dieser Rechtsprechung hält
der Senat fest.
a) Ohne Erfolg rügt die Revision unter Hinweis
auf Steffen (in: RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 94), daß in Fällen
der hier vorliegenden Art das Verfolgungsrisiko des Polizeibeamten zu dessen
beruflichem Einsatzrisiko gehöre und daß das Verhalten des Fliehenden
deshalb keine Schadensersatzpflichten begründen könne. Zweifellos
wird bei einem Polizeibeamten das nicht speziell durch die Umstände
der Verfolgung begründete und deshalb zum allgemeinen Lebensrisiko
gehörende "normale" Risiko der Nachteile mit den etwa dadurch ausgelösten
Schäden des Verfolgers von dem beruflichen Einsatzrisiko umfaßt;
es vermag daher auch bei einem Polizeibeamten mangels notwendigen inneren
Zusammenhangs mit der Verfolgung nicht zu einer Gefahrenverlagerung auf
den fliehenden Täter zu führen (vgl. BGHZ 57, 25 (32) = NJW 1971,
1980 = LM § 823 (C) BGB Nr. 38; Senat, NJW 1971, 1982 = LM §
823 (C) BGB Nr. 39 = VersR 1971, 962 (963f.)). Bei der Frage nach der Überbürdung
eines "gesteigerten" Verfolgungsrisikos auf den Fliehenden, um dessen Verwirklichung
es im Streitfall allein geht, ist zwar zu bedenken, daß ein Beamter,
zu dessen dienstlichen Aufgaben die im öffentlichen Interesse liegende
Verfolgung von Straftätern gehört, sich in seinem Bemühen
um sorgfältige Pflichterfüllung in weiterem Umfang als andere
Personen zur Eingehung auch höherer Risiken herausgefordert
fühlen darf (vgl. auch Senat, NJW 1981, 750 = LM § 823 (Be) BGB
Nr. 24 = VersR 1981, 161 (162)). Dies führt bei der gebotenen Grenzziehung
zwischen den Risikobereichen von Verfolger und Verfolgtem nach Ansicht
des Senats aber jedenfalls dann nicht zu einer unangemessenen Gefahrenverlagerung
auf den Fliehenden, wenn dieser weiß, daß es sich bei seinem
(potentiellen) Verfolger um eine Person mit entsprechenden beruflichen
Einsatzpflichten handelt. Denn in diesem Fall muß der Fliehende mit
dem Eingehen eines höheren Risikos durch seinen Verfolger und mit
einer für ihn selbst daraus möglicherweise erwachsenden erweiterten
Einstandspflicht rechnen; er kann dem durch ein Verhalten Rechnung tragen,
das solche Risiken von vornherein ausschließt. Freilich darf bei
der gerechten Verteilung des Verfolgungsrisikos nicht aus den Augen verloren
werden, daß die Überbürdung des gesteigerten Risikos nicht
zu einer Haftung des Fliehenden für die Verwirklichung solcher Gefahren
führt, denen sich der verfolgende Beamte in gänzlich unangemessener
Weise ausgesetzt hat (BGHZ 63, 189 (193) = NJW 1975, 168 = LM § 823
(C) BGB (L) Nr. 46; Senat, NJW 1981, 750 = LM § 823 (Be) BGB Nr. 24
= VersR 1981, 161 (162)). Die Einstandspflicht für eine bei derart
übersteigertem Risiko eingetretene Körperverletzung würde
vom Schutzzweck des § 823 I BGB nicht mehr gedeckt.
Ob und in welchem Umfang hiernach ein fliehender
Täter oder Tatverdächtiger ein gesteigertes Verfolgungsrisiko
zu tragen hat, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles;
dabei können auch die Voraussetzungen für eine Schadensteilung
nach § 254 BGB erfüllt sein. Dies bedarf im Streitfall an späterer
Stelle noch der näheren Konkretisierung. Festzuhalten ist jedoch schon
hier, daß entgegen der Ansicht der Revision auch bei (Polizei-)Beamten
deren berufliches Einsatzrisiko die Überbürdung des gesteigerten
Verfolgungsrisikos auf einen Fliehenden nicht ausschließt.
b) Fehl geht auch die Rüge der Revision,
angesichts der Straflosigkeit einer Selbstbegünstigung könne
der Fliehende nicht für die seinem Verfolger bei der Nacheile entstandenen
Schäden verantwortlich gemacht werden. Freilich trifft auch einen
Straftäter keine Rechtspflicht, sich der Strafverfolgung zu stellen.
In der Flucht als solcher liegt aber, wie letztlich die Revision nicht
verkennt, nicht der Grund für die zivilrechtliche Haftung. Diese gründet
sich vielmehr darauf, daß der Fliehende durch die Art seiner Flucht
in vorwerfbarer Weise den Verfolger zu der selbstgefährdenden Reaktion
herausgefordert hat; in dieser psychischen Beeinflussung mit dem dadurch
ausgelösten Entschluß zu pflichtgemäßer oder jedenfalls
von der Rechtsordnung gewünschter Verfolgung mit ihrem besonderen
Gefahrenpotential liegt das pflichtwidrige Verhalten des Fliehenden (vgl.
BGHZ 57, 25 (29ff.) = NJW 1971, 1980 = LM § 823 (C) BGB Nr. 38; BGHZ
63, 189 (192ff.) = NJW 1975, 168 = LM § 823 (C) BGB (L) Nr. 46; Senat,NJW
1976, 568 = LM § 823 (C) BGB Nr. 47 = VersR 1976, 540 (541)).
2. Im Streitfall tragen die tatsächlichen
Feststellungen des BerGer. dessen rechtliche Beurteilung, daß dem
Bekl. die verfolgungsbedingten Verletzungen des W objektiv zuzurechnen
sind.
a) Allerdings hat der erkennende Senat, was die
Revision für sich ins Feld führt, in seinem Urteil vom 13. 1.
1976 (NJW 1976, 568 = LM § 823 (C) BGB Nr. 47 = VersR 1976, 540 (541))
die Entscheidung der damaligen Vorinstanzen gebilligt, daß ein zur
Verbüßung eines Wochenendarrestes aufgesuchter Jugendlicher,
der aus einem 4,05 Meter hoch gelegenen Toilettenfenster flüchtete,
nicht für den Fersenbeinbruch eines ihm nachspringenden Polizeibeamten
einzustehen habe, den dieser sich bei seinem Aufprallauf dem asphaltierten
Hof zugezogen hatte. Das steht jedoch einer Bejahung der Haftung des Bekl.
im Streitfall nicht entgegen. Zum einen unterscheiden sich die jeweiligen
Sachverhalte. Abgesehen davon, daß hier das BerGer. nicht das Vorliegen
einer asphaltierten oder ähnlich harten Aufsprungfläche festgestellt
hat, liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem vorgenannten Senatsurteil
darin, daß es im Streitfall nicht lediglich um die Festnahme eines
Jugendlichen, dessen Wohnsitz und Aufenthalt bekannt waren, zur Verbüßung
eines Wochenendarrestes, sondern um die Aufklärung und Ahndung gewichtiger
Straftaten, nämlich um die Aufbrüche von Autos und um Diebstähle
aus Wohnungen, ging. Da beide Festgenommenen wegen solcher Delikte bereits
mehrfach vorbestraft waren, mußte bei einem erfolgreichen Entweichen
mit der Begehung weiterer derartiger Straftaten gerechnet werden. Gerade
die angemessene Mittel-Zweck-Relation, daß nämlich die Risiken
der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung
des Fliehenden stehen dürfen, ist aber der wesentliche Gradmesser
bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Herausforderung
zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos
auf den Fliehenden (vgl. BGHZ 57, 25 (31f.) = NJW 1971, 1980 = LM §
823 (C) BGB Nr. 38; BGHZ 63, 189 (192f.) = NJW 1975, 168 = LM § 823
(C) BGB (L) Nr. 46). Ist eine solche Verhältnismäßigkeit
nicht gewahrt, so fällt eine Körperverletzung des Verfolgers,
wie bereits gesagt, nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm.
Bei der vergleichenden Betrachtung des Streitfalls
mit der Senatsentscheidung vom 13. 1. 1976 (NJW 1976, 568 = LM § 823
(C) BGB Nr. 47 = VersR 1976, 540 (541)) ist schließlich auch zu beachten,
daß der erkennende Senat seinerzeit eine objektive Zurechnung der
Körperverletzung trotz der Sprunghöhe von 4,05 Metern nicht verneint,
sondern dahingestellt gelassen hat. Er hat die Haftung des Fliehenden aus
subjektiven Gründen, nämlich an fehlendem Verschulden, scheitern
lassen.
b) Bei der Frage nach der objektiven Zurechnung
kann in Fallgestaltungen der hier vorliegenden Art auch aus anderen Gründen
nicht allein auf die Höhe der Absprungstelle und insoweit dann etwa
gar auf eine bestimmte Anzahl von Zentimetern abgestellt werden. Freilich
hängt die Verlagerung des Verletzungsrisikos auf den Fliehenden davon
ab, ob der Verfolger sich zu dem Nachspringen herausgefordert fühlen
durfte, was wiederum bei außergewöhnlich großer Höhe
nicht mehr der Fall ist. In dem kritischen Bereich, um den es im Streitfall
bei einer Höhe von etwa 4 Metern geht, müssen aber letztlich
die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles den Ausschlag
geben. Dabei sind außer der oben bereits angesprochenen Beschaffenheit
der Aufsprungstelle unter anderem auch das Alter und der körperliche
Zustand des Nachspringenden von Bedeutung, die vorliegend nach den Feststellungen
des BerGer. dem 31jährigen W keinen Anlaß boten, von dem Nachsprung
abzusehen.
c) Bei der Prüfung der objektiven Zurechnung
ist schließlich mit dem BerGer. auch noch zu bedenken, daß
W sich bei der Verfolgung des Bekl. sehr schnell über die Frage eines
Nachsprungs schlüssig werden mußte, daß ihm also, wie
das BerGer. ausführt, kaum Zeit und Gelegenheit blieb, die Risiken
eines Sprunges abzuwägen. Auch deshalb können an seine Berechtigung,
sich herausgefordert zu fühlen, keine überhöhten Anforderungen
gestellt werden. Für W stellte sich die Siuation so dar, daß
vor ihm bereits zwei Personen aus dem Fenster gesprungen waren und daß
beide sodann noch davonlaufen konnten. Daß W unter diesen Umständen
die Gefahr einer erheblichen Verletzung für nicht so groß erachtete,
um sich dadurch von einem Nachsprung abhalten zu lassen, rechtfertigt entgegen
der Auffassung der Revision im Zusammenhang mit den vorstehend unter a
und b dargelegten Besonderheiten des Streitfalles die Ansicht des BerGer.,
W habe sich im Sinne der Rechtsprechung zur Verfolgung herausgefordert
fühlen dürfen.
3. Ohne Rechtsfehler hat das BerGer. die Körperverletzungen
des W dem Bekl. auch subjektiv zugerechnet.
a) Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der
Vorwurf, die Körperverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt
zu haben, setzt voraus, daß der Fliehende damit rechnen mußte,
verfolgt zu werden, und daß er auch voraussehen konnte, sein Verfolger
werde dabei möglicherweise zu Schaden kommen. Daß der Fliehende
die Verfolgung als solche tatsächlich wahrgenommen hat, ist keine
notwendige Voraussetzung seiner Haftung (a.A. Weber, in: Festschr. f. Steffen,
1995, S. 507 (518ff.)). An der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens, den aus
billigenswerten Motiven zur Nacheile bereiten Verfolger zur selbstgefährdenden
Reaktion herausgefordert zu haben, fehlt es nämlich nicht schon dann,
wenn der Fliehende so schnell enteilt, daß er nicht mehr beobachten
kann, ob der von ihm Herausgeforderte tatsächlich zur Verfolgung ansetzt.
"Herr des Geschehens" im Sinne der Rechtsprechung (BGHZ 58, 162 (167) =
NJW 1972, 904 = LM § 823 (C) BGB Nr. 42) durch Aufzwingen des besonderen
Gefahrenpotentials auf seinen Verfolger kann der Fliehende auch dann sein,
wenn er dem durch sein Entweichen Herausgeforderten die Möglichkeit
einer gründlichen Abwägung vor dem Eintritt in die gesteigerte
Gefahrenlage nimmt und gerade deshalb mit einer Verfolgung auch in diese
besonderen Gefahren hinein rechnen muß. Eine andere Sicht würde
insbesondere bei einem Fenstersprung wie hier, bei dem der Fliehende die
Verfolgung möglicherweise gar nicht mehr selbst wahrnehmen kann, dem
Umstand nicht gerecht werden, daß er seinen Verfolger vorwerfbar
einem gesteigerten Gefahrenpotential ausgesetzt hat. Demgemäß
hat der erkennende Senatauch stets entscheidend allein darauf abgestellt,
ob der Fliehende, für ihn erkennbar, durch sein Weglaufen in zurechenbarer
Weise eine Lage erhöhter Verletzungsgefahr für den Verfolger
geschaffen hat und ob er mit einer Verfolgung hat rechnen müssen (vgl.BGHZ
57, 25 (28, 32f.) = NJW 1971, 1980 = LM § 823 (C) BGB Nr. 38; BGHZ
63, 189 (191, 193, 195) = NJW 1975, 168 = LM § 823 (C) BGB (L) Nr.
46; Senat, NJW 1971, 1982 = LM § 823 (C) BGB Nr. 39 = VersR 1971,
962 (963); NJW 1976, 568 = LM § 823 (C) BGB Nr. 47 = VersR 1976, 540
(541) und NJW 1990, 2885 = LM § 823 (C) BGB Nr. 64 = VersR 1991, 111
(112)). Selbst wenn daher der Bekl. bei der vom BerGer. unterstellten Sachdarstellung,
daß er sich bereits 10 Meter vom Gebäude entfernt gehabt habe,
als W ihm nachgesprungen sei, die Verfolgung durch W nicht mehr erkannt
haben sollte, so steht dies seiner Haftung nicht entgegen.
b) Die Revision greift die Feststellung des BerGer.,
der Bekl. habe damit rechnen müssen, daß der Polizeibeamte ihm
nachspringen werde, auch allein mit dem Hinweis auf die besondere Gefährlichkeit
des Sprunges aus 4 Meter Höhe an. Dieses Argument wurde jedoch bereits
oben bei der Prüfung, ob W sich zu dem Sprung hat herausgefordert
fühlen dürfen, für nicht durchgreifend erachtet. Die dort
genannten Gründe legten es für den Bekl., der sich ja selbst
der mit dem Sprung verbundenen Verletzungsgefahr ausgesetzt hat, nahe,
daß ihm der für seine Bewachung zuständige Winsoweit nicht
nachstehen werde. Die Gefahr, daß W sich dabei verletzen könnte,
war dem Bekl. ebenfalls bekannt; sie wird auch von der Revision als klar
erkennbar und auf der Hand liegend bezeichnet.
4. Keinen Bestand kann das angefochtene Urteil
jedoch in Bezug auf die Erwägungen haben, mit denen das BerGer. eine
Schadensteilung auf der Grundlage des § 254 I BGB verneint.
a) Ohne Rechtsfehler geht das BerGer. von einer
schuldhaften Mitverursachung des Unfalls durch W aus. Dem steht nicht schon
der Umstand entgegen, daß der Bekl. ihn, wie dargelegt, in vorwerfbarer
und deshalb zum Schadensersatz verpflichtender Weise zum Nachspringen herausgefordert
hat. Der haftungsrechtliche Zusammenhang zwischen der psychischen Beeinflussung
zur Verfolgung und den dabei eingetretenen Verletzungen des Verfolgers
besteht nicht nur bei alleiniger Schadensverantwortung des Verfolgten.
Zwar setzt, wie der Senat mehrfach ausgesprochen hat, die Schadenszuweisung
bei psychischer Verursachung voraus, daß sich der Eingreifende nicht
nur überhaupt, sondern gerade auch in der gewählten Art und Weise
zum Handeln herausgefordert fühlen durfte (BGHZ 57, 25 (31) = NJW
1971, 1980 = LM § 823 (C) BGB Nr. 38; BGHZ 63, 189 (193) = NJW 1975,
168 = LM § 823 (C) BGB Nr. 46 (L); Senat, NJW 1971, 1982 = LM §
823 (C) BGB Nr. 39 = VersR 1971, 962 (963) und NJW 1976, 568 = LM §
823 (C) BGB Nr. 47 = VersR 1976, 540 (541)). Mit dieser Einschränkung
sollen aber lediglich solche Fälle ausgeschieden werden, in
denen der Eingreifende ein derart übersteigertes Risiko eingegangen
ist, daß dessen rechtliche Zuweisung an den Auslöser der Kausalkette
das Haftungsrisiko ins Unermeßliche wachsen lassen würde (BGHZ
63, 189 (193) = NJW 1975, 168 = LM § 823 (C) BGB Nr. 46 (L)). Daraus
folgt für Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht, daß bei
einem Fenstersprung bis zu einer bestimmten Höhe die Haftung des Fliehenden
für Verletzungen seines Verfolgers in vollem Umfang zu bejahen und
sie bei einer Überschreitung dieser Höhe in vollem Umfang zu
verneinen wäre. Vielmehr verbleibt, wie der Senat ebenfalls bereits
ausgesprochen hat, bei einer vom Fliehenden vorauszusehenden Verfolgung,
deren Schadenspotential die vorgenannte Untragbarkeitsgrenze nicht überschreitet,
durchaus Raum für die Abwägung der besonderen Umstände ihrer
konkreten Durchführung nach § 254 BGB (BGHZ 63, 189 (193f.) =
NJW 1975, 168 = LM § 823 (C) BGB Nr. 46 (L)). Ein "Alles- oder Nichts"-Prinzip
würde in solchen Fällen durch die Unmöglichkeit einer differenzierenden
Abwägung der gerechten Beurteilung des jeweiligen Einzelfalles nicht
selten im Wege stehen (BGHZ 63, 189 (194) = NJW 1975, 168 = LM § 823
(C) BGB Nr. 46 (L)). Der erkennende Senat hat deshalb auch bereits wiederholt
Entscheidungen gebilligt, in denen der Tatrichter auf solcher Grundlage
zu einer Schadensteilung gelangt war (BGHZ 57, 25 (31) = NJW 1971, 1980
= LM § 823 (C) BGB Nr. 38; Senat, NJW 1964, 1363 = LM § 823 (C)
BGB Nr. 32 = VersR 1964, 684f. sowie LM § 823 (C) BGB Nr. 36 und VersR
1967, 580 (581f.)).
b) Im Streitfall rechtfertigen die vom BerGer.
festgestellten Umstände dessen Ansicht, daß W eine Mitverantwortung
an seinen Verletzungen trifft. Daß er sich, wie oben dargelegt, sehr
schnell entscheiden mußte, ob er dem Bekl. durch die Fensteröffnung
nachspringen oder etwa wie sein Kollege M die Verfolgung über die
Treppe aufnehmen sollte, verringerte zwar die Anforderungen an die von
ihm im Rahmen des § 254 BGB zu erwartende Sorgfalt (Senat, NJW 1981,
750 = LM § 823 (Be) BGB Nr. 24 = VersR 1981, 161 (162)). Damit war
W aber nicht jeder Sorgfaltspflicht gegenüber den eigenen Belangen
enthoben (vgl. auch Senat, LM § 823 (C) BGB Nr. 36, und VersR 1967,
580 (581)). So konnte er auch bei der gebotenen Eile ohne weiteres erkennen
und bei seiner Entscheidung berücksichtigen, daß sich das Fenster
in beträchtlicher Höhe über dem Erdboden befand und daß
ein Sprung aus dem 1. Obergeschoß des Gebäudes die Gefahr nicht
unerheblicher Verletzungen begründete, mochten auch der Bekl. und
zuvor schon der Mitverdächtige Ü ihre Sprünge anscheinend
ohne gewichtige Verletzungen überstanden haben. Deshalb hätte,
wie das BerGer. ausführt, bei sorgfältiger Überlegung für
W einiges dafür gesprochen, das mit dem Sprung verbundene Verletzungsrisiko
nicht einzugehen. Die von ihm im Rahmen des § 254 BGB zu verlangende
Interessenwahrung gebot hier zwar kein längeres Abwägen; auch
bei der erforderlichen schnellen Entscheidung wäre W jedoch die Beachtung
und Vermeidung des sich bei einem Sprung aus 4 Meter Höhe aufdrängenden
Gefahrenpotentials möglich gewesen. Daß W dem nicht Rechnung
getragen hat, rechtfertigt den Vorwurf des Mitverschuldens.
c) Die W treffende Mitverantwortung kann aber
auf der Grundlage der vom BerGer. dazu niedergelegten Erwägungen nicht
als so geringfügig angesehen werden, daß sie im Rahmen der Abwägung
nach § 254 BGB bei der Schadenszuweisung gänzlich außer
Betracht bleiben könnte. Bei seiner Ansicht, den Bekl. treffe die
alleinige Haftung, weil er W herausgefordert und damit die ganz entscheidende
Ursache für dessen Verletzung gesetzt habe, hat das BerGer., was der
revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt (Senat, NJW-RR 1988, 1373
= LM § 254 (F) BGB Nr. 27 = VersR 1988, 1238 (1239)), nicht alle insoweit
erheblichen Umstände des Streitfalls berücksichtigt. Wie der
Senat in seinem soeben genannten Urteil vom 12. 7. 1988 ausgeführt
hat, ist bei der Haftungsverteilung nach § 254 BGB maßgeblich
darauf abzustellen, ob die Handlungsweise des einen oder des anderen Beteiligten
den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich
gemacht hat. Dies erfordert hier nach wertender Zuordnung die vom BerGer.
bisher unterlassene Abwägung der Erkennbar- und Vermeidbarkeit der
Verletzungsgefahr auf seiten des Bekl. und des W sowie eine gewichtende
Darlegung der Gründe, ob und in welchem Maße die Herausforderung
zur Eingehung der gesteigerten Gefahren durch den Bekl. gegenüber
dem Sichbegeben in die Gefahrenlage durch W den Schadenseintritt wahrscheinlicher
gemacht hat.
III. Das den W von jeglicher Schadensbeteiligung
freistellende Berufungsurteil muß deshalb aufgehoben und die Sache
an das BerGer. zurückverwiesen werden. Der erkennende Senat kann nicht
nach § 565 III Nr. 1 ZPO selbst abschließend entscheiden. Zum
einen gehört die Abwägung der Verantwortlichkeiten nach §
254 BGB in den dem Revisionsgericht nur begrenzt zugänglichen Bereich
der tatrichterlichen Würdigung (Senat,NJW-RR 1988, 1373 = LM §
254 (F) BGB Nr. 27). Zum anderen hat das BerGer. bisher offen gelassen,
ob der Bekl. bei seinem Sprung W mit hinabgerissen hat. Da dies zur vollen
Haftung des Bekl. führen könnte, wird das BerGer., soweit es
nach seiner Auffassung nunmehr darauf ankommen sollte, auch die dazu erforderlichen
Feststellungen zu treffen haben.