BGHZ 38, 270
Vgl. auch LG Berlin NJW
1999, 2906
Ein Kraftfahrer, der in einer plötzlichen
Gefahrenlage sich selbst schädigt und dadurch einen anderen davor
bewahrt, durch das Kraftfahrzeug überfahren zu werden, kann von dem
Geretteten angemessenen Ersatz verlangen. Bei der Bemessung der Entschädigung
ist auch die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr zu berücksichtigen.
Der Anspruch setzt voraus, daß sich der Kraftfahrer nach § 7
Abs. 2 StVG entlasten kann.
Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen.
Unfallversicherung die auf sie übergegangenen Ansprüche des Motorenschlossers
S. auf Ersatz von Schäden aus dem Unfall geltend, den S. am 29. April
1958 erlitten hat. S. befuhr an diesem Tage mit seinem Personenkraftwagen
(Volkswagen) die H'er Landstraße von W. in Richtung H. und hielt
dabei eine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h ein. Kurz vor dem Kilometerstein
3 kamen ihm auf der dort geraden und übersichtlichen Landstraße
erster Ordnung auf Fahrrädern drei Schüler im Alter von 10-11
Jahren entgegen, die hintereinander auf der für sie rechten Fahrbahnseite
fuhren. Als sich der Wagen dem als letzten fahrenden Beklagten bis auf
etwa 6m genähert hatte, bog dieser plötzlich nach links in die
Fahrbahn des Wagens ein. S. riß den Wagen vor dem Beklagten nach
rechts und geriet mit seinem Fahrzeug auf einen Acker. Als er dort einen
Baum umfuhr, schlug der Wagen auf die rechte Seite. S. brach sich einen
Unterarm und erlitt Platzwunden am Kopf. Er war längere Zeit arbeitsunfähig.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte
sei nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen und aus dem Gesichtspunkt
der Selbstaufopferung in Geschäftsführung ohne Auftrag (§§
677, 683 BGB) verpflichtet, die durch den Unfall entstandenen Aufwendungen
zu ersetzen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, ihn treffe keine
Schuld an dem Unfall. Soweit der Klagespruch aus §§ 677, 683
BGB hergeleitet wird, ist er dem Zahlungsverlangen der Klägerin aus
rechtlichen Gründen entgegengetreten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf
die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht den Klageanspruch
dem Grunde nach insoweit für gerechtfertigt erklärt, als die
Klägerin im Rahmen der von ihr zu erbringenden Leistungen die Erstattung
der Hälfte der dem Maschinenschlosser S. durch den Unfall vom 29.
April 1958 entstandenen, Schäden begehrt. Im übrigen hat es die
Klage abgewiesen.
Die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision
der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Soweit die Klägerin ihre Ansprüche
aus § 1542 RVO, § 823 BGB herleitet, hat das Berufungsgericht
ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Beklagte unter diesem Gesichtspunkt
nicht in Anspruch genommen werden kann, weil nicht bewiesen ist, daß
ihn ein Verschulden trifft. Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts
ist nicht auszuschließen, daß der Beklagte durch den vor ihm
fahrenden J. überraschend behindert worden und deshalb mit seinem
Fahrrad unverschuldet in die Fahrbahn des herankommenden Kraftwagens geraten
ist. Die Anschlußrevision versucht zwar, gleichwohl ein Verschulden
des Beklagten darzulegen. Sie geht dabei aber von einem Sachverhalt aus,
der nicht bewiesen ist und nach der nicht zu beanstandenden Ansicht des
Berufungsgerichts auch nicht bewiesen werden kann. Es ist nichts dafür
dargetan, daß der Beklagte das Ausbiegen nach links in die Fahrbahn
des Kraftwagens bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte vermeiden
können. Nur wenn das erwiesen wäre, könnte eine Deliktshaftung
des Beklagten in Betracht kommen.
II. Das Berufungsgericht hat den Klageanspruch
auf Grund der §§ 677, 683, 670 BGB bejaht. Nach diesen Bestimmungen
kann derjenige, der für einen anderen, ohne von ihm beauftragt oder
ihm gegenüber sonst berechtigt zu sein, ein Geschäft besorgt,
Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er den Umständen nach für
erforderlich halten durfte, sofern die Übernahme der Geschäftsführung
dem Interesse des Geschäftsherrn und seinem wirklichen oder mutmaßlichen
Willen entsprach. Das Berufungsgericht meint: S. habe dadurch, daß
er den Wagen vor dem Beklagten nach rechts herumriß und auf den Acker
lenkte, ein Geschäft des Beklagten geführt, das dessen Interesse
und dessen Willen entsprochen habe, denn er habe den Beklagten davor bewahrt,
überfahren und dabei verletzt, wenn nicht gar getötet zu werden.
Die Schäden, die S. dadurch erlitten habe, seien Aufwendungen zum
Zwecke der Geschäftsführung und daher vom Beklagten zu erstatten.
Jedoch seien die Schäden nur zur Hälfte zu ersetzen, weil sie
auch durch die Gefahr mitverursacht worden seien, die S. mit seinem Kraftwagen
in den Verkehr getragen habe. Dieser Beurteilung ist im Ergebnis beizutreten.
1. Der Bundesgerichtshof hat die umstrittene Frage,
ob ein Kraftfahrzeughalter in einem solchen Falle der Rettung eines anderen
Ersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung
ohne Auftrag stellen kann, bisher nicht abschließend entschieden,
sondern nur ausgesprochen, daß solche Ansprüche jedenfalls dann
zu verneinen sind, wenn der den Ersatz Fordernde den Entlastungsbeweis
des § 7 Abs. 2 StVG nicht führen kann (vgl. Urteile des BGH v.
19. März 1957 - VI ZR 29/56 - DAR 1957, 183 = VRS 12, 405 = VersR
1957, 340; v. 17. Dezember 1957 - VI ZR 288/56 - VersR 1958, 168 und v.
11. Juli 1956 - VI ZR 140/57 - VersR 1958, 646). In einem solchen Falle
läßt das Gesetz den Kraftfahrzeughalter für den Schaden
einstehen, der einem anderen durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges entsteht.
Dann mutet es ihm aber erst recht zu, den eigenen Schaden zu tragen, der
dadurch entsteht, daß er versucht, den sonst ihm selbst zur Last
fallenden fremden Schaden zu vermeiden. Hier wird ein Geschäft besorgt,
das das Gesetz dem Rechtskreis des Kraftfahrzeughalters zurechnet. Es geht
nicht an, diese vom Gesetz gewollte Risikoverteilung mit Hilfe der Bestimmungen
über die Geschäftsführung ohne Auftrag beiseite zu schieben.
Die Revision irrt, soweit sie meint, der Unfall
sei für S. kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs.
2 StVG gewesen, so daß ein Ersatzanspruch der Klägerin aus §§
677, 683 BGB schon aus diesem Grunde verneint werden müsse. Nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts ist S. mit seinem Wagen außerhalb
einer Ortschaft auf einer freien und übersichtlichen Landstraße
erster Ordnung gefahren. Seine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h war den
Straßenverhältnissen angemessen. Das Verhalten der entgegenkommenden
Radfahrer, die vorschriftsmäßig auf ihrer rechten Straßenseite
hintereinander fuhren, bot keine Anzeichen dafür, daß sie sich
bei einer weiteren Annäherung des Wagens verkehrswidrig verhalten
würden. Der Beklagte bog, wie er selbst angibt, mit seinem Fahrrad
plötzlich nach links, als der Wagen schon auf 6m herangekommen war.
Er wäre angefahren worden, wenn S. das Steuer seines Wagens nicht
nach rechts gerissen hätte. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Wenn die Entfernung auch etwas mehr als 6m betragen habe, so folge doch
aus dem Vortrage des Beklagten, der mit den Behauptungen der Klägerin
und dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens übereinstimme, daß
S. äußerst schnell reagiert habe und daß der Unfall durch
ein Bremsen nicht mehr habe vermieden werden können.
Legt man diese rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen
zugrunde, so ist die Ansicht des Berufungsgerichts zu billigen, daß
S. nach § 7 Abs. 2 StVG entlastet ist. Die Revision meint, S. habe
sich bei der Annäherung an die ihm entgegenkommenden jugendlichen
Radfahrer nicht richtig verhalten; er habe mit Unbesonnenheiten der Jungen
rechnen und deshalb die Geschwindigkeit seines Wagens weit unter 50 bis
60 km/h herabsetzen müssen. Mit diesem Verlangen überspannt sie
die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Kraftfahrers. Das Berufungsgericht
hat mit Recht angenommen, S. habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß
einer der Radfahrer plötzlich ohne ersichtlichen Grund in die Gegenfahrbahn
einbiegen werde. Auf ein so ungewöhnliches Verhalten braucht sich
auch der besonders sorgfältige Kraftfahrer selbst gegenüber 10-
bis 11-jährigen Radfahrern nicht einzustellen, solange ihr Verhalten
keinen Anlaß zu einer solchen Befürchtung bietet.
2. Ist aber der Entlastungsbeweis des § 7
Abs. 2 StVO geführt, so stellt sich jetzt die bisher nicht entschiedene
Frage, ob im übrigen die Voraussetzungen der Geschäftsführung
ohne Auftrag gegeben sind, wenn ein Kraftfahrer in einer kritischen Lage
unter eigener Gefährdung einen Verkehrsunfall zu vermeiden sucht und
dabei Schaden erleidet. Sie wird bejaht von Brüggemann, DAR 1954,
151 ff; Erman, BGB 3. Aufl. Vorbem. 2c zu § 677; Körner, DAR
1962, 11; Pfleiderer, VersR 1961, 675; Roth-Stielow NJW 1957, 489; Staudinger/Nipperdey,
BGB 11. Aufl. § 677 Anm. 5; Weimar, DRiZ 1956, 129; Landgericht Bückeburg
in DAR 1954, 297 und mit anderer Begründung auch vom OLG Hamm in DR
1940, 1188. Abweichender Meinung sind dagegen: Das OLG Koblenz NJW 1953,
1633; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 5. Aufl. Bd. II S. 230; Palandt/Gramm
BGB 20. Aufl. § 677 Anm. 2b und Wussow, das Unfallhaftpflichtrecht,
6. Aufl. S. 330),
a) Die Geschäftsführung ohne Auftrag
erfordert nach § 677 BGB als erstes eine Geschäftsbesorgung.
Diese Voraussetzung ist hier gegeben. S. hat durch das Herumreißen
seines Wagens verhindert, daß der Beklagte überfahren wurde;
er hat damit eine Angelegenheit besorgt, die im Interesse des Beklagten
lag. Das erfüllt den Begriff der Geschäftsbesorgung, denn dieser
Begriff ist im weiten Sinne zu verstehen und umfaßt auch Handlungen
tatsächlicher Art. Es ist allgemein anerkannt, daß Hilfeleistungen
im Falle einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines anderen
hierher gehören.
b) S. hat durch sein Handeln auch ein objektiv
fremdes Geschäft, also das Geschäft eines anderen besorgt, wie
§ 677 B. GB weiter voraussetzt, denn er hat, wie schon erwähnt
wurde, Belange des Beklagten wahrgenommen, indem er ihn davor bewahrte,
verletzt oder gar getötet zu werden.
Das kann nicht mit der Erwägung angezweifelt
werden, daß eine solche Selbstaufopferung dem eigenen Rechtskreis
des Kraftfahrers zuzurechnen sei, weil dieser nach § 1 StVO die Pflicht
habe, seinerseits alles zu tun, um einen Unfall zu vermeiden (vgl. OLG
Koblenz, Larenz und Werner Wussow aaO). Der Kraftfahrer ist nicht verpflichtet,
sein Leben ernstlich zu gefährden, um von einem anderen Verkehrspartner
eine Gefahr abzuwenden. Auch die Straßenverkehrsordnung sinnt ihm
nicht an, daß er einen anderen schont und sich opfert, wenn er trotz
Anwendung der äußersten Sorgfalt in die Lage gerät, entweder
sich in Lebensgefahr zu begeben oder den anderen zu überfahren (so
zutreffend Staudinger/Nipperdey aaO). Falls S. sich darauf beschränkt
hätte, zu bremsen und auf der Straße auszuweichen, so hätte
er schon damit seine Pflichten aus § 1 StVO erfüllt. Er könnte
nicht nach § 7 StVG zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Beklagte
dabei angefahren worden wäre. Daß S. mehr getan und nicht nur
sich, sondern auch die anderen Insassen des Wagens in Gefahr gebracht hat,
ist daher nicht als die Erfüllung einer Rechtspflicht, sondern als
ein Akt der Menschenhilfe anzusehen, auf den die Bestimmungen der Geschäftsführung
ohne Auftrag ihrem Zweck nach anzuwenden sind.
c) Den inneren Tatbestand der Geschäftsführung
ohne Auftrag hat das Berufungsgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei bejaht.
Hierzu genügt, daß S. in dem Bewußtsein gehandelt hat,
das Geschäft als fremdes zu besorgen. Da die Rettung des Beklagten
aus der Gefahrenlage schon seiner Natur nach in dessen Bereich fällt,
spricht schon eine gewisse Vermutung dafür, daß das Geschäft
für den anderen, den es angeht, besorgt worden ist.
Das Oberlandesgericht Koblenz (aaO) meint in seinem
Urteil, der Kraftfahrer wolle in dieser Lage eine eigene Pflicht erfüllen
und lasse sich von dem Bestreben leiten, eine etwaige Verantwortlichkeit
oder Unannehmlichkeit wie z. B. staatsanwaltliche Ermittlungen oder ein
Verstricktwerden in eine Schadensersatzklage zu vermeiden. Das ist in dieser
Allgemeinheit nicht richtig. Ein Fahrer, der vor einem gefährdeten
Menschen seinen Wagen herumreißt, tut dies in der Regel nicht in
dem Gedanken, sich ein Ermittlungsverfahren oder eine Schadensersatzklage
mit ihren Unannehmlichkeiten zu ersparen (ebenso Brüggemann aaO).
Das Berufungsgericht bezweifelt mit Recht, ob es in der kurzen Zeit, die
dem Fahrer bis zu seinem Entschluß zur Verfügung steht, überhaupt
zu solchen Erwägungen kommt und ob der etwaige Gedanke an ein Strafverfahren
oder an einen Zivilprozeß bei einem Kraftfahrer, der selbst verkehrsgerecht
gefahren ist, ausreichen kann, um das eigene Leben, mindestens die eigene
Gesundheit, und auch die Gesundheit und das Leben seiner Fahrgäste
zu gefährden. Viel näher liegt die Annahme, daß ein Kraftfahrer
in dieser kritischen Lage an den gefährdeten Menschen denkt und das
Steuer seines Wagens in dem Bestreben herumreißt, den anderen nicht
zu überfahren. In der Mehrzahl der Fälle ist davon auszugehen
daß die Handlungsweise des Fahrers von diesem Bestreben bestimmt,
zum mindesten weitgehend mitbestimmt wird. Jedenfalls hat das Berufungsgericht
in dem jetzt zu entscheidenden Falle festgestellt, daß dies für
S. die Triebfeder seines Handelns war.
Die Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsführung
ohne Auftrag darf auch nicht daran scheitern, daß S. spontan das
zur Rettung des Beklagten Notwendige getan hat. Würde in einer ähnlichen
Lage ein Straßenpassant das Kind im letzten Augenblick aus der Gefahrenzone
des herannahenden Kraftwagens herausreißen, so wäre er ohne
Zweifel auch dann Geschäftsführer ohne Auftrag, wenn er das Kind
aus einem ganz spontan gefaßten Entschluß davor bewahrt hätte,
überfahren zu werden. Das gleiche muß aber gelten, wenn unter
den gleichen Umständen der Fahrer selbst das Kind aus der Gefahr,
in die es geraten ist, zu retten unternimmt (vgl. Weimar, DRiZ 1956, 129).
d) Daß bei einer mit Gefahren verbundenen
Geschäftsführung ohne Auftrag auch Schäden des Geschäftsführers
zu den nach § 683, 670 BGB zu ersetzenden Aufwendungen gehören,
ist heute allgemein anerkannt und wird auch von der Revision nicht angezweifelt
(vgl. BGHZ 33, 251, 257).
3. Indes darf bei der Prüfung, in welchem
Umfang der Gerettete Ersatz zu leisten hat, nicht verkannt werden, daß
der erst in der Rechtsprechung entwickelte Ersatzanspruch des Geschäftsführers
in solchen Rettungsfällen gegenüber dem im Gesetz ausdrücklich
geregelten Ersatz für vermögensrechtliche Aufwendungen Besonderheiten
zeigt, denen ein voller Schadenersatz nicht immer gerecht wird. Das zeigt
sich gerade in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem sowohl das beklagte
Kind - davon muß hier ausgegangen werden - wie auch S. schuldlos
in eine plötzliche Gefahrenlage geraten sind, die nicht zu meistern
war, ohne daß einer der beiden Schaden erlitt. Der Schaden ist also
durch eine für beide Beteiligten zufällige Gefahrenlage ausgelöst
worden, wie es in ähnlicher Weise im Seerecht bei der großen
Haverei der Fall ist. Dort ist ausdrücklich geregelt, daß alle
Schäden, die dem Schiff oder der Ladung oder beiden zum Zwecke der
Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr zugefügt werden, von
den Beteiligten gemeinschaftlich zu tragen sind (§ 7 HGB).
Hinzu kommt, daß S. durch sein Kraftfahrzeug
ebenfalls eine Ursache zu der Gefahr gesetzt hat, deren Auswirkung er durch
eine ihn selbst schädigende Rettungshandlung verhinderte. Damit hebt
sich der jetzt zu entscheidende Fall wesentlich von jenen Fällen ab,
in denen der »Geschäftsführer« eine Gefahr übernimmt,
ohne daß er mit der Entstehung dieser Gefahr irgend etwas zu tun
hat. In dem oben genannten Beispiel, daß ein Straßenpassant
das gefährdete Kind im letzten Augenblick vor einem herankommenden
Kraftwagen zurückreißt und sich dabei Verletzungen zuzieht,
mag es, da er in keiner Weise zum Entstehen der Gefahrenlage beigetragen
hat, in der Regel gerechtfertigt sein, ihm im vollen Umfang Ersatz seiner
Körperschäden zuzubilligen. Dagegen wäre es kein sachgerechtes
Ergebnis, wenn man dem zur Rettung des Kindes handelnden Kraftfahrer, obwohl
die konkrete Gefahrenlage durch sein Fahrzeug mit herbeigeführt worden
ist, stets vollen Ausgleich seiner Schäden gewähren wollte.
Daß er den Entlastungsbeweis des §
7 Abs. 2 StVG führen kann, hindert nicht, seine Ansprüche wegen
der Mitverursachung des Schadens zu mindern. Auch der Beklagte wird entgegen
dem allgemeinen Grundsatz des Haftpflichtrechts, daß ein Radfahrer
nur bei Verschulden für die Folgen eines Verkehrsunfalls aufzukommen
hat, nach den Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag
allein auf Grund der Verursachung des Unfalls zum Aufwendungsersatz herangezogen.
Dann ist es aber gerecht, bei der Verteilung des Schadens auch die vom
Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr als eine der Ursachen des Unfalls zu berücksichtigen.
Wollte man in einem solchen Falle den § 683
BGB ohne jede Einschränkung anwenden, so müßte dem Kraftfahrer
stets auch
38,279 [ 41. Selbstopferung in Geschäftsführung
ohne Auftrag ]
bei einem Mißlingen seiner Rettungshandlung
der volle Ersatz seiner Aufwendungen zugebiligt werden. Dieses offenbar
unbillige Ergebnis macht aber deutlich, daß es sich hier nicht um
einen echten Schadensersatzanspruch handelt, daß dem Retter vielmehr
nur eine angemessene Entschädigung zu gewähren ist und daß
bei ihrer Bemessung die verschiedenartigen Umstände des Einzelfalles
berücksichtigt werden müssen.
Die Eigenart dieser Fälle läßt
es nicht zu, den Grundsatz der »Totalreparation«, der sonst
unser Schadensrecht beherrscht, und das Prinzip des vollen Ersatzes aller
sachgemäßen Aufwendungen, das im Auftragsrecht gilt, folgerichtig
durchzuführen. Vielmehr muß dem Richter eine gewisse Freiheit
beider Bemessung des Ersatzanspruchs eingeräumt werden, damit er so
der gemeinsamen Gefahrlage der Beteiligten und dem vom Kraftfahrer mit
gesetzten Beitrag zum Entstehen der Gefahr Rechnung tragen kann. Da der
Anspruch des Retters auf Ersatz von Körperschäden gegen den Begünstigten
erst in der Rechtsprechung entwickelt und näher ausgestaltet worden
ist, verstößt es nach Ansicht des Senats auch nicht gegen den
Grundsatz der Bindung des Richters an das Gesetz, wenn die richterliche
Rechtsfortbildung bei der Bemessung des Schadensersatzes den Besonderheiten
Rechnung trägt, die der Gesetzgeber bei der Regelung des Aufwendungsersatzes
(§§ 670, 683 BGB) offenbar nicht erwogen hat.
Von der gleichen Auffassung hat sich im Ergebnis
auch das Oberlandesgericht leiten lassen, das ebenfalls den Anspruch des
Kraftfahrers auf vollen Schadensersatz abgelehnt hat und ersichtlich davon
ausgegangen ist, daß dem Beklagten ohne das herankommende Kraftfahrzeug
und die von ihm ausgehende Gefahr nichts passiert wäre. Diesem Umstand
hat es Rechnung getragen und so zugleich berücksichtigt, daß
das Risiko der plötzlich für die beiden Beteiligten entstandenen
Gefahrlage angemessen verteilt werden muß. Diese Lösung wird
der Eigenart des Falles gerecht. Daß das Berufungsgericht bei der
Bemessung der Entschädigung die Ansprüche auf die Hälfte
gekürzt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (im Ergebnis
ebenso Brüggemann, DAR 1954, 151, 153 und Roth/Stielau, NJW 1957,
489).
4. Zuzustimmen ist auch der Ansicht des Berufungsgerichts,
daß die Ersatzansprüche im vorliegenden Falle gegen den Beklagten
selbst geltend gemacht werden können, weil S. im Interesse des Beklagten
gehandelt hat und die Rettungshandlung dessen Rechtskreis zuzurechnen ist.
Etwas anderes ist aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember
1957 (VI ZR 288/56, VersR 1958, 168) nicht zu entnehmen. Ob neben dem Beklagten
auch seine Eltern in Anspruch genommen werden könnten, ist hier nicht
zu entscheiden, da Ansprüche gegen die Eltern nicht erhoben worden
sind.
5. Hans Joachim Wussow (VersR 1961, 319) und Werner
Wussow (Inf. zum Haftpflichtrecht 1962, 180) meinen, in solchen Fällen
der Hilfeleistung sei ein Anspruch des bei der Hilfeleistung Verletzten
gegen den Begünstigten nach § 898 RVO ausgeschlossen. Dem vermag
der Senat nicht zu folgen.
Allerdings genoß S. den Schutz der Sozialversicherung.
Abgesehen davon, daß er den Unfall auf einer Berufsfahrt erlitten
hat, war er auch durch § 537 Nr. 5a RVO geschützt, denn nach
dieser Bestimmung sind Personen, die ohne besondere rechtliche Verpflichtung
einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr retten oder zu retten
unternehmen, ebenfalls versichert. S. war also Versicherter im Sinne des
§ 898 RVO. Die Anwendung dieser Bestimmung muß aber daran scheitern,
daß der Beklagte im Verhältnis zu S. kein Unternehmer (§
633 RVO) war und daß auch kein Grund besteht, ihn wie einen Unternehmer
zu behandeln. Das hat das Landgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 15.
September 1960 (VersR 1961, 209) zutreffend dargelegt. Seinen Ausführungen
ist beizutreten.
Berücksichtigt man den Sinn und Zweck des
§ 898 RVO, so ist auch für eine entsprechende Anwendung dieser
Bestimmung kein Raum. Sie stellt den Unternehmer von der Haftung frei,
weil er durch seine Beiträge zur Sozialversicherung für den weitgehenden
Unfallschutz des Versicherten sorgt. Auch sollte verhindert werden, daß
Streitigkeiten über die Unfallverantwortung den Arbeitsfrieden stören
(BGHZ 8, 330, 338 und 19, 114, 121). Diese Grundgedanken des Gesetzes
treffen aber in einem Falle der Hilfeleistung aus Lebensgefahr, wie er
hier zu entscheiden ist, nicht zu.
6. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß
die Leistungen des Sozialversicherungsträgers zur Behebung der Unfallfolgen
nicht auf den Ersatzanspruch des S. anzurechnen sind, daß dieser
Anspruch vielmehr nach § 1542 RVO auf die klagende Berufsgenossenschaft
übergegangen ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts
- RGZ 167, 85 - und des Bundesgerichtshofs - BGHZ 33, 251, 257 -. Von ihr
abzugehen besteht kein Anlaß. Durch den Versicherungsschutz, den
die Reichsversicherungsordnung dem Retter gewährt, sollte dieser besser
gestellt und damit die Opferbereitschaft gefördert werden. Dem Gesetz
ist aber nichts dafür zu entnehmen, daß der durch die Rettung
Begünstigte durch diese Regelung von seiner Haftung aus dem Gesichtspunkt
der Geschäftsführung ohne Auftrag freigestellt werden sollte.
Der Anspruch des Retters ist unbeschadet seiner besonderen Eigenart doch
auf Ausgleich eines Schadens gerichtet und gehört daher zu den Ansprüchen,
die nach dem Grundgedanken des § 1542 RVO dem Sozialversicherungsträger
als Ausgleich dafür zustehen sollen, daß er dem Schaden kongruente
Leistungen gewährt.
IV. Zusammenfassend ergibt sich, daß das
Berufungsgericht den mit der Klage geltend gemachten Anspruch der Klägerin
ohne einen Rechtsfehler nach den Vorschriften über die Geschäftsführung
ohne Auftrag in Verbindung mit § 1542 RVO zur Hälfte dem Grunde
nach bejaht hat. Damit sind die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision
der Klägerin unbegründet. Sie waren daher zurückzuweisen.