Postmortaler Persönlichkeitsschutz und Freiheit der Kunst ("Mephisto-Beschluß")

BVerfG, Beschluß v. 24.02.1971  - 1 BvR 435/68


Fundstelle:

BVerfGE 30, 173
NJW 1971, 1645
Vgl. dazu BGHZ 50, 133; BGH v. 21.6.2005 - VI ZR 122/04 sowie BVerfG v. 13.6.2007 - 1 BvR 1783/05, NJW 2008, 39



Leitsätze:

a) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Sie gewährt zugleich ein individuelles Freiheitsrecht.
b) Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft nicht nur die künstlerische Betätigung, sondern auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks.
c) Auf das Recht der Kunstfreiheit kann sich auch ein Buchverleger berufen.
d) Für die Kunstfreiheit gelten weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG.
e) Ein Konflikt zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich ist nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung zu lösen; hierbei ist insbesondere die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen zu beachten.



Aus den Gründen:

A. I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das von dem Adoptivsohn und Alleinerben des verstorbenen Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens gegen die Beschwerdeführerin erwirkte Verbot, das Buch „Mephisto, Roman einer Karriere" von KLAUS MANN zu vervielfältigen, zu vertreiben und zu veröffentlichen.
Der Autor, der im Jahre 1933 aus Deutschland ausgewandert ist, hat den Roman 1936 im Querido-Verlag, Amsterdam, veröffentlicht. Nach seinem Tode im Jahre 1949 ist der Roman 1956 im Aufbau-Verlag in Ost-Berlin erschienen.
Der Roman schildert den Aufstieg des hochbegabten Schauspielers Hendrik Höfgen, der seine politische Überzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreift, um im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands eine künstlerische Karriere zu machen. Der Roman stellt die psychischen, geistigen und soziologischen Voraussetzungen dar, die diesen Aufstieg möglich machten.
Der Romanfigur des Hendrik Höfgen hat der Schauspieler Gustav Gründgens als Vorbild gedient. Gründgens war in den zwanziger Jahren, als er noch an den Hamburger Kammerspielen tätig war, mit Klaus Mann befreundet und mit dessen Schwester Erika Mann verheiratet, von der er nach kurzer Zeit wieder geschieden wurde. Zahlreiche. Einzelheiten der Romanfigur des Hendrik Höfgen - seine äußere Erscheinung, die Theaterstücke, an denen er mitwirkte, und ihre zeitliche Reihenfolge, der Aufstieg zum Preußischen Staatsrat und zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater - entsprechen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens. Auch an Personen aus der damaligen Umgebung von Gründgens lehnt sich der Roman an.
… C. I. Die in bezug auf das Verfahren vor dem OLG und dem BGH (vgl. NJW  1968, 1773) erhobenen Rügen einer Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind nicht gerechtfertigt. …
II. Soweit die angegriffenen Entscheidungen den mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung in analoger Anwendung negatorischer Zivilrechtsnormen für begründet erklärt haben, handelt es sich um Anwendung einfachen Rechts, die vom BVerfG - da Willkür offensichtlich ausscheidet - nicht nachgeprüft werden kann (BVerfGE 18, 85 [92 f., 96 f.] = NJW  1964, 1715). Dasselbe gilt für die Frage, ob der Kläger als Angehöriger des verstorbenen Gustaf Gründgens zivilrechtliche Unterlassungsansprüche aus eigenem Recht oder aus fortbestehenden Rechten des Verstorbenen geltend machen kann.
Jedoch hat das BVerfG zu prüfen, ob die angefochtenen Entscheidungen der Gerichte bei der Anwendung bürgerlich-rechtlicher Normen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruhen, deren Verletzung die Beschwerdeführerin gerügt hat, oder ob das Auslegungsergebnis selbst die geltend gemachten Grundrechte verletzt (BVerfGE 7, 198 [205 f.] = NJW  1958, 257; BVerfGE 21, 209 [216]). Soweit es um diese verfassungsrechtlichen Ausstrahlungswirkungen geht, handelt es sich in erster Linie um die Tragweite der von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommenen verfassungsverbürgten Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), sodann um das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), insbesondere um das Verhältnis dieser Grundrechte zu dem geschützten Persönlichkeitsbereich, den die Urteile dem verstorbenen Gustaf Gründgens nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG eingeräumt haben.
III. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt die Kunst neben der Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Mit dieser Freiheitsverbürgung enthält Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nach Wortlaut und Sinn zunächst eine objektive, das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm. Zugleich gewährleistet die Bestimmung jedem, der in diesem Bereich tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht.
1. Der Lebensbereich „Kunst" ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.
Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich" und den „Wirkbereich" des künstlerischen Schaffens. Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als einen ebenfalls kunstspezifischen Vorgang; dieser „Wirkbereich", in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird, ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG vor allem erwachsen ist. Allein schon der Rückblick auf das nationalsozialistische Regime und seine Kunstpolitik zeigt, daß die Gewährleistung der individuellen Rechte des Künstlers nicht ausreicht, die Freiheit der Kunst zu sichern. Ohne eine Erstreckung des personalen Geltungsbereichs der Kunstfreiheitsgarantie auf den Wirkbereich des Kunstwerks würde das Grundrecht weitgehend leerlaufen.
2. Wie weit die Verfassungsgarantie der Kunstfreiheit reicht und was sie im einzelnen bedeutet, läßt sich ohne tieferes Eingehen auf die sehr verschiedenen Äußerungsformen künstlerischer Betätigung in einer für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen Weise nicht erschöpfend darstellen. Für die Zwecke dieser Entscheidung bedarf es jedoch einer so weit ausgreifenden Erörterung nicht, da die Instanzgerichte - in Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten und soweit ersichtlich mit dem Urteil aller kompetenten Sachverständigen - dem hier zu beurteilenden Roman die Eigenschaft eines Kunstwerks mit Recht zuerkannt haben. Es genügt deshalb, auf die spezifischen Gesichtspunkte einzugehen, die bei der Beurteilung eines Werkes der erzählenden (epischen) Kunst in Betracht kommen können, das an Vorgänge der historischen Wirklichkeit anknüpft und bei dem deshalb die Gefahr eines Konfliktes mit schutzwürdigen Rechten und Interessen der in dem Werk dargestellten Personen gegeben ist.
Auch wenn der Künstler Vorgänge des realen Lebens schildert, wird diese Wirklichkeit im Kunstwerk „verdichtet". Die Realität wird aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht, für die nicht die „Realitätsthematik", sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht. Die Wahrheit des einzelnen Vorganges kann und muß unter Umständen der künstlerischen Einheit geopfert werden.
Sinn und Aufgabe des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist es vor allem, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten bestimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Ingerenz öffentlicher Gewalt freizuhalten. Die Art und Weise, in der der Künstler der Wirklichkeit begegnet und die Vorgänge gestaltet, die er in dieser Begegnung erfährt, darf ihm nicht vorgeschrieben werden, wenn der künstlerische Schaffensprozeß sich frei soll entwickeln können. Über die „Richtigkeit" seiner Haltung gegenüber der Wirklichkeit kann nur der Künstler selbst entscheiden. Insoweit bedeutet die Kunstfreiheitsgarantie das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken, insbesondere den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen, oder allgemein verbindliche Regeln für diesen Schaffensprozeß vorzuschreiben. Für das erzählende Kunstwerk ergibt sich daraus im besonderen, daß die Verfassungsgarantie die freie Themenwahl und die freie Themengestaltung umfaßt, indem sie dem Staat verbietet, diesen Bereich spezifischen künstlerischen Ermessens durch verbindliche Regeln oder Wertungen zu beschränken. Das gilt auch und gerade dort, wo der Künstler sich mit aktuellem Geschehen auseinandersetzt; der Bereich der „engagierten" Kunst ist von der Freiheitsgarantie nicht ausgenommen.
3. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die hier eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben. Da ein Werk der erzählenden Kunst ohne die Vervielfältigung, Verbreitung und Veröffentlichung durch den Verleger keine Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten könnte, der Verleger daher eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum ausübt, erstreckt sich die Freiheitsgarantie auch auf seine Tätigkeit. Die Beschwerdeführerin als Verleger des Romans kann sich deshalb auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen (vgl. auch BVerfGE 10, 118 [121] = NJW  1960, 29; BVerfGE 12, 205 [260] = NJW  1961, 547 zur Pressefreiheit).
4. Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Versuche, die Kunstfreiheitsgarantie durch wertende Einengung des Kunstbegriffes, durch erweiternde Auslegung oder Analogie auf Grund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen einzuschränken, müssen angesichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolglos bleiben.
Unanwendbar ist insbesondere, wie auch der BGH mit Recht annimmt, Art. 5 Abs. 2 GG, der die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG beschränkt. Die systematische Trennung der Gewährleistungsbereiche in Art. 5 GG weist den Abs. 3 dieser Bestimmung gegenüber Abs. 1 als lex specialis aus und verbietet es deshalb, die Schranken des Abs. 2 auch auf die in Abs. 3 genannten Bereiche anzuwenden. Ebensowenig wäre es angängig, aus dem Zusammenhang eines Werkes der erzählenden Kunst einzelne Teile herauszulösen und sie als Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen, auf die dann die Schranken des Abs. 2 Anwendung fänden. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 3 GG bietet keinen Anhalt für die Annahme, daß der Verfassunggeber die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit habe betrachten wollen.
Die Äußerung des Abgeordneten v. MANGOLDT in der Sitzung des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rats v. 5. 10. 1948, daß die Gewährleistung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in unmittelbarer Verbindung mit der Freiheit der Meinungsäußerung stehe (JÖR N. F. Bd. 1, 89 ff.), sollte die Stellung des damals noch selbständigen Artikels unmittelbar hinter den Garantien der Meinungsfreiheit erklären. Sie ging also gerade von der Selbständigkeit der Regelungsbereiche aus. Von Bedeutung ist auch die Stellungnahme des Allgem. Redaktionsausschusses v. 16. 12. 1948 (Parl.RatDrucks. 370), in der das Zensurverbot ausdrücklich für das Theater mit der Begründung gefordert wurde, daß durch den im Entwurf enthaltenen Art. 7 (dem jetzigen Art. 5 Abs. 3 GG) die Freiheit des Theaters noch nicht garantiert werde, daß nicht jede Theateraufführung Kunst zu sein brauche.
Zu berücksichtigen ist ferner, daß für den Verfassunggeber auf Grund der Erfahrungen aus der Zeit des NS-Regimes, das Kunst und Künstler in die völlige Abhängigkeit politisch-ideologischer Zielsetzungen versetzt oder zum Verstummen gebracht hatte, begründeter Anlaß bestand, die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des Sachbereichs Kunst besonders zu garantieren.
Abzulehnen ist auch die Meinung, daß die Freiheit der Kunst gemäß Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG durch die Rechte anderer, durch die verfassungsmäßige Ordnung und durch das Sittengesetz beschränkt sei. Diese Ansicht ist unvereinbar mit dem vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung anerkannten Verhältnis der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG zur Spezialität der Einzelfreiheitsrechte (vgl. u.a. BVerfGE 6, 32 [36 ff.] = NJW  1957, 297; BVerfGE 9, 63 [73] = NJW  1959, 188; BVerfGE 9, 73 [77] = NJW  1959, 667; BVerfGE 9, 338 [343] = NJW  1959, 1579; BVerfGE 10, 55 [58] = NJW  1959, 1627; BVerfGE 10, 185 [199] = NJW  1960, 139; BVerfGE 11, 234 [238]; BVerfGE 21, 227 [234] = NJW  1967, 1315; BVerfGE 23, 50 [55 f.]), das eine Erstreckung des Gemeinschaftsvorbehalts des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 auf die durch besondere Grundrechte geschützten Lebensbereiche nicht zuläßt. Aus den gleichen Erwägungen verbietet sich, Art. 2 Abs. 1 GG als Auslegungsregel zur Interpretation des Sinngehalts von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG heranzuziehen. Diese Schrankenregelung ist auch nicht auf den „Wirkbereich" der Kunst anzuwenden.
5. Andererseits ist das Freiheitsrecht nicht schrankenlos gewährt. Die Freiheitsverbürgung in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geht wie alle Grundrechte vom Menschenbild des Grundgesetzes aus, d. h. vom Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet (BVerfGE 4, 7 [15, 16] = NJW  1954, 1235; BVerfGE 7, 198 [205] = NJW  1958, 257; BVerfGE 24, 119 [144] = NJW  1968, 2233; BVerfGE 27, 1 [7] = NJW  1969, 1707). Jedoch kommt der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts die Bedeutung zu, daß die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind. Da die Kunstfreiheit keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält, darf sie weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Kunstfreiheit insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht (BVerfGE 6, 32 [41] = NJW  1957, 297; BVerfGE 27, 1 [6] = NJW  1969, 1707). Dennoch kann die Kunstfreiheitsgarantie mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich in Konflikt geraten, weil ein Kunstwerk auch auf der sozialen Ebene Wirkungen entfalten kann.
Daß im Zugriff des Künstlers auf Persönlichkeits- und Lebensdaten von Menschen seiner Umwelt der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Dargestellten betroffen sein kann, ist darin begründet, daß ein solches Kunstwerk nicht nur als ästhetische Realität wirkt, sondern daneben ein Dasein in den Realien hat, die zwar in der Darstellung künstlerisch überhöht werden, damit aber ihre sozialbezogenen Wirkungen nicht verlieren. Diese Wirkungen auf der sozialen Ebene entfalten sich „neben" dem eigenständigen Bereich der Kunst; gleichwohl müssen sie auch im Blick auf den Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewürdigt werden, da die „reale" und die „ästhetische" Welt im Kunstwerk eine Einheit bilden.
6. Die Gerichte haben in diesem Zusammenhang mit Recht zur Beurteilung der Schutzwirkungen aus dem Persönlichkeitsbereich des verstorbenen Schauspielers Gründgens Art. 1 Abs. 1 GG wertend herangezogen. Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.
Der BGH und das OLG erkennen darüber hinaus auch nach Art. 2 Abs. 1 GG Ausstrahlungswirkungen für den zivilrechtlichen Schutzbereich um die Person des verstorbenen Schauspielers Gründgens an, wenn auch in einem durch sein Ableben bedingten eingeschränkten Umfang. Die Fortwirkung eines Persönlichkeitsrechts nach dem Tode ist jedoch zu verneinen, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist; mit ihrem Tode erlischt der Schutz aus diesem Grundrecht. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG setzt die Existenz einer wenigstens potentiell oder zukünftig handlungsfähigen Person als unabdingbar voraus. Daran vermag auch die Erwägung des BGH nichts zu ändern, daß die Rechtslage nach dem Tode für die freie Entfaltung der Person zu ihren Lebzeiten nicht ohne Belang sei. Die Versagung eines Persönlichkeitsschutzes nach dem Tode stellt keinen Eingriff dar, der die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.
7. Die Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und dem Recht auf Kunstfreiheit kann deshalb nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben, sondern muß auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Das Menschenbild, das Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegt, wird durch die Freiheitsgarantie in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso mitgeprägt, wie diese umgekehrt von der Wertvorstellung des Art. 1 Abs. 1 GG beeinflußt ist. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ist ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet, wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf.
Die Entscheidung darüber, ob durch die Anlehnung der künstlerischen Darstellung an Persönlichkeitsdaten der realen Wirklichkeit ein der Veröffentlichung des Kunstwerks entgegenstehender schwerer Eingriff in den schutzwürdigen Persönlichkeitsbereich des Dargestellten zu befürchten ist, kann nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild" gegenüber dem „Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, daß das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur" objektiviert ist. Wenn eine solche das Kunstspezifische berücksichtigende Betrachtung jedoch ergibt, daß der Künstler ein „Porträt" des „Urbildes" gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, kommt es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der „Verfälschung" für den Ruf des Betroffenen oder für sein Andenken an.
IV. Das BVerfG hat danach zu entscheiden, ob die Gerichte der von ihnen vorgenommenen Abwägung zwischen dem durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsbereich des verstorbenen Gustaf Gründgens und seines Adoptivsohnes und der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstfreiheit den dargelegten Grundsätzen Rechnung getragen haben. Bei der Entscheidung dieser Frage ergab sich im Senat Stimmengleichheit. Infolgedessen konnte gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG nicht festgestellt werden, daß die angefochtenen Urteile gegen das GG verstoßen.
1. Die Heranziehung des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Gerichte ist, wie oben dargelegt, zu Unrecht erfolgt. Dies ist jedoch unschädlich, weil die in erster Linie gegebene Begründung aus Art. 1 Abs. 1 GG die Entscheidung trägt.
2. Das OLG als letzte Tatsacheninstanz hat festgestellt, bei Gründgens handle es sich um eine Person der Zeitgeschichte und die Erinnerung des Publikums an ihn sei noch lebendig. Auf Grund dieser Feststellungen sind das OLG und der BGH davon ausgegangen, daß der Schutz des Achtungsanspruchs des verstorbenen Gründgens im sozialen Raum noch fortdauere. Hierbei hat der BGH zutreffend berücksichtigt, daß das Schutzbedürfnis - und entsprechend die Schutzverpflichtung - in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblaßt und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt. Diese Anwendung des Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht zu beanstanden. Andererseits gehen die Gerichte davon aus, daß es sich bei dem Roman des verstorbenen Klaus Mann um ein Kunstwerk im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG handelt und daß sich auch die Beschwerdeführerin auf dieses Grundrecht berufen kann. Hiernach haben die Gerichte die verfassungsrechtliche erhebliche Spannungslage zwischen den durch die Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen erkannt. Sie haben deren Lösung in einer Abwägung der widerstreitenden Interessen gesucht.
3. Das BVerfG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß gerichtliche Entscheidungen auf eine Verfassungsbeschwerde hin nur in engen Grenzen nachgeprüft werden können (BVerfGE 22, 93 [97] = NJW  1967, 1507), daß insbesondere die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das BVerfG entzogen sind (BVerfGE 18, 85 [92] = NJW  1964, 1715]). Diese Grundsätze gelten auch bei der Nachprüfung der hier in Rede stehenden Abwägung zwischen den nach Art. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen zweier Parteien eines Zivilrechtsverhältnisses. Diese Abwägung ist zunächst den zuständigen Gerichten im Rahmen der Anwendung und Auslegung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften aufgetragen. Die Aufgabe des Zivilrichters besteht in derartigen Fällen darin, auf Grund einer wertenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles - unter Beachtung des allgemeinen Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) - die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Partei zu konkretisieren. Das Grundrecht der jeweils unterlegenen Partei ist nicht schon dann verletzt, wenn bei dieser dem Richter aufgetragenen Abwägung widerstreitender Belange die von ihm vorgenommene Wertung fragwürdig sein mag, weil sie den Interessen der einen oder der anderen Seite zu viel oder zu wenig Gewicht beigelegt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 [93] = NJW  1964, 1715; BVerfGE 22, 93 [99 f.] = NJW  1967, 1507). Das BVerfG ist nicht befugt, seine eigene Wertung des Einzelfalles nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Es kann vielmehr in derartigen Fällen eine Verletzung des Grundrechts der unterlegenen Partei nur feststellen, wenn der zuständige Richter entweder nicht erkannt hat. daß es sich um eine Abwägung widerstreitender Grundrechtsbereiche handelt, oder wenn seine Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des einen oder anderen der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihrer Schutzbereiche, beruht.
Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidungen nach diesen Maßstäben ergibt: Das OLG und der BGH haben erkannt, daß eine Spannungslage zwischen den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereichen besteht und daß diese durch eine Abwägung gelöst werden muß. Würdigt man die angefochtenen Entscheidungen in ihrem Gesamtzusammenhang, so ist nicht festzustellen, daß sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und vom Umfang des Schutzbereiches der beiden Grundrechte beruhen. Insbesondere lassen die Entscheidungen keine fehlerhafte Auffassung vom Wesen des bei der Abwägung unterlegenen Grundrechts, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, erkennen. Die Gerichte haben nicht allein auf die Wirkungen des Romans im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben, sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen. Sie haben eingehend und sorgfältig dargelegt, daß die Romanfigur des Hendrik Höfgen in so zahlreichen Einzelheiten dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens derart deutlich entspreche, daß ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in Höfgen Gründgens wiedererkenne. Ob dies richtig ist, hat das BVerfG nicht zu entscheiden; jedenfalls liegt darin die maßgebliche Wertung der Tatsachen durch die Gerichte, daß das „Abbild" Höfgen gegenüber dem „Urbild" Gründgens durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Romans nicht so verselbständigt und in der Darstellung künstlerisch transzendiert sei, daß das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur" genügend objektiviert erscheine. Die Gerichte haben auch eingehend erörtert, daß der Autor ein grundlegend negatives Persönlichkeits- und Charakterbild des Höfgen und damit des verstorbenen Gründgens gezeichnet habe, das in zahlreichen Einzelheiten unwahr, durch erfundene, die Gesinnung negativ kennzeichnende Verhaltensweisen - namentlich das erdichtete Verhalten gegenüber der schwarzen Tänzerin - angereichert sei und verbale Beleidigungen und Verleumdungen enthalte, die Gründgens durch die Person des Höfgen zugefügt worden seien. Das OLG hat - vom BGH unbeanstandet - den Roman als „Schmähschrift in Romanform" bezeichnet. Es gibt keine hinreichenden Gründe, dieser von den Gerichten vorgenommenen Wertung entgegenzutreten, daß der Autor ein negativ-verfälschendes Porträt des „Urbildes" Gründgens gezeichnet habe.
Das von den Gerichten gefundene Ergebnis, daß bei dieser Sach- und Rechtslage der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch versage, kann schließlich auch nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden, der Erlaß des Veröffentlichungsverbots stehe außer Verhältnis zu der zu erwartenden Beeinträchtigung des Achtungsanspruchs des verstorbenen Gustaf Gründgens. Das BVerfG hat zwar wiederholt betont, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang hat (vgl. BVerfGE 19, 342 [348 f.] = NJW  1966, 243) und deshalb bei allen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in den Freiheitsbereich des Bürgers beachtet werden muß. Um einen derartigen Eingriff handelt es sich hier jedoch nicht. Die Gerichte hatten lediglich einen von dem einen gegen den anderen Bürger geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch zu beurteilen, d. h. ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis im Einzelfall zu konkretisieren. Zur Beurteilung von Grund und Höhe eines zivilrechtlichen Anspruchs, etwa eines Schadensersatzanspruchs, können diejenigen Erfordernisse, die von Verfassungs wegen im Verhältnis des Bürgers zum Staat bei Eingriffen in die Freiheitssphäre des Einzelnen zu beachten sind, auch nicht entsprechend herangezogen werden. Aufgabe des bürgerlichen Rechts ist es in erster Linie, Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten möglichst sachgerecht zu lösen. Demgemäß kann das BVerfG das durch die angefochtenen Urteile ausgesprochene Veröffentlichungsverbot nur daraufhin nachprüfen, ob Art. 3 Abs. 1 GG beachtet ist. Das ist zu bejahen. Die Gerichte haben erwogen, ob die Veröffentlichung des Romans mit einem „klarstellenden Vorwort" (eingeschränktes Veröffentlichungsverbot) zugelassen werden könne; sie haben sich mit den Gründen, die nach ihrer Ansicht für oder gegen ein absolutes oder ein eingeschränktes Veröffentlichungsverbot sprechen, auseinandergesetzt und sich schließlich für das Veröffentlichungsverbot entschieden. Die diesem Verbot zugrunde liegenden Erwägungen sind nicht sachfremd und daher nicht willkürlich.
V. Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG entfällt schon deshalb, weil diese Bestimmung mangels Vorliegens einer Meinungsäußerung nicht anzuwenden ist. Künstlerische Aussagen bedeuten, auch wenn sie Meinungsäußerungen enthalten, gegenüber diesen Äußerungen ein aliud. Insoweit ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG eine lex specialis. Ebensowenig ist für eine besondere Prüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 und 3 GG Raum (vgl. BVerfGE 13, 290 [296] = NJW  1962, 437).

Abweichende Meinung des Bundesverfassungsrichters DR. ... (hier nicht wiedergegeben)


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