Beweislast bei möglicher
HIV-Infektion durch Blutkonserven, Voraussetzungen des Anscheinsbeweises,
Einbeziehung Dritter (zukünftiger Ehepartner) in den Schutzbereich der
Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung; Aids-Infektion als
Gesundheitsbeschädigung, durch Dritte vermittelte Schädigung, Abgrenzung zur
psychisch vermittelten Schädigung
BGH, Urteil vom 14. Juni
2005 - VI ZR 179/04
Fundstelle:
NJW 2005, 2614
für BGHZ vorgesehen
s. auch BGH v. 5.4.2006 - VIII ZR 283/05
sowie
BGH, v. 1.10.2013 - VI ZR 409/12.
Amtl. Leitsätze:
a) Zur Anwendbarkeit des
Anscheinsbeweises für eine HIV-Infektion durch die Verabreichung von
Blutprodukten (im Anschluß an BGHZ 114, 284).
b) Zur Dokumentationspflicht und zur sekundären Darlegungslast des
Verwenders von Blutprodukten hinsichtlich der Chargennummer des
verabreichten Produkts.
c) Ist eine Aufklärung über die Gefahr einer HIV-Infektion bei Verabreichung
von Blutprodukten nicht möglich, ist der Patient jedenfalls nachträglich
über diese Gefahr aufzuklären und ihm zu einem HIV-Test zu raten
(nachträgliche Sicherungsaufklärung).
d) Auch ein im Behandlungszeitpunkt noch nicht bekannter Ehepartner des
Patienten ist in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen
Sicherungsaufklärung über die Gefahr einer transfusionsassoziierten
HIV-Infektion einbezogen.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld von
mindestens 127.823 € (250.000 DM) nebst Zinsen und die Feststellung der
Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden wegen einer bei ihr
festgestellten HIV-Infektion.
Der Beklagte ist seit 1. Februar 1986 Träger des Krankenhauses W., das zuvor
vom Streithelfer des Beklagten getragen worden war.
Die Klägerin ist seit 1988 mit M., einem ehemaligen Patienten des Beklagten,
bekannt und seit dem 11. August 1994 mit ihm verheiratet. Dieser erhielt
nach einem Motorradunfall am 29. Juni 1985 im Krankenhaus W. Frischblut von
drei Spendern sowie mehrere aus Blutspenden hergestellte Produkte (Erythrozyten-Konzentrat,
GFP, PPSB und Biseko). Er wurde nach seiner zunächst bis 24. Dezember 1985
dauernden stationären Behandlung noch bis 9. Oktober 1987 mehrfach stationär
im Krankenhaus W. behandelt.
Im Dezember 1997 wurden in einer Blutprobe von M. HIV-Antikörper
festgestellt. Im Januar 1998 stellte sich heraus, daß auch die Klägerin
HIV-infiziert ist. Sie erhält seit 1998 aus der Stiftung "Humanitäre Hilfe
für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen" eine Rente von 766,94 €
(1.500 DM) monatlich.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Berufungsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision erstreben der Beklagte und sein Streithelfer die
Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht bejaht einen
Kausalzusammenhang zwischen der HIV-Infektion der Klägerin und der
Behandlung ihres Ehemanns mit Blutprodukten im Jahre 1985. Es bestehe ein
von dem Beklagten nicht entkräfteter Beweis des ersten Anscheins dafür, daß
der Ehemann der Klägerin damals mit HIV infiziert worden sei und den Virus
auf die Klägerin übertragen habe. Die Eheleute hätten weder zu den
HIV-gefährdeten Risikogruppen gehört noch seien sie durch die Art ihrer
Lebensführung einer (gesteigerten) Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Die
Lebenserfahrung spreche dafür, daß die verabreichten Blutprodukte als
Infektionsquelle anzusehen seien. Außerdem sei davon auszugehen, daß
zumindest das verabreichte Blutprodukt PPSB der B. AG HIV-kontaminiert
gewesen sei. Da der Beklagte die Chargennummern des verwendeten Produktes im
Rechtsstreit nicht angegeben habe, könne die Klägerin keine näheren
Einzelheiten dazu vortragen, ob das PPSB auch aus Blut HIV-infizierter
Spender gewonnen worden sei und ob weitere transfusionsassoziier-te
HIV-Infektionen Dritter bekannt geworden seien. Zu ihren Gunsten sei daher
von einer Kontaminierung des Produkts auszugehen.
Die Ärzte hätten die ihnen auch gegenüber der Klägerin obliegenden
Sorgfaltspflichten verletzt, weil sie trotz der vielen 1985 verabreichten
Blutprodukte bei keinem der zahlreichen späteren Krankenhausaufenthalte
ihren Ehemann auf die Möglichkeit einer HIV-Infektion hingewiesen und einen
HIV-Test angeraten hätten. Das Risiko einer transfusionsassoziierten
HIV-Infektion sei Mitte 1985 hinreichend bekannt gewesen. Diese
Hinweispflicht habe ihnen auch im Interesse der Klägerin oblegen, denn die
behandelnden Ärzte hätten damit rechnen müssen, daß ihr Ehemann sich nach
seiner Genesung eine Partnerin suchen und heiraten werde. Der Wechsel in der
Trägerschaft des Krankenhauses sei unerheblich, da der Beklagte als neuer
Träger bei Übernahme des Krankenhauses alle Verbindlichkeiten aus dem
Betrieb übernommen habe.
II. Die Revision des Beklagten und seines Streithelfers hat keinen Erfolg.
1. Ohne Rechtsfehler und von der Revision nicht angegriffen hat das
Berufungsgericht die Infizierung der Klägerin mit dem HIV-Virus als
tatbestandliche Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB
angesehen. Darunter fällt jedes Hervorrufen eines von den normalen
körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustandes; unerheblich ist,
ob Schmerzzustände auftreten, ob eine tiefgreifende Veränderung der
Befindlichkeit eingetreten ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 284, 289
sowie BGHSt 36, 1, 6 f. und 36, 262, 265 - zu HIV; BGHZ 8, 243, 246 und BGH,
Urteil vom 14. Dezember 1953 - III ZR 183/52 - VersR 1954, 116, 117,
insoweit nicht in BGHZ 11, 227 - zu Lues) oder ob es zum Ausbruch der
Immunschwächekrankheit AIDS gekommen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 114,
284, 289; BGHSt 36, 1, 6).
2. Die Klägerin ist durch ihren Ehemann infiziert worden, der seinerseits im
Krankenhaus des Beklagten durch die Gabe von Blutprodukten infiziert worden
war.
a) Das Berufungsgericht hat - von der Revision nicht angegriffen - aufgrund
Anscheinsbeweises festgestellt, daß der Ehemann den HIV-Virus an die
Klägerin übertragen hat.
b) Der Ehemann der Klägerin ist im Krankenhaus des Beklagten infiziert
worden. Das Berufungsgericht hat auch dies - entgegen der Ansicht der
Revisionserwiderung - nach dem Beweis des ersten Anscheins ohne Rechtsfehler
festgestellt. Die Einwendungen der Revision hiergegen haben keinen Erfolg.
aa) Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen
Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand
nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines
bestimmten Erfolgs hinweist. Ein solcher typischer Geschehensablauf kann
anzunehmen sein, wenn die Kontaminierung eines verwendeten Blutprodukts
feststeht und keine weiteren Ursachen außerhalb des Verantwortungsbereichs
der Behandlungsseite für die der Kontaminierung entsprechende Erkrankung
ersichtlich sind (vgl. Senatsurteile BGHZ 114, 290; vom 29. Juni 1982 -
VI ZR 206/80 -VersR 1982, 972). Bei einer HIV-Infektion nach Bluttransfusion
setzt das voraus, daß der Patient weder zu den HIV-gefährdeten Risikogruppen
gehört noch durch die Art seiner Lebensführung einer gesteigerten
Infektionsgefahr ausgesetzt ist, aber HIV-kontaminiertes Blut oder
kontaminierte Blutprodukte erhalten hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 114, 290;
OLG Düsseldorf, NJW 1995, 3060; VersR 1996, 377, 378; VersR 1996, 1240;
VersR 1998, 103; OLG Hamm, VersR 1995, 709; NJW-RR 1997, 217, 218; OLG
Karlsruhe, OLGR 2002, 170; s.a. im Zusammenhang mit einer
Hepatitis-Infektion OLG Brandenburg, NJW 2000, 1500; OLG Celle, NJW-RR 1997,
1456; LG Nürnberg-Fürth, VersR 1998, 461 mit Anm. Bender; MüKo-BGB/Wagner,
4. Aufl., § 823 Rn. 731; Hecker/ Weimann, VersR 1997, 532, 534; a.A. OLG
Koblenz, NJW-RR 1998, 167, 168). Diese Voraussetzungen hat das
Berufungsgericht für den Ehemann der Klägerin bejaht.
(1) Die erste Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises, daß der
Patient weder zu den HIV-gefährdeten Risikogruppen gehörte noch durch die
Art seiner Lebensführung einer gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt war,
hat das Berufungsgericht für den Ehemann der Klägerin festgestellt. Die
Revision beanstandet das nicht. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.
(2) Das Berufungsgericht hat auch eine Kontaminierung des verabreichten PPSB
festgestellt. Das begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken.
(a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Ärzte des
Krankenhauses W. lediglich eine trockenhitzeinaktivierte, nicht
pasteurisierte und damit potentiell infektiöse PPSB-Charge verwendet, die
HIV-kontaminiert gewesen war. Die entsprechende Behauptung der Klägerin hat
das Oberlandesgericht mangels substantiierten Bestreitens des Beklagten als
unstreitig angesehen. Das ist nach Lage des Falles unter den gegebenen
Umständen aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hatte vorgetragen, die ihrem Ehemann verabreichte Charge PPSB
sei HIV-kontaminiert gewesen. Das hatte der Beklagte nicht "substantiiert"
und damit nicht ausreichend bestritten.
Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat eine Partei, soll ihr Vortrag beachtlich
sein, auf Behauptungen des Prozeßgegners substantiiert, d.h. mit näheren
Angaben zu erwidern. Eine solche Pflicht besteht zwar nicht schlechthin. Sie
ist aber nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast dann zu bejahen,
wenn der Beklagte - wie hier - alle wesentlichen Tatsachen kennt oder kennen
muß und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. Senatsurteile
BGHZ 100, 190, 196; vom 12. Juli 1983 - VI ZR 280/81 - VersR 1983, 1035,
1037 und vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97 - VersR 1999, 774, 775). Nach
diesen Grundsätzen hätte der Beklagte zumindest die Nummer der verabreichten
Charge näher darlegen müssen, damit die Klägerin Indizien vortragen konnte,
aus denen sich eine Kontamination dieser dem Ehemann der Klägerin
verabreichten Charge PPSB ergeben hätte. Der Beklagte hat hierzu jedoch
nichts im einzelnen dargelegt und insbesondere auch nicht vorgetragen, daß
und weshalb ihm die Angabe der Chargennummer, welche Klarheit über die Frage
des Herstellungsdatums und damit die Art der Virusinaktivierung gebracht
hätte, unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre. Angesichts der
Patientenunterlagen und der nach dem Vortrag des Beklagten bestehenden
Möglichkeit, aus den Apothekerunterlagen die Chargennummern der
verabreichten anderen Blutprodukte vorzutragen, genügte es nicht, wenn der
Beklagte sich darauf beschränkte, bei einer Aufbewahrungsfrist von zehn
Jahren für Daten sei es nicht verwunderlich, daß der Fall heute nicht mehr
komplett nachvollzogen werden könne. Vielmehr hätte er vortragen müssen, aus
welchen Gründen ihm die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene
Darlegung nicht möglich sei. Die Klägerin konnte die von ihr benötigten
Informationen zu den Chargen nicht auf anderem Wege - insbesondere nicht aus
den Patientenunterlagen ihres Ehemannes, die diese Angaben nicht enthalten -
ermitteln und hatte daher ausreichend vorgetragen.
(b) Die Einwendungen der Revision hiergegen greifen nicht durch.
Zwar weist sie zu Recht darauf hin, daß Voraussetzung der "sekundären
Darlegungslast" des Beklagten die Zumutbarkeit näherer Angaben ist. Auch
mögen nähere Angaben zur HIV-Infektion der Charge dem Beklagten nicht ohne
weiteres möglich gewesen sein, weil dieser das Blutprodukt nicht selbst
hergestellt hat und deshalb auch nicht gehalten war, dessen Herstellung zu
überwachen. Das Berufungsgericht hat jedoch im Rahmen der sekundären
Darlegungslast des Beklagten lediglich die Angabe der Chargennummern, nicht
nähere Angaben zu den Spendern verlangt.
Die Chargennummern waren dokumentationspflichtig. Das ergibt schon ein
Rückschluß aus der ausdrücklich als deklaratorisch bezeichneten Äußerung des
Vorstandes der Bundesärztekammer vom 15. Oktober 1993, nach der die Pflicht
des Arztes zur ordnungsgemäßen Dokumentation (vgl. Ratzel/Lippert, Kommentar
zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 3. Aufl., § 10 Rn. 4)
auch die Dokumentation der Chargennummern von Blutzubereitungen umfasse,
weil dies Voraussetzung sei, Blutzubereitungen zum Empfänger später sicher
zurückverfolgen zu können (AIDS-Forschung [AIFO] 1994, 39, 41).
Anhaltspunkte dafür, daß eine solche Dokumentationspflicht 1985 noch nicht
bestanden hätte, sind nicht ersichtlich und von der Revision auch nicht
dargelegt.
Die Revision meint, Rückfragen bei der B. AG und Vortrag hinsichtlich der
HIV-Kontaminierung von PPSB-Produkten seien der Klägerin auch ohne die
Chargennummern möglich gewesen. Deswegen müsse der Grundsatz gelten, daß
keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu
verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge (vgl. BGH, Urteil
vom 26. Juni 1958 - II ZR 66/57 - WM 1958, 961, 962; Urteil vom 11. Juni
1990 - II ZR 159/89 - VersR 1990, 1254, 1255). Das geht fehl. Ungeachtet der
Frage, ob es der Klägerin zumutbar und möglich gewesen wäre, ohne
Eingrenzung auf eine bestimmte Charge von der B. AG Informationen über Fälle
von HIV-Infizierung in allen Chargen von 1984 zu erlangen, hätte sie ihren
Vortrag durch Anfrage ohne die Chargennummer nicht ausreichend
substantiieren können. Ohne Zuordnung zu einer bestimmten Charge ist nämlich
der Vortrag, daß 1984 bei B. AG infizierte PPSB-Produkte im Umlauf waren,
nicht geeignet, die primär der Klägerin obliegende Darlegungslast zur
Kontaminierung des bei ihrem Ehemann verwendeten Blutproduktes zu erfüllen.
Für einen substantiierten Vortrag auch hinsichtlich der HIV-Kontaminierung
benötigte die Klägerin die Chargennummer, zu deren Offenbarung der Beklagte
- wie ausgeführt - prozeßrechtlich verpflichtet war.
Der Meinung der Revision, auch die Angabe der Chargennummer hätte der
Klägerin keine näheren Angaben über die Spender ermöglicht, da wegen der
Poolung der Humanplasmen bei der Herstellung des PPSB die Spenderdaten
bereits nicht ermittelbar gewesen seien und zumindest wegen der abgelaufenen
Zeit für die Aufbewahrung von Krankenunterlagen die Spenderdaten nicht mehr
zur Verfügung gestanden hätten, vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar ist
es richtig, daß die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 2, 3 ZPO nicht dazu
dient, der Klägerin über Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen, die sie auch
gehabt hätte, wäre der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast
nachgekommen. Der Beklagte hat jedoch die Chargennummer nicht vorgetragen,
die für eine Darlegung der Kontaminierung seitens der Klägerin erforderlich
gewesen wäre. Die Angabe von Spenderdaten war dagegen nicht zwingend
erforderlich, um den Nachweis der Kontaminierung einer Charge zu
ermöglichen.
bb) Das Berufungsgericht hat - von der Revision unbeanstandet -
festgestellt, daß aufgrund des bei der Erstvorstellung des Ehemanns der
Klägerin in der Universitätsklinik F. im Jahre 1998 nachgewiesenen
deutlichen Immundefekts und des mäßiggradig erhöhten Virussloads ein länger
zurückliegender Infektionszeitpunkt von etwa zehn Jahren sehr wahrscheinlich
ist und deshalb für M. andere Infektionsquellen als die 1985 verabreichten
Blutprodukte ausscheiden. Der hiernach vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei
bejahte Anscheinsbeweis wird durch die Ausführungen der Revision zu einem
anderen möglichen Infektionsweg nicht erschüttert. Hierzu hätte es der
konkreten Darlegung einer anderen Infektionsquelle, nicht nur einer
theoretisch möglichen anderen Ursache bedurft (vgl. Senatsurteil vom 4. März
1997 - VI ZR 51/96 -VersR 1997, 835, 836; BGHZ 11, 227, 230 f.). Daß auch
das verabreichte Biseko kontaminiert gewesen sein konnte, läßt die Haftung
des Beklagten wegen der Verabreichung von kontaminiertem PPSB nicht
entfallen. Soweit die Revision eine Infektionsmöglichkeit bei der
Notarztbehandlung behauptet, fehlt es an jeglichem Vortrag dazu, aufgrund
welcher tatsächlichen Anhaltspunkte es hier zu einer HIV-Infektion gekommen
sein könnte.
3. Ohne Fehler hat das Berufungsgericht auch eine Pflicht der Ärzte des
Beklagten bejaht, den Ehemann der Klägerin angesichts der zahlreichen
Bluttransfusionen auf die Möglichkeit einer HIV-Infektion hinzuweisen und zu
einem HIV-Test zu raten (nachträgliche Sicherungsaufklärung), was ihnen
anläßlich seiner weiteren Krankenhausaufenthalte unschwer möglich gewesen
wäre.
a) Eine Aufklärungspflicht über die Gefahren der Verabreichung von
Blutprodukten entspricht den vom erkennenden Senat bereits früher
aufgestellten Anforderungen an die Risikoaufklärung bei Bluttransfusionen
(vgl. BGHZ 116, 379, 382 ff.).
Die Aufklärungspflicht setzte keine sichere Kenntnis in Fachkreisen davon
voraus, daß HIV-Infektionen transfusionsassoziiert auftraten; angesichts der
erheblichen Beeinträchtigungen, die mit einer HIV-Infektion/AIDS-Erkrankung
einhergehen, genügte für das Entstehen einer Aufklärungspflicht schon die
ernsthafte Möglichkeit der Gefahr (vgl. Senatsurteil vom 21. November 1995 -
VI ZR 329/94 - VersR 1996, 233). Daß 1985 die Möglichkeit
transfusionsassoziierter HIV-Infektionen in Fachkreisen ernsthaft (wenn auch
"zurückhaltend") diskutiert wurde, zieht auch die Revision nicht in Zweifel.
Ist eine präoperative Aufklärung wegen der Notfallbehandlung oder
Unansprechbarkeit des schwer verunfallten Patienten - wie hier - nicht
möglich, wandelt sich die Aufklärungsverpflichtung des Arztes gegenüber dem
Patienten jedenfalls bei für den Patienten und dessen Kontaktpersonen
lebensgefährlichen Risiken zu einer Pflicht zur alsbaldigen nachträglichen
Selbstbestimmungs- und Sicherungsaufklärung. Dies liegt in der in ständiger
Rechtsprechung angenommenen Pflicht von Ärzten und Krankenhausträgern
begründet, die höchstmögliche Sorgfalt anzuwenden, damit der Patient durch
eine Behandlung nicht geschädigt wird. Im hier zu entscheidenden Fall kam
die Pflicht hinzu dafür Sorge zu tragen, daß sich eine gefährliche Infektion
nicht verbreitet (vgl. jetzt §§ 6, 7 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung
von Infektionskrankheiten beim Menschen - Infektionsschutzgesetz - vom 20.
Juli 2000 - BGBl. I S. 1045 ff.; Senatsurteil vom 10. November 1970 - VI ZR
83/69 - VersR 1971, 227, 229; BGHZ 126, 386, 388 ff.; schon RG HRR 1932 Nr.
1828; Deutsch, Rechtsprobleme von AIDS, 1988, 15).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist im vorliegenden Fall auch nicht
entscheidend, ob es eine standesrechtliche Verpflichtung für Ärzte gab, die
Empfänger von Blutprodukten nachträglich zu ermitteln und sie zu einem Test
zu bewegen. Der Ehemann der Klägerin war fortlaufend in Behandlung der Ärzte
des Beklagten, die bei den Folgebehandlungen im Besitz der vollständigen
Krankenunterlagen waren und wußten, daß ihm im Krankenhaus des Beklagten
zahlreiche Blutprodukte verabreicht worden waren. Die Frage der
Nachermittlung ehemaliger Empfänger stellte sich hier deshalb nicht.
c) Das Berufungsgericht hat entgegen der Rüge der Revision das Fehlen
ärztlicher Richtlinien zur Frage der Sicherungsaufklärung gesehen und als
nicht erheblich bewertet. Es ist unter Auswertung der Ausführungen des
Sachverständigen und der von diesem ausgewerteten Literatur zu der
Überzeugung gelangt, daß bereits im Jahre 1985 das Risiko einer
transfusionsassoziierten HIV-Übertragung bekannt war, und hat daraus den
Schluß gezogen, unabhängig von der Existenz standesrechtlicher Richtlinien
sei der Patient über dieses Risiko zumindest nachträglich zu informieren
gewesen. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Soweit die Revision unter Hinweis auf fehlende Richtlinien zur Aufklärung
und die vom Streithelfer eingereichte Bekanntmachung des
Bundesgesundheitsamtes vom 6. Juni 1988 über die in Fachkreisen noch 1988
bestehende Unklarheit über die Sicherheit hinsichtlich des Risikos einer
HIV-Infektion bei der Anwendung von Blut oder Blutkonserven das Ergebnis des
Berufungsgerichtes angreift, setzt sie ihre Beweiswürdigung an die Stelle
der des Berufungsgerichtes. Das ist ihr verwehrt (§ 559 Abs. 2 ZPO). Im
übrigen hat der Sachverständige hierzu ausgeführt, daß die von der Revision
erwähnte Unklarheit nicht den Übertragungsweg des HIV-Erregers über die
Transfusion, sondern die Virus-Sicherheit der Blutprodukte trotz
entsprechender Testung betraf. Gegen die Pflicht zur nachträglichen
Sicherungsaufklärung spricht auch nicht das Fehlen von Richtlinien, da die
Formulierung von Richtlinien notwendigerweise dem tatsächlichen
Erkenntnisstand hinterherhinken muß (vgl. LG Hannover, NJW 1997, 2455,
2456). Fehler des Berufungsgerichts in der umfassenden und
widerspruchsfreien Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Verhandlungen und
den Beweisergebnissen oder Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze
sind nicht erkennbar.
d) Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen § 412 Abs. 1 ZPO verstoßen.
Entgegen der Auffassung der Revision durfte es die Ausführungen des
Sachverständigen Br. seiner Überzeugungsbildung zugrundelegen und war nicht
gehalten, ein weiteres Gutachten eines Unfallchirurgen oder
Transfusionsmediziners einzuholen. Ermessensfehler des Berufungsgerichts
liegen nicht vor.
Die Einwendungen der Revision gegen die Sachkunde des Sachverständigen haben
keinen Erfolg. ... (wird ausgeführt).
4. Zutreffend hat das Berufungsgericht ferner nicht nur den behandelten
Patienten, sondern auch dessen zum Behandlungszeitpunkt noch nicht bekannten
Ehepartner in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen
Sicherungsaufklärung über die Gefahr einer transfusionsassoziierten
HIV-Infektion einbezogen.
a) Die gegenteilige Auffassung - insbesondere der vom Streithelfer für den
Beklagten geführten Revision - wird nicht von der an sich zutreffenden
Erkenntnis getragen, daß es sich bei den Ersatzansprüchen Dritter im Rahmen
der §§ 844, 845 BGB um Ausnahmevorschriften handelt, deren Anwendungsbereich
regelmäßig nicht auszudehnen ist. Der erkennende Senat hat bereits
ausgeführt, daß es für den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unerheblich ist,
daß der unmittelbare Schaden des Dritten durch die Verletzung einer anderen
Person vermittelt worden ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 56, 163, 169).
Der Grundsatz, daß für mittelbare Schäden außerhalb der §§ 844, 845 BGB
deliktisch nicht gehaftet wird, gilt nur für Vermögensschäden, die aus der
Verletzung eines Rechtsguts des Primärgeschädigten bei Dritten hervorgehen.
Er beansprucht dagegen keine Geltung, wenn der Geschädigte - wie hier -
einen Schaden erleidet, der in der Verletzung eines eigenen Rechtsguts des §
823 Abs. 1 BGB besteht und für den der Schädiger im Rahmen des
Zurechnungszusammenhanges zu haften hat (vgl. von Gerlach, Festschrift
für Steffen, 1995, 147, 150).
b) Soweit die Auffassung vertreten wird, es bedürfe einer personalen
Sonderbeziehung um eine uferlose Ausweitung des Kreises der
Ersatzberechtigten zu verhindern (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1994, 44),
sind diese Erwägungen ersichtlich im Rahmen des Schockschadens, also eines
psychisch vermittelten Schadens angestellt worden (vgl. RGRK/Steffen,
BGB, 12. Aufl., § 823 Rn. 11; Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 823 Rn. 27).
Bei derartigen Schadensfällen dient die enge personale Verbundenheit
dazu, den Kreis derer zu beschreiben, die den Integritätsverlust des Opfers
als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als "normales"
Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt empfinden. Dieser
Gesichtspunkt hat keine Berechtigung in Fällen wie dem vorliegenden. Hier
stehen im Vordergrund die besonderen Gefahren einer Infektion mit HIV nicht
nur für den primär Infizierten, sondern - ähnlich wie bei einer Seuche wie
Cholera - gerade auch für Dritte. Ebenso wie in BGHZ 114, 284 ff. nötigt die
vorliegende Fallgestaltung nicht zur Entscheidung der Frage, ob jeder Dritte
in den Schutzbereich der Pflicht zur nachträglichen Sicherungsaufklärung
fällt (vgl. BGHZ 126, 386, 393; von Gerlach aaO 154; weitergehend
Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearbeitung, § 823, Rn. B 24 f.). Jedenfalls
der Ehepartner oder ein ständiger Lebensgefährte des Patienten muß in den
Schutzbereich der Sicherungsaufklärung einbezogen sein (vgl.
Senatsurteil BGHZ 114, 284, 290). Das ist vom haftungsrechtlichen
Zurechnungszusammenhang her geboten, zumal mit einer HIV-Infektion
Lebensgefahr verbunden ist. Bei dieser Erkrankung trägt die Behandlungsseite
in besonderem Maße Verantwortung dafür, eine Verbreitung der
lebensgefährlichen Infektion möglichst zu verhindern. Hinzu kommt, daß die
Ärzte des Beklagten während einer der zahlreichen stationären
Nachbehandlungen mit einem einfachen Hinweis an den Ehemann der Klägerin
diesen zu einem Test hätten veranlassen und so die Gefahr einer Verbreitung
der Infektion unschwer hätten verringern können.
5. Das Berufungsgericht ist - von der Revision nicht beanstandet und ohne
Rechtsfehler - davon ausgegangen, daß im hier zu entscheidenden Fall der
Wechsel in der Trägerschaft des Krankenhauses vom Streithelfer auf den
Beklagten nicht entscheidungserheblich ist. Die Frage bedarf deshalb keiner
näheren Ausführungen, zumal der zweite Krankenhausaufenthalt des Ehemanns
der Klägerin zwar noch unter der Trägerschaft des Streithelfers begann, aber
erst unter der Trägerschaft des Beklagten endete.
6. Das Berufungsgericht hat schließlich eine Kürzung der Ansprüche der
Klägerin nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld im Ergebnis
zutreffend verneint. Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze vorliegend
überhaupt eingreifen könnten, weil es - anders als in den bisher vom
erkennenden Senat entschiedenen Fällen - nicht um ein
sozialversicherungsrechtliches Haftungsprivileg geht (vgl. Senatsurteile
BGHZ 61, 51, 55; vom 17. Februar 1987 - VI ZR 81/86 - NJW 1987, 2669, 2670;
vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01 -VersR 2003, 1260, 1261 f.; vom 11.
November 2003 - VI ZR 13/03 - VersR 2004, 202; vom 14. Juni 2005 - VI ZR
25/04 - z.V.b.; vgl. allerdings auch Senatsurteil vom 23. April 1985 - VI ZR
91/83 - VersR 1985, 763). Die Anwendung dieser Grundsätze würde jedenfalls
voraussetzen, daß zwischen dem Beklagten und einem anderen Schädiger ein
Gesamtschuldverhältnis im Sinne von §§ 421, 840 Abs. 1 BGB besteht. Hiervon
kann nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts indes nicht
ausgegangen werden. Zwar müßte entgegen seiner Auffassung eine Haftung der
B. AG nicht an der Kausalität scheitern, von der das Berufungsgericht selbst
ausgegangen ist. Indessen fehlt es nach seinen tatsächlichen Feststellungen
an dem für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses im Sinne des § 840
BGB erforderlichen Verschulden der B. AG bei der Herstellung des
kontaminierten Blutprodukts. Erst die Erkennbarkeit eines Risikos kann
Verpflichtungen des Herstellers im Sinne der Produktsicherung oder der
Gefahrenabwehr auslösen. Eine nicht bekannte Entwicklungsgefahr geht im
Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nicht zu Lasten des Herstellers, weil dieser
nicht für unbekannte Entwicklungsfehler haftet (vgl. Kullmann/Pfister,
Produzentenhaftung, Kza 1526, S. 28 zu FN 145; Kuchinke in: Festschrift für
Laufke, 1971, S. 126; vgl. LG Bonn, AIFO 1994, 419 ff. zur
Produzentenhaftung bei Herstellung von PPSB). Bei dieser Sachlage kann eine
Verschuldenshaftung für Virusinfektionen durch Blutprodukte erst einsetzen,
wenn der Virus erkennbar war und Möglichkeiten zu seiner Abtötung gegeben
waren (vgl. Deutsch, VersR 1997, 905, 908; Reinelt, VersR 1990, 565, 571).
Das Berufungsgericht hat hierzu revisionsrechtlich bindend festgestellt, daß
hinreichend sichere Testverfahren zur Feststellung des Virus erst im Herbst
1985 zur Verfügung standen. Daß die B. AG das 1985 bei der Herstellung von
PPSB verwandte Pasteurisierungsverfahren schon 1984 hätte anwenden müssen,
kann hiernach nicht angenommen werden. Die Revision legt auch nicht dar, daß
das Berufungsgericht insoweit rechtsfehlerhaft Vortrag des Beklagten oder
des Streithelfers zum Verschulden der B. AG übergangen hätte.
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