Psychisch vermittelte Kausalität, kein Ersatz von
"Schockschäden" bei Tötung eines Haustiers; Gefährdungshaftung nach § 7
StVG, Anrechnung der Betriebsgefahr des Geschädigten nach § 17 StVG
BGH, Urteil vom 20. März 2012 - VI ZR
114/11
Fundstelle:
NJW 2012, 1730
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Die Rechtsprechung zu
Schmerzensgeldansprüchen in Fällen psychisch vermittelter
Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Krankheitswert bei der Verletzung oder
Tötung von Angehörigen oder sonst nahestehenden Personen (sog. Schockschäden)
ist nicht auf Fälle psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen im
Zusammenhang mit der Verletzung oder Tötung von Tieren zu erstrecken.
Zentrale Probleme:
Es geht um das Klassikerproblem
der sog. "Schockschäden" im Rahmen der sog. "psychisch vermittelten
Kausalität":
Seelische Erschütterungen begründen nur dann eine Rechtsverletzung i.S.v. §
823 I BGB, wenn sie Krankheitswert haben (BGHZ 56, 163
ff;
BGH NJW 2006, 3268).
Werden diese "Schockschäden" aber psychisch vermittelt, kommt ein
Kausalitätsproblem hinzu (BGHZ 93, 351):
Zwar ist die Handlung des Schädigers, der ein Haustier tötet,
äquivalent und uU auch adäquat kausal für den psychischen Schaden des
Tierhalters. Das
Haftungsrecht ist aber bemüht, hier zur Vermeidung von Haftungslawinen weitere
Einschränkungen zu setzen. Das geschieht mittels der "normativen Zurechnung"
bzw. dem Erfordernis des Zurechnungszusammenhangs. Einen solchen sieht die
Rspr. bei Tötung und Verletzung naher Angehöriger gegeben, nicht aber etwa
bei anderen Personen (s. hierzu etwa
BGH NJW 2007, 2764 = BGHZ 172, 263) und eben
auch nicht bei Tieren, selbst wenn sie dem Geschädigten emotional nahe
stehen. S. zu diesem Themenkomplex auch die Anm. zu
BGHZ
93, 351;
BGH NJW 2006, 3268;
BGH NJW 2007, 2764;
BGH NJW 2009, 3025;
BGH v. 6.2.2007 - VI ZR 55/06;
BGH v. 27.1.2015 - VI ZR 548/12
sowie insbesondere
BGH v. 6.12.2022 - VI ZR 168/21, wo das
Kriterium aufgegeben wurde, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
über dasjenige hinausgehen muss, dem Betroffene bei der Verletzung eines
Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Zur Haftungsbegründung bezüglich des materiellen Schadens: Der Beklagte
haftete mangels Verschuldens nicht aus § 823 I BGB (Eigentumsverletzung),
sondern aus § 7 StVG (Gefährdungshaftung). Die Klägerin traf für ihren Hund
aber auch eine Gefährdungshaftung (§ 833 BGB). Dieser
Gefährdungshaftungsanteil ist ihr nach § 17 IV, II StVG anzurechnen ist.
Daher hier die bloß hälftige Haftung des Beklagten (zur Anrechnung der
Betriebsgefahr analog § 254 BGB s. auch
BGH v. 17.11.2009 - VI ZR 58/08 sowie
BGHZ 173, 182.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt materiellen
Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit der tödlichen
Verletzung eines Hundes bei einem Verkehrsunfall.
2 Am 24. Oktober 2008 spazierte die Klägerin mit einer 14 Monate alten
Labradorhündin auf einem Feldweg. Die Hündin war nicht angeleint. Der
Beklagte, der mit einem Traktor von einer angrenzenden Straße in den Feldweg
einfuhr, überrollte die Hündin, die dadurch so schwere Verletzungen erlitt,
dass sie von einem Tierarzt eingeschläfert werden musste.
3 Die Klägerin macht materiellen Schadensersatz wegen entstandener
Tierarztkosten, Kosten für die Anschaffung eines Labrador-Welpens und
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie einen Schmerzensgeldanspruch
geltend mit der Begründung, sie habe durch das Erlebnis einen Schockschaden
mit schweren Anpassungsstörungen und einer schweren depressiven Episode
erlitten. Es sei zu einer pathologischen Dauerreaktion gekommen, welche
medikamentös habe behandelt werden müssen und die Durchführung einer
Langzeitbehandlung erfordert habe. Der Zustand habe über einen Zeitraum von
mindestens vier Monaten angedauert und sei bis heute nicht ausgestanden.
4 Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der materiellen Schäden
stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten
hat das Oberlandesgericht der Klage hinsichtlich der materiellen Schäden nur
in Höhe von 50 % stattgegeben und den Beklagten in entsprechender Abänderung
des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, an die Klägerin 388 € nebst Zinsen
zu zahlen sowie sie von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 83,54 € freizustellen. Die Berufung der Klägerin und die
weitergehende Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr
Klagebegehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil erkannt
hat.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass ein
Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens nicht in Betracht kommt. Für die
ersatzfähigen materiellen Schäden hafte der Beklagte als Fahrer des
unfallbeteiligten Traktors nach § 18 StVG für den Unfall, bei dem der Hund
der Klägerin so schwer verletzt worden sei, dass er anschließend habe
eingeschläfert werden müssen. Der Beklagte habe weder nachgewiesen, dass der
Unfall für ihn unabwendbar gewesen sei, noch dass ihn an dem Unfall kein
Verschulden getroffen habe. Auf der anderen Seite müsse sich die
Klägerin nach § 17 Abs. 1 und 4 StVG die Tiergefahr ihres frei laufenden
Hundes im Sinne des § 833 BGB anrechnen lassen. Die Abwägung
zwischen der Betriebsgefahr des Traktors mit Anhänger und der Tiergefahr des
auf einem Feldweg frei laufenden Hundes rechtfertige unter den besonderen
Umständen des Falles eine hälftige Schadensteilung.
II.
6 Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
7 1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht einen auf
Schmerzensgeld gerichteten Schadensersatzanspruch der Klägerin aus dem
Gesichtspunkt eines - durch den Tod des Tieres psychisch vermittelten -
sogenannten Schockschadens verneint.
8 a) Ein solcher Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2, § 18
Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1, § 253 BGB wäre zwar, obwohl die Klägerin einen
Gesundheitsschaden nur mittelbar als (psychische) Folge des tödlichen
(Verkehrs-)Unfalls ihrer Hündin erlitten haben will, ein eigener
Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung eines eigenen Rechtsguts
(vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI
ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 168; vom 13. Januar 1976 - VI ZR 58/74, VersR
1976, 539, 540 und vom 6. Februar 2007 - VI ZR
55/06, VersR 2007, 803 Rn. 10). Nach ständiger Rechtsprechung
des erkennenden Senats genügt jedoch nicht jede psychisch vermittelte
Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit, um einen
Schadensersatzanspruch eines dadurch nur "mittelbar" Geschädigten im Falle
der Tötung oder schweren Verletzung eines Dritten auszulösen.
Dies widerspräche der Intention des Gesetzgebers, die Deliktshaftung
gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch
sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu
beschränken (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70, aaO
S. 168 f. und vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854).
Deshalb setzt die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen wie Trauer und
Schmerz nicht nur eine - hier zugunsten der Klägerin revisionsrechtlich zu
unterstellende pathologisch fassbare - Gesundheitsbeschädigung voraus,
sondern auch eine besondere personale Beziehung des solcherart "mittelbar"
Geschädigten zu einem schwer verletzten oder getöteten Menschen
(vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70, aaO S. 170; vom 31.
Januar 1984 - VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; vom 12. November 1985 - VI ZR
103/84, VersR 1986, 240, 241; vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, aaO; vom 13.
Januar 1976 - VI ZR 58/74, aaO und vom 6. Februar
2007 - VI ZR 55/06, Rn. 8, 10). Bei derartigen Schadensfällen
dient die enge personale Verbundenheit dazu, den Kreis derer zu beschreiben,
die den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen
Integrität und nicht als "normales" Lebensrisiko der Teilnahme an den
Ereignissen der Umwelt empfinden (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni
2005 - VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 220 f.).
9 b) Aus den vorgenannten, die Schadensersatzpflicht bei
Schockschäden eng umgrenzenden Grundsätzen ergibt sich bereits, dass eine
von der Revision geforderte Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf psychisch
vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Verletzung oder Tötung von
Tieren nicht in Betracht kommt (so auch zutreffend LG Bad
Kreuznach, Jagdrechtliche Entscheidungen Bd. XIV, XI Nr. 128; KreisG
Cottbus, NJW-RR 1994, 804, 805; AG Recklinghausen, ZfS 1989, 191 und AG
Essen-Borbeck, JurBüro 1986, 1494; MünchKommBGB/Oetker, 5. Aufl., § 251 Rn.
55). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber keinen Anlass für einen
besonderen Schmerzensgeldanspruch des Tierhalters gesehen hat; die
Verletzung oder Tötung von Tieren sollte den von der Rechtsprechung
anerkannten Fällen von Schockschäden mit Krankheitswert bei der Verletzung
oder Tötung von Angehörigen oder sonst dem Betroffenen nahestehenden
Menschen nicht gleichgestellt werden (vgl. BT-Drs. 11/7369, S. 7).
10 Derartige Beeinträchtigungen bei der Verletzung oder Tötung von
Tieren, mögen sie auch als schwerwiegend empfunden werden und menschlich
noch so verständlich erscheinen, gehören zum allgemeinen Lebensrisiko und
vermögen damit Schmerzensgeldansprüche nicht zu begründen.
11 2. Die Revision beanstandet schließlich ohne Erfolg die Ausführungen des
Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und
Verantwortungsbeiträge im Zusammenhang mit den geltend gemachten materiellen
Schadensersatzansprüchen der Klägerin. Die Entscheidung über eine
Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist
grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu
überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände
vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige
Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller
festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO
bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den
Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der
Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung
beigetragen haben (vgl. etwa Senatsurteil vom 7. Februar 2012 - VI ZR
133/11, juris Rn. 5 mwN).
12 Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil stand.
Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts sind
gefahrerhöhende Umstände von beiden Seiten nicht bewiesen worden. Auf dieser
Grundlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das
Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung unter den besonderen
Umständen des Streitfalles unter Berücksichtigung der Tiergefahr des
freilaufenden Hundes einerseits und der Betriebsgefahr des Traktors
andererseits zu einer hälftigen Schadensteilung gelangt ist.
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