Testierfreiheit und Sittenwidrigkeit des "Geliebtentestaments"


BGH, Beschluß vom 31.3.1970 - III ZB 23/68


Fundstelle:

BGHZ 53, 369
s. auch
BGHZ 52, 17


Amtl. Leitsätze:

1. Auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist eine weitere Beschwerde gegen den Beschluß, durch den das Armenrecht verweigert oder entzogen wird, ausgeschlossen.
2. Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines »Geliebten-Testaments«.


Zum Sachverhalt:

Der im Jahre 1965 im Alter von 59 Jahren verstorbene Erblasser, der in kinderloser Ehe verheiratet war, hatte von etwa 1942 bis zu seinem Tode mit der ebenfalls verheirateten, seit 1964 geschiedenen Frau M. wie Mann und Frau zusammen- gelebt. Frau M. nimmt auf Grund eines privatschriftlichen Testaments vom 8. Februar 1948 an dem Nachlaß des Erblassers eine Erbberechtigung in Anspruch. Das Testament hat folgenden Wortlaut:

Mein letzter Wille!

Hiermit bestimme ich daß Frau M. meine alleinige Erbin sein soll.

Meine Ehefrau, von der ich seit 7 Jahren getrennt lebe, und die ich bei unserer Trennung... entschädigt habe, soll von jeder Erbschaft ausgeschlossen sein.

Durch obenstehende Verfügung trage ich an Frau M., die mir in schweren Stunden eine Stütze war, eine Dankesschuld ab.

Frau M. beantragte zunächst - im Ergebnis ohne Erfolg -, ihr auf Grund des Testaments einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen. Das Landgericht wies diesen Antrag durch Beschluß vom 20. Februar 1967 mit der Begründung zurück, das Testament sei insoweit gemäß § 138 BGB nichtig, als es die Witwe des Erblassers von der Erbfolge ausschließe, da es auf dem ehebrecherischen Umgang der Antragstellerin mit dem Erblasser beruhe. In dem auf weitere Beschwerde der Antragstellerin ergangenen Beschluß des Kammergerichts vom 3. April 1967 hieß es ausdrücklich, es sei nicht darüber zu entscheiden, ob das Testament auch in Höhe des Erbteils, der nach dem Gesetz nicht an die Witwe falle, sittenwidrig sei.

Die Witwe des Erblassers beantragte daraufhin, ihr einen Teilerbschein als gesetzlicher Erbin zu drei Vierteln des Nachlasses zu erteilen. Frau M. stellte den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie als Erbin auf Grund Testaments zu einem Viertel und die Witwe des Erblassers als gesetzliche Erbin zu drei Vierteln ausweisen sollte. Die beiden Geschwister des Erblassers - K. W. und G. G. - beantragten, ihnen Teilerbscheine als gesetzliche Erben zu je einem Achtel des Nachlasses zu erteilen.

Im Dezember 1967 erteilte das Nachlaßgericht einen Teilerbschein, nach dem der Erblasser von seiner Witwe zu drei Vierteln des Nachlasses beerbt worden ist. Durch Verfügung vom 25. Januar 1968 stellte das Nachlaßgericht in Aussicht, daß es dem Antrag der Frau M. auch im übrigen stattgeben werde, da das Testament des Erblassers insoweit nicht sittenwidrig sei, als es nur die Geschwister des Erblassers enterbe. Durch Beschluß vom selben Tage wies das Nachlaßgericht wegen fehlender Erfolgsaussicht das Gesuch der Geschwister K. W. und G. G. zurück, ihnen für das Erbscheinsverfahren das Armenrecht unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.

K. Nw. und G. G. haben sowohl gegen den Vorbescheid als auch gegen den das Armenrecht versagenden Beschluß des Nachlaßgerichts Beschwerde eingelegt und im wesentlichen geltend gemacht: Das Testament sei insgesamt sittenwidrig. Es beruhe allein auf den erotischen Beziehungen des Erblassers zu Frau M.

Die Sittenwidrigkeit erfasse das Testament auch insoweit, als damit die Geschwister des Erblassers von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen seien; die Einsetzung einer Geliebten zur Erbin sei gegenüber allen Verwandten des Erblassers unsittlich. Im übrigen werde durch die geplante Teilerbfolge auch die Witwe des Erblassers betroffen. Sie würde die Geliebte zu ihrer Miterbin erhalten und müsse sich mit ihr auseinandersetzen; eine derartige Auseinandersetzung mit einer Ehebrecherin könne einer Ehefrau nicht zugemutet werden.

Das Landgericht hat durch Beschluß vom 25. März 1968 die Beschwerden von K. W. und G. G. zurückgewiesen. Ihre weitere Beschwerde wurde auf Vorlage des Kammergerichts, das sich an der von ihm beabsichtigten Zurückweisung der weiteren Beschwerde durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 1968 - III ZR 38/65 - (NJW 1968,932) gehindert gesehen hat, vom Bundesgerichtshof insoweit, als sie sich gegen die Versagung des Armenrechts richtete, als unzulässig verworfen, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

I. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 FGG liegen vor, weil das Kammergericht bei der Auslegung einer reichs-(bundes-) gesetzlichen Vorschrift, die eine der in § 1 FGG näher bezeichneten Angelegenheiten betrifft, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die über diese Rechtsfrage bereits ergangen ist, abweichen will. (Wird ausgeführt.)

II. Da die Vorlegung nach § 28 Abs. 2 FGG mit Recht erfolgt ist, entscheidet nunmehr gemäß § 28 Abs. 3 FGG der Bundesgerichtshof über die weitere Beschwerde .... (wird ausgeführt).

III.

1. Soweit die weitere Beschwerde die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Vorbescheid des Amtsgerichts vom 25. Januar 1968 betrifft, mit dem das Nachlaßgericht die Erteilung des von Frau M. beantragten Erbscheins angekündigt hat, ist sie ebenso wie die genannte Beschwerde zulässig (§ 19 Abs. 1, §§ 20,27 FGG; BGHZ 20,255, 257); sie ist auch formgerecht eingelegt (§ 29 FGG). In der Sache hat die weitere Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

2. ...

3. Das Landgericht kommt zu dem Ergebnis, daß die Berufung der Frau M. zur Erbin des Erblassers auf Grund des Testaments vom 8. Februar 1948 insoweit nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei, als die Geschwister des Erblassers, die ohne das Testament nach § 1925 BGB neben seiner Witwe (§ 1371 Abs. 1, § 1931 BGB) zu je einem Achtel Anteil zu gesetzlichen Erben berufen sein würden, durch die Erbeinsetzung von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen werden. Das Landgericht hat hierzu im wesentlichen ausgeführt: Es sei nicht sittenwidrig, daß der Erblasser Frau M., mit der er viele Jahre zusammen gelebt habe, seinen Geschwistern bei der Regelung der Erbfolge vorgezogen habe. Deshalb sei das Testament insoweit, als es die Geschwister des Erblassers enterbe, wirksam. Eine letztwillige Zuwendung als Belohnung für ehebrecherische Beziehungen sei sittlich nur zu mißbilligen, soweit die Ehefrau des Erblassers und etwaige pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge dadurch benachteiligt würden. Die Geschwister des Erblassers könnten sich jedoch nicht darauf berufen, daß das Testament auch ihnen gegenüber unwirksam sei. Sie könnten vom Erblasser aus jedem beliebigen Grund von der Erbfolge ausgeschlossen werden. § 139 BGB stehe der Teilwirksamkeit des Testaments nicht entgegen.

4. Im Ergebnis ist den Ausführungen des Landgerichts zuzustimmen.

a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit jeher anerkannt, daß eine letztwillige Verfügung nicht schon deshalb sittenwidrig ist, weil sie die Angehörigen des Erblassers »zurücksetzt«, d. h. von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt. Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist von dem Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht. In der Freiheit, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen, wird der Erblasser auch durch das der gesetzlichen Erbfolge zugrunde liegende sittliche Prinzip (Gernhuber, FamRZ 1960,326 ff) regelmäßig nicht beschränkt. Diesem Prinzip ist der autonome Wille des Erblassers grundsätzlich übergeordnet; ein Noterbrecht zugunsten nächster Angehöriger, wie es ausländische Rechtsordnungen kennen, ist dem deutschen Erbrecht unbekannt. Eine Schranke findet die Testierfreiheit neben der Bindung an wechselbezügliche letztwillige Verfügungen und Erbverträge in dem Pflichtteilsrecht des Ehegatten, der Abkömmlinge und der Eltern des Erblassers (§§ 2303 ff BGB), das der Erblasser nur in Ausnahmefällen entziehen oder beschränken kann.

Außerhalb des Bereichs der Pflichtteilsrechte haben nach der Wertordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches jedenfalls für den Regelfall Ehe und Verwandtschaft gegenüber der Testierfreiheit des Erblassers zurückzutreten.

Dabei ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, welche Beweggründe den Erblasser veranlaßt haben, bei der Verteilung seines Nachlasses von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. Der letzte Wille des Erblassers ist grundsätzlich auch dort zu respektieren, wo er in seiner Motivierung keine besondere Achtung verdient. Sein letzter Wille soll wenn immer und soweit wie möglich gewahrt bleiben. In diesem Dienst stehen unter anderem auch die den gesetzlichen Erben belastenden Regeln, insbesondere die Regeln der §§ 2084 bis 2086 BGB, nach denen zur Verwirklichung des »Erhaltungsgedankens« eine letztwillige Verfügung wohlwollend auszulegen ist.

b) Auf der Grundlage dieser Wertordnung des Gesetzgebers, die bei der Beurteilung, wann und in welchem Umfang eine letztwillige Zuwendung wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, nicht unberücksichtigt bleiben darf, muß die Überprüfung einer letztwilligen Zuwendung des Erblassers an seine Geliebte und der damit verbundenen Zurücksetzung von Angehörigen des Erblassers auf ihre Vereinbarkeit mit den guten Sitten an dem Rechtsgeschäft selbst ansetzen. Der sittliche Vorwurf, der dem Erblasser und (oder) der Bedachten wegen ihrer Lebensführung zu machen ist, kann für sich allein genommen einen entscheidenden Einfluß auf die Testierfreiheit des Erblassers oder die Erbwürdigkeit der Bedachten, die nur in den besonderen Fällen der §§ 2339 ff BGB ausgeschlossen ist, nicht gewinnen. Es geht im Rahmen des § 138 BGB nicht entscheidend um die Beurteilung eines Verhaltens einer Person und um Sanktionen für unsittliches Verhalten, sondern es geht allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts, bei der naturgemäß die Art des Verhaltens der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten von Bedeutung werden kann. Mithin hat sich bei der Frage, ob eine Zuwendung von Todes wegen im Sinne des § 138 BGB unter den hier interessierenden Gesichtspunkten sittenwidrig ist oder nicht, die Beurteilung grundsätzlich nicht auf die zwischen dem Erblasser und der Bedachten bestehenden sexuellen Beziehungen als solche zu beschränken. Vielmehr ist die Beurteilung entscheidend auf die Frage zu erstrecken, inwieweit diese Beziehungen, die für sich allein genommen ein selbständiges Entscheidungskriterium nicht darstellen, die letztwilligen Verfügungen (Rechtsgeschäfte) des Erblassers als sittenwidrig erscheinen lassen. Der entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung als Rechtsgeschäft liegt in der unredlichen Gesinnung des Erblassers, wie sie in dem Rechtsgeschäft selbst zum Ausdruck kommt und eine Verwirklichung erstrebt (BGHZ 20,71, 73/4). Es kommt deshalb allein auf den sich aus Inhalt, Beweggrund und Zweck ergebenden Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts an, der an der Sittenordnung zu messen ist. Zwar können, wenn der Charakter des Rechtsgeschäfts beurteilt werden soll, bei letztwilligen Zuwendungen an die Geliebte die Beziehungen des Erblassers zu der Bedachten nicht außer Betracht bleiben. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß nicht diese Beziehungen, sondern allein die letztwillige Zuwendung, also die Art und Weise, in der der Erblasser seinen Nachlaß verteilt wissen will, auf ihre Vereinbarkeit mit den guten Sitten zu prüfen ist.

Eine im Ansatzpunkt andere Auffassung ist auch bisher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vertreten worden. Soweit in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, die bisher zu der Sittenwidrigkeit letztwilliger Zuwendungen des Erblassers an seine Geliebte ergangen sind, die Beziehungen des Erblassers zu der Bedachten gewürdigt und an der Sittenordnung gemessen worden sind, ist dies nur deshalb geschehen, um vor diesem Hintergrund in der gebotenen Gesamtschau Inhalt, Beweggrund und Zweck der letztwilligen Zuwendung beurteilen zu können.

Danach ergibt sich: Wenn ein Erblasser die Frau, zu der er außereheliche, insbesondere ehebrecherische Beziehungen unterhalten hat, dadurch, daß er sie durch letztwillige Verfügung bedenkt, für die geschlechtliche Hingabe entlohnen oder zur Fortsetzung der sexuellen Beziehungen bestimmen oder diese festigen will, dann ist - zumindest in aller Regel - die letztwillige Verfügung schon wegen dieses der Zuwendung zugrunde liegenden Beweggrundes sittenwidrig und nichtig (BGH LM Nr. 2 zu § 138 [Cd] BGB in. weit. Nachw.). In gleicher Weise müßte auch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, durch das einer Frau für ehebrecherische Beziehungen eine Belohnung gewährt oder sie zur Fortsetzung derartiger Beziehungen bestimmt werden soll, als sittenwidrig und nichtig erachtet werden. Trägt aber die letztwillige Verfügung nicht ausschließlich einen derartigen Entgeltcharakter, bildet mithin nicht allein die Belohnung für geschlechtlichen Umgang oder die Bestimmung zu einem solchen den Grund für die Zuwendung an die Bedachte, dann kann auch nicht allein mit der Tatsache, daß die Bedachte zu dem Erblasser in sexuellen Beziehungen gestanden hat, die Sittenwidrigkeit des Zuwendungsgeschäfts begründet werden. Infolgedessen kann auch der Umstand, daß eine letztwillige Zuwendung ohne dievon der Sittenordnung mißbilligten Lebens- und Liebesbeziehungen des Erblassers zu der Bedachten nicht gemacht worden wäre, es für sich allein genommen nicht schlechthin rechtfertigen, der letztwilligen Zuwendung selbst die rechtliche Anerkennung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zu versagen. Denn die Wertung, ob und inwieweit außereheliche Geschlechtsbeziehungen vom Makel der Sittenwidrigkeit betroffen werden, liegt grundsätzlich auf einer anderen Ebene als die entsprechende Beurteilung eines Rechtsgeschäfts, das - wie in der Regel die letztwillige Verfügung - ausschließlich die materielle Gütersphäre betrifft.

Für die Beurteilung einer letztwilligen Verfügung - soweit diese nicht ausschließlich Entgeltcharakter in dem oben beschriebenen Sinne hat - kommt es unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit nach alledem wesentlich auf den Inhalt dieses Rechtsgeschäfts unter Einschluß seiner Auswirkungen an. Deshalb ist neben der Frage, welche Beziehungen den Erblasser mit der Bedachten verbunden haben (und auch, aus welchem Grunde und in welcher Weise sie bedacht worden ist), in Würdigung des Gesamtcharakters der letztwilligen Verfügung insbesondere zu berücksichtigen, wer zugunsten der Bedachten zurückgesetzt worden ist, in welchen Beziehungen der Erblasser zu den Zurückgesetzten stand und wie sich die Verfügung für diese Zurückgesetzten auswirkt; ob es ihnen insbesondere zugemutet werden kann, die Bedachte so, wie sie durch die letztwillige Verfügung eingesetzt worden ist (Alleinerbin, Miterbin, Vermächtnisnehmerin), anzuerkennen. Dabei wird in der Regel die Zurücksetzung um so schwerer wiegen, je enger das familienrechtliche Verhältnis war, in dem die Zurückgesetzten zu dem Erblasser standen, wenn vor allem Ehefrau und Kinder zugunsten der Bedachten zurückgesetzt worden sind. Es kann aber durchaus die Gültigkeit der Verfügung auch dann in Frage gestellt sein, wenn der Erblasser entferntere Verwandte oder sonstige Personen zugunsten der Bedachten hat zurücktreten lassen, die bei dem gegebenen Sachverhalt nach der Auffassung »aller billig und gerecht Denkenden« nicht hätten zurückgesetzt werden dürfen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn etwa eine entfernte Verwandte oder sonstige Bekannte den Erblasser lange Zeit aufopfernd gepflegt oder sonstige erhebliche Opfer für ihn gebracht hat, dieser aber das zunächst zugunsten dieser Person errichtete Testament später durch ein solches zugunsten einer Geliebten oder auch zugunsten einer anderen, ihm ganz fern- stehenden Person, die keinerlei »moralischen« Anspruch auf eine Zuwendung hat, ersetzt. Neben der Enge der familienrechtlichen und sonstigen Beziehungen des Erblassers zu den zurückgesetzten Personen wird von Bedeutung sein, wie diese Personen im übrigen wirtschaftlich gestellt sind und wie sich die Bevorzugung der Bedachten für sie wirtschaftlich auswirkt. Auch wird erheblich sein können das rechtliche Verhältnis, in das die Bedachte auf Grund der letztwilligen Verfügung zu den Zurückgesetzten tritt. Ferner wird gegebenenfalls die Frage Berücksichtigung verdienen, woher das der Bedachten zugewandte Vermögen stammt, wenn etwa ein in zweiter Ehe verheiratet gewesener Erblasser seine Geliebte zur Erbin einsetzt unter Zurückstellung seiner erst- ehelichen Kinder, obwohl das vermachte Vermögen im wesentlichen von der Mutter dieser zurückgesetzten Kinder stammt. Auf der anderen Seite wird aber auch das Verhalten der »zurückgesetzten« Personen in Betracht gezogen werden müssen, insbesondere ob und in welcher Weise diese zu einer gegebenenfalls eingetretenen Entfremdung zwischen ihnen und dem Erblasser selbst beigetragen haben. Ihre Zurückhaltung wird um so eher als nicht anstößig erachtet werden dürfen, je weniger ihr Verhalten dem entsprach, was von ihnen wegen ihrer Beziehungen zu dem Erblasser hätte erwartet werden dürfen und müssen, ohne daß es einen solchen Grad von Feindseligkeit erreicht zu haben braucht, wie er gemäß §§ 2333 bis 2335 und 2339 BGB Voraussetzung für Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit ist. Ebenso werden auf seiten der Bedachten die Art und Dauer der Beziehungen zu dem Erblasser, gegebenenfalls die Opfer, die sie für den Erblasser gebracht hat, sowie sonstige Umstände Berücksichtigung erheischen, die eine letztwillige Verfügung zu ihren Gunsten als gerechtfertigt oder zumindest weniger anstößig erscheinen lassen können. In diesem Zusammenhang kann als gegen die Sittenwidrigkeit der Zuwendung sprechend neben etwa für den Erblasser erbrachten Opfern in Betracht kommen, daß der Erblasser an der Bedachten begangenes Unrecht gutmachen, daß er seiner Verantwortung für die etwa von - ihm erzeugten Kinder Rechnung tragen will, und dergleichen.

Mit dem Gesagten sind jedoch die Umstände, die bei einer Gesamtwürdigung einer letztwilligen Verfügung, die ein Erblasser zugunsten einer »Geliebten« getroffen hat, im Rahmen des § 138 BGB Bedeutung erlangen können, keineswegs erschöpft. Die vorstehenden Erwägungen können lediglich beispielhaft verdeutlichen, welche Umstände im Rahmen einer solchen Würdigung entscheidungserheblich werden können.

c) Was die Frage der Beweislast angeht, so gilt im Rahmen der hier zur Beurteilung stehenden Fragen nichts von den allgemeinen Grundsätzen Abweichendes. Es hat mithin jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen für eine von ihr in Anspruch genommene günstige Rechtsfolge darzutun und zu beweisen, d. h. sie hat für den Fall der Nichterweislichkeit dieser Tatsachen die Folgen zu tragen und kann die für sie günstige Rechtsfolge nicht in Anspruch nehmen. Dabei können, wie auch sonst, tatsächliche Vermutungen und Erfahrungssätze und damit auch die Grundsätze des sogenannten Anscheinsbeweises, wenn die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind, Bedeutung gewinnen. In dem hier interessierenden Zusammenhang folgt daraus, daß jede Partei die Umstände, die bei der Beurteilung der Frage der Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung jeweils zu ihren Gunsten von Bedeutung sein können, darzutun und zu beweisen hat. Etwas anderes kann auch der bisherigen Rechtsprechung (vgl. RG DR 1942,1341 = SeuffArch 96 Nr. 65; OGHZ 1, 249, 251; BGH LM Nr. 2 und Nr. 1 zu § 138 [Cd] BGB) nicht entnommen werden, die im allgemeinen dahin wiedergegeben wird, bei Bestehen ehewidriger Beziehungen zwischen dem Erblasser und der letztwillig Bedachten habe diese das Vorliegen auch anderer, achtenswerter Motive des Erblassers für seine letztwillige Verfügung zu beweisen. In dem vom Reichsgericht (aaO) entschiedenen Fall hatte der verheiratete Erblasser seine um 40 Jahre jüngere Geliebte mit einem Vermächtnis bedacht, und das Reichsgericht hatte dazu ausgeführt, es sei nicht fehlsam, wenn der Berufungsrichter »gegenüber dem dem Vermächtnis des Erblassers angesichts seines langjährigen ehebrecherischen Umgangs mit der um rund 40 Jahre jüngeren Klägerin anhaftenden sittenwidrigen Charakter die Darlegung der besonderen, die Anwendung des § 138 BGB ausschließenden Umstände und die Beweisführung darüber als Obliegenheit der Klägerin betrachtet«. Damit weicht das Reichsgericht, soweit es um die Beweislastfrage geht, nicht von den oben umrissenen allgemeinen Grundsätzen ab. Das gleiche gilt von der angeführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob die Erfahrungstatsache, von der das Gericht in dieser Entscheidung ausgegangen ist, als solche anerkannt werden könnte oder nicht. Jedenfalls weicht auch diese Entscheidung im Grundsätzlichen nicht von dem sonst zur Beweislastfrage Gültigen ab. Der Bundesgerichtshof, der in seiner Entscheidung LM Nr. 2 zu § 138 (Cd) BGB die Beweislastfrage ausdrücklich offengelassen hat, hat auch in der Entscheidung LM Nr. 14 aaO ebenfalls eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Auffassung zur Beweislastfrage nicht vertreten.

d) Hier steht nicht fest, daß der Erblasser die bedachte Frau M. mit dem ihr testamentarisch Zugewendeten für die mit ihr unterhaltenen langjährigen geschlechtlichen Beziehungen belohnen oder sie zur Fortsetzung dieser Beziehungen bestimmen wollte. Dafür spricht auch nicht eine allgemeine Lebenserfahrung. Denn bei einer langjährigen Verbindung, wie sie zwischen dem Erblasser und der Bedachten bestanden hat, erschöpfen sich die Beziehungen in aller Regel nicht im Sexualbereich. Setzt der Erblasser die Frau, mit der er zusammengelebt hat, in einem solchen Fall zu seiner Erbin ein, so kann die Erbeinsetzung nach der Lebenserfahrung ebensogut wie auf dem sexuellen Bereich der Beziehungen auf anderen, zumindest auch auf anderen Beweggründen beruhen. Das hat der erkennende Senat bereits in dem mehrfach genannten Urteil vom 26. Februar 1968 (NJW 1968,932) aufgezeigt. Zutreffend weist das Kammergericht in seinem Vorlegungsbeschluß dazu darauf hin, daß es zweifelhaft ist, ob in einem solchen Fall überhaupt eine Scheidung der einzelnen Beweggründe nach ihrer Intensität möglich ist. Zumindest gilt es keinen Erfahrungssatz, daß in einem solchen Fall ausschließlich im Bereich des Sexuellen liegende Motive den Erblasser zu der Zuwendung veranlaßt haben, die dann ihrerseits wegen des anstößigen Beweggrundes des Erblassers als sittenwidrig erachtet werden müßte. Nur ein solcher Erfahrungssatz aber könnte allenfalls eine entsprechende tatsächliche Vermutung begründen und es rechtfertigen, der Bedachten die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände aufzuerlegen, die im Rahmen der Beurteilung der letztwilligen Verfügung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit zu ihren Gunsten ins Gewicht fallen könnten; insbesondere also dafür, daß im konkreten Einzelfall andere »achtenswerte«, d. h. sittlich nicht anstößige Beweggründe für die Zuwendung im Vordergrund gestanden haben.

Hier wird - der erkennende Senat hat darüber nicht mehr zu befinden - den Ausführungen des Landgerichts und des Kammergerichts darin zugestimmt werden können, daß zwar die Zurücksetzung der Ehefrau des Erblassers durch die Einsetzung der Frau M. als Alleinerbin unwirksam sei, weil achtenswerte Beweggründe, welche diese Zurücksetzung der Ehefrau zugunsten der Geliebten des Erblassers rechtfertigen könnten, nicht festzustellen seien und deshalb die Erbeinsetzung der Frau M. unter Zurücksetzung der Ehefrau nicht als wirksam hingenommen werden könne. Das bei der insoweit anzunehmenden Unwirksamkeit des Testaments verbleibende Viertel des Nachlasses können demgegenüber die Geschwister des Erblassers auf Grund gesetzlicher Erbfolge nicht für sich in Anspruch nehmen, da das Testament im übrigen nicht nichtig ist.

Wie oben bereits gesagt ist, kann bei einer Beurteilung der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung im Rahmen des § 138 BGB in der Regel nicht außer Betracht bleiben, wie stark das Familienband ist, das den Erblasser mit der zugunsten der Geliebten bei der erbrechtlichen Nachfolge übergangenen Person verbindet. Dem trägt bereits die gesetzliche Regelung dahin Rechnung, daß sie neben dem Ehegatten nur den Kindern und Eltern des Erblassers Pflichtteilsrechte zu gesteht und damit für die Beschränkung der Testierfreiheit auf den Grad der familienrechtlichen Verbundenheit des Erblassers zu seinen Verwandten abhebt. Die Zuwendung an eine Frau, mit der der Erblasser lange Jahre zusammengelebt hat, kann insoweit, als durch sie die Geschwister des Erblassers benachteiligt werden, in aller Regel nur dann als sittenwidrig angesehen werden, wenn eine solche Zurücksetzung der Geschwister aus besonderen Umständen sittlich als untragbar erscheint, - etwa wenn die Geschwister auf Grund ihrer familiären Verbundenheit dem Erblasser besondere Opfer erbracht haben, denen der Erblasser bei der Verteilung seines Nachlasses die Anerkennung nicht versagen kann, oder wo auf Grund besonderer Umstände ein Vertrauensverhältnis geschaffen worden ist, das durch die Bevorzugung der Geliebten in unerträglicher Weise enttäuscht werden würde. Fehlt es an einer solchen, das übliche Maß überschreitenden engen familiären Verbundenheit zwischen dem Erblasser und seinen Geschwistern, so fehlt es in aller Regel auch an einer sittlichen Verpflichtung, die dem Erblasser in seiner Testierfähigkeit Beschränkungen auferlegt.

In einem solchen Fall ist deshalb das Rechtsgeschäft der Erbeinsetzung einer Frau, mit der der Erblasser außerhalb der Ehe jahrelang wie Mann und Frau zusammengelebt hat, nicht als sittenwidrig mit der Folge der Nichtigkeit zu erachten, selbst wenn besondere achtenswerte Beweggründe für die Zuwendung nicht festgestellt werden können, sofern nicht erwiesen ist, daß der Erblasser durch die Zuwendung die Bedachte allein zur Fortsetzung der geschlechtlichen Hingabe bestimmen oder sie hierfür belohnen wollte. Soweit das Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1968 - III ZR 38/65 - (NJW 1968,932) diesen Ausführungen entgegensteht, hält der Senat an seiner damals vertretenen Auffassung nicht länger fest.

Hier sind besondere Umstände, die auch die Zurücksetzung der Geschwister des Erblassers zugunsten der Bedachten nach dem zuvor Gesagten als unsittlich erscheinen lassen würden, weder von den Geschwistern des Erblassers vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Ebenso fehlt es an besonderen Umständen für die Annahme, daß es der Witwe des Erblasers nicht zugemutet werden könne, sich mit Frau M. als Miterbin über den Nachlaß auseinanderzusetzen. Der Umstand, daß das im Westen belegene Vermögen im wesentlichen aus einem Laubengrundstück besteht, das von der Erbengemeinschaft gemeinsam zu verwalten ist, reicht zu dieser Annahme allein nicht aus, zumal diese Verwaltung eine häusliche Gemeinschaft der Witwe des Erblasser mit Frau M. nicht voraussetzt.

Schließlich erfaßt die teilweise Unwirksamkeit der -Erbeinsetzung der Frau M., soweit durch sie die Witwe des Erblassers benachteiligt worden ist, auch nicht notwendig das gesamte Testament. Die rechtliche Möglichkeit, eine einheitliche Verfügung von Todes wegen, die wie hier eine teilbare Zuwendung anordnet, in der Weise zu teilen, daß ein Teil als wirksam erklärt wird, im übrigen die Verfügung aber unwirksam bleibt, wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt (FamRZ 1963,287; BGHZ 52,17). Wenn der Erblasser wie hier der Bedachten alles das zuwendet, was er ihr rechtswirksam zuwenden zu können glaubt, die Zuwendung aber gleichwohl deshalb teilweise unwirksam ist, weil sie über das sittlich Zulässige hinausgeht, spricht nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung dafür, er würde ihr auch bei Kenntnis der wahren Rechtslage soviel als möglich zugewendet haben. Tatsachen, die diese Vermutung entkräften könnten, sind nicht ersichtlich. Es kann daher unbedenklich davon ausgegangen werden, daß der Erblasser Frau M. zu einem Viertel als Erbin eingesetzt hätte, wenn er damit gerechnet hätte, eine höhere Zuwendung sei unwirksam.