BGHZ 50, 133
NJW1968, 1773
Die Entscheidung war Gegenstand der Verfassungsbeschwerde
BVerfG NJW 1971, 1645
Zur Frage des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener
gegen eine Verfälschung ihres Lebensbildes in einem zeitkritischen
Roman. (» Mephisto«)
»AN DEN LESER
Der Verfasser Klaus Mann ist 1933 freiwillig aus
Gesinnung emigriert und hat 1936 diesen Roman in Amsterdam geschrieben.
Aus seiner damaligen Sicht und seinem Haß gegen die Hitlerdiktatur
hat er ein zeitkritisches Bild der Theatergeschichte in Romanform geschaffen.
Wenn auch Anlehnungen an Personen der damaligen Zeit nicht zu verkennen
sind, so hat er den Romanfiguren doch erst durch seine dichterische Phantasie
Gestalt gegeben. Dies gilt insbesondere für die Hauptfigur. Handlungen
und Gesinnungen, die dieser Person im Roman zugeschrieben werden, entsprechen
jedenfalls weitgehend der Phantasie des Verfassers. Er hat daher seinem
Werk die Erklärung beigefügt: , Alle Personen dieses Buches stellen
Typen dar, nicht Porträts.'
Der Verleger«
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur
Begründung u. a. ausgeführt, daß die durch den Roman verletzten
Persönlichkeitsrechte von Gründgens mit dessen Tode untergegangen
seien.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung
eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt, jedoch zum Ausdruck
gebracht hat, daß das Verbot nicht unbedingt für alle Zeiten
erstrebt werde. Die Beklagte hat erklärt, sie verpflichte sich, den
Roman künftig stets mit dem durch einstweilige Verfügung angeordneten
Vorspann zu veröffentlichen.
Das Oberlandesgericht hat der Berufung stattgegeben
und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten
blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
I. .
II. 1. Das Berufungsgericht führt aus, die
ihrer Natur nach nicht übertragbaren Persönlichkeitsrechte könnten
zwar nach dem Tode nicht mehr fortbestehen, da es dann an einem Rechtssubjekt
fehle. Gleichwohl gewähre aber die Rechtsordnung einen über den
Tod hinauswirkenden Persönlichkeitss c h u t z, wie sich in der Pflicht
zur Beachtung von Beisetzungsanordnungen eines Verstorbenen zeige, ferner
in der Pflege seiner Ruhestätte, dem Schutz der Totenruhe, der Bestrafung
von Leichenentwendungen und der Verunglimpfung des Andenkens, der Wiederaufnahme
von Strafverfahren auch nach dem Tode, dem Bildnisschutz, dem Recht, Entstellungen
der Darbietungen eines ausübenden Künstlers nach dessen Tode
zu verfolgen, und auch in der Fortwirkung eines zu Lebzeiten erstrittenen
Verbotsurteils wegen Ehrverletzung. Die aus diesem Persönlichkeitsschutz
folgenden Ansprüche könne der Kläger als Adoptivsohn und
damit als Angehöriger von Gründgens, als dessen Alleinerbe und
als derjenige wahrnehmen, den Gründgens bereits zu Lebzeiten damit
beauftragt habe, die Verbreitung des Buches zu verhindern.
2. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis beizutreten.
Der Bundesgerichtshof hat bereits im Zusammenhang
mit der Frage, wem die Befugnis zur Veröffentlichung von Tagebüchern
eines Verstorbenen zusteht, dargeleg, es werde für das U r h e b e
r persönlichkeitsrecht einmütig anerkannt, daß es über
den Tod des ursprünglichen Rechtsträgers hinaus fortwirke. Dies
gelte in gleicher Weise auch für das a II g e m e i n e Persönlichkeitsrecht;
denn die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten
die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche
(BGHZ 15,249,259 - Cosima Wagner). Diese Auffassung hat in Rechtsprechung
und Schrifttum überwiegend Billigung gefunden (LG München Ufita
20,230 - von Witzleben; Koebel, NJW 58,936; Nipperdey, Ufita 30,1,20; Hubmann,
Das Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 245 f sowie in der Anmerkung zu
dem angefochtenen Urteil aaO; Staudinger/ Coing, BGB, 11. Aufl. , Vorbem.
24 vor 1, vgl. auch Anm. 151 zu § 1922; von Gamm, NJW 1955,1826; zurückhaltend
Bußmann, Gutachten zum 42. Juristentag, 1957, S. 62 ff).
Die gegen diese Auffassung erhobenen Bedenken
(vgl. insbes. May, NJW 1958,2101 und Wolpert, Ufita 34,150,156 ff) greifen
nicht durch. Das Persönlichkeitsrecht erfährt zwar - wie schon
ein Vergleich des Ehrenschutzes nach §§ 185 bis 187 StGB mit
der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt - mit dem Tode der Person
eine einschneidende Einschränkung, da alle diejenigen Ausstrahlungen
enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person bedingen. Ferner
kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im Rahmen der Abgrenzung
des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz der persönlichen
Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen. Aus diesem
Grunde ist beispielsweise bei Darstellungen aus dem Intimbereich die Frage,
ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes vorliegt, bei Verstorbenen
nach einem anderen Wertungsmaßstab als bei Lebenden zu beurteilen.
Andererseits ist aber allgemein anerkannt, daß der Verstorbene nicht
nur übertragbare materielle Werte hinterläßt, sondern daß
auch immaterielle Güter seinen Tod überdauern, die verletzbar
und auch nach dem Tode noch schutzwürdig sind. Was im einzelnen zu
diesen Gütern zählt und welche Ansprüche sich aus ihrer
Beeinträchtigung ergeben könnten, bedarf im Streitfall keiner
abschließenden Prüfung. Denn hier handelt es sich - wie noch
zu erörtern sein wird - lediglich um Unterlassungsansprüche gegen
grobe Entstellungen des Lebensbildes. Insoweit sind keine überzeugenden
Gründe dafür ersichtlich, daß der persönlichkeitsrechtliche
Unterlassungsanspruch trotz Fortbestehens des verletzbaren und schutzwürdigen
Gutes in dem Augenblick völlig erlöschen sollte, in dem dieses
Lebensbild seinen Abschluß gefunden hat und der Angegriffene sich
nicht mehr selbst verteidigen kann.
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht
- abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen - als höchstpersönliches
Recht unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote
und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger
Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden
Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche der
in Rede stehenden Art durch jemanden w a h r n e h m e n lassen, der nicht
selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche
Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren
hat. Seit langer Zeit sieht die Rechtsordnung diese Lösung bereits
für besonders wichtige Fallgruppen vor, in denen es um an sich unübertragbare
Persönlichkeitsrechte geht. So ist die Verbreitung von Abbildungen
nach dem Tode des Abgebildeten von der Einwilligung seiner Angehörigen
abhängig (§ 22 des Kunsturhebergesetzes vom 9. Januar 1907).
Auch zu der Strafvorschrift über die Verunglimpfung des Andenkens
Verstorbener (§ 189 StGB) wird heute die Auffassung vertreten, daß
hier nicht allein das Pietätsgefühl und die Familienehre der
antragsberechtigten Angehörigen, sondern auch die eigene Ehre des
Verstorbenen in Gestalt eines fortbestehenden Achtungsanspruchs im sozialen
Raum geschützt wird (vgl. Welzel, Das deutsche Strafrecht, 10. Aufl.
, S. 293,299). § 361
StPO läßt die Wiederaufnahme des Strafverfahrens
zugunsten des Verstorbenen auf Antrag bestimmter Angehöriger zu. Ferner
können die Angehörigen eines ausübenden Künstlers nach
dem Tode Entstellungen der Darbietungen des Verstorbenen untersagen (§
83 UrhG). Wenn derartige Regelungen zum Teil schon nach früherem Recht
galten, dann kann erst recht nach der verfassungsrechtlichen Wertordnung
des Grundgesetzes nicht mehr angenommen werden, daß nach dem Tode
einer Person zwar deren übertragbare Rechte an materiellen Gütern
fortbestehen, dagegen das durch ihre Leistungen erworbene, u. U. viel nachhaltiger
im Gedächtnis der Nachwelt fortlebende Ansehen Eingriffen Dritter
schutzlos preisgegeben wäre. Wenn auch davon auszugehen sein mag,
daß das Grundgesetz, indem es in Art. 1 die Würde des Menschen
für unantastbar erklärt und in Art. 2 das Recht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit festlegt, vorwiegend den Schutz der Persönlichkeitsbelange
des in der Rechtsgemeinschaft noch tätigen Bürgers gewährleisten
wollte, so ist andererseits kein Anhalt dafür gegeben, daß entgegen
den Anschauungen unseres Kulturkreises die Schutzgarantie für die
Menschenwürde, die auch nach dem Tod » antastbar« bleibt,
für Verstorbene entfallen sollte. Da die Wertentscheidung des Grundgesetzgebers
im Grundrechtskatalog zugunsten eines umfassenden Schutzes der Menschenwürde
keine zeitliche Begrenzung auf das Leben des Menschen erkennen läßt,
ist nicht einzusehen, warum der Schutz des sog. allgemeinen Persönlichkeitsrechts,
das die höchstrichterliche Rechtsprechung als sonstiges Recht im Sinne
des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt hat, indem es diese Generalklausel
des bürgerlichen Rechts gemäß der Wertentscheidung des
Verfassungsgebers ausgefüllt hat, zwangsläufig mit dem Tod sein
Ende finden sollte. Nach Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
sind vielmehr die erwähnten näher geregelten Einzelfälle
des Schutzes von Persönlichkeitsgütern Verstorbener als Ausdruck
einer allgemeinen Rechtspfficht aufzufassen, wonach Persönlichkeitsgüter
der hier strittigen Art - allerdings in dem durch das Ableben der Person
bedingten eingeschränkten Umfang - auch nach dem Tode ihres Inhabers
von den Rechtsgenossen zu beachten sind, da andernfalls die Wertentscheidung
des Grundgesetzes nicht ausreichend zur Geltung käme. Der Senat ist
der Überzeugung, daß Menschenwürde und freie Entfaltung
zu Lebzeiten nur dann im Sinne des Grundgesetzes zureichend gewährleistet
sind, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen
grobe ehrverletzende Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser
Erwartung leben kann.
Hiergegen hat die Revision in der mündlichen
Verhandlung geltend gemacht, der strittige Unterlassungsanspruch sei jedenfalls
in dem Sinne höchstpersönlicher Natur, daß dem Betroffenen
die E n t s c h e i d u n g darüber vorbehalten bleiben müsse,
ob dieser Anspruch im Wege einer öffentlichen Klage verfolgt werden
solle. Eine Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode
komme daher allenfalls dann (und insoweit) in Betracht, wenn der Verstorbene
bereits zu Lebzeiten eine Ermächtigung erteilt habe.
Abgesehen davon, daß Gründgens dem
Kläger die entsprechende Ermächtigung tatsächlich erteilt
hat, kann dieser Auffassung schon deshalb nicht beigepflichtet werden,
weil dann die Rechtsverfolgung von dem Zufall abhinge, ob eine vor dem
Tode begangene Handlung dem Verletzten noch rechtzeitig bekanntgeworden
ist, oder davon, ob die Handlung kurz vor oder kurz nach dem Tode des Verletzten
begangen worden ist. Hin zuweisen ist ferner auf solche Fälle, in
denen sich der Berechtigte infolge Zermürbung durch Alter, Krankheit
oder Resignation nicht mehr selbst dazu aufraffen konnte, noch vor seinem
Tode ein Verfahren einzuleiten. Daß der höchstpersönliche
Charakter der immateriellen Persönlichkeitsrechte nicht dazu nötigt,
die Rechtsverfolgung von einer Ermächtigung des Verletzten abhängig
zu machen, wird auch durch die erwähnten, vom Gesetzgeber bereits
näher geregelten Fälle einer Wahrnehmungsbefugnis bestätigt.
Entgegen der Ansicht der Revision nötigt
nicht etwa der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit dazu, die Wahrnehmung
des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener durch Dritte schlechthin
auszuschließen, wenn keine besondere Ermächtigung erteilt wurde.
Der höchstpersönliche Charakter des Rechts rechtfertigt zwar
die Folgerung, daß in Ermangelung entgegenstehender anderweitiger
Regelungen i n e r s t e r L i n i e der vom Verstorbenen zu Lebzeiten
Berufene als Wahrnehmungsberechtigter anzusehen ist. Ferner kommen aber
in Analogie zu den vom Gesetzgeber bereits näher geregelten Fällen
die nahen Angehörigen des Verstorbenen in Betracht, die durch die
Verunglimpfung eines verstorbenen Familienmitgliedes oftmals selbst in
Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann zu einer Mehrzahl von Wahrnehmungsberechtigten
führen. Daraus folgt jedoch keine so erhebliche Gefahr für die
Rechtssicherheit, daß deshalb die Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes
Verstorbener mangels ausdrücklicher Ermächtigung zu entfallen
hätte. Zwar schließt nach dieser Auffassung das Einverständnis
einzelner Wahrnehmungsberechtigter mit der beanstandeten Handlung nicht
aus, daß andere Berechtigte gleichwohl dagegen einschreiten. Doch
wird dieses Einverständnis ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sein,
ob überhaupt der Tatbestand einer Rechtsverletzung vorliegt. Der Streitfall
nötigt nicht dazu, den Kreis der Wahrnehmungsberechtigten abschließend
zu bestimmen. Denn daß zu diesem Kreis jedenfalls der Kläger
als der Adoptivsohn des Verstorbenen und insbesondere als derjenige gehört,
den Gründgens nicht nur zu seinem Alleinerben eingesetzt, sondern
bereits zu Lebzeiten b e a u f t r a g t hatte, die Verbreitung des Romans
zu verhindern, hat das Berufungsgericht ohne Rechts- und Verfahrensverstoß
festgestellt.
In den Fällen des § 22 KunstUrhG und
des § 83 UrhG sind die dort geregelten Befugnisse zeitlich b e f r
i s t e t. Auch ohne eine derartige gesetzgeberische Einzelregelung ist
kein uferloser postmortaler Schutz des Lebensbildes zu befürchten.
Eine zeitliche Begrenzung folgt bereits daraus, daß die Persönlichkeitsrechte
eines Verstorbenen nicht von jedermann, sondern nur von dem Kreis der überlebenden
Wahrnehmungsberechtigten geltend gemacht werden können. Davon abgesehen
setzt die Geltendmachung des erörterten persönlichkeitsrechtlichen
Unterlassungsanspruchs voraus, daß der Wahrnehmungsberechtigte ein
ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis dartun kann. Dieses schwindet
gerade in Fällen der vorliegenden Art in dem Maße, in dem die
Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt. Auch wird bei der Güterabwägung,
nach der im Einzelfall Tatbestand und Rechtswidrigkeit von Persönlichkeitsrechtsverletzungen
abzugrenzen sind, ins Gewicht fallen, daß im Laufe der Zeit das Interesse
an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt, während umgekehrt
das Gegeninteresse daran wächst, nicht wegen eines Fehlers in der
Darstellung historischer Vorgänge Rechtsansprüchen ausgesetzt
zu werden. Jedenfalls ist der noch lebende Kläger berechtigt, gegen
die kurz nach dem Tode von Gründgens begangene Persönlichkeitsrechtsverletzung
einzuschreiten. Das Unterlassungsgebot bedarf auch keiner zeitlichen Begrenzung,
da es der Beklagten unbenommen bleibt, der Vollstreckung des Urteils entgegenzutreten,
wenn infolge Zeitablaufs das Rechtsschutzinteresse für die Weiterverfolgung
des eingeklagten Anspruchs entfallen sollte.
III. 1. In der Sache selbst führt das Berufungsgericht
im einzelnen aus, daß Klaus Mann die Hauptfigur seines Romans unbestritten
an Gründgens angelehnt habe. Eine ausreichende »Verfremdung«
der aus der Wirklichkeit entlehnten Vorgänge lasse sich nicht feststellen.
Zwar würden jüngere Leser in zunehmendem Umfang in den dargestellten
Romanfiguren die damals lebenden Personen nicht erkennen und den Roman
als zeitkritische Darstellung des Theaterlebens in den zwanziger und dreißiger
Jahren werten. Eine nicht unbeträchtliche Zahl des theaterkundigen
Publikums, von dem das Buch überwiegend gelesen werde, denke aber
bei der Hauptfigur Höfgen an Gründgens und identifiziere diesen
infolge der Übereinstimmungen im äußeren Erscheinungsbild,
dem Lebens- und Berufsweg und der Umgebung mit Höfgen. Dabei könne
der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden.
Diese tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes
sind frei von Rechts- oder Verfahrensverstößen...
2. Das Berufungsgericht führt sodann weiter
aus, daß der Roman für diejenigen Leser, welche Handlungen,
Motive und Außerungen des Höfgen auf Gründgens beziehen,
ein negativ verzerrtes, verunglimpfendes Charakter- und Lebensbild von
Gründgens vermittle. Das Buch sei - so gesehen - eine Schmähschrift
in Romanform, insbesondere wegen der unstreitig frei erfundenen Schilderung
der masochistischen Beziehungen Höfgen's zu der Negertänzerin.
Gründgens werde in der Gestalt Höfgen's als ein begabter Schauspieler
mit großer Karriere geschildert, der die Mephisto-Rolle vorzüglich
spiele und seinem Charakter nach selbst ein Mephisto sei, der sich den
nationalsozialistischen Machthabern seiner Karriere wegen ausliefere. Ferner
bedeute die Unterstellung, Höfgen habe einigen politisch Verfolgten
nur geholfen, um sich dadurch für später eine Rückversicherung
zu beschaffen, eine Verächtlichmachung des Höfgen und somit von
Gründgens. Auch das physische Versagen des Höfgen in seiner Ehe
- möge es auf Gründgens zutreffen oder nicht - sowie die zahlreichen
verbalen Beleidigungen seien geeignet, Gründgens herabzusetzen.
Die Beklagte habe nicht dargelegt und unter Beweis
gestellt, daß dieses negative Lebens- und Charakterbild auf Gründgens
tatsächlich zutreffe. Unstreitig habe Gründgens nicht - wie in
dem Roman dargestellt - im Hause Göring verkehrt und zu dessen 43.
Geburtstag eine Rede gehalten. Sein schneller Aufstieg sei - ebenso wie
seine Ehrungen nach dem Kriege - seinen schauspielerischen Leistungen zuzuschreiben.
Auch die Beklagte behaupte nicht, daß Gründgens sich nach 1933
für politische Propagandazwecke habe mißbrauchen lassen. Möge
Klaus Mann auch seinerzeit geglaubt haben, Gründgens habe politisch
Verfolgte nur aus Gründen der Rückversicherung unterstützt,
so spreche doch dagegen, daß Gründgens - wie auch die Beklagte
anerkenne - unter eigener Gefährdung jüdischen und mit Jüdinnen
verheirateten Schauspielern sowie politisch Verdächtigen geholfen
habe.
Die wahrheitswidrige Entstellung des Charakter-
und Lebensbildes von Gründgens werde - so führt das Berufungsgericht
weiter aus - weder durch das Recht zur freien kritischen Meinungsäußerung
noch dadurch gedeckt, daß der beanstandete Roman in Übereinstimmung
mit dem Landgericht als Kunstwerk zu werten sei. Soweit die Intimsphäre
angetastet werde, entfalle überhaupt jede Interessenabwägung.
Daher sei der auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestützte
Unterlassungsanspruch des Klägers gemäß §§ 1004,823
BGB i. V. in. Art. 1 und 2 GG begründet.
3. Den Angriffen der Revision, die sich gegen
die rechtlichen Folgerungen richten, die das Berufungsgericht aus den genannten
Feststellungen und Würdigungen gezogen hat, muß im Ergebnis
der Erfolg versagt bleiben.
a) Das auf der Würde des Menschen beruhende
Persönlichkeitsrecht (Art. 1,2 GG) ist als sonstiges Recht im Sinne
des § 823 Abs. 1 BGB geschützt (vgl. BGHZ 13,334 - Leserbriefe;
24,200 - Spätheimkehrer; 26,349 - Herrenreiter; 30,7 - Caterina Valente;
31,308 - Burschenschaft; 35,363 - Ginsengwurzel; 39,124 - Fernsehansagerin;
GRUR 1965,256 - Gretna Green). Indem bei der inhaltlichen Präzisierung
dieses generalklauselartigen »Auffangstatbestandes« auf verfassungsrechtliche
Wertentscheidungen zurückgegriffen wird, ist freilich zu beachten,
daß das Persönlichkeitsrecht nicht nur in Art. 2 GG eine ausdrückliche
Begrenzung durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung
und das Sittengesetz erfährt. Vielmehr sind darüber hinaus bereits
bei der Prüfung, ob überhaupt tatbestandsmäßig eine
rechtswidrige Persönlichkeitsbeeinträchtigung vorliegt, auch
die weiteren Wertentscheidungen des Verfassungsgebers heranzuziehen, die
sich gerade bei der verfassungskonformen Auslegung von Generalklauseln
auswirken (BVerfGE 7, 198,204 - Lüth; 12,113,125 - Schmid) und die
nicht erst unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Rechtfertigungsgrundes
zu berücksichtigen sind (BGHZ 45,296,307 - Höllenfeuer).
b) Als eine der grundlegenden Wertentscheidungen
kommt insbesondere das Recht auf freie kritische Meinungsäußerung
(Art. 5 Abs. 1 GG) namentlich gegenüber solchen Personen in Betracht,
die - wie Gründgens - durch ihr Wirken und ihre Stellung im öffentlichen
Leben Gegenstand des allgemeinen Interesses geworden sind (BGHZ 36,77 -
Waffenhändler; BGH NJW 1964,1471 - Sittenrichter). Dieses Recht deckte
im Streitfall nicht nur eine allgemeine zeitkritische Auseinandersetzung
mit den Verhältnissen des Theaterlebens seit 1933, sondern auch, daß
Klaus Mann in scharfer Polemik Karriere und Charakterbild von Gründgens
als einer weithin bekannten Persönlichkeit der Zeitgeschichte kritisierte,
deren Verhalten, besonders aus der Sicht eines emigrierten und engagierten
Gegners der Hitler-Diktatur, die Gefahr in sich barg, den Nationialsozialismus
in den Augen der Welt aufzuwerten. Klaus Mann hat sich aber nach den zutreffenden
Ausführungen des Berufungsgerichts nicht auf eine derartige Kritik
beschränkt, sondern in seine Darstellung frei erfundene Vorgänge
eingearbeitet. Unter diesen ist schlechterdings nicht zu rechtfertigen
die Erfindung des Verhaltens gegenüber der schwarzen Tänzerin,
zu der Höfgen langdauernde perverse Beziehungen unterhält und
die er, als sie seiner Karriere gefährlich zu werden drohte, in niederträchtiger
Weise von der Gestapo verhaften und abschieben läßt. Zu nennen
ist hier ferner die Erfindung einer besonders engen Art von Beziehungen
zu den damaligen Machthabern und die Entstellung der Hilfeleistungen für
rassisch und politisch Gefährdete in ein auf berechnender Rückversicherung
beruhendes Verhalten. Das Recht, Verhalten und Lebensbild einer Persönlichkeit
kritisch zu beurteilen, findet nach der ausdrücklichen Regelung in
Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in dem Recht der persönlichen Ehre
und rechtfertigt es jedenfalls nicht, das Lebensbild einer Persönlichkeit
mittels frei erfundener, oder doch ohne jeden Anhaltspunkt behaupteter,
die Gesinnung negativ kennzeichnender Verhaltensweisen zu entstellen, die
nur noch das Urteil zulassen, daß es sich um einen niederträchtiger
Handlungsweise fähigen Menschen gehandelt habe. Namentlich das erdichtete
abschließende Verhalten gegenüber der Tänzerin läßt
dem Leser keine andere Wahl.
c) Entstellungen derart schwerwiegender Art werden
auch nicht durch die ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit
der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG) gedeckt, auf welche sich die Beklagte in erster
Linie beruft. Da der beanstandete Roman in beiden Vorinstanzen rechtsirrtumsfrei
als Ergebnis künstlerischen Schaffens gewürdigt worden ist, greift
allerdings auch diese Grundrechtsnorm im Streitfall Platz, die entgegen
der Auffassung des Klägers nicht lediglich eine gegen den Staat gerichtete
institutionelle Garantie enthält, sondern notwendigerweise auch die
persönliche Freiheit des Künstlers umfaßt, sich künstlerisch
zu betätigen und die Ergebnisse des Schaffens der Öffentlichkeit
bekanntzumachen (v. Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl. , Anm. X 2b zu Art. 5;
Hamann, GG, 2. Aufl. , Anm. 1? zu Art. 5; Schmidt/Bleibtreu/Klein, GG,
Anm. 2 zu Art. 5; Arndt, Die Kunst im Recht, NJW 1966,26; BayObLG NJW 1964,1149;
OVG Münster NJW 1959,1890 mit insoweit zustimmender Anm. von Hamann
und von Stein in JZ 1959,720; vgl. ferner zum vergleichbaren Problem der
Freiheit der Wissenschaft BVerfGE 3,58,151; 5,85,145; 15,256,263). Diese
Freiheitsverbürgung, die in ihrer historisch gewordenen Ausprägung
in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen staatliche Eingriffe
darstellt, verkörpert zugleich eine Grundentscheidung im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 6,71; 7,204;
9,248), in der für einen bestimmten Bereich der Rechts- und Sozialordnung
eine Wertentscheidung des Verfassungsgebers verbindlich ausgedrückt
wird, die ihrerseits in engem Zusammmenhang mit dem Grundwert der Menschenwürde
steht und die als Grundsatznorm bei der Ausfüllung von Generalklauseln
des bürgerlichen Rechtes Beachtung erheischt.
Bei der Heranziehung dieser Verfassungsnorm ist
zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, daß der Verfassungsgeber
die Freiheit der Kunst außerordentlich umfassend verbürgt hat.
Anders als beim Schutz der Persönlichkeit und beim Recht der Meinungsfreiheit
hat er trotz der Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der entsprechenden
Bestimmung der Weimarer Verfassung keine ausdrückliche Einschränkung
angeordnet und dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der allgemeine
Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 nicht anwendbar ist (vgl. etwa BVerwGE
1,303 - Sünderin; OLG Hamburg NJW 1963,675). Daraus folgt, daß
dann, wenn eine Meinungsäußerung in die Form eines Kunstwerkes
gekleidet ist, der Freiheitsspielraum gegenüber der Persönlichkeitssphäre
eines Betroffenen weiter zu ziehen sein kann als bei solchen Meinungsäußerungen,
die nicht den Rang eines Kunstwerkes erreichen (a. A. OVG Münster
aaO; wie hier Arndt aaO, Stein aaO; Hamann, NJW 1959,1890). Das bedeutet
für Fälle der vorliegenden Art, daß der Künstler nicht
nur - was für den künstlerischen Schaffensprozeß unverzichtbar
ist - an reale Geschehnisse und persönliche Umwelterfahrungen anknüpfen
darf und daß ihm bei der Verarbeitung dieser Anregungen im Falle
ausreichender Verfremdung weiter Schaffensspielraum bleibt. Vielmehr kann
beim Konflikt zwischen Freiheit der Kunst und geschützter Persönlichkeitssphäre
die Güterabwägung dazu führen, daß der Künstler
bei romanhafter Darstellung des Lebens einer Person der Zeitgeschichte,
wenn jene erkennbar nicht den Anspruch erhebt, die historischen Begebenheiten
wirklichkeitstreu widerzuspiegeln, den Dargestellten auch durch erfundene
Begebenheiten ergänzend charakterisieren und - entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts - bei Verstorbenen in gewissen Grenzen auch Vorgänge
aus dem Intimbereich schildern darf. Von hier aus gesehen wäre es
im Streitfall für sich allein noch nicht zu beanstanden, daß
Klaus Mann in dem Roman Wahres und Erfundenes vermischt und dabei auch
den Intimbereich berührt hat.
Aber auch diese umfassende Gewährleistung
künstlerischer Schaffensfreiheit kann nicht bedeuten, daß künstlerisches
Schaffen schrankenlos ausgeübt werden darf. Denn die Freiheit der
Kunst ist kein i s o l i e r t e r Höchstwert der verfassungsmäßigen
Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen wären. Wo sie im
einzelnen unter Berücksichtigung der vom Verfassungsgeber angeordneten
besonders umfassenden Verbürgung ihre Grenzen findet, bedarf keiner
ausführlichen Erörterung. Es kann insbesondere dahinstehen, ob
es ohne weiteres zulässig wäre, diese Grenze - unter Anwendung
des Art. 2 Abs. 1 GG als » Muttergrundrecht« - in den Rechten
anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz
und auch in den in diesem Rahmen erlassenen Gesetzen zu suchen (vgl. dazu
BGH GoltdArch 1961,240 - Religionsdelikte; LM Nr. 22 zu Art. 5 GG - Reichstagsbrand;
BayObLG aaO; OLG Hamburg aaO; zurückhaltender BVerwG aaO sowie Arndt
und Stein aaO). Denn jedenfalls erfährt das Recht zur freien künstlerischen
Betätigung in gewissem Umfang eine immanente Begrenzung mit Rücksicht
auf das gleichfalls verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht.
Diese Grenze ist überschritten, wenn das Lebensbild einer bestimmten
Person, die derart deutlich erkennbar als Vorbild gedient hat wie im vorliegenden
Falle, durch f r e i e r f u n d e n e Zutaten
g r u n d l e g e n d negativ entstellt wird, ohne daß
dies als satirische oder sonstige Übertreibung erkennbar ist. Nimmt
der Künstler im Falle der Charakterisierung einer Person bewußt
derartige Veränderungen des wirklichen Geschehens vor, dann kann und
muß von ihm erwartet werden, daß er im Interesse des verfassungsrechtlich
garantierten Persönlichkeitsrechts die Anknüpfung an das Vorbild
unerkennbar macht. Im Streitfall ist das nach den zutreffenden Ausführungen
des Berufungsgerichts nicht geschehen. Der Einbruch in die Persönlichkeitssphäre
von Gründgens wäre allenfalls zu rechtfertigen, wenn das sich
aus dem Roman ergebende Charakter- und Lebensbild von Höfgen mit den
grundlegenden Wesenszügen und dem Persönlichkeitsbild von Gründgens,
so wie dieses aus seinem Leben zu entnehmen ist, übereinstimmen würde.
Unter dieser Voraussetzung können bei einer erkennbar romanhaften
Darstellung tatsächliche Vorgänge, Gespräche und Erlebnisse
hinzuerfunden werden, ohne daß die Grenzen der Freiheit der Kunst
überschritten wären. Im vorliegenden Fall ist aber nicht geltend
gemacht worden, daß Gründgens dem Typ des zynisch rücksichtslosen
Opportunisten entsprach, der im Interesse seiner Karriere unter Verrat
seiner früheren politischen Gesinnung engsten Umgang mit den Machthabern
pflegt, der seine Geliebte der Gestapo ausliefert und Gefährdeten
lediglich aus Berechnung hilft.
Nach alledem ist es aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Verbreitung des angegriffenen
Romans als Persönlichkeitsrechtsverletzung beurteilt hat.