sPostmortaler Persönlichkeitsschutz - "Mephisto"

BGH, Urt. v. 20.3.1968, I ZR 44/66

Fundstelle:

BGHZ 50, 133
NJW1968, 1773
Die Entscheidung war Gegenstand der Verfassungsbeschwerde BVerfG NJW 1971, 1645



Amtl. Leitsatz:

Zur Frage des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener gegen eine Verfälschung ihres Lebensbildes in einem zeitkritischen Roman. (» Mephisto«)



Der klagende Adoptivsohn und Alleinerbe des verstorbenen Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens beanstandet mit der vorliegenden Klage die Verbreitung des Buches » Mephisto - Roman einer Karriere« von Klaus Mann.
Gründgens war in den zwanziger Jahren mit Klaus Mann befreundet und mit dessen Schwester Erika kurze Zeit bis 1928 verheiratet. Im Jahre 1933 begaben sich die Geschwister Klaus und Erika Mann aus politischer Überzeugung in die Emigration. Gründgens, der insbesondere durch seine Mephisto-Rolle bekannt geworden war, wurde im Jahre 1934 zum Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin ernannt, im Jahre 1936 zum Preußischen Staatsrat und im Jahre 1937 zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater, die Göring unterstanden.
Klaus Mann schrieb den Mephisto-Roman bald nach seiner Emigration und veröffentlichte ihn im Jahre 1936 im Querido-Verlag in Amsterdam in deutscher Sprache. Der Roman schildert die Karriere eines Schauspielers, der im Roman den Namen Hendrik Höfgen trägt und der als ehrgeiziger, talentierter Opportunist aus kleinbürgerlichem Milieu mit perversen sexuellen Neigungen, als zynisch-rücksichtsloser Mitläufer der nationalsozialistischen Machthaber und als Rückversicherer dargestellt wird. Zahlreiche Einzelheiten - so die Beschreibung von Figur und Gesicht, die Reihenfolge der Theaterstücke, in denen dieser Schauspieler mitwirkt, insbesondere auch die Übernahme der Mephisto-Rolle, sowie der Aufstieg zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater - entsprechen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens. Auch Personen aus dessen Umgebung sind in dem Roman wiederzuerkennen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß auf Gründgens wesentliche negative Charakterzüge und Handlungen nicht zutreffen, die im Roman der Person Höfgens angedichtet werden.
Der » Mephisto«-Roman erschien im Jahre 1956 erneut im Aufbau-Verlag in Ost-Berlin und trug auf der letzten Seite den Vermerk: »Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts K. M.«. Dieser Herausgabe hat der Kläger im Namen von Gründgens, dessen Assistent er seit seiner Adoption bis zu dessen Tode war, im Jahre 195 7 widersprochen, doch war die Auflage bereits ausgeliefert. Weitere Herausgaben bei drei westdeutschen Verlagen konnten verhindert werden.
Im August 1963 kündigte die Beklagte ihrerseits die Herausgabe des Buches an. Nach dem Tode von Gründgens am 7. Oktober 1963 hat der Kläger hiergegen zunächst erfolglos protestiert und schließlich Klage erhoben. Nachdem die Beklagte in erster Instanz obgesiegt hatte, brachte sie das Buch mit folgendem, durch einstweilige Verfügung angeordnetem Vorspruch heraus:

»AN DEN LESER
Der Verfasser Klaus Mann ist 1933 freiwillig aus Gesinnung emigriert und hat 1936 diesen Roman in Amsterdam geschrieben. Aus seiner damaligen Sicht und seinem Haß gegen die Hitlerdiktatur hat er ein zeitkritisches Bild der Theatergeschichte in Romanform geschaffen. Wenn auch Anlehnungen an Personen der damaligen Zeit nicht zu verkennen sind, so hat er den Romanfiguren doch erst durch seine dichterische Phantasie Gestalt gegeben. Dies gilt insbesondere für die Hauptfigur. Handlungen und Gesinnungen, die dieser Person im Roman zugeschrieben werden, entsprechen jedenfalls weitgehend der Phantasie des Verfassers. Er hat daher seinem Werk die Erklärung beigefügt: , Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts.'
Der Verleger«

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt, daß die durch den Roman verletzten Persönlichkeitsrechte von Gründgens mit dessen Tode untergegangen seien.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt, jedoch zum Ausdruck gebracht hat, daß das Verbot nicht unbedingt für alle Zeiten erstrebt werde. Die Beklagte hat erklärt, sie verpflichte sich, den Roman künftig stets mit dem durch einstweilige Verfügung angeordneten Vorspann zu veröffentlichen.
Das Oberlandesgericht hat der Berufung stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

I. .
II. 1. Das Berufungsgericht führt aus, die ihrer Natur nach nicht übertragbaren Persönlichkeitsrechte könnten zwar nach dem Tode nicht mehr fortbestehen, da es dann an einem Rechtssubjekt fehle. Gleichwohl gewähre aber die Rechtsordnung einen über den Tod hinauswirkenden Persönlichkeitss c h u t z, wie sich in der Pflicht zur Beachtung von Beisetzungsanordnungen eines Verstorbenen zeige, ferner in der Pflege seiner Ruhestätte, dem Schutz der Totenruhe, der Bestrafung von Leichenentwendungen und der Verunglimpfung des Andenkens, der Wiederaufnahme von Strafverfahren auch nach dem Tode, dem Bildnisschutz, dem Recht, Entstellungen der Darbietungen eines ausübenden Künstlers nach dessen Tode zu verfolgen, und auch in der Fortwirkung eines zu Lebzeiten erstrittenen Verbotsurteils wegen Ehrverletzung. Die aus diesem Persönlichkeitsschutz folgenden Ansprüche könne der Kläger als Adoptivsohn und damit als Angehöriger von Gründgens, als dessen Alleinerbe und als derjenige wahrnehmen, den Gründgens bereits zu Lebzeiten damit beauftragt habe, die Verbreitung des Buches zu verhindern.
2. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis beizutreten.
Der Bundesgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit der Frage, wem die Befugnis zur Veröffentlichung von Tagebüchern eines Verstorbenen zusteht, dargeleg, es werde für das U r h e b e r persönlichkeitsrecht einmütig anerkannt, daß es über den Tod des ursprünglichen Rechtsträgers hinaus fortwirke. Dies gelte in gleicher Weise auch für das a II g e m e i n e Persönlichkeitsrecht; denn die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauerten die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dem Tode erlösche (BGHZ 15,249,259 - Cosima Wagner). Diese Auffassung hat in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend Billigung gefunden (LG München Ufita 20,230 - von Witzleben; Koebel, NJW 58,936; Nipperdey, Ufita 30,1,20; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 245 f sowie in der Anmerkung zu dem angefochtenen Urteil aaO; Staudinger/ Coing, BGB, 11. Aufl. , Vorbem. 24 vor 1, vgl. auch Anm. 151 zu § 1922; von Gamm, NJW 1955,1826; zurückhaltend Bußmann, Gutachten zum 42. Juristentag, 1957, S. 62 ff).
Die gegen diese Auffassung erhobenen Bedenken (vgl. insbes. May, NJW 1958,2101 und Wolpert, Ufita 34,150,156 ff) greifen nicht durch. Das Persönlichkeitsrecht erfährt zwar - wie schon ein Vergleich des Ehrenschutzes nach §§ 185 bis 187 StGB mit der engeren Bestimmung des § 189 StGB zeigt - mit dem Tode der Person eine einschneidende Einschränkung, da alle diejenigen Ausstrahlungen enden, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person bedingen. Ferner kann bei der Abwägung widerstreitender Belange im Rahmen der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechtes nicht mehr der Schutz der persönlichen Empfindung des Angegriffenen als solcher ins Gewicht fallen. Aus diesem Grunde ist beispielsweise bei Darstellungen aus dem Intimbereich die Frage, ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes vorliegt, bei Verstorbenen nach einem anderen Wertungsmaßstab als bei Lebenden zu beurteilen. Andererseits ist aber allgemein anerkannt, daß der Verstorbene nicht nur übertragbare materielle Werte hinterläßt, sondern daß auch immaterielle Güter seinen Tod überdauern, die verletzbar und auch nach dem Tode noch schutzwürdig sind. Was im einzelnen zu diesen Gütern zählt und welche Ansprüche sich aus ihrer Beeinträchtigung ergeben könnten, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Prüfung. Denn hier handelt es sich - wie noch zu erörtern sein wird - lediglich um Unterlassungsansprüche gegen grobe Entstellungen des Lebensbildes. Insoweit sind keine überzeugenden Gründe dafür ersichtlich, daß der persönlichkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch trotz Fortbestehens des verletzbaren und schutzwürdigen Gutes in dem Augenblick völlig erlöschen sollte, in dem dieses Lebensbild seinen Abschluß gefunden hat und der Angegriffene sich nicht mehr selbst verteidigen kann.
Es ist nicht entscheidend, daß das Persönlichkeitsrecht - abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen - als höchstpersönliches Recht unübertragbar und unvererblich ist. Die Rechtsordnung kann Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjektes vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche der in Rede stehenden Art durch jemanden w a h r n e h m e n lassen, der nicht selbst Subjekt eines entsprechenden Rechtes ist, wenn der ursprüngliche Träger dieses Rechtes durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat. Seit langer Zeit sieht die Rechtsordnung diese Lösung bereits für besonders wichtige Fallgruppen vor, in denen es um an sich unübertragbare Persönlichkeitsrechte geht. So ist die Verbreitung von Abbildungen nach dem Tode des Abgebildeten von der Einwilligung seiner Angehörigen abhängig (§ 22 des Kunsturhebergesetzes vom 9. Januar 1907). Auch zu der Strafvorschrift über die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) wird heute die Auffassung vertreten, daß hier nicht allein das Pietätsgefühl und die Familienehre der antragsberechtigten Angehörigen, sondern auch die eigene Ehre des Verstorbenen in Gestalt eines fortbestehenden Achtungsanspruchs im sozialen Raum geschützt wird (vgl. Welzel, Das deutsche Strafrecht, 10. Aufl. , S. 293,299). § 361
StPO läßt die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Verstorbenen auf Antrag bestimmter Angehöriger zu. Ferner können die Angehörigen eines ausübenden Künstlers nach dem Tode Entstellungen der Darbietungen des Verstorbenen untersagen (§ 83 UrhG). Wenn derartige Regelungen zum Teil schon nach früherem Recht galten, dann kann erst recht nach der verfassungsrechtlichen Wertordnung des Grundgesetzes nicht mehr angenommen werden, daß nach dem Tode einer Person zwar deren übertragbare Rechte an materiellen Gütern fortbestehen, dagegen das durch ihre Leistungen erworbene, u. U. viel nachhaltiger im Gedächtnis der Nachwelt fortlebende Ansehen Eingriffen Dritter schutzlos preisgegeben wäre. Wenn auch davon auszugehen sein mag, daß das Grundgesetz, indem es in Art. 1 die Würde des Menschen für unantastbar erklärt und in Art. 2 das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit festlegt, vorwiegend den Schutz der Persönlichkeitsbelange des in der Rechtsgemeinschaft noch tätigen Bürgers gewährleisten wollte, so ist andererseits kein Anhalt dafür gegeben, daß entgegen den Anschauungen unseres Kulturkreises die Schutzgarantie für die Menschenwürde, die auch nach dem Tod » antastbar« bleibt, für Verstorbene entfallen sollte. Da die Wertentscheidung des Grundgesetzgebers im Grundrechtskatalog zugunsten eines umfassenden Schutzes der Menschenwürde keine zeitliche Begrenzung auf das Leben des Menschen erkennen läßt, ist nicht einzusehen, warum der Schutz des sog. allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das die höchstrichterliche Rechtsprechung als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt hat, indem es diese Generalklausel des bürgerlichen Rechts gemäß der Wertentscheidung des Verfassungsgebers ausgefüllt hat, zwangsläufig mit dem Tod sein Ende finden sollte. Nach Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind vielmehr die erwähnten näher geregelten Einzelfälle des Schutzes von Persönlichkeitsgütern Verstorbener als Ausdruck einer allgemeinen Rechtspfficht aufzufassen, wonach Persönlichkeitsgüter der hier strittigen Art - allerdings in dem durch das Ableben der Person bedingten eingeschränkten Umfang - auch nach dem Tode ihres Inhabers von den Rechtsgenossen zu beachten sind, da andernfalls die Wertentscheidung des Grundgesetzes nicht ausreichend zur Geltung käme. Der Senat ist der Überzeugung, daß Menschenwürde und freie Entfaltung zu Lebzeiten nur dann im Sinne des Grundgesetzes zureichend gewährleistet sind, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grobe ehrverletzende Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben kann.
Hiergegen hat die Revision in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, der strittige Unterlassungsanspruch sei jedenfalls in dem Sinne höchstpersönlicher Natur, daß dem Betroffenen die E n t s c h e i d u n g darüber vorbehalten bleiben müsse, ob dieser Anspruch im Wege einer öffentlichen Klage verfolgt werden solle. Eine Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode komme daher allenfalls dann (und insoweit) in Betracht, wenn der Verstorbene bereits zu Lebzeiten eine Ermächtigung erteilt habe.
Abgesehen davon, daß Gründgens dem Kläger die entsprechende Ermächtigung tatsächlich erteilt hat, kann dieser Auffassung schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil dann die Rechtsverfolgung von dem Zufall abhinge, ob eine vor dem Tode begangene Handlung dem Verletzten noch rechtzeitig bekanntgeworden ist, oder davon, ob die Handlung kurz vor oder kurz nach dem Tode des Verletzten begangen worden ist. Hin zuweisen ist ferner auf solche Fälle, in denen sich der Berechtigte infolge Zermürbung durch Alter, Krankheit oder Resignation nicht mehr selbst dazu aufraffen konnte, noch vor seinem Tode ein Verfahren einzuleiten. Daß der höchstpersönliche Charakter der immateriellen Persönlichkeitsrechte nicht dazu nötigt, die Rechtsverfolgung von einer Ermächtigung des Verletzten abhängig zu machen, wird auch durch die erwähnten, vom Gesetzgeber bereits näher geregelten Fälle einer Wahrnehmungsbefugnis bestätigt.
Entgegen der Ansicht der Revision nötigt nicht etwa der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit dazu, die Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener durch Dritte schlechthin auszuschließen, wenn keine besondere Ermächtigung erteilt wurde. Der höchstpersönliche Charakter des Rechts rechtfertigt zwar die Folgerung, daß in Ermangelung entgegenstehender anderweitiger Regelungen i n e r s t e r L i n i e der vom Verstorbenen zu Lebzeiten Berufene als Wahrnehmungsberechtigter anzusehen ist. Ferner kommen aber in Analogie zu den vom Gesetzgeber bereits näher geregelten Fällen die nahen Angehörigen des Verstorbenen in Betracht, die durch die Verunglimpfung eines verstorbenen Familienmitgliedes oftmals selbst in Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann zu einer Mehrzahl von Wahrnehmungsberechtigten führen. Daraus folgt jedoch keine so erhebliche Gefahr für die Rechtssicherheit, daß deshalb die Wahrnehmung des Persönlichkeitsschutzes Verstorbener mangels ausdrücklicher Ermächtigung zu entfallen hätte. Zwar schließt nach dieser Auffassung das Einverständnis einzelner Wahrnehmungsberechtigter mit der beanstandeten Handlung nicht aus, daß andere Berechtigte gleichwohl dagegen einschreiten. Doch wird dieses Einverständnis ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sein, ob überhaupt der Tatbestand einer Rechtsverletzung vorliegt. Der Streitfall nötigt nicht dazu, den Kreis der Wahrnehmungsberechtigten abschließend zu bestimmen. Denn daß zu diesem Kreis jedenfalls der Kläger als der Adoptivsohn des Verstorbenen und insbesondere als derjenige gehört, den Gründgens nicht nur zu seinem Alleinerben eingesetzt, sondern bereits zu Lebzeiten b e a u f t r a g t hatte, die Verbreitung des Romans zu verhindern, hat das Berufungsgericht ohne Rechts- und Verfahrensverstoß festgestellt.
In den Fällen des § 22 KunstUrhG und des § 83 UrhG sind die dort geregelten Befugnisse zeitlich b e f r i s t e t. Auch ohne eine derartige gesetzgeberische Einzelregelung ist kein uferloser postmortaler Schutz des Lebensbildes zu befürchten. Eine zeitliche Begrenzung folgt bereits daraus, daß die Persönlichkeitsrechte eines Verstorbenen nicht von jedermann, sondern nur von dem Kreis der überlebenden Wahrnehmungsberechtigten geltend gemacht werden können. Davon abgesehen setzt die Geltendmachung des erörterten persönlichkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs voraus, daß der Wahrnehmungsberechtigte ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis dartun kann. Dieses schwindet gerade in Fällen der vorliegenden Art in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt. Auch wird bei der Güterabwägung, nach der im Einzelfall Tatbestand und Rechtswidrigkeit von Persönlichkeitsrechtsverletzungen abzugrenzen sind, ins Gewicht fallen, daß im Laufe der Zeit das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt, während umgekehrt das Gegeninteresse daran wächst, nicht wegen eines Fehlers in der Darstellung historischer Vorgänge Rechtsansprüchen ausgesetzt zu werden. Jedenfalls ist der noch lebende Kläger berechtigt, gegen die kurz nach dem Tode von Gründgens begangene Persönlichkeitsrechtsverletzung einzuschreiten. Das Unterlassungsgebot bedarf auch keiner zeitlichen Begrenzung, da es der Beklagten unbenommen bleibt, der Vollstreckung des Urteils entgegenzutreten, wenn infolge Zeitablaufs das Rechtsschutzinteresse für die Weiterverfolgung des eingeklagten Anspruchs entfallen sollte.
III. 1. In der Sache selbst führt das Berufungsgericht im einzelnen aus, daß Klaus Mann die Hauptfigur seines Romans unbestritten an Gründgens angelehnt habe. Eine ausreichende »Verfremdung« der aus der Wirklichkeit entlehnten Vorgänge lasse sich nicht feststellen. Zwar würden jüngere Leser in zunehmendem Umfang in den dargestellten Romanfiguren die damals lebenden Personen nicht erkennen und den Roman als zeitkritische Darstellung des Theaterlebens in den zwanziger und dreißiger Jahren werten. Eine nicht unbeträchtliche Zahl des theaterkundigen Publikums, von dem das Buch überwiegend gelesen werde, denke aber bei der Hauptfigur Höfgen an Gründgens und identifiziere diesen infolge der Übereinstimmungen im äußeren Erscheinungsbild, dem Lebens- und Berufsweg und der Umgebung mit Höfgen. Dabei könne der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden.
Diese tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes sind frei von Rechts- oder Verfahrensverstößen...
2. Das Berufungsgericht führt sodann weiter aus, daß der Roman für diejenigen Leser, welche Handlungen, Motive und Außerungen des Höfgen auf Gründgens beziehen, ein negativ verzerrtes, verunglimpfendes Charakter- und Lebensbild von Gründgens vermittle. Das Buch sei - so gesehen - eine Schmähschrift in Romanform, insbesondere wegen der unstreitig frei erfundenen Schilderung der masochistischen Beziehungen Höfgen's zu der Negertänzerin. Gründgens werde in der Gestalt Höfgen's als ein begabter Schauspieler mit großer Karriere geschildert, der die Mephisto-Rolle vorzüglich spiele und seinem Charakter nach selbst ein Mephisto sei, der sich den nationalsozialistischen Machthabern seiner Karriere wegen ausliefere. Ferner bedeute die Unterstellung, Höfgen habe einigen politisch Verfolgten nur geholfen, um sich dadurch für später eine Rückversicherung zu beschaffen, eine Verächtlichmachung des Höfgen und somit von Gründgens. Auch das physische Versagen des Höfgen in seiner Ehe - möge es auf Gründgens zutreffen oder nicht - sowie die zahlreichen verbalen Beleidigungen seien geeignet, Gründgens herabzusetzen.
Die Beklagte habe nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, daß dieses negative Lebens- und Charakterbild auf Gründgens tatsächlich zutreffe. Unstreitig habe Gründgens nicht - wie in dem Roman dargestellt - im Hause Göring verkehrt und zu dessen 43. Geburtstag eine Rede gehalten. Sein schneller Aufstieg sei - ebenso wie seine Ehrungen nach dem Kriege - seinen schauspielerischen Leistungen zuzuschreiben. Auch die Beklagte behaupte nicht, daß Gründgens sich nach 1933 für politische Propagandazwecke habe mißbrauchen lassen. Möge Klaus Mann auch seinerzeit geglaubt haben, Gründgens habe politisch Verfolgte nur aus Gründen der Rückversicherung unterstützt, so spreche doch dagegen, daß Gründgens - wie auch die Beklagte anerkenne - unter eigener Gefährdung jüdischen und mit Jüdinnen verheirateten Schauspielern sowie politisch Verdächtigen geholfen habe.
Die wahrheitswidrige Entstellung des Charakter- und Lebensbildes von Gründgens werde - so führt das Berufungsgericht weiter aus - weder durch das Recht zur freien kritischen Meinungsäußerung noch dadurch gedeckt, daß der beanstandete Roman in Übereinstimmung mit dem Landgericht als Kunstwerk zu werten sei. Soweit die Intimsphäre angetastet werde, entfalle überhaupt jede Interessenabwägung. Daher sei der auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestützte Unterlassungsanspruch des Klägers gemäß §§ 1004,823 BGB i. V. in. Art. 1 und 2 GG begründet.
3. Den Angriffen der Revision, die sich gegen die rechtlichen Folgerungen richten, die das Berufungsgericht aus den genannten Feststellungen und Würdigungen gezogen hat, muß im Ergebnis der Erfolg versagt bleiben.
a) Das auf der Würde des Menschen beruhende Persönlichkeitsrecht (Art. 1,2 GG) ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützt (vgl. BGHZ 13,334 - Leserbriefe; 24,200 - Spätheimkehrer; 26,349 - Herrenreiter; 30,7 - Caterina Valente; 31,308 - Burschenschaft; 35,363 - Ginsengwurzel; 39,124 - Fernsehansagerin; GRUR 1965,256 - Gretna Green). Indem bei der inhaltlichen Präzisierung dieses generalklauselartigen »Auffangstatbestandes« auf verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zurückgegriffen wird, ist freilich zu beachten, daß das Persönlichkeitsrecht nicht nur in Art. 2 GG eine ausdrückliche Begrenzung durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz erfährt. Vielmehr sind darüber hinaus bereits bei der Prüfung, ob überhaupt tatbestandsmäßig eine rechtswidrige Persönlichkeitsbeeinträchtigung vorliegt, auch die weiteren Wertentscheidungen des Verfassungsgebers heranzuziehen, die sich gerade bei der verfassungskonformen Auslegung von Generalklauseln auswirken (BVerfGE 7, 198,204 - Lüth; 12,113,125 - Schmid) und die nicht erst unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Rechtfertigungsgrundes zu berücksichtigen sind (BGHZ 45,296,307 - Höllenfeuer).
b) Als eine der grundlegenden Wertentscheidungen kommt insbesondere das Recht auf freie kritische Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) namentlich gegenüber solchen Personen in Betracht, die - wie Gründgens - durch ihr Wirken und ihre Stellung im öffentlichen Leben Gegenstand des allgemeinen Interesses geworden sind (BGHZ 36,77 - Waffenhändler; BGH NJW 1964,1471 - Sittenrichter). Dieses Recht deckte im Streitfall nicht nur eine allgemeine zeitkritische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen des Theaterlebens seit 1933, sondern auch, daß Klaus Mann in scharfer Polemik Karriere und Charakterbild von Gründgens als einer weithin bekannten Persönlichkeit der Zeitgeschichte kritisierte, deren Verhalten, besonders aus der Sicht eines emigrierten und engagierten Gegners der Hitler-Diktatur, die Gefahr in sich barg, den Nationialsozialismus in den Augen der Welt aufzuwerten. Klaus Mann hat sich aber nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts nicht auf eine derartige Kritik beschränkt, sondern in seine Darstellung frei erfundene Vorgänge eingearbeitet. Unter diesen ist schlechterdings nicht zu rechtfertigen die Erfindung des Verhaltens gegenüber der schwarzen Tänzerin, zu der Höfgen langdauernde perverse Beziehungen unterhält und die er, als sie seiner Karriere gefährlich zu werden drohte, in niederträchtiger Weise von der Gestapo verhaften und abschieben läßt. Zu nennen ist hier ferner die Erfindung einer besonders engen Art von Beziehungen zu den damaligen Machthabern und die Entstellung der Hilfeleistungen für rassisch und politisch Gefährdete in ein auf berechnender Rückversicherung beruhendes Verhalten. Das Recht, Verhalten und Lebensbild einer Persönlichkeit kritisch zu beurteilen, findet nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in dem Recht der persönlichen Ehre und rechtfertigt es jedenfalls nicht, das Lebensbild einer Persönlichkeit mittels frei erfundener, oder doch ohne jeden Anhaltspunkt behaupteter, die Gesinnung negativ kennzeichnender Verhaltensweisen zu entstellen, die nur noch das Urteil zulassen, daß es sich um einen niederträchtiger Handlungsweise fähigen Menschen gehandelt habe. Namentlich das erdichtete abschließende Verhalten gegenüber der Tänzerin läßt dem Leser keine andere Wahl.
c) Entstellungen derart schwerwiegender Art werden auch nicht durch die ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG) gedeckt, auf welche sich die Beklagte in erster Linie beruft. Da der beanstandete Roman in beiden Vorinstanzen rechtsirrtumsfrei als Ergebnis künstlerischen Schaffens gewürdigt worden ist, greift allerdings auch diese Grundrechtsnorm im Streitfall Platz, die entgegen der Auffassung des Klägers nicht lediglich eine gegen den Staat gerichtete institutionelle Garantie enthält, sondern notwendigerweise auch die persönliche Freiheit des Künstlers umfaßt, sich künstlerisch zu betätigen und die Ergebnisse des Schaffens der Öffentlichkeit bekanntzumachen (v. Mangoldt/Klein, GG, 2. Aufl. , Anm. X 2b zu Art. 5; Hamann, GG, 2. Aufl. , Anm. 1? zu Art. 5; Schmidt/Bleibtreu/Klein, GG, Anm. 2 zu Art. 5; Arndt, Die Kunst im Recht, NJW 1966,26; BayObLG NJW 1964,1149; OVG Münster NJW 1959,1890 mit insoweit zustimmender Anm. von Hamann und von Stein in JZ 1959,720; vgl. ferner zum vergleichbaren Problem der Freiheit der Wissenschaft BVerfGE 3,58,151; 5,85,145; 15,256,263). Diese Freiheitsverbürgung, die in ihrer historisch gewordenen Ausprägung in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen staatliche Eingriffe darstellt, verkörpert zugleich eine Grundentscheidung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 6,71; 7,204; 9,248), in der für einen bestimmten Bereich der Rechts- und Sozialordnung eine Wertentscheidung des Verfassungsgebers verbindlich ausgedrückt wird, die ihrerseits in engem Zusammmenhang mit dem Grundwert der Menschenwürde steht und die als Grundsatznorm bei der Ausfüllung von Generalklauseln des bürgerlichen Rechtes Beachtung erheischt.
Bei der Heranziehung dieser Verfassungsnorm ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, daß der Verfassungsgeber die Freiheit der Kunst außerordentlich umfassend verbürgt hat. Anders als beim Schutz der Persönlichkeit und beim Recht der Meinungsfreiheit hat er trotz der Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der entsprechenden Bestimmung der Weimarer Verfassung keine ausdrückliche Einschränkung angeordnet und dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der allgemeine Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 nicht anwendbar ist (vgl. etwa BVerwGE 1,303 - Sünderin; OLG Hamburg NJW 1963,675). Daraus folgt, daß dann, wenn eine Meinungsäußerung in die Form eines Kunstwerkes gekleidet ist, der Freiheitsspielraum gegenüber der Persönlichkeitssphäre eines Betroffenen weiter zu ziehen sein kann als bei solchen Meinungsäußerungen, die nicht den Rang eines Kunstwerkes erreichen (a. A. OVG Münster aaO; wie hier Arndt aaO, Stein aaO; Hamann, NJW 1959,1890). Das bedeutet für Fälle der vorliegenden Art, daß der Künstler nicht nur - was für den künstlerischen Schaffensprozeß unverzichtbar ist - an reale Geschehnisse und persönliche Umwelterfahrungen anknüpfen darf und daß ihm bei der Verarbeitung dieser Anregungen im Falle ausreichender Verfremdung weiter Schaffensspielraum bleibt. Vielmehr kann beim Konflikt zwischen Freiheit der Kunst und geschützter Persönlichkeitssphäre die Güterabwägung dazu führen, daß der Künstler bei romanhafter Darstellung des Lebens einer Person der Zeitgeschichte, wenn jene erkennbar nicht den Anspruch erhebt, die historischen Begebenheiten wirklichkeitstreu widerzuspiegeln, den Dargestellten auch durch erfundene Begebenheiten ergänzend charakterisieren und - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - bei Verstorbenen in gewissen Grenzen auch Vorgänge aus dem Intimbereich schildern darf. Von hier aus gesehen wäre es im Streitfall für sich allein noch nicht zu beanstanden, daß Klaus Mann in dem Roman Wahres und Erfundenes vermischt und dabei auch den Intimbereich berührt hat.
Aber auch diese umfassende Gewährleistung künstlerischer Schaffensfreiheit kann nicht bedeuten, daß künstlerisches Schaffen schrankenlos ausgeübt werden darf. Denn die Freiheit der Kunst ist kein i s o l i e r t e r Höchstwert der verfassungsmäßigen Wertordnung, dem alle anderen Werte unterzuordnen wären. Wo sie im einzelnen unter Berücksichtigung der vom Verfassungsgeber angeordneten besonders umfassenden Verbürgung ihre Grenzen findet, bedarf keiner ausführlichen Erörterung. Es kann insbesondere dahinstehen, ob es ohne weiteres zulässig wäre, diese Grenze - unter Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG als » Muttergrundrecht« - in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz und auch in den in diesem Rahmen erlassenen Gesetzen zu suchen (vgl. dazu BGH GoltdArch 1961,240 - Religionsdelikte; LM Nr. 22 zu Art. 5 GG - Reichstagsbrand; BayObLG aaO; OLG Hamburg aaO; zurückhaltender BVerwG aaO sowie Arndt und Stein aaO). Denn jedenfalls erfährt das Recht zur freien künstlerischen Betätigung in gewissem Umfang eine immanente Begrenzung mit Rücksicht auf das gleichfalls verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht. Diese Grenze ist überschritten, wenn das Lebensbild einer bestimmten Person, die derart deutlich erkennbar als Vorbild gedient hat wie im vorliegenden Falle, durch   f r e i e r f u n d e n e   Zutaten   g r u n d l e g e n d   negativ entstellt wird, ohne daß dies als satirische oder sonstige Übertreibung erkennbar ist. Nimmt der Künstler im Falle der Charakterisierung einer Person bewußt derartige Veränderungen des wirklichen Geschehens vor, dann kann und muß von ihm erwartet werden, daß er im Interesse des verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechts die Anknüpfung an das Vorbild unerkennbar macht. Im Streitfall ist das nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts nicht geschehen. Der Einbruch in die Persönlichkeitssphäre von Gründgens wäre allenfalls zu rechtfertigen, wenn das sich aus dem Roman ergebende Charakter- und Lebensbild von Höfgen mit den grundlegenden Wesenszügen und dem Persönlichkeitsbild von Gründgens, so wie dieses aus seinem Leben zu entnehmen ist, übereinstimmen würde. Unter dieser Voraussetzung können bei einer erkennbar romanhaften Darstellung tatsächliche Vorgänge, Gespräche und Erlebnisse hinzuerfunden werden, ohne daß die Grenzen der Freiheit der Kunst überschritten wären. Im vorliegenden Fall ist aber nicht geltend gemacht worden, daß Gründgens dem Typ des zynisch rücksichtslosen Opportunisten entsprach, der im Interesse seiner Karriere unter Verrat seiner früheren politischen Gesinnung engsten Umgang mit den Machthabern pflegt, der seine Geliebte der Gestapo ausliefert und Gefährdeten lediglich aus Berechnung hilft.
Nach alledem ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Verbreitung des angegriffenen Romans als Persönlichkeitsrechtsverletzung beurteilt hat.



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