Mangelfolgeschaden beim
Restaurantbesuch, Beweis des ersten Anscheins
BGH, Urteil vom 5. April
2006 - VIII ZR 283/05
Fundstelle:
NJW 2006, 2262
Amtl. Leitsatz:
Das Abbrechen eines
Zahns beim Verzehr eines aus verschiedenen Fleischstücken und
Hackfleischröllchen bestehenden Gerichts ist nicht nach der Lebenserfahrung
typischerweise auf das Vorhandensein eines in der Hackfleischmasse
verborgenen festen (Fremd-)Körpers zurückzuführen. Dem Geschädigten kommt
dafür folglich nicht der Beweis des ersten Anscheins zugute.
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die prozessuale
Frage des Anscheinsbeweises. Der Kläger verzehrte in dem von der Beklagten
betriebenen Restaurant einen Grillteller, der aus verschiedenen
Fleischstücken sowie Hackfleischröllchen (Cevapcici) bestand. Dabei brach
ein Zahn des Klägers ab. Der Kläger führt dies darauf zurück, dass sich in
einem der Hackfleischröllchen ein harter Fremdkörper – etwa ein kleiner
Stein – befunden habe, wofür er die Beklagte verantwortlich macht. Die
Beklagte hat dies bestritten und darauf verwiesen, dass der Zahn auch beim
Biss auf ein Knochen- oder Knorpelteilchen eines der Fleischstücke
abgebrochen sein könne. Eine Haftung der Beklagten setzt nach allen dafür in
Betracht kommenden Rechtsgrundlagen, die hier nach neuem Schuldrecht
lehrbuchartig dargelegt werden (s. dazu zum alten Schuldrecht etwa
AG Burgwedel
NJW 1986, 2647), den vom Kläger zu erbringenden
Nachweis voraus, dass sich, was die Beklagte bestritten hat, in dem
Hackfleischröllchen, dessen Verzehr nach der Darstellung des Klägers den
Verlust eines Zahns zur Folge hatte, ein harter Gegenstand befand, der beim
Zubeißen zum Abbrechen des Zahns führte. Hierzu kommt dem Kl., der den
Nachweis nicht führen konnte, nicht der Beweis des ersten Anscheins zugute.
In einem solchen Fall hätte der Bekl. Tatsachen vortragen müssen, welche die
Wahrscheinlichkeit des vom Kl. dargelegten Geschehensablaufs erschüttert
hätten. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind die Grundsätze über den
Beweis des ersten Anscheins aber nur bei typischen Geschehensabläufen
anwendbar, d.h. heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt
feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte
Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt
eines bestimmten Erfolges hinweist (s. dazu etwa
BGH v. 14.5.2005 - VI ZR 179/04 = NJW 2005, 2614,
BGH NJW 2006, 300
und BGH, v. 1.10.2013 -
VI ZR 409/12).
Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten
Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser
Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben
sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben,
sehr groß ist. An einem in diesem Sinne typischen Geschehensablauf
fehlte es hier nach zutreffender Ansicht des Senats.
©sl 2006
Tatbestand:
Der Kläger besuchte am 22. Dezember 2003 in Begleitung seiner Ehefrau das
von der Beklagten betriebene Restaurant B. in B. Er verzehrte dort einen
Grillteller, der aus verschiedenen Fleischstücken, zwei Hackfleischröllchen
(Cevapcici) sowie Reis und Gemüse bestand. Dabei brach ein Zahn des Klägers
ab. Der Kläger führt dies darauf zurück, dass sich in einem der
Hackfleischröllchen ein harter Fremdkörper - etwa ein kleiner Stein -
befunden habe, wofür er die Beklagte verantwortlich macht. Die Beklagte
bestreitet dies und verweist darauf, dass der Zahn auch beim Biss auf ein
Knochen- oder Knorpelteilchen eines der Fleischstücke abgebrochen sein
könne.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Ersatz des Eigenanteils an den Kosten
der zahnärztlichen Behandlung in Höhe von 505,75 €, Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht der
Beklagten für allen zukünftig aus dem Schadensereignis von 22. Dezember 2003
entstehenden Schaden. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das
Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB in Verbindung mit dem
Bewirtungsvertrag stehe dem Kläger nicht zu, weil es an einer
Pflichtverletzung durch die Beklagte fehle. Der Kläger trage die Beweislast
für seine Behauptung, der Grillteller habe einen harten Fremdkörper
enthalten, der für das Abbrechen des Zahns ursächlich gewesen sei. Es gebe
keinen Anscheinsbeweis dafür, dass dann, wenn einem Gast beim Verzehr einer
Fleischspeise in einem Restaurant ein Zahn abbreche, sich ein Fremdkörper im
Essen befunden haben müsse, der nur durch Unachtsamkeit des Wirts oder des
Gaststättenpersonals in das Essen gelangt sein könne. Das gelte auch unter
den hier im Einzelnen vorgebrachten Umständen. Zum einen sei schon nicht
ausgeschlossen, dass der herausgebrochene Zahn des Klägers so vorgeschädigt
gewesen sei, dass es nur eines kräftigen Zubeißens bedurft habe, um den
Bruch zu verursachen. Ferner müsse gerade beim Verzehr eines Grilltellers
grundsätzlich mit festeren Knorpelteilchen oder Knochenabsplitterungen
gerechnet werden. Ein solches Teilchen könne sich noch auf dem Teller
befunden haben und mit den vom Kläger angeblich zuletzt verzehrten
Hackfleischröllchen aufgenommen worden sein. Zudem könne es auch vorkommen,
dass in Hackfleischröllchen kleinere feste Knorpelstücke oder
Knochenteilchen enthalten seien, ohne dass darin eine Pflichtverletzung des
Wirts oder seines Personals zu sehen sei. Ein Anscheinsbeweis für die
behauptete Ursache des Zahnabbruchs wäre allenfalls dann gegeben, wenn der
Kläger den behaupteten Fremdkörper hätte vorlegen können.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Zutreffend und insoweit von der Revision unbeanstandet ist das
Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine Haftung der Beklagten nach
§ 280 Abs. 1 BGB wegen einer Pflichtverletzung den vom Kläger zu
erbringenden Nachweis voraussetzt, dass sich, was die Beklagte bestreitet,
in dem Hackfleischröllchen, dessen Verzehr nach der Darstellung des Klägers
den Verlust eines Zahns zur Folge hatte, ein harter Gegenstand befand, der
beim Zubeißen zum Abbrechen des Zahns führte. Das Vorhandensein eines
solchen Fremdkörpers ist objektive Voraussetzung sowohl der Haftung nach §
280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer aus dem Bewirtungsvertrag folgenden
Verhaltenspflicht als auch einer Schadensersatzpflicht der Beklagten nach §
433 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 Satz 2, § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 BGB wegen
eines Sachmangels des vom Kläger in der Gaststätte der Beklagten käuflich
erworbenen Grilltellers.
Im Ergebnis nichts anderes gilt für einen daneben möglicherweise gegebenen
Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB oder § 1 Abs. 1, 4 des
Produkthaftungsgesetzes.
2. Diesen Nachweis kann der Kläger durch die von ihm hierfür benannte Zeugin
W. - seine Ehefrau, die ihn beim Besuch des Restaurants der Beklagten
begleitete - nicht erbringen. Denn nach seiner Darstellung war der
Fremdkörper - vermutlich ein kleiner Stein - nach dem Abbrechen des Zahns
nicht mehr auffindbar, weil er ihn verschluckt hatte. Daraus folgt, dass
auch die Zeugin W. keine Angaben dazu machen kann, ob sich in dem vom Kläger
verzehrten Hackfleischröllchen ein Fremdkörper befunden hatte.
3. Das sieht die Revision nicht anders. Sie meint indessen, angesichts der
unstreitigen und der durch die Zeugin W. unter Beweis gestellten Umstände
sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts von einem typischen
Geschehensablauf auszugehen, sodass dem Kläger der Beweis des ersten
Anscheins zugute komme. Das ist nicht richtig.
Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch
das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33; 160, 308, 313 m.w.Nachw.). Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den
Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar,
das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach
der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen
bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges
hinweist (BGHZ aaO m.w.Nachw.). Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die
Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei
allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie
muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen
Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGHZ 160 aaO; BGH, Urteil vom 6.
März 1991 - IV ZR 82/90, VersR 1991, 460 unter II 2 b bb).
Wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, fehlt es hier an
einem in diesem Sinne typischen Geschehensablauf. Das Abbrechen eines
Zahns beim Verzehr eines aus verschiedenen Fleischstücken und
Hackfleischröllchen bestehenden Gerichts ist nicht nach der Lebenserfahrung
typischerweise auf das Vorhandensein eines in der Hackfleischmasse
verborgenen festen (Fremd-) Körpers zurückzuführen. Vielmehr kommen dafür,
wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, auch andere, nicht
fernliegende Ursachen wie etwa eine Vorschädigung des abgebrochenen Zahns
oder die versehentliche Mitaufnahme von Knochen- oder Knorpelresten, die
nach dem Verzehr anderer Fleischstücke im Laufe der Mahlzeit auf dem Teller
zurückgeblieben sind, in Betracht.
4. Da der Kläger somit schon nicht nachweisen kann, dass sich in dem
Hackfleischröllchen, bei dessen Verzehr nach seiner Behauptung der Zahn
abbrach, ein harter (Fremd-) Körper - sei es ein kleiner Stein, sei es ein
Knochen oder ein hartes Knorpelteilchen - befand, bedarf es keines Eingehens
auf die weitere Frage, ob die Beklagte die dann gegebene Pflichtverletzung
zu vertreten hätte.
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