Ersatzfähigkeit von "Schockschäden" - Änderung der
Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 168/21 - OLG
Celle
Fundstelle:
noch nicht bekannt für
BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Bei sogenannten "Schockschäden" stellt - wie im
Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung - eine psychische Störung von
Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar,
auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines
Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische
Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für
die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die
Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen
Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in
der Regel ausgesetzt sind (insoweit Aufgabe
Senatsurteil vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7 mwN).
Zentrale Probleme:
Es geht um das Problem der sog. "Schockschäden". Dabei
stellt sich zunächst die Frage der Gesundheitsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1
BGB, aber auch die Frage der psychisch vermittelten Kausalität
einschließlich des Zurechnungszusammenhangs. Bislang und auch weiterhin
liegt eine Gesundheitsverletzung in einem solchen Fall mittelbarer
Schädigung erst dann vor, wenn die psychische Beeinträchtigungen
pathologisch fassbar ist, d.h. Krankheitswert hat. Eine
Gesundheitsverletzung scheitert dabei (ebensowenig wie der
Zurechnungszusammenhang) daran, dass der psychisch Geschädigte infolge
körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist.
Der Schädiger hat nämlich keinen Anspruch darauf , so gestellt zu werden,
als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt. Kurz: Der Schädiger muss das
Opfer nehmen, wie es ist. Auch muss sich das Verschulden des Schädigers nur
auf die Primärverletzung, nicht aber auf die Schadensfolgen beziehen.
Bislang hat die Rspr. des BGH aber für eine Gesundheitsverletzung darüber
hinaus verlangt, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen über solche hinausgehen, denen Betroffene beim Tod
oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel
ausgesetzt sind (s. dazu
s. dazu BGHZ 222, 125). Dieses Kriterium diente vor allem dazu,
die Haftung nicht ausufern zu lassen. Durch seine Aufgabe werden nunmehr
psychische mit physischen Gesundheitsverletzungen weitestgehend
gleichgestellt. Das Bedürfnis, die Haftung nicht ausufern zu lassen, ist
aber weiterhin anerkannt. Es erfolgt nunmehr allein über das Kriterium der
Kausalität einschließlich der wertenden Betrachtungsweise des
Zurechnungszusammenhangs (s. dazu Rn. 24 ff).
Entscheidendes Wertungskriterium ist dabei weiterhin die Abgrenzung zum
allgemeinen Lebensrisiko. Eine daraus resultierende Gefahr ist dem
Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen (etwa das bloße Miterleben
eines schweren Unfalls ohne Beteiligung naher Angehöriger, s. dazu die Anm.
zu BGHZ 172, 263; zum Berufsrisiko s. die Anm.
zu BGH, Urteil vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17)
. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar
gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise
zu gewärtigen hat. Insoweit ist "eine wertende Betrachtung geboten".
©sl 2023
Tatbestand:
1 Der Kläger nimmt den Beklagten auf immateriellen Schadensersatz
wegen Verursachung einer psychischen Erkrankung in Anspruch.
2 Die Tochter des Klägers wurde im Alter von fünf und sechs Jahren
von dem Beklagten sexuell missbraucht. Der Beklagte wurde durch Urteil des
Landgerichts Lüneburg vom 17. Juni 2016 unter anderem wegen sexuellen
Missbrauchs der Tochter des Klägers in zehn Fällen rechtskräftig verurteilt.
3 Der Kläger behauptet, er habe eine tiefgreifende reaktive
depressive Verstimmung erlitten und diese bei einer Psychologin mittels
einer Hypnosetherapie behandeln lassen, nachdem er von den gegen den
Beklagten gerichteten Vorwürfen Kenntnis erlangt habe. Während der
Dauer der Ermittlungen und des gerichtlichen Verfahrens sei er vom 9. Juni
2015 bis zum 5. August 2016 arbeitsunfähig gewesen. Er sei in dieser Zeit
gedanklich nur mit dem Geschehen um seine Tochter beschäftigt und deshalb in
seiner Konzentrations- und Antriebsfähigkeit ganz erheblich eingeschränkt
gewesen. Eine Stabilisierung seiner psychischen Verfassung habe sich
erst mit Abschluss des Verfahrens langsam einstellen können. Die erlittene
Beeinträchtigung, die auf der Kenntniserlangung der Taten des Beklagten zum
Nachteil der Tochter des Klägers beruht habe, gehe nach Art und Schwere
deutlich über das hinaus, was Angehörige in derartigen Fällen
erfahrungsgemäß als Beeinträchtigung erlitten.
4 Das
Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen
psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Sachverständigen
sowie persönlicher Anhörung des Klägers den Beklagten zur Zahlung eines
Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000 € nebst Zinsen sowie Zahlung
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen
abgewiesen. Die Berufung des Beklagten ist vor dem Oberlandesgericht
erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision erstrebt der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das
Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der
Kläger habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von
Schmerzensgeld gemäß § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB.
6 Das
Landgericht habe aufgrund der Feststellungen des
gerichtlichen Sachverständigen rechtsfehlerfrei eine
Anpassungsstörung des Klägers nach ICD-10 F43.2 und damit eine
Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Die
Beweiswürdigung des Landgerichts sei insoweit nicht zu beanstanden. Die
festgestellte Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers genüge auch den in der
Rechtsprechung entwickelten höheren Anforderungen an die Annahme einer
Gesundheitsverletzung als Verletzung eines absoluten Rechts im Sinne des §
823 Abs. 1 BGB im Bereich der sogenannten "Schockschäden". Danach
begründeten seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz,
denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen
erfahrungsgemäß ausgesetzt seien, auch dann nicht ohne weiteres eine
Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen
der physiologischen Abläufe begleitet würden und für die körperliche
Befindlichkeit medizinisch relevant seien. Denn die Anerkennung solcher
Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in §
823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie
gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken
und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei
einem Dritten zurückzuführen seien, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB
ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen könnten in diesen
Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1
BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar seien und über die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgingen, denen der Betroffene beim
Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel
ausgesetzt sei.
7 Diese Schwelle sei nach den Feststellungen
des Landgerichts auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen überschritten. Danach habe der Kläger zeitlich einhergehend
mit Bekanntwerden der Straftaten zum Nachteil seiner Tochter eine
Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10 F43.2 mit einer depressiven
Symptomatik, Angst und Besorgnis, Einschränkung der Bewältigung der
alltäglichen Routinen, verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten, über
einen Zeitraum von über einem Jahr erlitten und sei deswegen von Juni 2015
bis August 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Es handele sich um ein medizinisch
relevantes Krankheitsbild, das insbesondere über Beeinträchtigungen
hinausgehe, denen Angehörige in vergleichbaren Situationen erfahrungsgemäß
ausgesetzt seien. Hierzu habe der Sachverständige festgestellt, dass
sich beim üblichen Verlauf einer Anpassungsstörung eine Besserung der
Symptomatik oft rasch einstelle, bei einer Subgruppe von unter 20 % aber ein
chronischer Verlaufstyp festgestellt werden müsse. Selbst unter der Annahme,
dass eine "übliche" Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10 F43.2 noch als
erwartbare und deliktsrechtlich hinzunehmende Reaktion auf eine gravierende
Straftat zum Nachteil von engen Angehörigen angesehen werden könnte, habe
der Kläger deswegen an einer aggravierten, nicht mehr "üblichen" Form
gelitten.
8 Die für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 823
Abs. 1 BGB erforderliche Verletzungshandlung sei mit dem Missbrauch der
Tochter des Klägers gegeben. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt,
dass dieser Missbrauch kausal im Sinne einer "conditio-sine-qua-non" für die
Beeinträchtigung des Klägers gewesen sei. Für die Bejahung der äquivalenten
Kausalität sei es unbeachtlich, dass bei der Tochter des Klägers selbst
keine psychische Belastung durch die Ereignisse erkennbar gewesen sei, da
der Kläger vorliegend einen eigenen Anspruch wegen einer ihm persönlich
entstandenen Beeinträchtigung geltend mache. Das Landgericht habe auch in
nicht zu beanstandender Weise nach Würdigung des Gutachtens des
gerichtlichen Sachverständigen festgestellt, dass die streitgegenständliche
Beeinträchtigung des Klägers auf den Missbrauch seiner Tochter und nicht auf
sonstige Ereignisse in seiner Vergangenheit, wie den Tod seiner Mutter,
zurückzuführen gewesen sei. Der Haftung des Beklagten stehe nicht entgegen,
dass nach den Feststellungen des Sachverständigen der Kläger aufgrund seiner
Vorgeschichte mit der erlittenen Belastung dysfunktional umgegangen sei,
weshalb die Anpassungsstörung möglicherweise einen deutlich längeren
Zeitverlauf gehabt habe. Der Grundsatz, dass eine besondere
Schadensanfälligkeit des Verletzten dem Schädiger haftungsrechtlich
zuzurechnen sei, gelte grundsätzlich auch für psychische Schäden. Die
psychische Gesundheitsverletzung des Klägers sei auch im Übrigen eine dem
Beklagten zurechenbare Folge seiner deliktischen Pflichtverletzung. Das
Landgericht habe die Grundsätze der Haftung für "Schockschäden" nicht
unangemessen ausgeweitet. Die Entscheidung füge sich vielmehr ein in die
Vorgaben, die in der Rechtsprechung für die Anerkennung einer seelischen
Beeinträchtigung als Gesundheitsschaden eines Angehörigen als mittelbar
Betroffenen und für die weitere Eingrenzung der Zurechnung entwickelt worden
seien. Dass die unmittelbar von den Straftaten betroffene Tochter des
Klägers keine erkennbaren schweren körperlichen oder psychischen Schäden
davongetragen habe, sei kein Grund, die Gesundheitsbeeinträchtigung des
Klägers selbst nicht als haftungsrelevant verständliche und nachvollziehbare
Reaktion auf die Straftaten anzusehen. Der Kläger als Vater des Opfers sei
ein naher Angehöriger und damit berechtigter Anspruchsteller im Sinne der
geforderten besonderen personalen Beziehung zwischen
unmittelbar Geschädigtem und mittelbar psychisch Verletztem. In den
Straftaten des Beklagten zum Nachteil der Tochter des Klägers sei auch ein
für die deliktische Haftung ausreichender Anlass zu sehen, der insbesondere
die Schwelle überschreite, die als allgemeines Lebensrisiko in jedem Fall
hinzunehmen sei.
9 Die Entscheidung des Landgerichts sei auch
hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden.
II. 10 Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in
jeder Hinsicht stand.
11 1. Im Ergebnis zutreffend hat das
Berufungsgericht allerdings angenommen, dass ein Schmerzensgeldanspruch des
Klägers gegen den Beklagten nach § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB dem Grunde
nach besteht.
12 a) Eine Gesundheitsverletzung des
Klägers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB liegt nach den vom Berufungsgericht
getroffenen Feststellungen in Form einer psychischen Störung vor.
13 aa) Nach ständiger Senatsrechtsprechung können
psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne
des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 2020
- VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 8; vom 21. Mai
2019 - VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom
27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6; vom 20. Mai 2014 -
VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22. Mai 2007
- VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99,
NJW 2001, 1431, 1432, juris Rn. 13; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ
132, 341, 344, juris Rn. 15; vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317
f., juris Rn. 9; vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778,
juris Rn. 9). Dieser Grundsatz hat nach der bisherigen
Senatsrechtsprechung, die auch das Berufungsgericht seiner
Entscheidung zugrunde gelegt hat, im Bereich der sogenannten "Schockschäden"
allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Danach
begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz,
denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen
erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne weiteres eine
Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen
der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche
Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Psychische
Beeinträchtigungen sollen in diesen Fällen nur dann als
Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn
sie pathologisch fassbar sind und über die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod
oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel
ausgesetzt sind (vgl. nur Senatsurteile
vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 10. Februar
2015 - VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 9; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12,
NJW 2015, 1451 Rn. 7; ferner Senatsurteil vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17,
BGHZ 218, 220 Rn. 10).
14 An dieser einschränkenden Auslegung
des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung, die in der Literatur
verbreitet auf Kritik gestoßen ist (vgl. etwa Wagner in MüKoBGB, 8.
Aufl., § 823 Rn. 218; Spickhoff in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 823 Rn. 45;
Hager in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 823 Rn. B 33; Bischoff, MDR
2004, 557, 558), hält der Senat nicht länger fest.
Bei sogenannten "Schockschäden" stellt - wie im Falle einer unmittelbaren
Beeinträchtigung - eine psychische Störung von Krankheitswert eine
Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim
Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem
Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch
fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer
Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der
Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt
sind.
15 Der Senat hält diese Änderung im Sinne
einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen
Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB für geboten.
Soweit der Senat zur Begründung seiner bisherigen Rechtsprechung die in den
§§ 844, 845 BGB zum Ausdruck kommende Wertung herangezogen hat, wonach
Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsguts bei einem
Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der in diesen Vorschriften
genannten Fälle ersatzlos bleiben (vgl. etwa Senatsurteile vom
21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn.
7; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, NJW
2015, 1451 Rn. 7; jeweils mwN), steht diese Wertung einer
Gleichbehandlung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen nicht
entgegen. In den Fällen sogenannter "Schockschäden" ist Grundlage der
Haftung nicht die Verletzung eines Rechtsguts bei einem Dritten, sondern
eine eigene - psychische - Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers.
16 Zudem sieht der Senat die Gefahr, dass der nach der bisherigen
Senatsrechtsprechung bei der Prüfung des Vorliegens einer
Gesundheitsverletzung in Form eines "Schockschadens" anzustellende Vergleich
zwischen der Beeinträchtigung des Anspruchstellers und der zu erwartenden
Reaktion von Angehörigen in vergleichbarer Lage zu unbilligen
Ergebnissen führen kann. Dies wird exemplarisch deutlich,
wenn als Auslöser des "Schockschadens" eine vorsätzliche Straftat in Rede
steht. Es wäre schon für sich genommen unbillig, etwa im Falle einer
besonders schwerwiegenden Straftat, die bei nahen Angehörigen des Opfers
mittelbar eindeutig pathologische psychische Beeinträchtigungen
(etwa schwere Depressionen) verursacht hat, diese deshalb nicht als
tatbestandsmäßige Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
anzusehen, weil sie im Regelfall als Reaktion auf vergleichbare Straftaten
zu erwarten sind. Darüber hinaus würde es zu
Wertungswidersprüchen führen, in derartigen Fällen eine
Gesundheitsverletzung zu verneinen, diese aber umgekehrt bei mittelbarer
Verursachung einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert durch
eine geringfügige Straftat deshalb zu bejahen, weil sie bei Angehörigen in
vergleichbarer Lage regelmäßig nicht auftritt.
17
Dem der bisherigen Senatsrechtsprechung zugrundeliegenden und berechtigten
Anliegen, die Haftung für lediglich mittelbar verursachte psychische
Beeinträchtigungen - insbesondere bei lediglich fahrlässiger Herbeiführung -
nicht ins Uferlose auszuweiten, kann bei sorgfältiger Prüfung der
haftungsbegründenden Merkmale des § 823 Abs. 1 BGB in anderer Weise
als durch einschränkende Voraussetzungen hinsichtlich des
Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung Rechnung getragen werden.
So ist etwa im Blick zu behalten, dass eine Haftung für psychische
Beeinträchtigungen, die als Primärschaden geltend gemacht werden, nur in
Betracht kommt, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert
besitzt und insoweit das strenge Beweismaß des § 286 ZPO gilt,
das die volle Überzeugung des Tatrichters erfordert (vgl.
hierzu und zu den weiteren möglichen "Filtern" der Adäquanz und des
Verschuldens Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 19/20, BGHZ
228, 264 Rn. 21, 22 und 24 f.). Auch bedarf der
Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer
Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung (vgl. dazu näher
unten unter lit. c).
18 Im Übrigen kann im Einzelfall bei
geringfügigen Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit ohne wesentliche
Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen ein Schmerzensgeld
gegebenenfalls versagt werden, wenn es sich nur um vorübergehende, im
Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem
besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des
seelischen Wohlbefindens handelt. Damit sind
Beeinträchtigungen gemeint, die sowohl von der Intensität als auch der Art
der Verletzung her nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den
Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des
Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren
Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein (vgl.
Senatsurteil vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 27 mwN).
19 bb) Nach diesen Grundsätzen ist die der Beweiswürdigung des
Landgerichts folgende Feststellung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger
eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Form einer
Anpassungsstörung nach ICD-10 F43.2 erlitten hat, frei von Rechtsfehlern.
Entgegen der Ansicht der Revision ist nicht zu beanstanden, dass
das Berufungsgericht keinen konkreten Anhaltspunkt für Zweifel an der
Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts im Sinne des § 529 Abs. 1
Nr. 1 ZPO hinsichtlich des Vorliegens einer Anpassungsstörung darin gesehen
hat, dass das Landgericht seine Beurteilung - sachverständig beraten - auf
die subjektiven Angaben des Klägers gestützt hat. Nach dem Grundsatz der
freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist das Gericht nicht
gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen
und des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugungsbildung auf eine
Parteierklärung zu stützen, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen
Parteivernehmung erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2003 - VI ZR
327/02, VersR 2003, 1322, juris Rn. 9 f. mwN; BGH, Beschluss vom 27.
September 2017 - XII ZR 48/17, MDR 2018, 172 Rn. 12 mwN; Zöller/Greger, ZPO,
34. Aufl., § 141 Rn. 1a). Von Rechts wegen ist auch nichts dagegen
zu erinnern, dass das Berufungsgericht - gestützt auf die medizinische
Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen - in der festgestellten
Anpassungsstörung mit Ausbildung einer depressiven Symptomatik, Angst und
Besorgnis, Einschränkungen bei der Bewältigung der alltäglichen Routinen und
verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten, eine pathologisch fassbare
psychische Beeinträchtigung des Klägers von Krankheitswert gesehen hat. Ob,
wie das Berufungsgericht mit dem Landgericht weiter angenommen hat, diese
Anpassungsstörung einen gegenüber "üblichen" Fällen verlängerten Zeitverlauf
hatte, ist nach den dargelegten Maßstäben für die Feststellung der
Primärverletzung unerheblich und lediglich für die nach § 287 ZPO
durchzuführende Ermittlung des Umfangs des verursachten Schadens von
Bedeutung.
20 b) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die
Beweiswürdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich seiner Feststellung, dass
für die psychische Störung des Klägers der Missbrauch seiner Tochter durch
den Beklagten kausal war.
21 aa) Die Würdigung der
Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen
Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist.
Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem
Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend
und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also
vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 26. Mai
2020 - VI ZR 213/19, VersR 2020, 1052 Rn. 27 mwN).
22 bb) Einen
solchen Fehler zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere schließt der
Umstand, dass die vom Kläger beklagten Beeinträchtigungen nicht bereits
unmittelbar nach dem ersten Bericht seiner Tochter im Sommer 2013 zu sexuell
übergriffigem Verhalten des Beklagten, sondern erst während des gegen den
Beklagten eingeleiteten Strafverfahrens zwischen Juni 2015 und August 2016
aufgetreten sein sollen, die Annahme, diese Beeinträchtigungen seien
eine Folge der Straftaten des Beklagten, nicht von vornherein aus.
23
c) Die Angriffe der Revision gegen die Beurteilung des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs
durch das Berufungsgericht greifen ebenfalls nicht durch.
24 aa)
Allerdings bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in
Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung
(vgl. Senatsurteile vom 21. Mai 2019 - VI
ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 11; vom 17. April
2018 - VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 13; vom 20. Mai 2014 - VI ZR
381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9 f.; vom 22. Mai 2007 -
VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161, 163).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch
den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine
Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die
Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren
Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die
Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart
bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend
gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den
Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in
der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen
Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.
Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar
gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise
zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten
(vgl. nur Senatsurteile vom 21. Mai 2019 - VI ZR
299/17, aaO; vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17,
aaO; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10, mwN).
25
Verneint wurde der Zurechnungszusammenhang bei psychischen
Beeinträchtigungen vor diesem Hintergrund etwa dann, wenn der Geschädigte
das schadensauslösende Ereignis in neurotischem Streben nach
Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten
und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. nur
Senatsurteile vom 26. Juli 2022 - VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 24; vom
28. Mai 2019 - VI ZR 27/17, VersR 2019, 1022 Rn. 9; vom 10. Februar 2015 -
VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 11; vom 10. Juli 2012 - VI ZR 127/11, VersR
2012, 1133 Rn. 10; jeweils mwN), ebenso im Fall der psychischen
Gesundheitsverletzung einer Mutter aufgrund der Nachricht über eine schwere
Erbkrankheit des Vaters der gemeinsamen Kinder (Senatsurteil vom
20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9 ff.).
Entsprechendes kann gelten, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig
ist (Bagatelle), nicht gerade speziell eine Schadensanlage des Verletzten
trifft und die psychische Reaktion deshalb im konkreten Fall schlechterdings
nicht mehr verständlich ist, weil sie in grobem Missverhältnis zum Anlass
steht (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 10. Juli 2018 - VI ZR 580/15,
aaO; Senatsurteile vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, aaO; vom 30. April
1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346, juris Rn. 21; ferner
Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl., Rn. 370). Grundsätzlich
scheitert die Zurechnung psychischer Schäden aber nicht daran, dass der
Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen
besonders schadensanfällig ist, weil der Schädiger keinen Anspruch darauf
hat, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt
(vgl. nur Senatsbeschluss vom 10. Juli 2018 - VI ZR 580/15, aaO;
Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 145,
juris Rn. 10; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346, juris
Rn. 18 f.). Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der
sogenannten "Schockschäden" ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
darüber hinaus anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht
erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen
Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen,
diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein
ein - dem Schädiger nicht zurechenbares - allgemeines Lebensrisiko (vgl.
Senatsurteile vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, BGHZ
222, 125 Rn. 12; vom 20. März 2012 - VI ZR
114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8, mwN).
26 bb) Nach diesen Grundsätzen
steht im Streitfall der haftungsrechtlichen Zurechnung der durch die
Straftaten des Klägers verursachten psychischen Gesundheitsverletzung des
Beklagten nicht entgegen, dass körperliche oder psychische Verletzungen der
Tochter des Klägers als unmittelbar Betroffener aufgrund des sexuellen
Missbrauchs bisher nicht festgestellt sind. Anders als die Revision
meint, ist ein Ersatz von sogenannten "Schockschäden" nicht von vornherein
auf Fälle beschränkt, in denen der Angehörige getötet oder schwer
verletzt wurde.
27 Der Senat hat allerdings erwogen, ob es
aus ähnlichen Erwägungen, die ihn zu Einschränkungen der Ersatzpflicht für
"Schockschäden" unterhalb eines bestimmten Schweregrades veranlasst haben,
geboten sein kann, den Anspruch zu versagen, wenn der Geschädigte
auf Ereignisse besonders empfindlich und "schockartig" reagiert, die das
objektiv nicht rechtfertigen und die im Allgemeinen ohne nachhaltige und
tiefe seelische Erschütterungen toleriert zu werden pflegen (vgl.
Senatsurteil vom 5. Februar 1985 - VI ZR 198/83,
BGHZ 93, 351, 355, juris Rn. 17). Ein solcher Fall liegt hier
jedoch nicht vor.
28 Zwar wird nicht jede vorsätzliche
Straftat zum Nachteil eines nahen Angehörigen ein verständlicher und
nachvollziehbarer Anlass für die Entwicklung eines pathologischen
psychischen Zustandes sein. Die Konfrontation eines Elternteils mit
dem wiederholten sexuellen Missbrauch seines Kindes kann hierzu jedoch auch
dann geeignet sein, wenn körperliche oder psychische Verletzungen des Kindes
bisher nicht feststellbar sind. Insoweit kann die dem
Elternteil vom Täter aufgezwungene psychische Verarbeitung einer erheblichen
Gefährdung der ungestörten Entwicklung seines Kindes (vgl. zum
Schutzgut des § 176 StGB aF BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99,
BGHSt 45, 131, 132, juris Rn. 11; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91,
BGHSt 38, 68, 69, juris Rn. 10; vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt
29, 336, 340, juris Rn. 6; Beschlüsse vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09,
BGHSt 53, 283, Rn. 6 und 10; vom 21. September 2000 - 3 StR 323/00, NJW
2000, 3726, juris Rn. 5; vom 7. Oktober 1997 - 4 StR 389/97, StV 1998, 657,
juris Rn. 6; jeweils mwN) genügen, die entgegen der Ansicht der
Revision auch nicht dem allgemeinen Lebensrisiko der Eltern unterfällt.
Vielmehr empfinden Eltern typischerweise aufgrund ihrer engen personalen
Verbundenheit mit ihren Kindern, zu deren Sorge sie auch von Rechts wegen
verpflichtet sind (§ 1626 BGB), einen Integritätsverlust des Kindes als
Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als "normales"
Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt (vgl. zu
diesem Kriterium Senatsurteile vom 20. März 2012 -
VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8; vom 14.
Juni 2005 - VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 220 f., juris Rn. 37),
zumal dann, wenn die Integritätsverletzung des Kindes auf einer
vorsätzlichen Sexualstraftat beruht. Die hier geltend gemachte
Gesundheitsverletzung fällt somit auch hinsichtlich ihrer Entstehungsweise
unter den Schutzzweck der verletzten Norm. Es ist
daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Streitfall im
zehnfachen sexuellen Missbrauch der Tochter des Klägers einen unter
Zurechnungsgesichtspunkten hinreichenden Anlass für die vom Kläger
geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigung gesehen hat.
29
cc) Die Ansicht der Revision, Ersatz wegen eines "Schockschadens"
könne nicht verlangt werden, wenn der Anspruchsteller am
"Unfallgeschehen" nicht beteiligt gewesen sei, trifft in dieser
Allgemeinheit ebenfalls nicht zu. Auch wenn es der Senat im Rahmen
der Prüfung der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen aufgrund
eines Unfallereignisses für ein maßgebliches Kriterium gehalten hat,
ob der Geschädigte am Unfallgeschehen unmittelbar beteiligt war
(vgl. etwa Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264
Rn. 12, 22 mwN; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12,
NJW 2015, 1451 Rn. 10 mwN; vom 22. Mai 2007 - VI
ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14), so hat er in Fällen, in denen
die unmittelbar verletzte Person ein naher Angehöriger des mittelbar
Geschädigten war, auch den Ersatz eines "Fernwirkungsschadens" - etwa, aber
nicht nur aufgrund der Übermittlung der Nachricht des Todes des Angehörigen
- für möglich gehalten (vgl. etwa Senatsurteile
vom 5. Februar
1985 - VI ZR 198/83, BGHZ 93, 351, 355, juris Rn. 17;
vom 11. Mai 1971 - VI
ZR 78/70, BGHZ 56, 163 ff., juris Rn. 1 f.; zu dem in diesen Fällen für eine
Entschädigung nach dem OEG verzichtbaren Zurechnungskriterium der engen
zeitlichen und örtlichen Nähe des Sekundäropfers zum primär schädigenden
Ereignis vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02R, BSGE 91,
107, 109 f., juris Rn. 15 f.). Etwas anderes ergibt sich entgegen einer in
der Literatur vertretenen Ansicht (Mäsch, JuS 2015, 747, 749) auch nicht aus
dem Senatsurteil vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12 (NJW 2015, 1451 Rn. 10
f.). Der Senat hat in dieser Entscheidung den Umstand, dass der Kläger nicht
lediglich vom Tod der Ehefrau benachrichtigt worden war, sondern den
tödlichen Unfall unmittelbar miterlebt hatte, lediglich als ein Argument
gegen die Verneinung eines haftungsbegründenden Gesundheitsschadens
angeführt.
30 dd) Der Gesundheitsschaden ist entgegen der Auffassung der
Revision auch nicht deshalb der Sphäre des Klägers und damit nicht dem
Beklagten zuzurechnen, weil beim Kläger nach den Feststellungen des
gerichtlichen Sachverständigen ein dysfunktionaler Umgang mit Belastungen
festzustellen ist. Wie oben ausgeführt, scheitert die Zurechnung psychischer
Schäden grundsätzlich nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher
oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist.
31 2.
Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Höhe
des zuerkannten Schmerzensgeldes.
32 a) Die Bemessung des Schmerzensgeldes
der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei
gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu
überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das
Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen
Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene
Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzung bemüht hat. Die
Bemessung des Schmerzensgeldes kann in aller Regel nicht schon deshalb
beanstandet werden, weil sie als zu dürftig oder als zu reichlich erscheint;
insoweit ist es der Revision verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle des
Tatrichters zu setzen (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 22. März 2022 -
VI ZR 16/21, VersR 2022, 819 Rn. 7; vom 15. Februar 2022 - VI ZR
937/20, VersR 2022, 712 Rn. 11; jeweils mwN).
33 b) Auch nach
diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab ist die Begründung des
Berufungsgerichts, mit der es den bereits vom Landgericht zugesprochenen
Schmerzensgeldbetrag bestätigt hat, zu beanstanden. Denn sie setzt sich -
worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht mit dem Umstand auseinander,
dass der gerichtliche Sachverständige die Gesundheitsbeeinträchtigung
des Klägers und gerade deren Verlauf zumindest auch auf dessen psychische
Prädisposition zurückgeführt hat. Hierzu bestand aber Veranlassung, da nach
der Senatsrechtsprechung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes - anders
als bei der haftungsbegründenden Zurechnung - eine bereits vorhandene
Schadensanfälligkeit des Geschädigten ein berücksichtigungsfähiger Umstand
ist (vgl. Senatsurteile vom 5. November 1996 - VI ZR 275/95, VersR 1997,
122, 123, juris Rn. 14 mwN; vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, VersR
1981, 1178,1180, juris Rn. 27; vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 111/68, VersR
1970, 281, 284, juris Rn. 39).
III.
34 Das Berufungsurteil
ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3
ZPO), weil die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes dem Tatrichter
vorbehalten ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 2022 - VI ZR 937/20,
VersR 2022, 712 Rn. 29 mwN).
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