Erlöschen von
Forderungen durch Erfüllung (§ 362 I BGB): Beweislast, Voraussetzungen des
Anscheinsbeweis, kein Anscheinsbeweis für Erfüllung bei erhaltener
Nachnahmesendung
BGH, Versäumnisurteil vom
14. September 2005 - VIII ZR 369/04
Fundstelle:
NJW 2006, 300
Amtl. Leitsatz:
Die Weitergabe
versandfertig verpackter Ware an ein Beförderungsunternehmen mit dem
Auftrag, die Sendung per Nachnahme zuzustellen, begründet keinen
Anscheinsbeweis dafür, dass die dem Empfänger ausgehändigte Ware von diesem
bezahlt worden ist.
Zentrale Probleme:
Wer sich auf die Befreiung von einer Forderung durch
Erfüllung beruft (§ 362 I BGB), hat zu beweisen, daß die geschuldete
Leistung an den Gl. bewirkt wurde. In casu konnte der Käufer einer Sache
diesen Nachweis weder durch Quittung noch durch Zeugen führen. Da die Ware
aber als Nachnahmesendung abgesandt worden war, berief er sich darauf, daß
solche üblicherweise nur gegen Zahlung übergeben werden. Der BGH verneint
hier einen typischen Geschehensablauf und damit die Voraussetzungen eines
Anscheinsbeweises. Zu den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises s. auch
BGH
NJW 2005, 2614 sowie
BGH v. 5.4.2006 - VIII ZR 283/05.
©sl 2005
Tatbestand:
Der Beklagte bestellte telefonisch am 12. September 2002 bei der Klägerin,
die einen Handel für Computerzubehör betreibt, Ware zum Preis von 1.154,57
€, die auf Wunsch des Beklagten an ihn versandt werden sollte. Die Klägerin
machte die Ware, der die Rechnung mit der Zahlungsbedingung "Nachnahme/Bar"
beigepackt wurde, am selben Tag versandfertig und beauftragte die
Streithelferin mit der Zustellung per Nachnahme. Die Streithelferin gab den
Auftrag an einen Vertragsunternehmer weiter, der das Warenpaket dem
Beklagten vor Ablauf von drei Werktagen seit der Bestellung aushändigte.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Bezahlung des Kaufpreises nebst
Zinsen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die
Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision, über die durch Versäumnisurteil zu entscheiden ist, hat
Erfolg. Die Entscheidung beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis des
Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 f).
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil
er gemäß § 362 Abs. 2 BGB durch Erfüllung erloschen sei. Hierfür sei zwar
der Beklagte beweispflichtig. Die Darlegungs- und Beweislast des Beklagten
sei aber durch die Regeln über den ersten Anschein aufgrund eines typischen
Geschehensablaufs erleichtert. Die Kammer gehe von dem Erfahrungssatz aus,
dass Waren einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden;
dies sei gerade Sinn und Zweck der Nachnahmesendung. Die Voraussetzungen
dieses Erfahrungssatzes stünden fest: Unstreitig habe die Klägerin die Ware
mit dem Auftrag, sie als Nachnahmesendung auszuliefern, an die
Streitverkündete übergeben. Damit sei davon auszugehen, dass die Übergabe
der Ware an den Beklagten gegen Zahlung erfolgt sei. Die Klägerin und die
Streitverkündete hätten den Anscheinsbeweis dahin, dass der Beklagte die
Forderung erfüllt habe, nicht erschüttern können. Mögliche Fehler in der
Versandkette habe die Klägerin nicht hinlänglich dargetan; konkrete
Anhaltspunkte dafür, dass das Paket nicht als Nachnahmepaket gekennzeichnet
gewesen sei oder den Nachnahmeaufkleber verloren habe, habe sie nicht
vorgetragen. Auch der Umstand, dass der Beklagte keine Quittung vorlegen
könne, erschüttere die Vermutung der Erfüllung nicht.
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand. Der Anspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB auf
Zahlung des Kaufpreises ist auf der Grundlage des vom Berufungsgericht
festgestellten Sachverhalts nicht durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der
Beklagte für die Erfüllung seiner Verbindlichkeit beweispflichtig ist und er
diesen Beweis weder mit einer Quittung für die behauptete Zahlung (§ 368
BGB) noch mit den Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen erbracht
hat.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, dass dem Beklagten die
Beweisführung durch die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins
erleichtert sei; aufgrund eines Erfahrungssatzes, der dahin gehe, dass Waren
einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden, sei davon
auszugehen, dass der Beklagte die Ware bezahlt habe. Dem kann nicht gefolgt
werden. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, die
Rechtsgrundsätze des Anscheinsbeweises verletzt (§ 286 ZPO); dies unterliegt
der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33; BGHZ 160, 308,
313).
Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins sind nur bei
typischen Geschehensabläufen anwendbar; es muss ein Sachverhalt feststehen,
der eine gewisse Typik aufweist und nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf
eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für
den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (st.Rspr.; BGHZ 160,
308, aaO; zuletzt Senatsurteil vom 18. Mai 2005 - VIII ZR 368/03, NJW 2005,
2395, unter II 4). Nicht ausreichend für die Annahme eines
Anscheinsbeweises sind demgegenüber bloße Indizien oder eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache. Ein
typischer Geschehensablauf, auf dem der vom Berufungsgericht angenommene
Erfahrungssatz beruht, ist im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht nicht
rechtsfehlerfrei festgestellt worden, so dass ein Anscheinsbeweis nicht
gerechtfertigt ist.
Auch wenn man es mit dem Berufungsgericht als gesicherten Erfahrungssatz
ansähe, dass die Aushändigung von Nachnahmesendungen nur gegen Bezahlung
erfolgt, wäre eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen über den
Anscheinsbeweis im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Die tatsächlichen
Voraussetzungen eines solchen Erfahrungssatzes stehen hier nicht, wie das
Berufungsgericht gemeint hat, schon deshalb fest, weil die Klägerin den
Computer mit dem Auftrag der Versendung als Nachnahmesendung an die
Streithelferin übergeben hat. Denn aus der bloßen Auftragserteilung folgt
nicht bereits die ordnungsgemäße Auftragserfüllung; insoweit besteht auch
kein allgemeiner Erfahrungssatz. Voraussetzung für die Anwendung des vom
Berufungsgericht zugrunde gelegten Erfahrungssatzes über die regelmäßige
Bezahlung von Nachnahmesendungen ist deshalb, dass der von der Klägerin
erteilte Versendungsauftrag von der Streithelferin und deren Subunternehmer
auch ordnungsgemäß ausgeführt wurde und dem Beklagten die Ware tatsächlich
als Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist. Davon ist das Berufungsgericht
- unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast - zu Unrecht ausgegangen.
Eine ordnungsgemäße Erfüllung des Versendungsauftrags setzt unter anderem
voraus, dass der Zusteller das Warenpaket bei der Aushändigung an den
Beklagten noch als Nachnahmesendung erkennen konnte. Dies ist jedoch - auch
nach Auffassung des Berufungsgerichts - nicht nachgewiesen. Das
Berufungsgericht hat Fehler in der Versandkette, die dazu geführt haben
können, dass die Ware - sei es auf dem Paket selbst oder auf dem
Eingabeterminal des Zustellers - nicht (mehr) als Nachnahmesendung
gekennzeichnet war, für möglich gehalten, hat aber gemeint, dass die
Klägerin und die Streithelferin derartige Fehler nicht hinlänglich dargetan
hätten, um den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Damit
hat das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Steht
nicht fest, dass die Ware bei der Auslieferung (noch) als Nachnahmesendung
gekennzeichnet war und vom Zusteller entsprechend behandelt worden ist, so
geht dies entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu Lasten des
Beklagten und nicht zu Lasten der Klägerin. Denn der Beklagte hat die
tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Erfahrungssatzes, mit
dem er den Anscheinsbeweis führen will, zu beweisen. Es geht hierbei nicht,
wie das Berufungsgericht gemeint hat, um die Frage, ob die gegnerische
Partei - hier die Klägerin - die Geltung der Schlussfolgerung eines
bestehenden Erfahrungssatzes hinreichend erschüttert hat, sondern darum, ob
der Erfahrungssatz - von seinen Voraussetzungen her - in einem konkreten
Fall überhaupt zur Anwendung kommen kann.
Da es somit an dem vom Beklagten zu erbringenden Nachweis dafür fehlt, dass
ihm die Ware als Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist, kann der vom
Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz nicht zugrunde gelegt und
folglich auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises davon ausgegangen
werden, dass die Ware vom Beklagten bei der Aushändigung des Pakets bezahlt
worden ist.
III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist
deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatsächliche
Feststellungen nicht zu erwarten sind und die Sache damit zur
Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden
(§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen, da er
nicht bewiesen hat, dass er die unstreitige Kaufpreisforderung beglichen
hat, und er sich seit dem 17. Oktober 2002 in Verzug befindet (§ 433 Abs. 2,
§ 286 Abs. 3, Satz 1, 1. Halbs., Satz 3, § 288 Abs. 1 BGB). |