Haftungsbegründende
Kausalität bei mittelbarer Verursachung und psychisch vermittelter
Kausalität ("Verfolgerfälle"); Haftung aus § 7 StVG bei Flucht mit
einem Fahrzeug: Begriff des "Betriebs" eines Kfz; Begriff des "unabwendbaren
Ereignisses" (§ 17 III StVG); Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers
BGH, Urteil vom 31. Januar 2012 - VI
ZR 43/11
Fundstelle:
NJW 2012, 1951
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Der Halter eines Kraftfahrzeuges, der sich der
polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung seines Kraftfahrzeuges
entzieht, haftet unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns sowohl nach §
823 Abs. 1 BGB als auch nach § 7 StVG für einen bei der Verfolgung
eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn
dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der
Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck stehen.
b) Dies gilt auch in Fällen, in denen der Fahrer eines Polizeifahrzeuges zum
Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden
Fahrzeug herbeiführt, um es zum Anhalten zu zwingen.
c) Der Anspruch auf Ersatz des dabei an den beteiligten Polizeifahrzeugen
entstandenen Sachschadens kann nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG auch als
Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Fluchtfahrzeuges geltend
gemacht werden.
Zentrale Probleme:
Ein klassischer Fall "psychisch
vermittelter Kausalität" in Form eines sog. "Verfolgerfalls" (s. dazu
BGHZ 132, 164; zu anderen
Fällen psychisch vermittelter Kausalität s. z.B.
BGHZ
93, 351;
BGH NJW 2002, 2232;
BGH NJW 2007, 2764
und
BGH v. 20.3.2012 - VI ZR
114/11): Ein Fahrer entzieht sich durch Flucht einer
Polizeikontrolle und wird durch eine von der Polizei bewusst herbeigeführten
Kollision gestoppt. Das Land macht Schadensersatz gegen den
Haftpflichtversicherer geltend. Die Besonderheit des Falles, der die
Voraussetzung der Kausalität in den Verfolgerfällen wunderbar darlegt,
besteht in den Ausführungen zur Haftung aus § 7 StVG. Es geht dabei um den
Begriff des "Betriebs" des Kfz (s. dazu auch
BGH NJW 2005, 2081 sowie BGH v. 8.12.2015 - VI
ZR 139/15) sowie um
die Frage des Einwands aus § 17 III StVG, d.h. um die Frage, ob der Schaden
für die Polizeifahrzeuge ein "unabwendbares Ereignis" war. Für diese Frage
wendet er letztlich dieselben Kriterien an, wie für die Legitimität der
Herausforderung: Der Schaden war für die Polizei "rechtlich" unabwendbar,
weil sie so handeln durfte (und musste).
©sl 2012
Tatbestand:
1 Am 23. April 2008 entzog sich der
Versicherungsnehmer der Beklagten mit dem von ihm geführten und bei der
Beklagten haftpflichtversicherten VW Golf in Baden-Württemberg (Offenburg)
einer Verkehrskontrolle. Dabei verletzte er eine Polizeibeamtin.
Einsatzkräfte der Polizei des Landes Baden-Württemberg nahmen daraufhin die
Verfolgung auf und - ab der Anschlussstelle Hemsbach an der BAB 5 - auch die
Polizei des Landes Hessen, des Klägers.
Der Versicherungsnehmer der Beklagten fuhr zwischen 180 und 200 km/h,
wechselte dabei mehrfach die Fahrstreifen und nutzte auch den Standstreifen.
Um den Flüchtigen zu stoppen, entschloss sich die hessische Polizei,
den Verkehr auf der BAB 5 an der Anschlussstelle Darmstadt-Eberstadt zu
verlangsamen, indem zwei Dienstfahrzeuge mit geringer Geschwindigkeit die
beiden Fahrstreifen befuhren und ein Lkw-Fahrer, den die Polizei um Hilfe
ersucht hatte, mit seinem Sattelzug auf gleicher Höhe langsam auf dem
Standstreifen fuhr. Da alle drei Fahrstreifen damit blockiert
waren, wurde der herannahende Versicherungsnehmer der Beklagten gezwungen,
abzubremsen. Er versuchte, zwischen den beiden Polizeifahrzeugen
hindurchzufahren. Bei diesem Versuch wurde er von einem weiteren
hessischen Polizeifahrzeug von hinten gerammt, so dass er zwischen den
beiden die linke und die rechte Fahrspur blockierenden Polizeifahrzeugen
durchgeschoben wurde. Das Fluchtfahrzeug wurde sodann von
einem weiteren Fahrzeug des klagenden Landes an die Mittelleitplanke
abgedrängt und gestoppt. Der Versicherungsnehmer der Beklagten
wurde vorläufig festgenommen.
2 Mit seiner Klage macht das Land Hessen gegen den
Haftpflichtversicherer des Fluchtfahrzeuges den an seinen vier
Polizeifahrzeugen entstandenen Schaden und weitere Kosten in Höhe von
insgesamt 17.271,84 € geltend. Das Landgericht hat der Klage in
Höhe von 17.032,84 € unter Klageabweisung im Übrigen stattgegeben.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht in Abänderung des
erstinstanzlichen Urteils die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht ist der Meinung, dem Kläger stehe der gegen den
Haftpflichtversicherer geltend gemachte Schadensersatzanspruch unter
verkehrsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu, was eine deliktische Haftung
des Versicherungsnehmers der Beklagten für den Schaden nicht ausschließe.
Das Schadensersatzbegehren des Klägers sei an der Vorschrift des § 7
StVG zu messen, dessen Anwendungsbereich vor dem Hintergrund seines
Schutzzweckes weit auszulegen sei. Unter dem Gesichtspunkt des
"Herausforderns" komme bei Verfolgungsfahrten zwar eine Haftung
grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Schadenseintritt erst durch
eine eigenverantwortlich gesetzte Ursache des geschädigten Dritten ausgelöst
worden sei. Diesem Erfordernis des Herausforderns werde bereits genügt, wenn
ein Kraftfahrer einer polizeilichen Anordnung nicht nachkomme und er sich
einer gerechtfertigten Feststellung seiner Personalien durch Flucht zu
entziehen versuche. Gleichwohl falle der im Streitfall geltend gemachte
Schaden des Klägers nicht mehr unter den Normzweck des § 7 StVG. Denn die
Polizeifahrzeuge seien hier als Mittel des unmittelbaren Zwanges eingesetzt
worden, wobei den Fahrern bewusst gewesen sei, dass ihre eigenen
Dienstfahrzeuge durch die von ihnen herbeigeführte Aktion zwangsläufig
beschädigt werden würden. Die Beamten des klagenden Landes hätten in die
Beschädigung ihrer eigenen Fahrzeuge eingewilligt, um ein rechtmäßiges
hoheitliches Handeln durchzusetzen. Der dadurch entstandene Schaden könne
nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 StVG fallen, weil sich
eben keine Gefahr mehr verwirklicht habe, die von dem bei der Beklagten
versicherten Fahrzeug ausgegangen sei. Die Kollisionsschäden seien nicht
durch die Fahrweise des Fluchtwagens entstanden, sondern gelegentlich eines
gerechtfertigten Einsatzes unmittelbaren Zwangs gegen einen Kraftfahrer, der
zuvor eine Straftat begangen habe. Schadensursache sei
mithin letztlich nicht mehr der "Betrieb" des bei der Beklagten versicherten
Fluchtfahrzeuges gewesen. Bei einer wertenden Betrachtung verbiete
es sich, den Betriebsvorgang des Fluchtwagens hier mit einzubeziehen,
weshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 StVG nicht mehr
vorlägen mit der weiteren Folge, dass nicht mehr in eine Abwägung der
Verursachungsbeiträge einzutreten sei.
II.
4 Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des klagenden Landes wegen
des Schadens an den Polizeifahrzeugen nicht deshalb verneint werden, weil
die Polizeibeamten die entstandenen Schäden dadurch selbst verursacht haben,
dass sie das Fluchtfahrzeug vorsätzlich rammten, um die Verfolgungsjagd zu
beenden.
5 1. Das Berufungsgericht hat zunächst übersehen, dass ein
Direktanspruch gegen den beklagten Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 VVG auch wegen einer unerlaubten Handlung ihres
Versicherungsnehmers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wenn
diese "durch den Gebrauch" des versicherten Kraftfahrzeuges erfolgt.
6 Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf
Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um
eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem
Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt.
Die Zulässigkeit einer Direktklage des Klägers gegen die Beklagte setzt
mithin voraus, dass er einen Schadensersatzanspruch geltend macht, der im
Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung von der Beklagten gedeckt
werden muss. Die Vorschrift des § 1 PflVG verpflichtet den Halter
eines Kraftfahrzeuges, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der
"durch den Gebrauch des Fahrzeuges" verursachten Personenschäden,
Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und
aufrechtzuerhalten. An das Pflichtversicherungsgesetz knüpft § 10 Abs. 1 AKB
an, wo es heißt, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung diejenigen
Schäden deckt, die "durch den Gebrauch des im Vertrag bezeichneten
Fahrzeugs" verursacht worden sind (vgl. Senat, Urteil vom 26. Juni 1979 - VI
ZR 122/78, BGHZ 75, 45, 47; Beschluss vom 8. April 2008 - VI ZR 229/07, SP
2008, 338 und BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 - IVa ZR 17/80, BGHZ 78, 52,
53 f.).
7 Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb des Kraftfahrzeuges
im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist das Interesse versichert, das der
Versicherte daran hat, "durch den Gebrauch ... des Fahrzeugs" nicht mit
Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf § 7 StVG, den
§§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen (vgl.
Senatsurteil vom 26. Juni 1979 - VI ZR 122/78, aaO S. 48; BGH Urteil vom 23.
Februar 1977 - IV ZR 59/76, VersR 1977, 418, 419 mwN; Stiefel/Maier, AKB,
18. Aufl., A.1.1 Rn. 23; s. auch Ja-cobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor,
Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., § 10 AKB Rn. 19). Im Streitfall
hat der Versicherungsnehmer der Beklagten das versicherte Kraftfahrzeug als
Fluchtfahrzeug "gebraucht", um sich einer Polizeikontrolle bzw. einer
vorläufigen Festnahme zu entziehen. Die bewusst herbeigeführte Kollision mit
einem Polizeifahrzeug, um ihn zu stoppen, stand deshalb in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem konkreten Gebrauch des Fahrzeuges.
8 a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann jemand, der
durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten
herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer
mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter
Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch
die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist (vgl.
Senatsurteile vom 12. März 1996 - VI ZR 12/95,
BGHZ 132, 164, 166; vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, VersR 1991, 111,
112; vom 29. November 1977 - VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 184; vom 21.
Februar 1978 - VI ZR 8/77, BGHZ 70, 374, 376 und vom 3. Oktober 1978 - VI ZR
253/77, VersR 1978, 1161, 1162). Eine auf solcher Grundlage
beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in
denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der
Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte
Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch
Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die
Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben
(vgl. Senatsurteile vom 24. März 1964 - VI ZR 33/63, VersR 1964, 684, 685;
vom 3. Februar 1967 - VI ZR 115/65 und VI ZR 117/65, VersR 1967, 580 f.; vom
13. Juli 1971 - VI ZR 165/69, VersR 1971, 962, 963 f.; vom 13. Juli 1971 -
VI ZR 125/70, BGHZ 57, 25, 28 ff.; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 168/73, BGHZ
63, 189, 191 ff. und vom 13. Januar 1976 - VI ZR 41/75, VersR 1976, 540,
541).
9 b) Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen
Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in
vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat
(vgl. Senatsurteile vom 29. November 1977, vom 21. Februar 1978,
vom 3. Oktober 1978 und vom 3. Juli 1990, jeweils aaO). Dabei muss
sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823
Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich
bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der
Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass
sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch
die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte (vgl.
Senatsurteil vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, aaO).
10 c) Im Streitfall sind die Schäden an den Polizeifahrzeugen bei
der gebotenen wertenden Betrachtungsweise auf der Grundlage der
Feststellungen des Berufungsgerichts dem Versicherungsnehmer der Beklagten
haftungsrechtlich sowohl objektiv als auch subjektiv zuzurechnen.
11 aa) Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur
Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den
Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der
die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer
Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil
ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm
fällt (vgl. Senatsurteile vom 13. Juli 1971 - VI ZR 125/70, BGHZ
57, 25, 31 f.; vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 168/73, BGHZ 63, 189, 192 f. und
vom 12. März 1996 - VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164,
169).
12 Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat sich nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine
Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den
ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine
Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des
Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine
erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die
Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die
erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der
Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.
13 bb) Die Schäden an den Polizeifahrzeugen sind dem Versicherungsnehmer der
Beklagten auch subjektiv zuzurechnen.
14 Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine
Rechtsgutsverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben,
setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden,
und dass er auch voraussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei
möglicherweise zu Schaden kommen (vgl. Senatsurteile vom
12. März 1996 - VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 171
und vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112, jeweils mwN).
15 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wusste der
Versicherungsnehmer der Beklagten, dass er verfolgt wird, und musste auch
damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner
Fahrweise nicht nur ein gesteigertes Risiko bestand, während der
Verfolgungsfahrt einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer
Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem
Fluchtfahrzeug. Bei einer Verfolgungsjagd, wie sie im Streitfall
stattgefunden hat, ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten
erforderlichenfalls auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um
den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhindern.
16 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch eine
Haftung des Versicherungsnehmers der Beklagten nach § 7 Abs. 1 StVG nicht
verneint werden.
17 a) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort
genannten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges" verletzt
worden ist. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass
dieses Haftungsmerkmal nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats
entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen
ist. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür,
dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine
Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch
den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden
ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden,
wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt
haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das
Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist
(vgl. Senatsurteile vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641; vom
5. Juli 1988 - VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65, 66 f.; vom 6. Juni 1989 - VI ZR
241/88, VersR 1989, 923, 924 f. und vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, VersR
1991, 111, 112). Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem
Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen
Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der
Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge
muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm
erlassen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 1962 - VI ZR
184/61, BGHZ 37, 311, 315 ff.; vom 27. Januar 1981 - VI ZR 204/79, BGHZ 79,
259, 262 f.; vom 6. Juni 1989 - VI ZR 241/88, VersR 1989, 923, 924 f. und
vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112).
18 b) Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das
Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden
Polizeifahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das
Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet
hat. Dass dies "bei dem Betrieb" der beteiligten Kraftfahrzeuge im
fließenden Verkehr auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den
vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken wie bei einem "normalen"
Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall
vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich
Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein
unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG n.F. bzw. § 7 Abs. 2
StVG a.F. war.
19 Die obergerichtliche Rechtsprechung hat in vergleichbaren Fällen
wiederholt entschieden, dass ein Verkehrsunfall in Bezug auf die
unfallbeteiligten Polizeifahrzeuge zwar nicht aus tatsächlichen, wohl aber
aus Rechtsgründen im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. unabwendbar sein kann,
wenn Polizeibeamte zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben ein fliehendes
Fahrzeug verfolgen und es bei der Verfolgungsfahrt zu einer Kollision
zwischen den beteiligten Fahrzeugen kommt. Eine rechtliche Unabwendbarkeit
wurde dabei auch in Fällen bejaht, in denen der Fahrer des Polizeifahrzeuges
zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden
Fahrzeug herbeiführte, um es zum Anhalten zu zwingen (vgl. OLG Hamm
VersR 1998, 1525; NJW 1988, 1096; OLG Koblenz NZV 1997, 180; a.A. OLG
München, ZfS 1997, 125 f.). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
20 c) Die Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit in Verfolgungsfällen
ist unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns vergleichbar zu beantworten
wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB. Wer sich der
polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges
entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden
Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden
auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung
nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen (vgl.
Senatsurteile vom 12. März 1996 - VI ZR 12/95,
BGHZ 132, 164, 166 ff. und vom 29. Oktober 1974 - VI ZR 168/73, BGHZ 63,
189, 191 ff.). Soweit das Berufungsgericht den Ausführungen im Senatsurteil
vom 3. Juli 1990 - VI ZR 33/90, aaO etwas Anderes entnehmen will, wird
übersehen, dass es in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall gerade
nicht zu einer Kollision der beteiligten Fahrzeuge gekommen war.
21 3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Da keine
weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, kann der Senat in der Sache
selbst entscheiden und das erstinstanzliche Urteil wiederherstellen.
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