Einwand des
Mitverschuldens des Vertragspartners beim Vertrag mit Schutzwirkung für
Dritte
BGH, Urteil v.
7. November 1960 - VII ZR 148/59
Fundstelle:
BGHZ 33, 247
JZ 1961 m. Anm. Lorenz
s. auch
BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392 ff
Amtl. Leitsatz:
Der Werkunternehmer kann dem vertraglichen
Schadensersatzanspruch eines Dritten, der in den Schutz des Vertrags
einbezogen ist, entgegenhalten, daß bei der Entstehung des Schadens ein
Verschulden des Werkbestellers mitgewirkt hat.
Zum
Sachverhalt:
Am 11. April 1953 lösten sich aus der 16 bis 18 Meter hohen Decke des
Siemens-Martin-Stahlwerks des Gußstahlwerks in W. zwei nebeneinander
liegende Spannbetonplatten und trafen zwei in der Werkshalle beschäftigte
Personen, nämlich den Betriebsingenieur S. und den Stahlwerksarbeiter L. S.
starb sofort; er hinterließ eine Witwe und zwei Kinder. L. wurde schwer
verletzt.
Die Decke war in der Zeit von Oktober 1952 bis März 1953 von der Beklagten
errichtet worden. Dabei wurden unter Verwendung der alten Dachkonstruktion
an Stelle der früheren zusammenhängenden Beton-Dachhaut von der Beklagten
entwickelte Spannbetonplatten verlegt.
Die Klägerin beansprucht mit der Klage die Erstattung der von ihr als
gesetzlichem Unfallversicherer an die Hinterbliebenen des Betriebsingenieurs
S. und an L. geleisteten Zahlungen.
Sie stützt ihren Anspruch auf unerlaubte Handlung sowie auf positive
Vertragsverletzung (§§ 328, 618 BGB), jeweils in Verbindung mit § 1542 RVO.
Die Beklagte bestreitet, im Rahmen des mit dem Gußstahlwerk abgeschlossenen
Vertrags unsachgemäß gearbeitet zu haben. Hilfsweise macht sie noch geltend,
daß das Gußstahlwerk an einer etwaigen fehlerhaften Verlegung des Daches ein
Mitverschulden treffe. Dieses Mitverschulden müsse sich die Klägerin
anrechnen lassen. Ferner erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Oberlandesgericht den Zahlungsanspruch dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt und den Feststellungsanträgen stattgegeben.
Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
1. a) Das
Berufungsgericht läßt offen, ob ein auf unerlaubte Handlung gestützter
Anspruch der Geschädigten (und damit der Klägerin) verjährt wäre. Es billigt
ihnen gegen die Beklagte einen unmittelbaren Anspruch aus positiver
Vertragsverletzung nach §§ 328, 618 Abs. 1 und 3, 844 BGB zu. Der zwischen
der Beklagten und dem Gußstahlwerk abgeschlossene Werkvertrag habe als
Nebenpflicht der Beklagten zum Inhalt gehabt, daß dem Vertragsgegner durch
die Anfertigung des Werks kein Schaden erwachse. Diese Verpflichtung obliege
der Beklagten im Rahmen des § 618 Abs. 1 BGB auch gegenüber den
Werksangehörigen der Bestellerin; diese hätten durch die Verletzung der
Verpflichtungen aus dem Vertrag einen unmittelbaren vertraglichen
Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte erworben.
b) Das entspricht der in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und
Bundesgerichtshofs entwickelten Auffassung (RGZ 98, 210; 127, 218, 222; 160,
155; 164, 397; BGHZ 24,325; 26,365; BGH in LM Nr. 5 zu § 157 BGB (D); Nr. 2
zu § 254 BGB (E); Nr. 5 zu § 254 BGB E a); Nr. 11 und 18 zu § 328 BGB).
Danach ist Grundlage dieser Haftung ein Vertrag zugunsten Dritter in dem
Sinne, daß in seinen Schutz diejenigen aufgenommen sind, denen gegenüber der
vertragschließende Gläubiger seinerseits besondere Fürsorge- und
Schutzpflichten hat.
c) Das Berufungsgericht hat die durch den Unfall Geschädigten auch ohne
Rechtsfehler in den Kreis der durch den Werkvertrag Begünstigten einbezogen.
Dieser Kreis muß allerdings begrenzt und übersehbar sein. Das war er hier
aber. Die beiden Verunglückten gehörten zu den Arbeitern und Angestellten,
die in der von der Beklagten eingedeckten Werkhalle ständig tätig waren. Es
handelte sich dabei um eine zahlenmäßig beschränkte und räumlich
zusammengefaßte Gemeinschaft, für die den Arbeitgeber nach § 618 BGB eine
besondere, sich auf die Herrichtung des Arbeitsraumes beziehende
Fürsorgepflicht traf. Nur diesen Kreis hat das Berufungsgericht in den
Schutzbereich des Werkvertrags einbezogen, nicht jedoch, wie in der
Revisionsbegründung gesagt wird, die gesamte, aus mehreren tausend Personen
bestehende Belegschaft des Gußstahlwerks.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht auch den Übergang der
Forderungen der Geschädigten gemäß § 1542 RVO auf die Klägerin bejaht. §
1542 RVO ist, wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 26,365), auch auf
vertragliche Schadensersatzansprüche anwendbar.
3. Das Berufungsgericht hat zutreffend eine schuldhafte Mitverursachung des
Unfalls durch die Beklagte und damit ihre Schadensersatzpflicht aus
positiver Vertragsverletzung bejaht (wird ausgeführt).
4. Es hat die Entscheidung der Frage, ob das Gußstahlwerk in W. an dem
Unfall ein ursächliches Mitverschulden trifft, offen gelassen, da es nach
seiner Auffassung hierauf nicht ankommt.
Das wird von der Revision mit Recht angegriffen.
Die Frage, ob sich in einem solchen Fall der geschädigte Dritte ein
Mitverschulden des Vertragspartners des Schädigers gemäß § 254 BGB zurechnen
lassen muß, ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des
Bundesgerichtshofs bisher nur für den Fall entschieden und bejaht worden,
daß der Vertragspartner gesetzlicher Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des
Geschädigten war (BGHZ 9,316; 24,325; LM Nr. 2 zu § 254 BGB (E) mit weiteren
Nachweisen).
Darüber hinaus wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, der
Ersatzpflichtige dürfe ganz allgemein, also auch wenn sein Vertragspartner -
wie hier - nicht gesetzlicher Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des
geschädigten Dritten ist, diesem ein Mitverschulden des Vertragspartners
gem. § 254 BGB entgegenhalten (Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 6. Aufl. Anm.
664 S. 327 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts
Breslau in JW 1930, 32. 43; Esser, Schuldrecht 2. Aufl. § 88 1b S. 409; für
vergleichbare Fälle auch Larenz in NJW 1960, 77, 80; v. Caemmerer,
Festschrift Deutscher Juristentag 1030 II 49, 61).
Dem ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - beizutreten.
Wie bei jedem Vertrag zugunsten eines Dritten leitet auch bei einem Vertrag
der hier vorliegenden Art der geschützte Dritte seine Rechte gegen den
Schädiger nur aus den Vertragsbeziehungen der unmittelbaren Vertragspartner
her. Dann ist es aber auch folgerichtig, daß ihm keine größeren Rechte
zustehen als dem unmittelbaren Vertragspartner des Schädigers. Das ist schon
dem dem § 334 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken zu entnehmen, wonach
Einwendungen aus dem Vertrag dem Versprechenden auch gegenüber dem Dritten
zustehen. Bereits der Satz in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in LM
2 zu § 254 BGB (E), daß »die Einbeziehung des Klägers in den geschützten
Vertragsbereich« es mit sich bringe, daß »dieser mit der Erweiterung des
Rechtsschutzes auch die damit verbundenen Rechtsnachteile in Kauf nehmen«
müsse, weist in diese Richtung und zeigt zugleich auf, daß die gefundene
Lösung der Billigkeit entspricht.
Daraus folgt, daß das angefochtene Urteil, soweit es ein etwaiges
Mitverschulden des Gußstahlwerks außer Acht läßt nicht aufrecht erhalten
werden kann.
5. Es könnte freilich möglicherweise dann bestehen bleiben, wenn der
Anspruch der Klägerin auch auf unerlaubte Handlung gestützt werden könnte,
da es insoweit für die Haftung der Beklagten auf das Mitverschulden des
Gußstahlwerks nicht ankäme.
Das Berufungsgericht hat das - von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
nicht geprüft. Es hat insbesondere die Entscheidung der Frage offen
gelassen, ob dieser Anspruch verjährt ist. Der Senat ist in Ermangelung der
erforderlichen Feststellungen nicht in der Lage, darüber selbst zu befinden.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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